Ansprüche der Grundsicherung für Arbeitsuchende
Entschädigung wegen überlanger Dauer dreier Klageverfahren
Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
Die Kläger begehrten - ursprünglich zusammen mit weiteren Klägern - Entschädigung wegen der überlangen Dauer dreier Klageverfahren
über Ansprüche der Grundsicherung für Arbeitsuchende beim SG Oldenburg (S 49 AS 363/15, S 49 AS 6/16 und S 49 AS 1306/16).
Das Entschädigungsgericht hat ihren Anspruch auf Entschädigung verneint, weil die gesetzliche Vermutung eines immateriellen
Nachteils widerlegt sei. Allein die formale Beteiligung der damals noch minderjährigen Kläger an den von ihrer Mutter geführten
Ausgangsverfahren begründe keinen Entschädigungsanspruch. Eine seelische Belastung durch ein gerichtliches Verfahren sei ausgeschlossen,
wenn ein Kläger von dem Verfahren, an dem er bloß formal beteiligt sei, nichts wisse oder erst kurz vor Abschluss des Verfahrens,
welches ihn nicht weiter interessiere, davon erfahre (Urteil vom 27.5.2020).
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung haben die Kläger Beschwerde zum BSG eingelegt. Sie machen - nur noch in Bezug auf das Ausgangsverfahren S 49 AS 1306/16 - eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend.
II
1. Die zulässigerweise beschränkte Nichtzulassungsbeschwerde ist gleichwohl aus anderen Gründen unzulässig. Ihre Begründung
verfehlt die gesetzlichen Anforderungen, weil sie die behauptete grundsätzliche Bedeutung nicht ordnungsgemäß darlegt (vgl §
160a Abs
2 Satz 3
Sozialgerichtsgesetz <SGG>).
Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung iS des §
160 Abs
2 Nr
1 SGG, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des
Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren
Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch
nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts
erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin,
um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit
(Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so
genannte Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen Senatsbeschluss vom 25.10.2016 - B 10 ÜG 24/16 B - juris RdNr 7 mwN).
Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn sie höchstrichterlich weder tragend entschieden noch präjudiziert ist und die
Antwort nicht von vornherein praktisch außer Zweifel steht, so gut wie unbestritten ist oder sich unmittelbar aus dem Gesetz
ergibt. Um die Klärungsbedürftigkeit ordnungsgemäß darzulegen, muss sich der Beschwerdeführer daher ua mit Wortlaut, Kontext
und ggf der Entstehungsgeschichte des fraglichen Gesetzes sowie der einschlägigen Rechtsprechung auseinandersetzen (BSG Beschluss vom 21.8.2017 - B 9 SB 11/17 B - juris RdNr 8 mwN).
Diese Anforderungen verfehlt die Beschwerdebegründung. Sie versäumt es bereits, eine abstrakte, aus sich heraus verständliche
Rechtsfrage zu formulieren, ohne die das Beschwerdegericht aber die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge nicht prüfen
kann (BSG Beschluss vom 1.4.2019 - B 13 R 204/18 B - juris RdNr 5 mwN). Es ist nicht Aufgabe des Senats, die umfangreichen Rechtsausführungen der Beschwerde zu einer solchen Frage zu verdichten.
Soweit es den Klägern der Sache nach darum geht, ob die regelhafte Vermutung eines immateriellen Nachteils aus §
198 Abs
2 Satz 1
GVG ausnahmslos auch für minderjährige Beteiligte gilt, selbst wenn diese vom überlangen Ausgangsverfahren nicht oder erst sehr
spät erfahren haben, haben sie es zudem versäumt, sich mit der Gesetzeslage und der dazu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung
auseinanderzusetzen. Die Vermutung aus §
198 Abs
2 Satz 1
GVG kann widerlegt werden(Senatsurteil vom 10.7.2014 - B 10 ÜG 8/13 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 2 RdNr 30; BT-Drucks 17/3802 S 19), wenn das Entschädigungsgericht nach einer Gesamtbewertung der Folgen der Verfahrensdauer die Überzeugung gewinnt, dass die
(unangemessene) Verfahrensdauer nicht zu einem Nachteil geführt hat(vgl BGH Urteil vom 12.2.2015 - III ZR 141/14 - juris RdNr 41; vgl Kissel/Mayer,
GVG, 9. Aufl 2018, §
198 RdNr 27; Frehse, Die Kompensation der verlorenen Zeit - Wenn Prozesse Pause machen, 2017, S 970 ff). Mit dieser Widerlegungsmöglichkeit setzt sich die Beschwerde nicht auseinander, weshalb sie schon deshalb keinen grundsätzlichen
Klärungsbedarf aufzeigt.
Ohnehin hängt es maßgeblich von den Umständen des Einzelfalls ab, ob ein Kläger durch eine überlange Dauer seines Gerichtsverfahrens
einen immateriellen Nachteil erleidet (vgl BSG Beschluss vom 29.10.2018 - B 10 ÜG 6/18 B - juris RdNr 10). Die Beschwerde hätte daher umso mehr darlegen müssen, welche fallübergreifende grundsätzliche Bedeutung hier gleichwohl
bestehen könnte. Das hat sie ebenfalls versäumt.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl §
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
2. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2, §
169 SGG).
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §
197a Abs
1 Satz 1 Teilsatz 3
SGG iVm §
154 Abs
2 VwGO.
4. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §
197a Abs
1 Satz 1 Teilsatz 1
SGG iVm §
47 Abs
1 Satz 1 und Abs
3, § 52 Abs 1 und Abs 3 Satz 1, § 63 Abs 2 Satz 1 GKG; sie entspricht der zuletzt von den Klägern geltend gemachten Entschädigungsforderung.