Bemessung des Ausbildungsgeldes bei beruflicher Bildungsmaßnahme im Arbeitstrainingsbereich einer Werkstatt für Behinderte
Gründe:
I. Der klagende Sozialhilfeträger verlangt von der Bundesanstalt für Arbeit eine weitere Erstattung seiner Aufwendungen für
den Beigeladenen aus dem ihm während seiner Ausbildung in einer Werkstatt für Behinderte gewährten Ausbildungsgeld (Abg) mit
der Begründung, das Abg sei höher zu bemessen und müsse die vollen Lebensunterhaltungskosten decken.
Der 1969 geborene, körperlich und geistig behinderte Beigeladene wurde im Februar 1988 im Haus L., einem von einem Wohlfahrtsverband
getragenen Heim mit angeschlossener Behindertenwerkstat aufgenommen. Der Kläger gewährte als überörtlicher Sozialhilfeträger
Eingliederungsbeihilfe nach § 39 Abs. 1, §§ 40, 43
Bundessozialhilfegesetz (BSHG). Er übernahm die Heim- und Werkstattkosten und zahlte an den Beigeladenen monatlich einen Barbetrag von 123,-- DM sowie
eine Bekleidungspauschale. Ab 15. März 1988 nahm der Beigeladene an einer Maßnahme im Arbeitstrainingsbereich der Werkstatt
für Behinderte teil. Die Beklagte bewilligte Abg in Höhe von 80,-- DM monatlich ab 15. März 1988 und in Höhe von 85,-- DM
ab 1. Oktober 1988 gemäß § 24 Abs. 5 der Anordnung des Verwaltungsrates der Bundesanstalt für Arbeit über die Arbeits- und
Berufsförderung Behinderter (A-Reha). Außerdem übernahm sie die Kosten der Maßnahme einschließlich der Kosten für die Werkstatt,
nicht jedoch die Kosten für Unterkunft und Verpflegung im Heim. Im Umfang der dem Beigeladenen gewährten Leistungen erstattete
sie dem Kläger dessen Kosten.
Das Sozialgericht (SG) ist der Auffassung des Klägers, daß dem Beigeladenen ein höheres Abg zugestanden habe, gefolgt (Urteil vom 10. Mai 1989).
Es hat die Auffassung vertreten, die in § 24 Abs. 5 A-Reha vorgesehenen Beträge für das Abg während der Teilnahme an Maßnahmen
in Behindertenwerkstätten seien nicht durch die Ermächtigung des § 58 Abs. 2
Arbeitsförderungsgesetz (AFG) gedeckt, weil sie nicht ausreichten, den Lebensunterhalt und damit den Bedarf des Behinderten zu decken. Ersatzweise seien
deshalb die höheren Beträge nach § 24 Abs. 3 Nr. 1 Buchst d, aa A-Reha zu zahlen, die einem der Heimunterbringung vergleichbaren
Bedarf Rechnung trügen.
Mit der Sprungrevision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 58 Abs. 1 a und 2
AFG iVm § 24 Abs. 5 A-Reha. Das SG habe die Besonderheiten der Ausbildung in Behindertenwerkstätten nicht hinreichend berücksichtigt, indem es die Bedarfssätze
für Nichtbehinderte (§ 40
AFG) bzw für solche Behinderte, die an einer betrieblichen Ausbildung oder einer Umschulung oder an berufsvorbereitenden Maßnahmen
im Hinblick auf eine spätere Erwerbstätigkeit auf dem Arbeitsmarkt teilnehmen, zum Maßstab genommen habe.
Die im Arbeitstrainingsbereich einer Behindertenwerkstatt ausgebildeten Behinderten wechselten anschließend - wie auch hier
geschehen - typischerweise in den Arbeitsbereich der Werkstatt und nicht auf den freien Arbeitsmarkt über. Im Arbeitsbereich
der Werkstatt würden aber durchschnittlich wesentliche geringere Entgelte als auf dem freien Arbeitsmarkt gezahlt (Durchschnittsentgelt
1985: 219,-- DM monatlich). Zu diesem Entgelt müsse sich das Abg angemessen verhalten. Es solle nicht den Lebensunterhalt
während der Maßnahme im Arbeitstrainingsbereich einer Werkstatt umfassend sicherstellen, sondern lediglich einen Anreiz für
die Teilnahme an solchen Maßnahmen bieten. Für die Sicherung des Lebensunterhalts des Behinderten seien neben unterhaltspflichtigen
Verwandten andere Sozialleistungsträger verantwortlich. Das nach § 24 Abs. 5 A-Reha bemessene geringere Abg halte sich daher
im Rahmen der Ermächtigung des § 58 Abs. 2
AFG.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts aufzuheben und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die Beklagte sei gesetzlich verpflichtet, ein Abg in der Höhe zu gewähren,
daß der Grundbedarf für den Lebensunterhalt gedeckt werde. Die Heimunterbringungskosten umfaßten die Kosten für die Unterbringung
und den Lebensunterhalt. Für die reinen Unterbringungskosten habe zwar er, der Kläger aufzukommen, weil die Heimaufnahme nicht
wegen der beruflichen Förderungsmaßnahme, sondern aus anderen Gründen erfolgt sei. Die Kosten des Lebensunterhalts habe die
Beklagte aber als vorrangiger Leistungsträger gemäß § 37 Abs. 1 Satz 2 AFG zu tragen.
II. Die Revision der Beklagten ist begründet. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, dem Kläger einen höheren Erstattungsbetrag
als den bisher geleisteten zu zahlen.
Ein Erstattungsanspruch aus § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X besteht deshalb nicht, weil ein solcher Anspruch eines nachrangig verpflichteten Leistungsträgers wegen der von ihm erbrachten
Sozialleistungen gegen einen vorrangig verpflichteten Leistungsträger eine Gleichartigkeit der Leistungen voraussetzt (BSG
SozR 1300 § 104 Nr. 4). Die Leistungen des Klägers und der Beklagten sind nicht gleichartig gewesen. Der Kläger hat dem Beigeladenen
als Hilfe in besonderen Lebenslagen (§§ 27 ff BSHG idF der Bekanntmachung vom 20. Januar 1987 - BGBl I 401, ber. 494 -) Eingliederungshilfe für Behinderte durch Heimunterbringung
§§ 39, 43 Abs. 1
BSHG) als Sachleistung gewährt. Die Beklagte hat dagegen dem Beigeladenen nach Auffassung des Klägers ein höheres Abg, also eine
Geldleistung zu gewähren. Nach dem gemäß § 104 Abs. 1 Satz 4 SGB X entsprechend anwendbaren Satz 1 kann aber der Sozialhilfeträger einen Erstattungsanspruch gegen den Sozialleistungsträger
haben, von dem der in einem Heim untergebrachte und in zumutbarem Umfang zum Aufwendungsersatz verpflichtete Hilfesuchende
(§ 43 Abs. 1 Satz 1 und 2
BSHG) zeitgleich eine Leistung verlangen kann.
Einen solchen Leistungsanspruch, der über das gezahlte Abg hinausginge, hatte der Beigeladene gegen die Beklagte aber nicht.
§ 24 Abs. 5 A-Reha (idF der 12. Änderungsanordnung vom 1. Oktober 1986 - ANBA 1649 - und der 14. Änderungsanordnung vom 6.
Juli 1988 - ANBA 1125 -) auf den sich die Beklagte bei der Bemessung stützt, verstößt nicht gegen § 40
AFG oder sonstige gesetzliche Vorschriften. Das Abg für die Ausbildung als berufsfördernde Maßnahme für Behinderte im Arbeitstrainingsbereich
einer Behindertenwerkstatt (§ 58 Abs. 1a Satz 1 Nr. 2
AFG idF des AFKG vom 22. Dezember 1981 - BGBl I 1497) ist insbesondere nicht nach dem vollen Lebensunterhaltsbedarf zu bemessen.
Diese Leistung ist vielmehr zutreffend im Verhältnis zu dem später zu erwartenden Arbeitsentgelt vertretbar festgelegt, so
daß dem Beigeladenen kein höherer Beitrag zu den Unterbringungskosten aus dem Abg zugemutet werden kann.
Gesetzliche Regelungen für das Abg, dessen Höhe umstritten ist, gibt es nicht (vgl. § 56 Abs. 1 und 2, § 58 Abs. 1, § 59
AFG). Für diesen Fall ermächtigt § 58 Abs. 2 Satz 1 AFG die Bundesanstalt, durch Anordnung das Nähere zu bestimmen. Der entsprechend anwendbare § 40
AFG über Berufsausbildungsbeihilfe für nicht behinderte Auszubildende schränkt die Ermächtigung nicht dahin ein, daß das zu zahlende
Abg den Lebensunterhalt decken müßte. Wenn nach § 40 Abs. 1a
AFG Berufsausbildungsbeihilfe für den Lebensunterhalt und für die Ausbildung oder die Teilnahme an einer berufsvorbereitenden
Maßnahme zu gewähren ist, mag daraus folgen, daß für die Leistung der Bedarf hoch genug bemessen sein muß, um damit typischerweise
den Lebensunterhalt bestreiten zu können. Die Vorschrift kann aber nicht entsprechend auf Behinderte angewandt werden, die
unabhängig von der beruflichen Bildungsmaßnahme vom Sozialhilfeträger Hilfe in besonderen Lebenslagen erhalten, in einem Heim
untergebracht sind und für eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht in Betracht kommen. Auch der Kläger geht
nicht davon aus, daß die Beklagte durch die Gewährung von Abg den Lebensunterhalt des Beigeladenen in vollem Umfang einschließlich
der Unterbringungskosten sichern müßte. Die Kosten der Unterkunft im Heim hat die Beklagte deshalb nicht zu tragen, weil der
Beigeladene unabhängig von der Berufsbildungsmaßnahme im Heim untergebracht ist und auch nach deren Ende mit dem Überwechseln
in den Arbeitsbereich der Werkstatt dort untergebracht bleibt. Nach § 56 Abs. 3 Nr. 3
AFG idF durch das AFKG hat die Bundesanstalt die erforderlichen Kosten für Unterkunft und Verpflegung nur zu übernehmen, wenn
eine Unterbringung außerhalb des eigenen oder des elterlichen Haushalts zwar wegen Art oder Schwere der Behinderung oder zur
Sicherung des Erfolges der Rehabilitation notwendig ist, die Unterbringung aber gerade durch die Berufsbildungsmaßnahme veranlaßt
wird. Ist jedoch, wie hier, die Unterbringung unabhängig von der Maßnahme, und zwar dauernd, erforderlich, hat die Bundesanstalt
diese Kosten nicht zu übernehinen, also weder Kosten der Unterkunft noch der Verpflegung (BSG SozR 4100 § 56 Nrn. 14, 19).
Dies entspricht dem allgemeinen Grundsatz, daß die Beklagte nur für die berufliche Bildung und nicht auch für die soziale
Betreuung und Persönlichkeitsbildung des Behinderten zuständig ist.
Das ist vielmehr Aufgabe des (überörtlichen) Sozialhilfetragers, der durch Gewährung von Eingliederungshilfe eine vorhandene
Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und den Behinderten in die Gesellschaft einzugliedern hat. Hierzu
gehört vor allem, dem Behinderten die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, ihm die Ausübung
eines angemessenen Berufs oder einer sonstigen angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen und ihn soweit wie möglich unabhängig
von Pflege zu machen (§ 39 Abs. 3
BSHG). Wird die Hilfe in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung oder einer Einrichtung zur teilstationären
Betreuung gewährt, umfaßt sie auch den in der Einrichtung gewährten Lebensunterhalt (§ 27 Abs. 3
BSHG). Der Sozialhilfeträger ist hier im Verhältnis zu anderen Sozialleistungsträgern nicht subsidiär, sondern originär zuständig.
§ 37 Abs. 1 Satz 2 AFG iVm 5 2 Abs. 2
BSHG gilt dafür nicht.
Auch aus § 26
BSHG läßt sich nichts anderes herleiten. Nach dieser Vorschrift haben Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes
oder des AFG dem Grunde nach förderungsfähig ist, keinen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt. Sie betrifft allein die Leistungen nach
dem zweiten Abschnitt des BSHG, nicht aber solche des dritten Abschnitts "Hilfe in besonderen Lebenslagen", um die es hier geht.
Die Beklagte darf die dargelegte Zuständigkeitsverteilung bei der Bemessung des Abg berücksichtigen und den Lebensunterhaltsbedarf
außer acht lassen. Mit den in § 24 Abs. 5 A-Reha festgelegten Beträgen von 80,-- DM bzw 85,-- DM monatlich trägt die Beklagte
auch den besonderen Verhältnissen der Behinderten Rechnung; sie hält damit den Ermächtigungsrahmen des § 58 Abs. 2
AFG ein. Unter Berücksichtigung der maßgebenden Umstände beachtet sie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Das Abg soll in solchen Fällen wie den des Beigeladenen nur die für den persönlichen Bedarf frei verfügbaren Mittel erhöhen
und dadurch die Motivation für die Berufsbildungsmaßnahme fördern.
Mit dem Abg hat der Hilfeempfänger zwar zu den Kosten des Aufenthaltes im Heim beizutragen; er erhält jedoch andererseits
gemäß § 21 Abs. 3 Satz 4 BSHG vom Sozialhilfeträger einen erhöhten Barbetrag zur persönlichen Verfügung. Die Höhe des Abg liegt wohl unter dem, was der
Sozialhilfeträger als Barbetrag für den persönlichen Bedarf an Heimbewohner zu leisten hat. Dieser Betrag wird dadurch, daß
er einen bestimmten Prozentsatz des Regelsatzes eines Haushaltsvorstandes beträgt, zudem laufend dem erforderlichen Mindestbedarf
angepaßt. Das Abg muß aber nicht mindestens den persönlichen Bedarf eines Behinderten decken, der an einer beruflichen Bildungsmaßnahme
teilnimmt. Vielmehr ist dafür ebenfalls der Sozialhilfeträger zuständig, wenn es keine sonstigen Unterhaltsverpflichteten
gibt.
Schließlich sind die Durchschnittsverdienste im Arbeitsbereich von Werkstätten für Behinderte zu beachten. Sie liegen nach
den unangefochtenen Feststellungen der Tatsacheninstanz nicht wesentlich über 200,-- DM monatlich und verhalten sich im Verhältnis
zu den späteren Verdienstmöglichkeiten im Arbeitsbereich der Werkstatt etwa wie die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gezahlten
Ausbildungsvergütungen zu den nach der Ausbildung erzielbaren Erwerbseinkommen. Das Abg muß und darf nicht an den späteren
Arbeitsverdienst heranreichen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes.