Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende, Berücksichtigung von Vermögen, Ausschluss der Verwertbarkeit einer Lebensversicherung,
sozialrechtlicher Herstellungsanspruch, Beratungspflicht des persönlichen Ansprechpartners
Gründe:
I. Die Kläger begehren Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung
für Arbeitsuchende (SGB II) für die Zeit ab 23. Mai 2005.
Der am 17. August 1949 geborene Kläger zu 1 bezog bis zum 22. Mai 2005 Arbeitslosengeld nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch
- Arbeitsförderung (
SGB III) in Höhe von täglich 36,32 Euro. Am 11. Mai 2005 beantragte er bei der Beklagten für sich und seine am 19. Januar 1954 geborene
Ehefrau (Klägerin zu 2) Leistungen nach dem SGB II. Zum Antragszeitpunkt verfügten die Kläger über folgende Vermögenswerte:
- Bausparvertrag in Höhe von 4.542,52 Euro
- Girokonto in Höhe von 2.160,76 Euro
- Bargeld in Höhe von 200,00 Euro
- Kapital-Lebensversicherung mit einem Rückkaufswert von 27.401,00 Euro (Versicherungssumme: 50.852,42 Euro; Guthabenswert
28.522,00 Euro).
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 31. Mai 2005 den Antrag ab, weil die Kläger nicht hilfebedürftig seien. Das zu berücksichtigende
Vermögen übersteige mit 35.431,35 Euro die anzuerkennenden Grundfreibeträge. Die Kläger legten am 6. Juni 2005 Widerspruch
ein und führten zur Begründung aus, die Lebensversicherung habe ursprünglich zum 1. Juli 2009 mit einem Guthaben von 50.852,42
Euro fällig werden und der zusätzlichen Altersversorgung dienen sollen. Auf Grund der Arbeitslosigkeit des Klägers zu 1 seien
sie nicht mehr in der Lage gewesen, den monatlichen Versicherungsbeitrag von 293,18 Euro zu zahlen, sodass die Versicherung
beitragsfrei gestellt worden sei. Der Rückkaufswert dieser Versicherung betrage nur 27.401,00 Euro. Die Auflösung des Lebensversicherungsvertrages
sei wirtschaftlich nicht sinnvoll und würde eine unzumutbare Härte darstellen. Sie seien aber mit einem Auszahlungsvorbehalt
durch die Agentur für Arbeit bis zum 1. Juli 2009 einverstanden. Die Beklagte wies den Widerspruch durch Bescheid vom 13.
Juni 2005 zurück. Zur Begründung hat sie ua ausgeführt, von einer Unwirtschaftlichkeit der Verwertung könne angesichts des
Rückkaufswertes der Lebensversicherung nicht ausgegangen werden. Nach Klageerhebung zum Sozialgericht (SG) Duisburg wies dieses die Kläger mit Schreiben vom 5. August 2005 auf die Vorschrift des § 12 Abs 2 Nr 3 SGB II hin. Daraufhin
vereinbarte der Kläger zu 1 am 29. August 2005 einen Verwertungsausschluss gemäß § 165 Abs 3 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) mit seinem Lebensversicherer. Seit diesem Zeitpunkt (29. August 2005) erhalten die Kläger Leistungen nach dem SGB II (Bewilligungsbescheid
vom 8. Februar 2006). Die Kläger wiesen zur Klagebegründung nunmehr ergänzend darauf hin, dass die Beklagte sie bereits bei
Antragstellung oder spätestens während des Widerspruchsverfahrens auf die Möglichkeit des § 12 Abs 2 Nr 3 SGB II hätte hinweisen
müssen. Wäre ein solcher Hinweis erfolgt, so hätte der Kläger zu 1 sich bereits zum damaligen Zeitpunkt um eine entsprechende
Vereinbarung mit seinem Lebensversicherer bemüht.
Durch Urteil vom 9. Juni 2006 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung ihrer Bescheide verurteilt, den Klägern Leistungen ab 23. Mai 2005 nach dem SGB II ohne Berücksichtigung
von Vermögen nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu bewilligen. Zur Begründung hat es ausgeführt, wegen des Hinweises
in § 12 Abs 2 Nr 3 SGB II auf § 165 Abs 3 VVG bestehe eine so große Sachnähe zwischen den zivilrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten und den sozialrechtlichen Ansprüchen,
dass sich entsprechende Beratungspflichten des Sozialleistungsträgers auch auf diese Gestaltungsmöglichkeiten beziehen müssten.
Zwar liege die Vereinbarung nach § 165 Abs 3 VVG grundsätzlich außerhalb des Sozialrechtsverhältnisses. Faktisch wirke die zum 29. August 2006 geschlossene Vereinbarung jedoch
zurück, denn der Kläger könne auch im Nachhinein für die hier streitige Zeit die Versicherung auf Grund der Vereinbarung nach
§ 165 Abs 3 VVG nicht mehr verwerten. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen durch Urteil vom
20. November 2006 das Urteil des SG Duisburg geändert und die Klage abgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es
ausgeführt, das SG habe die Beklagte zu Unrecht verurteilt, den Klägern Leistungen ab dem 23. Mai 2005 zu gewähren. Angesichts der vorhandenen
verwertbaren Vermögensgegenstände seien die Kläger nicht hilfebedürftig iS des § 9 Abs 1 SGB II gewesen. Den Klägern stehe
insgesamt ein Grundfreibetrag nach dem SGB II in Höhe von 22.700,00 Euro zu. Bereits die verwertbare Kapitallebensversicherung
mit einem Rückkaufswert von 27.401,00 Euro übersteige diesen Freibetrag. Die Kläger könnten sich auch nicht auf § 12 Abs 2 Nr 3 SGB II berufen. Der Verwertungsausschluss gemäß § 165 VVG sei erst am 29. August 2005 vereinbart worden. Auch wenn dieser Verwertungsausschluss rückwirkend zum 1. Januar 2005 wirksam
geworden sein sollte, ändere dies nichts daran, dass den Klägern im streitigen Zeitraum die Verwertung jederzeit möglich gewesen
wäre. Auch lägen die Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches nicht vor. Der Senat neige zwar der Auffassung
zu, dass die Beklagte jedenfalls nach Kenntnisnahme des Widerspruchsschreibens vom 6. Juni 2005 den Kläger zu 1 darüber hätte
aufklären müssen, dass er durch Vereinbarung eines Verwertungsausschlusses gemäß § 165 Abs 3 VVG seine Lebensversicherung aus der Berücksichtigung nach dem SGB II hätte ausschließen können. Wegen der engen Verknüpfung
zur sozialrechtlichen Regelung im SGB II wäre ein solcher Hinweis auch auf eine zivilrechtliche Gestaltungsmöglichkeit nötig
und erforderlich gewesen. Andererseits bestünden auf Grund der Erklärungen des Klägers zu 1 im sozialgerichtlichen Verfahren
Zweifel, ob diesem nicht die Möglichkeit einer Vereinbarung eines Verwertungsausschlusses auf Grund von Informationen seines
Lebensversicherers bereits bekannt gewesen sei. Es "spreche viel dafür", dass der Kläger schon vor Abfassung des Widerspruchsschreibens
vom 6. Juni 2005 über die Möglichkeit der Vereinbarung eines Verwertungsausschlusses informiert gewesen sei. Dies könne aber
dahinstehen, weil es ohnehin an der rechtlichen bzw tatsächlichen Möglichkeit fehle, die Kläger so zu stellen, als wären sie
ordnungsgemäß beraten worden. Der soziale Leistungsträger sei nicht in der Lage, durch eine ihm mögliche Amtshandlung eine
privatrechtliche Vereinbarung zwischen dem Kläger zu 1 und dem Lebensversicherer bereits für den hier streitigen Zeitraum
herbeizuführen. Auch liege keine offensichtliche Unwirtschaftlichkeit der Verwertung bzw eine besondere Härte bei der Verwertung
der Lebensversicherung vor. Schließlich könnten die Kläger sich auch nicht auf die Übergangsvorschrift des § 65 Abs 5 SGB
II berufen.
Hiergegen wenden sich die Kläger mit ihrer - vom LSG zugelassenen - Revision. Sie rügen - sinngemäß - eine Verletzung des
§ 12 SGB II und der Grundsätze der Rechtsprechung über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch. Der vereinbarte Verwertungsausschluss
der Lebensversicherung sei in jedem Falle zu beachten, weil er sich rückwirkende Geltung beigelegt habe. Im Übrigen hätte
die Beklagte ihn - den Kläger zu 1 - auf die Möglichkeit eines Verwertungsausschlusses rechtzeitig hinweisen müssen, sodass
er unverzüglich von seinem Recht hätte Gebrauch machen können. Hierdurch sei ihm ein erheblicher Schaden entstanden. Auch
das LSG habe eingeräumt, dass die Beklagte ihre Beratungspflicht objektiv rechtswidrig nicht erfüllt habe.
Die Kläger beantragen nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 20. November 2006 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen
das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 9. Juni 2006 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie beruft sich auf den Inhalt des angefochtenen Urteils.
Die Beteiligten haben übereinstimmend ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Gerichts ohne mündliche Verhandlung durch
Urteil (§
124 Abs
2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) erklärt.
II. Die Revision der Kläger ist unbegründet. Zu Recht hat das LSG entschieden, dass den Klägern für den Zeitraum ab 23. Mai
2005 kein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gemäß §§ 19 ff SGB II zusteht. Die Kläger sind nicht
hilfebedürftig iS des § 9 Abs 1 SGB II. Es steht ihnen auch kein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch zur Seite.
Die Kläger begehren Leistungen ab 23. Mai 2005. Ab 29. August 2005 wurden ihnen Leistungen nach dem SGB II bewilligt (Bewilligungsbescheid
vom 8. Februar 2006). Unklar bleibt, wieso die Kläger - wovon das LSG ausging - nur bis 31. Juli 2005 einen Anspruch geltend
machen, was aber letztlich dahin stehen kann, weil der Anspruch ohnehin nicht besteht. Ob der Berufungsstreitwert gemäß §
144 Abs
1 Nr
1 SGG (500,00 Euro) erreicht wurde, kann ebenfalls dahinstehen, weil das SG die Berufung ausdrücklich zugelassen hat. Zu Recht hat das LSG sodann die beiden Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft jeweils
als Kläger angesehen und die Beteiligteneigenschaft der Beklagten gemäß §
70 SGG bejaht (hierzu BSG SozR 4-4200 §
22 Nr 1).
Die Kläger waren nicht hilfebedürftig gemäß § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB II iVm § 9 Abs 1 SGB II (idF des Vierten Gesetzes für
moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003, BGBl I, 2954). Hilfebedürftig ist im Sinne dieser Vorschrift,
wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft
lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht 1. durch die Aufnahme einer
zumutbaren Arbeit, 2. aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht
oder nicht ausreichend von anderen, insbesondere Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Gemäß § 9 Abs
2 Satz 1 SGB II sind bei Personen, die wie die Kläger in einer Bedarfsgemeinschaft gemäß § 7 Abs 3 Nr 3 Buchst a SGB II leben,
auch das Einkommen und Vermögen des jeweiligen Partners zu berücksichtigen. Das bei den Partnern der Bedarfsgemeinschaft zum
Zeitpunkt der Antragstellung vorhandene Vermögen überstieg die Grundfreibeträge gemäß § 12 SGB II. Nach §
12 Abs
2 Nr
1 SGB II (idF der Norm durch das Vierte
SGB III-Änderungsgesetz vom 19. November 2004, BGBl I, 2902) war vom Vermögen abzusetzen ein Grundfreibetrag in Höhe von 200,00 Euro
je vollendetem Lebensjahr des volljährigen Hilfebedürftigen und seines Partners, mindestens aber jeweils 4.100,00 Euro. Der
Kläger hatte das 55. Lebensjahr vollendet, seine Ehefrau das 51. Lebensjahr. Hieraus errechnet sich ein Grundfreibetrag gemäß
§ 12 Abs 2 Nr 1 SGB II in Höhe von 21.200,00 Euro (55 x 200 Euro + 51 x 200 Euro). Unter Berücksichtigung des Freibetrags
für notwendige Anschaffungen gemäß § 12 Abs 2 Nr 4 SGB II in Höhe von 750,00 Euro für jeden in der Bedarfsgemeinschaft lebenden
Hilfebedürftigen ergab sich mithin ein Gesamtfreibetrag von 22.700,00 Euro. Bereits der aus der Kapital-Lebensversicherung
zu realisierende Auszahlungsbetrag (Rückkaufswert) von 27.401,00 Euro übersteigt diesen Freibetrag, sodass es auf die weiteren
Vermögenswerte nicht ankommt.
Das LSG hat zu Recht entschieden, dass die Lebensversicherung im streitigen Zeitraum als Vermögen zu berücksichtigen ist.
Die Kläger können sich zunächst nicht auf die Norm des § 12 Abs 2 Nr 3 SGB II berufen. Hiernach sind vom Vermögen abzusetzen:
Geldwerte Ansprüche, die der Altersvorsorge dienen, soweit der Inhaber sie vor dem Eintritt in den Ruhestand auf Grund einer
vertraglichen Vereinbarung nicht verwerten kann und der Wert der geldwerten Ansprüche 200,00 Euro je vollendetem Lebensjahr
des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und seines Partners, höchstens jedoch jeweils 13.000,00 Euro nicht übersteigt. Der Kläger
zu 1 hat die gemäß § 165 Abs 3 VVG erforderliche vertragliche Vereinbarung am 29. August 2005 geschlossen. Es ist unbeachtlich, dass diese Vereinbarung - nach
den unangegriffenen Feststellungen des LSG - sich Rückwirkung beigemessen hat. Auch wenn der Verwertungsausschluss rückwirkend
zum 1. Januar 2005 wirksam geworden sein sollte, ändert dies nichts daran, dass diese Rechtsfolge erst am 29. August 2005
- also zeitlich nach dem hier streitigen Zeitraum - eingetreten ist. Die Hilfebedürftigkeit der Kläger ist jeweils aktuell
für den Zeitraum zu beurteilen, für den Leistungen beansprucht werden. Im Zeitpunkt der Antragstellung bzw ab 23. Mai 2005
war ein Verwertungsausschluss gemäß § 165 Abs 3 VVG gerade nicht vereinbart. Bei der hier maßgebenden aktuellen Betrachtungsweise kann eine zeitlich später erfolgte vertragliche
Vereinbarung keine Wirksamkeit für vergangene Zeiträume entfalten.
Die Kläger können auch im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht so gestellt werden, als sei diese Vereinbarung
gemäß § 165 Abs 3 VVG früher als am 29. August 2005 geschlossen worden. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch hat zur Voraussetzung, dass der
Sozialleistungsträger eine ihm auf Grund Gesetzes oder eines Sozialrechtsverhältnisses obliegende Pflicht (a), insbesondere
zur Beratung und Auskunft (§§ 14, 15 Erstes Buch Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil [SGB I]), verletzt hat (b). Ferner ist
erforderlich, dass zwischen der Pflichtverletzung des Sozialleistungsträgers und dem Nachteil des Betroffenen ein ursächlicher
Zusammenhang (c) besteht. Schließlich muss der durch das pflichtwidrige Verwaltungshandeln eingetretene Nachteil durch eine
zulässige Amtshandlung beseitigt werden können (d). Die Korrektur durch den Herstellungsanspruch darf dem jeweiligen Gesetzeszweck
nicht widersprechen (e) (vgl Urteil des 7. Senats des Bundessozialgerichts [BSG] vom 1. April 2003 - Lohnsteuerklassenwechsel
- BSGE 92, 267, 279 = SozR 4-4300 § 137 Nr 1 mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Der Senat stimmt dem LSG insoweit zu, dass die Beklagte
hier ihre Beratungs- und Auskunftspflichten gemäß §§
14,
15 SGB I verletzt hat (sogleich a). Allerdings bestehen erhebliche Zweifel, ob zwischen dieser Pflichtverletzung und dem Nachteil
für den Betroffenen bereits ein ursächlicher Zusammenhang bestand. Letzteres kann dahinstehen, weil die Korrektur des Beratungsfehlers
hier nicht durch eine zulässige Amtshandlung möglich ist (vgl sogleich unter b).
a) Rechtsgrundlage für die Beratungspflicht in Form einer Hinweispflicht sind §§
14,
15 SGB I. Eine umfassende Beratungspflicht des Sozialversicherungsträgers bzw des Sozialleistungsträgers besteht zunächst regelmäßig
bei einem entsprechenden Beratungs- und Auskunftsbegehren des Versicherten (vgl BSG Urteil vom 17. August 2000 - B 13 RJ 87/98 R - SGb 2000, 616; SozR 3-2600 § 115 Nr 9 S 59). Wie der 7. Senat des BSG mit Urteil vom 8. Februar 2007 (B 7a AL 22/06 R - Entgeltsicherung
für ältere Arbeitnehmer -) entschieden hat, besteht ausnahmsweise jedoch auch dann eine Hinweis- und Beratungspflicht des
Versicherungsträgers, wenn anlässlich einer konkreten Sachbearbeitung dem jeweiligen Mitarbeiter eine nahe liegende Gestaltungsmöglichkeit
ersichtlich ist, die ein verständiger Versicherter wahrnehmen würde, wenn sie ihm bekannt wäre (stRspr des BSG; vgl BSG SozR
4-1200 § 14 Nr 5 S 8 mit Anm Münder, SGb 2005, 239; BSGE 92, 34 = SozR 4-3100 § 60 Nr 1; SozR 3-2600 § 115 Nr 9 S 59 mit Anm Köhler, SGb 2003, 407; BSG SozR 3-1200 § 14 Nr 29 S 96 mit Anm Hase, SGb 2001, 593; SozR 3-4100 § 110 Nr 2 S 9; BSG SozR 3-1200 § 14 Nr 16 S 49; BSG SozR 3-1200 § 14 Nr 6 S 13; BSG Urteil vom 22. Oktober
1998 - B 5 RJ 56/97 R - SGb 1999, 26; Meyer, SGb 1985, 57; Funk, SDSRV 39, 51, 54 ff). Dabei ist die Frage, ob eine Gestaltungsmöglichkeit klar zu Tage liegt, allein nach objektiven
Merkmalen zu beurteilen (BSG SozR 3-1200 § 14 Nr 16 S 50). Sie liegt jedenfalls nahe, wenn sie - wie hier in § 12 Abs 2 Nr
3 SGB II - im Gesetz ausdrücklich geregelt ist. Eine derartige Verpflichtung zur Spontanberatung trifft den Sozialleistungsträger
insbesondere im Rahmen eines Sozialrechtsverhältnisses. Zum Leistungsrecht der Bundesagentur für Arbeit (BA) nach dem
SGB III hat der 7. Senat des BSG entschieden, dass ein solches Sozialrechtsverhältnis bereits durch die Arbeitslosmeldung bzw die
Antragstellung bei der BA entsteht (BSG SozR 4-4300 § 324 Nr 3 RdNr 18; BSG SozR 4100 § 44 Nr 9 S 28; BSGE 92, 267, 269 = SozR 4-4300 § 137 Nr 1 S 3). Dementsprechend hat eine gesteigerte Beratungs- und Hinweispflicht der Beklagten hier
bereits im Zeitpunkt der Antragstellung eingesetzt. Eine solche hat der 7. Senat des BSG etwa bei einer Gesetzesänderung (Einführung
der Entgeltsicherung für ältere Arbeitnehmer) auf Grund einer Arbeitslosmeldung eines Arbeitnehmers bejaht, der das nach dem
Gesetz für die Inanspruchnahme einer Vergünstigung maßgebliche Lebensalter erreicht hatte (BSG SozR 4-4300 § 324 Nr 3). Auch
im Rahmen des Lohnsteuerklassenwechsels hat die Rechtsprechung eine Verpflichtung der Verwaltung zur Beratung bzw zur Erteilung
von Hinweisen aus den §§
14,
15 SGB I abgeleitet, die bereits bei Antragstellung etwa in der Form sachgerechter Merkblätter zu erfüllen ist (BSGE 92, 267, 278 = SozR 4-4300 § 137 Nr 1). Es besteht keine Veranlassung, Antragsteller auf Leistungen nach dem SGB II hinsichtlich
ihrer Hinweis- und Beratungsrechte anders zu behandeln als Antragsteller nach dem
SGB III. Danach könnte hier, anders als das LSG angenommen hat, nicht erst nachdem die Beklagte vom Widerspruchsschreiben des Klägers
zu 1 Kenntnis erlangt hatte, eine Hinweis- und Beratungspflicht entstanden sein, sondern bereits bei der Antragstellung. Die
§§
14,
15 SGB I beanspruchen insofern Geltung in allen Büchern des SGB.
Eine Beratungspflicht bereits bei Antragstellung wird im Übrigen auch durch die gesetzliche Konzeption des SGB II gefordert,
die auf umfassende Unterstützung durch einen persönlichen Ansprechpartner ausgerichtet ist. § 14 Satz 1 SGB II betont, dass
die Träger der Leistungen nach dem SGB II erwerbsfähige Hilfebedürftige umfassend mit dem Ziel der Eingliederung in Arbeit
unterstützen. Hierfür soll die Agentur für Arbeit einen persönlichen Ansprechpartner (Fallmanager) für jeden erwerbsfähigen
Hilfebedürftigen und die mit ihm in Bedarfsgemeinschaft Lebenden benennen (§ 14 Satz 2 SGB II). Das BSG hat bereits in anderem
Zusammenhang (SozR 4-1200 § 14 Nr 5 - Beratungspflichten des Jugendamtes) darauf hingewiesen, dass für den persönlichen Ansprechpartner
iS des § 14 SGB II eine gesetzlich normierte weit gehende Beratungs- und Aufklärungspflicht gegenüber dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen
iS des SGB II über den jeweiligen Beratungsanlass hinaus besteht. Beratung und Aufklärung des Hilfebedürftigen durch den persönlichen
Ansprechpartner sind "Querschnittsaufgaben", die für das Aktivierungskonzept des SGB II mit der Betonung einer vertraglichen
oder zumindest vertragsähnlichen Beziehung zwischen Leistungsempfänger und Fallmanager von essenzieller Bedeutung sind (vgl
BSG SozR 4-1200 § 14 Nr 5; Spellbrink in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 4 RdNr 8 ff; Vor in Estelmann, SGB II, § 4 RdNr 7 ff,
Stand Mai 2007). Dies kommt bereits im ursprünglichen Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen vom 5. September
2003 (BT-Drucks 15/1516 S 44) zum Ausdruck: "Im Rahmen des Fallmanagements wird die konkrete Bedarfslage des Betroffenen erhoben;
darauf aufbauend wird dann ein individuelles Angebot unter aktiver Mitarbeit des Hilfebedürftigen geplant und gesteuert."
Konsequenz dieser gesteigerten Beziehung kann es auch sein, dass die Beratungs- und Betreuungspflichten des persönlichen Ansprechpartners
iS des § 14 Satz 2 SGB II auch hinsichtlich der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gemäß §§
19 ff SGB II über die nach den §§
14,
15 SGB I erforderliche Intensität noch hinausgehen.
b) Intensität und Zeitpunkt der der Beklagten obliegenden Beratungspflichten können hier jedoch dahinstehen, weil ein hieraus
abzuleitender Herstellungsanspruch der Kläger aus anderen Gründen nicht in Betracht kommt. Er könnte hier bereits daran scheitern,
dass der Kläger zu 1 schon vor dem Hinweis des SG im August 2005 von seinem Lebensversicherungsunternehmen selbst über die Möglichkeit eines Verwertungsausschlusses informiert
worden ist. In diesem Falle würde es an der Kausalität des Beratungsfehlers für einen Nachteil auf Seiten der Kläger fehlen.
Das LSG hat dies jedoch dahinstehen lassen, weil es an der weiteren Tatbestandsvoraussetzung eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches
fehle, dass der Nachteil durch eine zulässige Amtshandlung ausgeglichen werden kann. Dem stimmt der erkennende Senat im Ergebnis
zu.
Die Vereinbarung eines Verwertungsausschlusses gemäß § 165 Abs 3 VVG stellt einen - zivilrechtlichen - Vertrag dar, mit dem sich Versicherungsnehmer und Versicherungsgeber durch überreinstimmende
Willenserklärungen über eine Rechtsfolge - Ausschluss der Verwertung vor Eintritt in den Ruhestand - einigen. Diese Rechtsfolge
kann mithin nur der Kläger zu 1 selbst herbeiführen. Es ist nicht möglich, die Kläger im Wege einer Amtshandlung so zu stellen,
als hätte der Kläger zu 1 bereits zu einem früheren Zeitpunkt den Verwertungsausschluss vertraglich vereinbart. Im Unterschied
und zur Abgrenzung zum Amtshaftungsanspruch kommt im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs eine Ersetzung von tatsächlichen
Umständen - wie dem Vorliegen einer vertraglichen Vereinbarung - denen gestaltende Entscheidungen des Antragstellers zu Grunde
liegen, nicht in Betracht (vgl BSG Urteil vom 31. Januar 2006 - B 11a AL 15/05 R mwN; vgl auch Ladage, Der sozialrechtliche
Herstellungsanspruch, 1990, insbes S 100 f; ebenso Kreßel, NZS 1994, 395, 400; kritisch Bieback, SGb 1990, 517, 518). Zu Recht hat das LSG darauf hingewiesen, dass die vorliegende Konstellation derjenigen entspricht, in der das BSG
es mangels vorherigen Lohnsteuerklassenwechsels abgelehnt hat, im Wege des Herstellungsanspruchs eine in die Lohnsteuerkarte
eingetragene Lohnsteuerklasse durch eine günstigere Steuerklasse zu ersetzen. Insofern fehlt es in beiden Fällen an der Voraussetzung,
dass der Nachteil durch eine vom Gesetz vorgesehene und zulässige Amtshandlung ausgeglichen werden kann (vgl hierzu BSG Urteil
vom 16. März 2005 - B 11a/11 AL 45/04 R). Eine in der Gestaltungsmacht ausschließlich des Bürgers liegende vertragliche Disposition
kann nicht im Wege des Herstellungsanspruchs nachgeholt bzw fingiert werden, weil sie insoweit außerhalb des Sozialrechtsverhältnisses
liegt.
Die Verwertung der Lebensversicherung im streitigen Zeitraum ab 23. Mai 2005 war auch nicht offensichtlich unwirtschaftlich
iS des § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 SGB II. Hiernach sind als Vermögen nicht zu berücksichtigen Sachen und Rechte, soweit ihre Verwertung
offensichtlich unwirtschaftlich ist oder für den Betroffenen eine besondere Härte bedeuten würde. Der Senat hat zuletzt (Urteil
vom 6. September 2007 - B 14/7b AS 66/06 R) klargestellt, dass hinsichtlich des Begriffs der offensichtlichen Unwirtschaftlichkeit eine rein wirtschaftliche Betrachtungsweise
geboten ist. Der Senat hat hierbei entschieden, dass die im früheren Recht der Arbeitslosenhilfe gezogene Verlustgrenze von
10 Prozent im Rahmen des SGB II uU nicht mehr maßgeblich ist. Allerdings lag im dort zu entscheidenden Fall eine offensichtliche
Unwirtschaftlichkeit vor, soweit der Kläger bei Rückkauf bzw Verkauf einer Rentenversicherung 48,2 Prozent der eingezahlten
Beträge verlor. Letztlich kann der genaue Grenzwert der offensichtlichen Unwirtschaftlichkeit iS des § 12 Abs 3 Satz 1 Nr
6 SGB II aber dahinstehen, weil im vorliegenden Fall die Summe der eingezahlten Beträge - nach den insofern unangefochtenen
Feststellungen des LSG - erheblich weniger als 10 vH über der Höhe des Rückkaufswerts lag. Eine offensichtliche Unwirtschaftlichkeit
scheidet daher auf Grund der tatsächlichen Gegebenheiten aus. Im Rahmen der besonderen Härte gemäß § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6
SGB II (2. Alternative) ist hingegen eine Gesamtberücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls möglich und geboten (vgl zum
Rechtsbegriff der besonderen Härte auch BSG Urteil vom 16. Mai 2007, B 11b AS 37/06 R). Insofern ist das LSG rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass bei dem Kläger zu 1 eine besondere Härte nicht bejaht werden
kann. Der Kläger zu 1 hat selbst vorgetragen, dass er mit einer Altersrente in Höhe von voraussichtlich 1.148,04 Euro monatlich
rechnen könne. Insofern liegt bei ihm kein atypischer Lebens- oder Versicherungsverlauf vor, der eine besondere Schonung des
Altersvorsorgevermögens (über die in § 12 Abs 2 Nr 2 und Nr 3 SGB II vorgesehenen Möglichkeiten hinaus) erforderlich erscheinen
lässt (hierzu BSGE 94, 121, 122 = SozR 4-4300 § 193 Nr 3 - fehlende Härtefallklauseln in der AlhiV 2002).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.