Vertrauensschutzregelung bei der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit
Gründe:
I
Der am 1. September 1938 geborene Kläger wendet sich unter Berufung auf die Vertrauensschutzregelung des §
237 Abs
2 Nr
1 Buchstabe a Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (
SGB VI) idF vom 1. August 1996 bis 31. Dezember 1999 (Arbeitslosigkeit am 14. Februar 1996) gegen einen Rentenabschlag in Höhe von
6,3 % wegen der vorzeitigen Inanspruchnahme einer Altersrente wegen Arbeitslosigkeit und Vollendung des 60. Lebensjahres.
Er hatte nach einer langjährigen Beschäftigung das Arbeitsverhältnis mit Auflösungsvertrag vom 14. Juli 1994 gegen Zahlung
einer Abfindung zum 31. Juli 1994 beendet und sich bereits am 8. Juli 1994 beim Arbeitsamt Rastatt arbeitslos gemeldet und
Arbeitslosengeld (Alg) beantragt. Das Arbeitsamt Rastatt hatte mit Bescheiden vom 27. September 1994 den Anspruch auf Alg
dem Grunde nach anerkannt, jedoch wegen des Auflösungsvertrags eine Sperrzeit von 12 Wochen verhängt sowie wegen der erhaltenen
Abfindung das Ruhen des Anspruchs auf Alg bis zum 6. Februar 1995 festgestellt. Am 23. September 1994 hatte der Kläger dem
Arbeitsamt Rastatt mitgeteilt, dass er am 24. September 1994 nach Rohrwiller/Frankreich umziehen werde. Dort hatte er sich
am 24. September 1994 arbeitslos gemeldet und vom 1. Oktober 1994 bis 30. Juni 1998 Leistungen vom französischen Träger bezogen.
Weil ihn die Beklagte aus Anlass einer Kontenklärung darauf aufmerksam gemacht hatte, dass er sich dem deutschen Arbeitsmarkt
zur Verfügung stellen müsse, um die Voraussetzungen für die vorgezogene Altersrente wegen Arbeitslosigkeit zu erfüllen, hatte
er sich am 4. März 1997 ohne Leistungsbezug auch beim Arbeitsamt Rastatt als arbeitsuchend gemeldet.
Mit Bescheid vom 31. Oktober 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. August 1999 bewilligte die Beklagte die
im August 1998 vom Kläger beantragte Altersrente wegen Arbeitslosigkeit und Vollendung des 60. Lebensjahres. Die versicherungsrechtlichen
Voraussetzungen sah sie wegen der (erneuten) Arbeitslosmeldung mit dem Status als Grenzgänger beim Arbeitsamt Rastatt (vom
4. März 1997 bis 31. August 1998) als erfüllt an, kürzte jedoch wegen vorzeitiger Inanspruchnahme den Zugangsfaktor von 1,0
auf 0,937 (0,003 x 21 Monate = 0,063), was einem Rentenabschlag von 6,3 % entspricht. Die Übergangsregelung des §
237 Abs
2 Nr
1 Buchstabe a
SGB VI (idF vom 1. August 1996 bis 31. Dezember 1999) wandte sie nicht an, weil der Kläger zum Stichtag, dem 14. Februar 1996, nicht
im Inland arbeitslos gewesen sei.
Das Sozialgericht Speyer (SG) hat mit Urteil vom 9. November 2001 die Klage abgewiesen; das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz (LSG) hat mit Urteil vom
25. September 2002 die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückgewiesen und sich dabei weitgehend der Begründung im Urteil des SG angeschlossen: Dem Kläger komme die Vertrauensschutzregelung des §
237 Abs
2 Nr
1 Buchstabe a
SGB VI aF nicht zugute, weil er am Stichtag nicht in Deutschland arbeitslos gewesen sei. Die damalige Arbeitslosigkeit in Frankreich
sei nicht ausreichend, denn die Regelung knüpfe erkennbar daran an, dass der Versicherte zum Stichtag darauf vertrauen durfte,
eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit aus der deutschen Rentenversicherung zu erhalten. Da die vorgezogene Altersrente nach
§
38 SGB VI aF nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) und des Bundessozialgerichts (BSG) nur bei vorangegangener Arbeitslosigkeit im Inland gewährt werde, müsse dies auch für
die Arbeitslosigkeit am Stichtag gelten. Das Erfordernis der Arbeitsuche im Inland könne auch nicht über die Rechtsfigur des
sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ersetzt werden, ganz abgesehen davon, dass keinerlei Anhalt für die Verletzung von
Aufklärungs- und Hinweispflichten bestehe, sei es durch das deutsche Arbeitsamt, sei es durch die Beklagte.
Mit der Revision rügt der Kläger einfachrechtlich die Verletzung der Vertrauensschutzregelung des §
237 Abs
2 Nr
1 Buchstabe a
SGB VI aF, weiter aber auch, dass die Anhebung der Altersgrenzen für die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit durch §
41 Abs
1 SGB VI (in der ab 1. Januar 1997 geltenden Fassung) iVm den §§
77,
237 Abs
2 SGB VI aF gegen die Art
2,
3,
14 Grundgesetz (
GG) iVm dem verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzgebot aus Art
20 GG verstießen. Er sei der Auffassung, dass eine im grenznahen Bereich vor dem Stichtag in Deutschland begonnene, am Stichtag
in Frankreich lückenlos fortbestehende und wieder in Deutschland fortgesetzte Arbeitslosigkeit die Vertrauensschutzregelung
des §
237 Abs
2 Nr
1 Buchstabe a
SGB VI aF erfülle: Es sei unzulässig, die Rechtsprechung des EuGH und des BSG zu den versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Rente wegen Arbeitslosigkeit auf die hier allein entscheidungserhebliche
Frage, ob am Stichtag Arbeitslosigkeit bestanden hatte, zu übertragen. Insoweit stelle das Gesetz nicht auf eine Arbeitslosigkeit
im Inland ab, sondern allein darauf, dass der Versicherte zum Stichtag arbeitslos gewesen sei. Entscheidend sei insoweit der
Sinn und Zweck der Vertrauensschutzregelung.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 25. September 2002 sowie das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom
9. November 2001 aufzuheben und die Beklagte in Abänderung des Bescheides vom 31. Oktober 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 2. August 1999 zu verurteilen, ihm ab 1. September 1998 Altersrente wegen Arbeitslosigkeit mit dem Zugangsfaktor 1,0 zu
gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, dass der Zweck des §
237 SGB VI in einer Entlastung des deutschen Arbeitsmarktes zu sehen sei, woraus zu folgern sei, dass nur solche Versicherte "arbeitslos"
im Sinne dieser Vorschrift seien, die am Stichtag dem deutschen Arbeitsmarkt zur Verfügung gestanden hätten.
II
Die zulässige Revision des Klägers ist begründet. Der Kläger hat Anspruch auf eine vorgezogene Altersrente wegen Arbeitslosigkeit
bereits ab Vollendung des 60. Lebensjahres ohne Abschlag, denn die Vertrauensschutzregelung des §
237 Abs
2 Nr
1 Buchstabe a
SGB VI (Fassung 1. August 1996 bis 31. Dezember 1999, eingefügt durch Art 2 Nr 17 Buchstabe d des Gesetzes zur Förderung eines gleitenden Übergangs in den Ruhestand >RuStFöG< vom 23. Juli 1996, BGBl
I 1078, ab 1. Januar 2000 textgleich fortgeführt mit §
237 Abs
4 Nr
1 Buchstabe a
SGB VI) setzt nicht voraus, dass der Versicherte zum Stichtag, dem 14. Februar 1996, im Inland arbeitslos war. Vorrangiges Ziel
der Regelung ist es vielmehr, diejenigen zu schützen, deren Arbeitslosigkeit vor dem Stichtag auf Grund einer mit Blick auf
die bisherige Rechtslage vertrauensgeschützten unumkehrbaren Disposition eingetreten ist und seitdem voraussichtlich bis zum
Rentenbeginn andauert. Stellt sich dieser Arbeitslose der Arbeitsverwaltung eines Mitgliedstaates der Europäischen Union zur
Verfügung und bezieht er vom dortigen Träger Leistungen bei Arbeitslosigkeit nach Maßgabe des Art 71 Abs 1 Buchstabe b Ziff
ii Satz 1 und 2 VO (EWG) Nr 1408/71, so ist dies jedenfalls bei einem Wohnsitzwechsel im grenznahen Bereich und der jederzeitigen
Möglichkeit zur Wiederaufnahme der Arbeit in Deutschland als Grenzgänger unschädlich.
Streitgegenstand ist allein, mit welchem Zugangsfaktor der Monatsbetrag der dem Kläger zuerkannten Altersrente wegen Arbeitslosigkeit
zu ermitteln ist. Der Kläger begehrt den Zugangsfaktor 1,0, wogegen in den streitgegenständlichen Bescheiden der Zugangsfaktor
auf 0,937 abgesenkt wurde. Insoweit ist unstreitig, dass der Rentenanspruch des im September 1938 geborenen Klägers nach den
Vorschriften des
SGB VI in der zum Zeitpunkt des Rentenbeginns am 1. September 1998 geltenden Fassung (§
300 Abs
1 SGB VI, vgl BSG Urteil vom 24. Februar 1999 - B 5 RJ 28/98 R - SozR 3-2600 §
300 Nr
14) rechnerisch richtig ermittelt wurde. Nach §
38 Abs
1 SGB VI aF, §
41 Abs
1 SGB VI in der für die Zeit vom 1. Januar 1998 bis 31. Dezember 1999 geltenden Fassung durch Art 1 Nr 10 des Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetzes
(WFG) vom 25. September 1996 (BGBl I 1461) iVm der Anlage 19 zum
SGB VI, §
64 Nr 1
SGB VI iVm §
77 SGB VI wurde für Versicherte mit dem Geburtsjahr und Geburtsmonat des Klägers die Altersgrenze für die Altersrente wegen
Arbeitslosigkeit um 21 Monate angehoben. Sie können diese Rentenart entweder erst ab Vollendung eines Lebensalters von 61
Jahren und 9 Monaten in Anspruch nehmen oder müssen bei vorzeitiger Inanspruchnahme ab dem 60. Lebensjahr Abschläge in Gestalt
eines verminderten Zugangsfaktors (hier Minderung des Zugangsfaktors von 1,0 um 21 x 0,003 = 0,063 auf 0,937, was einem Rentenabschlag
von 6,3 % entspricht) in Kauf nehmen.
Dem Kläger kommt jedoch die Vertrauensschutzregelung des §
237 Abs
2 Nr
1 Buchstabe a
SGB VI (idF vom 1. August 1996 bis 31. Dezember 1999, jetzt Abs 4) zugute mit der Folge, dass die vorgezogene Altersrente des Klägers
wegen Arbeitslosigkeit weiterhin mit dem Zugangsfaktor 1,0 zu berechnen ist. Danach wird die Altersgrenze für die Altersrente
wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit für bestimmte Versicherte nur in dem dort festgelegten Umfang, welcher
der Rechtslage des Rentenreformgesetzes 1992 (RRG 1992) entspricht und beim Kläger noch keine negativen Auswirkungen hatte, angehoben. Begünstigt sind unter anderem: Versicherte,
die bis zum 14. Februar 1941 geboren sind und (Buchstabe a) am 14. Februar 1996 arbeitslos waren oder Anpassungsgeld für entlassene
Arbeitnehmer des Bergbaus bezogen haben oder (Buchstabe b) deren Arbeitsverhältnis auf Grund einer Kündigung oder Vereinbarung,
die vor dem 14. Februar 1996 erfolgt ist, nach dem 13. Februar 1996 beendet worden ist und die daran anschließend arbeitslos
geworden sind oder Anpassungsgeld für entlassene Arbeitnehmer des Bergbaus bezogen haben.
Der Kläger gehört zu den begünstigten Jahrgängen, weil er zur Zeit der vorgezogenen Anhebung der Altersgrenzen für die Altersrente
wegen Arbeitslosigkeit bereits im 58. Lebensjahr stand und damit zum Kreis der "rentennahen Jahrgänge" (vgl hierzu BVerfG
Urteil vom 23. Januar 1990 - 1 BvL 44/86 und 48/87 - BVerfGE 81, 156, 196 = SozR 3-4100 § 128 Nr 1 S 11) gehörte, für die der Gesetzgeber des RuStFöG mit der Übergangsregelung in §
237 Abs
2 Satz 1 Nr
1 SGB VI aF unter zwei Voraussetzungen die alte Rechtslage fortgeführt hat: Entweder waren die vor dem 1. Januar 1941 Geborenen zum
maßgeblichen Stichtag bereits arbeitslos (Buchstabe a) oder sie hatten bereits verbindliche Dispositionen im Hinblick auf
ihren Arbeitsplatz getroffen und wurden erst später arbeitslos (Buchstabe b). Aus dem Kontext der beiden Alternativen ergibt
sich, dass von der ersten Alternative in erster Linie diejenigen geschützt werden, die auf Grund einer Kündigung oder Vereinbarung
vor dem 14. Februar 1996 arbeitslos geworden sind und deren Arbeitslosigkeit am 14. Februar 1996 noch fortbestand. Denn diese
Versicherten konnten ihre weitere Lebensplanung nicht mehr auf die neue Rechtslage abstimmen. Im Gegensatz zu Versicherten,
die als Inhaber eines Arbeitsplatzes mit gesetzlichem Kündigungsschutz ggf in der Lage waren, über das 60. Lebensjahr hinaus
weiter zu arbeiten, hatten sie bereits disponiert und hatten auf Grund der angespannten Arbeitsmarktlage in der Regel keine
Möglichkeit, einen neuen Arbeitsplatz zu erlangen (BT-Drucks 13/4336, S 16, S 23 f zu Nr 17 >§ 237<). Der vom Gesetzgeber
gewählte Stichtag ist sachgerecht. Er entspricht dem Datum, an dem das Bundeskabinett das dem RuStFöG zu Grunde liegende (am
12. Februar 1996 in der so genannten Kanzlerrunde mit den Sozialpartnern abgestimmte) Eckpunktepapier beschlossen hatte (vgl
BT-Drucks 13/4336, S 24). Spätestens ab dem Stichtag konnte ein zu schützendes Vertrauen in den Bestand der bisherigen Regelungen
nicht mehr vorliegen (vgl dazu Senatsurteil vom 25. Februar 2004 - B 5 RJ 44/02 R - zur Veröffentlichung vorgesehen).
Anknüpfungspunkt der Vertrauensschutzregelung des §
237 Abs
2 Nr
1 Buchstabe a
SGB VI aF ist nur auf den ersten Blick eine am Stichtag bestehende Arbeitslosigkeit im Inland. Das Entscheidende ist vielmehr eine
im Vertrauen auf die bisherige Rechtslage ggf weit vor dem Stichtag getroffene und wegen des fortgeschrittenen Lebensalters
in der Regel unumkehrbare Disposition über das Arbeitsverhältnis (durch einen Aufhebungsvertrag oder durch Verzicht auf eine
Kündigungsschutzklage), die zur Arbeitslosigkeit am Stichtag geführt hat. Im Falle des Klägers war dies der Vertrag über die
Aufhebung des Arbeitsverhältnisses zum 31. Juli 1994. Dass der Gesetzestext alle begünstigt, die "am 14. Februar 1996 arbeitslos
waren", ist eine zulässige Generalisierung und dient letztlich nur der Verwaltungsvereinfachung. Die Ausgestaltung der Arbeitslosigkeit
im Einzelnen (im Inland oder Ausland oder das vom LSG postulierte Erfordernis der regelmäßigen Meldung bei einem deutschen
Arbeitsamt) hat deshalb nur sekundäre Bedeutung. Deshalb ist der Begriff der Arbeitslosigkeit, obwohl in der derselben Norm
verwendet, unterschiedlich auszulegen.
Selbst wenn im Anschluss an die nach Beweiswürdigung getroffene Feststellung des LSG (§
163 Sozialgerichtsgesetz >SGG<) davon ausgegangen wird, dass der Kläger in der Zeit vom 1. August bis 23. September 1994 allein beim Arbeitsamt Rastatt,
in der Zeit vom 24. September 1994 bis 3. März 1997 nach dem Umzug in das grenznahe Rohrwiller/Frankreich allein beim französischen
Arbeitsamt Haguenau und vom 4. März 1997 bis zum 31. August 1998 als arbeitsuchender "Grenzgänger" bei beiden Ämtern als arbeitsuchend
gemeldet war, also zum Stichtag eine "Arbeitslosigkeit im Inland" nicht bestanden hatte, ist dies für den Vertrauensschutztatbestand
unschädlich.
Im Gegensatz zu den Voraussetzungen für Anerkennung einer Anrechnungszeit wegen Arbeitslosigkeit (§
58 Abs
1 Nr
3 SGB VI) ist eine Meldung bei einem deutschen Arbeitsamt zum Stichtag in §
237 Abs
2 Nr
1 Buchstabe a
SGB VI aF nicht vorgeschrieben. Es ist deshalb auch verfehlt, wenn das LSG die zu dieser Bestimmung ergangene Rechtsprechung des
BSG (zB BSG Urteil vom 15. Dezember 1994 - 4 RA 64/93 - SozR 3-2600 § 58 Nr 2) heranzieht. Vielmehr genügt es, dass der Kläger zum Stichtag "arbeitslos" war, dh objektiv und subjektiv
verfügbar war, also durch nichts gehindert war, eine zumutbare Beschäftigung aufzunehmen und zudem alle Möglichkeiten nutzt
oder nutzen will, um seine Beschäftigungslosigkeit zu beenden (dazu mwN zB Senatsurteil vom 19. März 1997 - 5 RJ 78/95 - BSGE 80, 124 = SozR 3-2200 § 1259 Nr 18). Dies hat das LSG für den Senat bindend festgestellt. Im Übrigen gilt die Meldepflicht bei einem
deutschen Arbeitsamt nicht einmal für die Anspruchsvoraussetzung der vorgezogenen Altersrente wegen Arbeitslosigkeit nach
§
38 Nr
2 Buchstabe a
SGB VI aF (jetzt §
237 Abs
1 Nr
3 Buchstabe a
SGB VI), dh dem Erfordernis einer Arbeitslosigkeit von 52 Wochen vor Rentenbeginn (vgl Niesel in Kasseler Komm, Stand November 2001,
§ 237 RdNr 13; zum Recht der
Reichsversicherungsordnung >RVO< bereits BSG Urteil vom 16. April 1964 - 11/1 RA 272/62 - BSGE 21, 21 = SozR Nr 12 zu § 1259
RVO).
Von der Rechtsprechung des EuGH sowie des BSG ist dagegen anerkannt, dass für die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen des §
38 Nr
2 Buchstabe a
SGB VI aF (jetzt §
237 Abs
1 Nr
3 Buchstabe a
SGB VI), dh dem Erfordernis einer Arbeitslosigkeit von 52 Wochen vor Rentenbeginn, eine Arbeitslosigkeit im Inland erforderlich
ist und eine Arbeitslosigkeit selbst im EU-Ausland und sogar nur im Rahmen einer vorübergehenden Arbeitsuche nach Maßgabe
der Art 69, 70 VO (EWG) 1408/71 nicht ausreicht (vgl EuGH Urteil vom 9. Juli 1975 - 20/75 >DïAmico<- EuGHE 1975, 891 = SozR 6050 Art 45 Nr 1, BSG Urteil vom 31. März 1982 - 4 RJ 17/81 - SozR 2200 § 1248 Nr 35 und Senatsurteil vom 28. Juli 1992 - 5 RJ 62/91 - SozR 3-2200 § 1248 Nr 6). Indes kann diese Rechtsprechung nicht, wie es das SG und das LSG getan haben, auf den Vertrauensschutztatbestand übertragen werden. Die Anspruchsvoraussetzungen für die vorgezogene
Altersrente wegen Arbeitslosigkeit haben zum Hintergrund, speziell den innerstaatlichen Arbeitsmarkt zu entlasten. Deshalb
ist es nach der bisherigen Rechtsprechung des EuGH keine Diskriminierung, für die Entstehung des Anspruchs Zeiten der Arbeitslosigkeit in einem EU-Mitgliedstaat nicht zu berücksichtigen
und nur bei innerstaatlicher Arbeitslosigkeit die Vergünstigung einer vorzeitigen Rente zu gewähren. Für eine an einem bestimmten
Stichtag bestehende Arbeitslosigkeit, dh eine Momentaufnahme, trifft diese Überlegung jedoch nicht zu. Im Übrigen ist nicht
erkennbar, weshalb der Kläger, selbst wenn er die zitierte Rechtsprechung und deren Konsequenzen im Detail gekannt haben sollte,
sich zur Zeit des Stichtages hätte anders verhalten und auf seine verbrieften Rechte als EU-Bürger auf Freizügigkeit - auch
als Arbeitsloser - hätte verzichten sollen. Denn die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die vorgezogene Altersrente
wegen Arbeitslosigkeit (dh die 52 Wochen Arbeitslosigkeit im Inland vor Rentenbeginn) konnte er noch lange nach dem Stichtag,
wie ja auch tatsächlich geschehen, erfüllen.
Zudem würde eine andere Sichtweise auf eine Diskriminierung eines EU-Bürgers hinauslaufen, der vom Recht auf Freizügigkeit
innerhalb der Europäischen Union Gebrauch gemacht hat (EGV Art 39 Buchstaben a bis c) und der die auf der Grundlage des Art 42 EGV erlassenen Regelungen der Union voll in Anspruch nehmen kann. Der Kläger konnte sich nach Art 71 Abs 1 Buchstabe b Ziff ii
VO (EWG) 1408/71, auch wenn er vordem nicht Grenzgänger gewesen ist, der französischen Arbeitsverwaltung zur Verfügung stellen
und (ggf im Anschluss an die deutschen) die dortigen Leistungen bei Vollarbeitslosigkeit in Anspruch nehmen. Es besteht weder
ein Anhalt dafür, dass der deutsche Gesetzgeber solche Arbeitslose, die sich - zumal im grenznahen Bereich mit einem einheitlichen
Arbeitsmarkt - letztlich nur vorübergehend in einem anderen EU-Mitgliedstaat auf Arbeitsuche begeben, vom Vertrauensschutztatbestand
ausschließen wollte, noch ist dies dem Wortlaut der Übergangsvorschrift zu entnehmen.
Da bereits die Auslegung der nationalen Rechtsvorschriften zu einem für den Kläger günstigen Ergebnis führt, kann offen bleiben,
ob die zitierte Rechtsprechung des EuGH mittlerweile durch dessen Urteil vom 28. April 2004 - C-373/02 - (Öztürk), vorab veröffentlicht in CELEX, überholt oder wenigstens
relativiert wurde. Ebenso kann dahingestellt bleiben, ob die bisherige Rechtsprechung im Lichte der jetzt normierten Sachverhaltsgleichstellung
(vgl Art 5 Buchstabe b der Verordnung (EG) Nr 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung
der Systeme der sozialen Sicherheit >ABl L 166 vom 30. April 2004<, berichtigt durch ABl L 200 vom 7. Juni 2004), welche die
Verordnung (EWG) Nr 1408/71 ablöst), überdacht werden muss.
Die von der Revision hilfsweise aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen stellen sich nicht mehr.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.