Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer
Anspruch auf rechtliches Gehör
Verstoß gegen die Pflicht zur Berücksichtigung von Vorbringen
1. Der Anspruch auf rechtliches Gehör soll verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die
auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten, und sicherstellen,
dass ihr Vorbringen vom Gericht zur Kenntnis genommen und in seine Erwägungen miteinbezogen wird.
2. Das Gericht muss jedoch nicht ausdrücklich jedes Vorbringen der Beteiligten bescheiden.
3. Ein Verstoß gegen die Pflicht zur Berücksichtigung von Vorbringen ist nur dann anzunehmen, wenn sich dies aus den besonderen
Umständen des Falles ergibt, z.B. wenn ein Gericht das Gegenteil des vorgebrachten - ohne entsprechende Beweisaufnahme - annimmt,
oder den Vortrag eines Beteiligten als nicht existent behandelt, oder wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags
zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, nicht eingeht, sofern der Tatsachenvortrag nach der Rechtsauffassung
des Gerichts nicht unerheblich ist.
4. Art.
103 Abs.
1 GG schützt indessen nicht davor, dass ein Gericht die Rechtsansicht eines Beteiligten nicht teilt.
Gründe:
I
Der Kläger begehrt Entschädigung wegen überlanger Dauer des Verfahrens vor dem SG Berlin (zuletzt S 86 P 240/05) sowie vor dem LSG Berlin-Brandenburg (L 27 P 8/11) in Höhe von 8000 Euro, weil die Gesamtverfahrensdauer von acht Jahren, sechs Monaten und fünf Tagen (22.7.2005 bis 27.1.2014)
gemessen an Umfang und Schwierigkeitsgrad des zu beurteilenden Sachverhalts unangemessen lang gewesen sei. Weder die Fragestellung
der vom Beklagten im Ausgangsverfahren vorgenommenen Kündigung des Pflegepflichtversicherungsvertrags noch der Sachverhalt
der Kündigung wegen angeblich fehlerhafter Angaben im Fragebogen bei der Antragstellung hätten überdurchschnittlich schwierige
rechtliche Probleme aufgeworfen. Mit Urteil vom 11.12.2014 hat das LSG Berlin-Brandenburg als Entschädigungsgericht nach mündlicher
Verhandlung die Entschädigungsklage abgewiesen. Das Ausgangsverfahren sei trotz der erheblichen Dauer nicht unangemessen lang
gewesen, da ein Parallelverfahren vor dem Land- und Kammergericht Berlin zur Frage des Fortbestandes eines privaten Krankenversicherungsvertrags
anhängig gewesen sei und zuvor habe abgewartet werden müssen. Durch die anschließende Anrufung des Verfassungsgerichtshofes
des Landes Berlin und des BVerfG seien weitere Verzögerungen entstanden. Diese Zeiten des Verfahrensstillstandes aufgrund
des "faktischen Ruhens" sowie durch das förmlich angeordnete Ruhen mit Beschluss vom 29.10.2009 sei nicht der Verantwortungssphäre
des Gerichts zuzuordnen, weil der Stillstand ersichtlich vom Willen der Beteiligten getragen gewesen sei. Zudem sei die wirtschaftliche
Bedeutung der Sache für den Kläger als unterdurchschnittlich einzustufen, da dessen Pflegeversicherungsrisiko bereits zum
Zeitpunkt der Klageerhebung wieder abgedeckt gewesen sei durch den Abschluss einer neuen Versicherung zum 1.2.2004.
Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG hat der Kläger beim BSG Beschwerde eingelegt, die er mit dem Vorliegen eines Verfahrensmangels (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG) begründet. Das Urteil des LSG beruhe auf einer Verletzung seines Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs iS von §
62 SGG, weil dieses einen mit Schreiben vom 4.12.2014 den Beteiligten unterbreiteten Vergleichsvorschlag nach Bekanntwerden der
Rechtsprechung des BSG mit Urteilen vom 3.9.2014 wieder zurückgenommen habe. Infolgedessen sei die verbleibende Zeitspanne von weniger als einer
Woche zur Vorbereitung des Klägers auf den Termin der mündlichen Verhandlung und eine gemeinsame Besprechung mit dem Prozessbevollmächtigten
unangemessen kurz gewesen. Auch hätte den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme auf die geänderte Rechtsansicht des LSG
außerhalb der mündlichen Verhandlung gegeben werden müssen. Schließlich hätten die schriftlichen Gründe des Urteils des BSG vom 3.9.2014 nicht vorgelegen, sodass eine sachgerechte Erwiderung in der mündlichen Verhandlung tatsächlich nicht möglich
gewesen sei. Im Übrigen interpretiere das LSG die Entscheidung des BSG vom 3.9.2014 in der Sache unrichtig, weil das Maximum des zeitlichen Umfangs gerichtlicher Entscheidung bei einem Jahr je
Instanz liegen solle.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung der Beschwerde genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen
(§
160a Abs
2 S 3
SGG). Keiner der in §
160 Abs
2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe ist ordnungsgemäß dargetan worden.
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde - wie hier - darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene
Entscheidung beruhen könne (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG), so müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels die diesen (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan
werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller
Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 34, 36). Gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 2
SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§
109 und
128 Abs
1 S 1
SGG und auf eine Verletzung des §
103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt
ist.
Der im Berufungsverfahren bereits rechtskundig vertretene Kläger hat nicht behauptet, vor dem LSG Beweisanträge gestellt und
diese bis zuletzt aufrechterhalten zu haben. Da das LSG auf die mündliche Verhandlung vom 11.12.2014 entschieden hat, hätte
der Kläger insbesondere ausführen müssen, dass er einen etwaigen schriftlichen Beweisantrag im Termin zur Sitzungsniederschrift
wiederholt habe. Andernfalls wäre er der "Warnfunktion" eines solchen Beweisantrags nicht gerecht geworden (vgl dazu BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 13; BSG SozR 3-1500 § 124 Nr 3).
Soweit der Kläger als Verfahrensmangel rügt, dass das LSG seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (§
62 SGG; Art
103 Abs
1 GG) verletzt habe, entsprechen seine Ausführungen gleichfalls nicht den Darlegungsanforderungen. Denn dieser Anspruch soll verhindern,
dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen
beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten (s §
128 Abs
2 SGG; vgl BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 12; BVerfGE 84, 188, 190), und sicherstellen, dass ihr Vorbringen vom Gericht zur Kenntnis genommen und in seine Erwägungen miteinbezogen wird
(BVerfGE 22, 267, 274; 96, 205, 216 f). Das Gericht muss jedoch nicht ausdrücklich jedes Vorbringen der Beteiligten bescheiden. Ein Verstoß
gegen die Pflicht zur Berücksichtigung von Vorbringen ist nur dann anzunehmen, wenn sich dies aus den besonderen Umständen
des Falles ergibt (BVerfGE aaO), zB wenn ein Gericht das Gegenteil des vorgebrachten - ohne entsprechende Beweisaufnahme -
annimmt, oder den Vortrag eines Beteiligten als nichtexistent behandelt (vgl BVerfGE 22, 267, 274), oder wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler
Bedeutung ist, nicht eingeht, sofern der Tatsachenvortrag nach der Rechtsauffassung des Gerichts nicht unerheblich ist (BVerfGE
86, 133, 146). Art
103 Abs
1 GG schützt indessen nicht davor, dass ein Gericht die Rechtsansicht eines Beteiligten nicht teilt (BVerfGE 64, 1, 12; 76, 93, 98).
Den sich daraus für die Beschwerdebegründung ergebenden Anforderungen ist der Kläger nicht gerecht geworden. Mit der Behauptung,
das LSG habe durch die Übermittlung eines gerichtlichen Vergleichsvorschlags mit Schreiben vom 4.12.2014 eine Woche vor dem
Verhandlungstermin vom 11.12.2014 und dessen Nichtumsetzung den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt, ist eine
solche Verletzung des §
62 SGG schon im Ansatz nicht dargestellt. Insbesondere fehlt es an einer näheren Auseinandersetzung mit dem Inhalt des LSG-Urteils
und Ausführungen dazu, inwiefern das angegriffene Urteil des LSG auf einem solchen Verfahrensmangel beruhen könne. Insbesondere
behauptete der Kläger selbst nicht einmal, dass das LSG sein Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen habe. Darüber hinaus belegt
insbesondere die Sitzungsniederschrift vom 11.12.2014, dass dem Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung rechtliches Gehör
gewährt worden ist. Dieser hat auch nicht dargelegt, weshalb er an der Stellung eines Vertagungsantrages gehindert gewesen
sein sollte, wenn er eine weitere Überlegungsfrist für erforderlich gehalten hat. Einen solchen Antrag hat der Kläger jedoch
nicht gestellt.
Tatsächlich kritisiert der Kläger die Würdigung des Sachverhalts durch das LSG (vgl §
128 Abs
1 S 1
SGG), womit er gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 2
SGG von vornherein keine Revisionszulassung erreichen kann. Entsprechendes gilt, soweit der Kläger eine unzutreffende Rechtsanwendung
des LSG rügen wollte (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7 S 10).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat daher ab (vgl §
160a Abs
4 S 2 Halbs 2
SGG).
Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus §
197a Abs
1 S 1
SGG iVm § 47 Abs 3, § 52 Abs 3, § 63 Abs 2 S 1 GKG.