Entschädigung wegen der überlangen Dauer eines Klageverfahrens
Verfahrensdauer und Nichtberücksichtigung von Vorverfahren
Gründe:
I
Mit Urteil vom 19.2.2015 hat das Bayerische LSG als Entschädigungsgericht dem Kläger 1500 Euro Entschädigung wegen der überlangen
Dauer des Klageverfahrens S 9 AS 985/08 beim SG Bayreuth zugesprochen, weil das Verfahren über Kosten der Unterkunft nach dem SGB II insgesamt 15 Monate zu lange gedauert habe. Die auf höhere Entschädigung gerichtete Klage hat das LSG abgewiesen.
Mit seinem Antrag auf Prozesskostenhilfe (PKH) für die Erhebung einer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in
dem genannten Urteil macht der Kläger Verfahrensmängel sowie die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend. Im Rahmen
der Entschädigungsklage sei auch die vorherige überlange Behördenlaufzeit vor Klageerhebung zu den SGen anzuerkennen.
II
Der Antrag des Klägers, ihm PKH unter Beiordnung eines Rechtsanwalts für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision
zu gewähren, ist abzulehnen. Nach §
73a Abs
1 S 1
SGG iVm §§
114,
121 ZPO kann einem bedürftigen Beteiligten für das Beschwerdeverfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet werden, wenn ua die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht
auf Erfolg bietet. Daran fehlt es. Der Kläger kann aller Voraussicht nach mit seinem Begehren auf Zulassung der Revision nicht
durchdringen, weil es keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Nach Durchsicht der Akten fehlen Anhaltspunkte dafür, dass
er einen der in §
160 Abs
2 Nr
1 bis
3 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe darlegen könnte.
1. Die Sache bietet keine Hinweise für eine über den Einzelfall des Klägers hinausgehende grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache
(§
160 Abs
2 Nr
1 SGG). Grundsätzliche Bedeutung im Sinne dieser Vorschrift hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft,
die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besitzt (BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11; BSG SozR 1500 §
160a Nr 39) und die Anwendung mindestens einer Vorschrift des Bundesrechts betrifft (siehe §
162 SGG). Die Frage muss außerdem klärungsbedürftig sein. Das ist grundsätzlich nicht der Fall, wenn die Antwort darauf von vornherein
praktisch außer Zweifel steht (vgl BSGE 40, 40 = SozR 1500 § 160a Nr 4) oder bereits höchstrichterlich entschieden ist (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 13, 65). Rechtsfragen, die in diesem Sinne klärungsbedürftig sein könnten, sind hier nicht ersichtlich. Das gilt insbesondere für
die vom Kläger aufgeworfene Frage, ob überlange Behördenlaufzeiten vor Klageerhebung für den Entschädigungsanspruch nach §
198 GVG zu berücksichtigen sind. Denn diese Frage hat die Rechtsprechung des BVerwG, der sich der Senat angeschlossen hat, bereits
geklärt. Danach sind das Verwaltungsverfahren und das dem gerichtlichen Verfahren vorausgegangene Vorverfahren bei einer Behörde
(Widerspruchsverfahren) nicht Bestandteil des Gerichtsverfahrens iS von §
198 Abs
1 S 1 und §
198 Abs
6 Nr
1 GVG. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut "Gerichtsverfahren" im Gesetz selbst und entspricht nach den Gesetzesmaterialien
dem Willen des Gesetzgebers (Senat Urteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 12/13 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 4 RdNr 27 ff mwN).
2. Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass das LSG entscheidungstragend von der Rechtsprechung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abgewichen sein könnte (Zulassungsgrund gemäß §
160 Abs
2 Nr
2 SGG). Vielmehr ist das LSG der aktuellen Senatsrechtsprechung zur Auslegung von §
198 GVG gefolgt. Insbesondere hat es im Anschluss an diese Rechtsprechung dem SG eine Überlegungs- und Bearbeitungszeit von 12 Monaten zugebilligt. Das LSG hat im Übrigen zutreffend die Zeiten aktiver Verfahrensförderung
des SG von denjenigen gerichtlicher Untätigkeit sowie andererseits von solchen Zeiten unterschieden, die dem Kläger zuzurechnen
sind und anschließend in eine Gesamtabwägung eingestellt (vgl Senat Urteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - SozR 4-1720 § 198
Nr 3 RdNr 27 mwN; vgl Stotz, jurisPR-SozR 10/2015 Anm 1). Mit seiner Orientierung an statistischen Zahlen zur Länge sozialgerichtlicher
Verfahren im Freistaat Bayern will das LSG ersichtlich nicht die geforderte wertende Gesamtabwägung der Einzelfallumstände
durch eine starre mathematische Formel ersetzen, sondern lediglich das Ergebnis seiner methodengerechten Abwägung empirisch
absichern. Dieses Vorgehen begegnet weder rechtlichen Bedenken noch wirft es grundsätzlich klärungsbedürftige rechtliche Fragen
auf (vgl dazu Senat Urteil vom 21.2.2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - BSGE 113, 75 = SozR 4-1720 § 198 Nr 1 sowie Röhl, jurisPR-SozR 4/2014 Anm 5).
Ob das LSG im Übrigen den Einzelfall richtig entschieden hat, ist keine Frage grundsätzlicher Bedeutung und damit nicht Gegenstand
der Nichtzulassungsbeschwerde (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7). Ohnehin sieht der Senat keine Anhaltspunkte für eine falsche Rechtsanwendung zulasten des Klägers. So ist die Wertung
des LSG nicht zu beanstanden, die Verzögerungen, die der Kläger durch wiederholte unbegründete Befangenheitsanträge gegen
den Kammervorsitzenden verursacht hat, nicht dem Beklagten anzulasten (vgl EGMR Urteil vom 29.5.1986, Rechtssache 9384/81 Deumeland gegen Deutschland, RdNr 80). Soweit das Entschädigungsgericht im Übrigen
dem Ausgangsgericht jeweils eine Monatsfrist für die Bearbeitung der nach seinen Feststellungen umfangreichen und schwer zu
lesenden Schriftsätzen des Klägers mit teils herabsetzendem Inhalt eingeräumt hat, hat es sich in jedem Fall noch innerhalb
seines weiten tatrichterlichen Beurteilungsspielraums bewegt (vgl Senat Urteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - SozR 4-1720
§ 198 Nr 3 RdNr 26 mwN sowie Urteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 12/13 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 4 RdNr 38).
3. Ebenso wenig ist davon auszugehen, dass der Kläger einen die Revisionszulassung rechtfertigenden Verfahrensfehler des LSG
bezeichnen könnte (Zulassungsgrund gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 SGG). Danach ist die Revision nur zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung
beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§
109 und
128 Abs
1 S 1
SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des §
103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende
Begründung nicht gefolgt ist. Hierfür liegt nichts vor.