Entschädigung wegen überlanger Dauer eines Gerichtsverfahrens
Versäumung der Klagefrist
Keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Versäumung einer materiell-rechtlichen Ausschlussfrist
Gründe:
I
Das LSG hat als Entschädigungsgericht mit Urteil vom 1.8.2018 einen Anspruch des Klägers auf mindestens 4100 Euro Entschädigung
wegen der überlangen Dauer der (verbundenen) Gerichtsverfahren vor dem SG Marburg S 8 AS 322/10, S 8 AS 112/11 und S 8 AS 389/11 sowie des sich anschließenden Berufungsverfahrens L 7 AS 648/14 verneint, weil der Kläger die Klagefrist gemäß §
198 Abs
5 S 2
GVG versäumt habe. Die Rechtskraft der Ausgangsverfahren sei am 8.2.2016 (Montag) eingetreten, nachdem dem Kläger am 6.1.2016
das Urteil des LSG zugestellt worden sei und ihm ein Monat Zeit bis zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde zugestanden
habe (§
160a Abs
1 S 2
SGG). Damit endete die Klagefrist nach §
198 Abs
5 S 2
GVG am 8.8.2016. Mit seiner erst am 16.3.2017 erhobenen Entschädigungsklage habe der Kläger diese Klagefrist versäumt. Dem stehe
nicht entgegen, dass er noch am Tag des Ablaufs der Klagefrist einen isolierten Antrag auf Prozesskostenhilfe (PKH) für eine
beabsichtigte Entschädigungsklage gestellt habe. Dieser habe den Ablauf der Klagefrist nicht gehemmt. Auch habe der Kläger
nach der ihm am 16.2.2017 zugestellten stattgebenden PKH-Entscheidung vom 1.2.2017 (L 6 SF 9/16 PKH) nicht unverzüglich die Entschädigungsklage erhoben, sondern noch einen vollen Monat nach Zustellung des PKH-Beschlusses
bis zur Klageerhebung verstreichen lassen. Es sei nicht ersichtlich und vom Kläger auch nicht vorgetragen, aus welchen Gründen
er eine derart lange Überlegungsfrist in Anspruch habe nehmen müssen, zumal er über eine reichhaltige Erfahrung in Entschädigungssachen
verfüge. Der beantragten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach §
67 Abs
1 SGG sei bereits deshalb nicht zu entsprechen, weil es sich bei der Klagefrist des §
198 Abs
5 S 2
GVG um eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist handele, bei der eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht möglich sei.
Der Kläger hat mit Schreiben vom 24.9.2018, beim BSG eingegangen per Telefax am selben Tag, für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem ihm
am 24.8.2018 zugestellten Urteil des Entschädigungsgerichts PKH unter Beiordnung eines postulationsfähigen Rechtsbeistands
beantragt und seinen Antrag mit Schreiben vom 24.10.2018 begründet. Das Entschädigungsgericht hätte ihn darauf hinweisen müssen,
dass es sich bei der Klagefrist des §
198 Abs
5 S 2
GVG um eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist handele und welche weiteren Rechtsfolgen sich daraus ergeben. Indem es dies
unterlassen habe, habe das Entschädigungsgericht sein Recht auf ein faires Verfahren und die ihm obliegende Fürsorgepflicht
verletzt sowie gegen das Willkürverbot verstoßen. Wegen des weiteren Vorbringens des Klägers wird auf den Inhalt des Schreibens
vom 24.10.2018 Bezug genommen.
II
Der Antrag des Klägers auf PKH ist abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg
bietet (§
73a Abs
1 S 1
SGG iVm §
114 Abs
1 S 1
ZPO).
Das gegen die angefochtene Entscheidung des Entschädigungsgericht zulässige Rechtsmittel ist allein die Beschwerde gegen die
Nichtzulassung der Revision (§
160a SGG). In einem solchen Verfahren geht es nicht darum, ob die Entscheidung des Entschädigungsgerichts inhaltlich richtig oder
falsch ist. Vielmehr darf gemäß §
160 Abs
2 SGG die Revision nur zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), das Urteil des Entschädigungsgerichts
von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung
beruht (Nr 2) oder wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (Nr
3). Ein solcher Zulassungsgrund ist nach Prüfung des Streitstoffs nicht ersichtlich.
1. Es ist nicht erkennbar, dass eine Zulassung der Revision gegen das von dem Kläger angegriffene Urteil des Entschädigungsgerichts
auf §
160 Abs
2 Nr
1 SGG gestützt werden könnte. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne dieser Vorschrift hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine
bislang nicht hinreichend geklärte Rechtsfrage aufwirft, die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besitzt.
Dass im Rechtsstreit des Klägers solche Rechtsfragen von Bedeutung sind, ist nicht ersichtlich. Es ist höchstrichterlich entschieden,
dass es sich bei der Klagefrist des §
198 Abs
5 S 2
GVG um eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist handelt, bei der eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach §
67 SGG ausscheidet (Senatsurteil vom 7.9.2017 - B 10 ÜG 1/17 R - SozR 4-1710 Art 23 Nr 5 RdNr 22 und 29; Senatsurteil vom 10.7.2014
- B 10 ÜG 8/13 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 2 RdNr 12). Das BSG hat auch bereits geklärt, dass ein vor Ablauf der Klagefrist eingegangener isolierter PKH-Antrag den Ablauf der Frist des
§
198 Abs
5 S 2
GVG nicht hemmt (Senatsurteil vom 7.9.2017 - B 10 ÜG 1/17 R - SozR 4-1710 Art 23 Nr 5 RdNr 22). Ebenso ist höchstrichterlich
geklärt, dass die Klagefrist des §
198 Abs
5 S 2
GVG noch gewahrt ist, wenn der Kläger vor Fristablauf einen vollständigen PKH-Antrag gestellt und unverzüglich nach Bekanntgabe
der abschließenden PKH-Entscheidung Entschädigungsklage erhoben hat (Senatsurteil vom 7.9.2017 - B 10 ÜG 1/17 R - SozR 4-1710
Art 23 Nr 5 RdNr 23). In dieser Entscheidung hat das BSG auch darauf hingewiesen, dass unverzüglich ohne schuldhaftes Verzögern (vgl §
121 Abs
1 S 1
BGB) bedeutet. "Unverzüglich" heißt aber nicht "sofort". Vielmehr ist dem Verfahrensbeteiligten noch eine angemessene Überlegungsfrist
einzuräumen, ob er seine Rechte wahren will (Senatsurteil vom 7.9.2017 - B 10 ÜG 1/17 R - SozR 4-1710 Art 23 Nr 5 RdNr 27).
2. Auch der Zulassungsgrund der Divergenz (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG) könnte nicht mit Erfolg geltend gemacht werden. Denn das Entschädigungsgericht ist in der angefochtenen Entscheidung nicht
von höchstrichterlicher Rechtsprechung abgewichen, sondern hat sich erkennbar auf diese gestützt.
3. Ebenso wenig lässt sich ein Verfahrensfehler feststellen, der gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 SGG zur Zulassung der Revision führen könnte.
Soweit der Kläger geltend macht, das Entschädigungsgericht habe sein Recht auf ein faires Verfahren verletzt und gegen die
ihm obliegende Fürsorgepflicht sowie gegen das Willkürverbot verstoßen, indem es ihn nicht darauf hingewiesen habe, dass es
sich bei der Klagefrist des §
198 Abs
5 S 2
GVG um eine materiell-rechtliche Anschlussfrist handele, hat er keinen Verfahrensmangel benannt, auf dem die angefochtene Entscheidung
beruhen kann. Der Kläger verfügt über reichhaltige Prozesserfahrung in Entschädigungssachen. Aus diesen Verfahren war dem
Kläger - worauf das beklagte Land in seiner Antragserwiderung vom 15.11.2018 zutreffend hinweist - ua auch bereits die Sechs-Monats-Frist
des §
198 Abs
5 S 2
GVG und ihre Wirkung als materiell-rechtliche Ausschlussfrist bekannt (vgl zB Beschluss des Hessischen LSG vom 16.2.2016 - L 6 SF 56/15 PKH - Umdruck S 4). Es ist daher nicht zutreffend, wenn der Kläger das Vorliegen einer Überraschungsentscheidung und damit
einen Verstoß gegen sein rechtliches Gehör (Art
103 Abs
1 GG, §
62 SGG) mit der Behauptung geltend macht, erstmals mit dem Erhalt des angefochtenen Urteils Kenntnis davon erhalten zu haben, dass
die Klagefrist des §
198 Abs
5 S 2
GVG eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist sei.
Soweit der Kläger rügen will, das Entschädigungsgericht hätte seinen einen Monat nach der PKH-Entscheidung gestellten Klageantrag
noch als "unverzüglich" gestellt ansehen müssen, hat er auch damit keinen Verfahrensmangel bezeichnet, auf dem die angefochtene
Entscheidung beruhen kann. Insbesondere hat das Entschädigungsgericht die höchstrichterlichen Maßstäbe für die "Unverzüglichkeit"
der Klageerhebung nach der Entscheidung über seinen PKH-Antrag im oben unter 1. beschriebenen Sinne nicht verkannt. Denn der
Kläger hat nach Zustellung des stattgebenden PKH-Beschlusses vom 1.2.2017 am 16.2.2017 mit der Erhebung der Entschädigungsklage
noch einen vollen Monat bis zum 16.3.2017 zugewartet. Von ihm sind keine Umstände vorgetragen oder sonst für den Senat ersichtlich,
die eine noch längere Bedenkzeit erfordert hätten. Der Kläger verfügt - wie oben bereits erwähnt - über hinlängliche Prozesserfahrung
in Entschädigungssachen einschließlich deren Fristgebundenheit und im konkreten Fall sogar über einen stattgebenden PKH-Beschluss.
Hätte er sich gleichwohl eine Entscheidung für eine Klage nicht zugetraut, so hätte er sich zügig einen Rechtsanwalt beiordnen
lassen können. Darauf hatte er im Rahmen der PKH einen Anspruch. Dass der Kläger auf eine entsprechende Anfrage des LSG vom
8.12.2016, einen im Falle der Bewilligung von PKH zu seiner Vertretung bereiten Rechtsanwalt zu benennen, nicht reagiert hat,
liegt allein in seinem Verantwortungsbereich. Dieses Versäumnis muss der Kläger sich zurechnen lassen. Stattdessen hat er
auf eigenes Risiko einen Monat abgewartet und dann gleichwohl - ohne anwaltliche Hilfe - Klage erhoben (vgl hierzu auch Senatsurteil
vom 7.9.2017 - B 10 ÜG 1/17 R - SozR 4-1710 Art 23 Nr 5 RdNr 27).
Da dem Kläger keine PKH zusteht, kann er auch nicht die Beiordnung eines Rechtsanwalts beanspruchen (§
73a Abs
1 S 1
SGG iVm §
121 Abs
1 ZPO).