Regelaltersrente nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte ohne Abgabe des Unternehmens der Landwirtschaft
Unbegründetheit der Anhörungsrüge
Umfang des rechtlichen Gehörs
Gründe:
I
Streitig ist die Gewährung einer Regelaltersrente (RAR) nach § 11 Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte (ALG) ohne Abgabe des Unternehmens der Landwirtschaft (§ 11 Abs 1 Nr 3, § 21 ALG). Der entsprechende Antrag auf RAR wurde von der Beklagten abgelehnt (Bescheid vom 23.9.2010; Widerspruchsbescheid vom 22.12.2010).
Klage und Berufung des Klägers sind ohne Erfolg geblieben (Urteil des SG vom 7.9.2012; Beschluss des LSG vom 29.11.2013). Der erkennende Senat hat die gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Beschluss
gerichtete Beschwerde des Klägers zurückgewiesen, weil es an der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung fehle:
Soweit der Kläger hinsichtlich der von ihm aufgeworfenen Rechtsfragen zur Vereinbarkeit der Hofabgabeklausel mit Art
14 Abs
1 und Art
2 Abs
1 GG eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend mache, habe er diesen Zulassungsgrund nicht in der gesetzlich gebotenen
Form dargelegt (§
160a Abs
2 S 3
SGG) und nicht hinreichend beachtet, dass der Senat bereits mit Beschlüssen vom 29.8.2012 (ua - B 10 LW 5/12 B - und - B 10 LW 7/12 B - Juris) entschieden habe, dass diese Rechtsfragen nicht klärungsbedürftig sind. Der Kläger habe sich insoweit weder kritisch
mit den genannten Senatsbeschlüssen auseinandergesetzt noch neue Argumente für eine Unvereinbarkeit der Hofabgabeklausel mit
Art
2 Abs
1, Art
14 Abs
1 GG vorgetragen. Bezüglich der von ihm aufgeworfenen Rechtsfrage betreffend die Vereinbarkeit der Hofabgabeverpflichtung mit
Art
3 Abs
1 GG habe der Kläger allerdings beachtliche Einwände gegen die Erwägungen in den Senatsbeschlüssen vom 29.8.2012 (ua - B 10 LW 5/12 B - und - B 10 LW 7/12 B - Juris) erhoben und auf neue Erkenntnisse (insbesondere Mehl, Agrarstrukturelle Wirkungen der Hofabgabeklausel, Dezember
2012) hingewiesen. Der erkennende Senat sehe jedoch keinen erneuten Klärungsbedarf. Es treffe zwar zu, dass die Beibehaltung
der Hofabgabeklausel auch im Rahmen der Beratungen des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Organisation der Landwirtschaftlichen
Sozialversicherung nicht unumstritten gewesen sei. Gerade die vom Kläger selbst aufgezeigten parlamentarischen Auseinandersetzungen
belegten jedoch, dass die gesetzgeberischen Gremien in dieser Frage nicht untätig gewesen seien, sondern sich eingehend damit
befasst hätten. Ebenso wenig wie das Fehlen von Widerstand gegen Schlussfolgerungen des Gesetzgebers beweise, dass diese verfassungsrechtlich
haltbar seien, reichten politische Meinungsverschiedenheiten für sich genommen aus, um eine verfassungsrechtliche Klärungsbedürftigkeit
zu begründen. Auch wenn es sich bei dem Deutschen Bauernverband und der Deutschen Landjugend nicht um wissenschaftliche Sachverständige
handele, sprächen diese Vereinigungen doch für ihre landwirtschaftlich tätigen Mitglieder, die von der Hofabgabeklausel unmittelbar
betroffen seien. Insoweit habe es durchaus Gewicht, wenn sich deren Vertreter für die Beibehaltung der Hofabgabeklausel aussprächen.
Entgegen der Ansicht des Klägers halte der Senat die Frage einer Verfassungsmäßigkeit der Hofabgabeklausel nach wie vor auch
nicht unter dem Gesichtspunkt einer angeblich verletzten Beobachtungspflicht des Gesetzgebers für klärungsbedürftig. Von einer
so weitgehenden Überprüfungspflicht des Gesetzgebers, wie sie der Kläger annehme, könne jedenfalls nicht generell ausgegangen
werden. Sollte der Gesetzgeber verpflichtet sein, die Wirksamkeit und Geeignetheit aller gesetzlichen Bestimmungen laufend
anhand von "belastbaren" Daten zu prüfen, wäre er sicher überfordert. Es könne sich demnach nur um eine den Umständen angepasste
differenzierte Beobachtungspflicht handeln. Das BVerfG habe dem Gesetzgeber in anderen Zusammenhängen aus jeweils unterschiedlichen
Gründen eine besondere Überprüfung der mit einem Gesetz zusammenhängenden Entwicklungen aufgegeben. In Bezug auf die Hofabgabeklausel
habe das BVerfG zu einer solchen Maßnahme keine Veranlassung gesehen, obwohl sich jedenfalls im Zeitpunkt seiner Entscheidungen
vom 30.5.1980 - 1 BvR 313/80 - (SozR 5850 § 2 Nr 6) und 18.12.1981 - 1 BvR 943/81 - (SozR 5850 § 2 Nr 8) seit 1957 bereits erhebliche strukturelle Veränderungen in der Landwirtschaft vollzogen hätten. Dies
gelte erst recht für die Entscheidungen des BVerfG vom 20.9.1999 - 1 BvR 1750/95 - (SozR 3-5850 § 4 Nr 1) und vom 1.3.2004 - 1 BvR 2099/03 - (SozR 4-5868 § 1 Nr 3). Unter diesen Umständen liege es fern, dass der Gesetzgeber in Bezug auf die Hofabgabeklausel seine
allgemeine Beobachtungspflicht verletzt haben könnte. Dabei sei zu berücksichtigen, dass auch die vom Bundesministerium für
Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz veranlasste Untersuchung von Mehl - trotz unvollkommener Datenlage - deutliche
Anhaltspunkte für eine günstige agrarstrukturelle Wirkung der Hofabgabeklausel gefunden habe (Agrarstrukturelle Wirkungen
der Hofabgabeklausel, 2012, S 109 f; Mehl, SdL 2013, 5 ff). Dass Mehl darüber hinaus Vorschläge für eine Verbesserung der
sozialen Absicherungsfunktion der Alterssicherung der Landwirte unterbreitet habe (Gutachten, aaO, S 113 ff), begründe keine
Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Hofabgabeklausel. Denn im Rahmen des Art
3 Abs
1 GG sei nicht zu prüfen, ob der Gesetzgeber schon die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung gefunden habe.
Zur Frage einer verfassungsrechtlichen Relevanz eines möglichen Vollzugsdefizites habe der Kläger über die Gesichtspunkte
hinaus, die der Senat bereits in seinen Beschlüssen vom 29.8.2012 (ua - B 10 LW 5/12 B - und - B 10 LW 7/12 B - Juris) berücksichtigt habe, nichts vorgetragen, was zu einer Klärungsbedürftigkeit der von ihm aufgeworfenen Frage beitragen
könnte. Vielmehr sei er in diesem Zusammenhang zunächst erneut allgemein darauf eingegangen, dass ein Wandel der tatsächlichen
Verhältnisse zu einer Verfassungswidrigkeit des Gesetzes führen könne. Diese Ausführungen beträfen mithin nicht die speziellen
Fragen eines Vollzugsdefizits. Seine darüber hinaus gegebenen Hinweise auf die Entscheidungen des BVerfG vom 27.6.1991 - 2 BvR 1493/89 - (BVerfGE 84, 239) und vom 9.3.2004 - 2 BvR 17/02 - (BVerfGE 110, 94) führten hier nicht weiter, weil diese ersichtlich andere Verhältnisse beträfen.
Soweit die Beschwerdebegründung (S 22, 24) die streitige Diskussion im Gesetzgebungsverfahren anders deute als der erkennende
Senat in seiner Entscheidung vom 4.9.2013 (B 10 LW 4/13 B) und im Übrigen auf nicht näher konkretisierte Unklarheiten verweise, seien diese nicht geeignet, die genannte Entscheidung
in Frage zu stellen (Beschluss vom 20.5.2014).
Gegen den ihm am 17.6.2014 zugestellten Beschluss wendet sich der Kläger mit seiner am 1.7.2014 bei Gericht eingegangenen
Anhörungsrüge.
II
Die Anhörungsrüge des Klägers, über die der Senat ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter entscheiden kann (§ 12 Abs 1 S 2,
§
33 Abs
1 S 2, §
40 S 1 iVm §
124 Abs
3 SGG; s dazu BSG SozR 4-1500 § 178a Nr 5 RdNr 16 f; BSG SozR 4-1500 §
178a Nr 6 RdNr 7 f; vgl auch Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 10. Aufl 2012, §
178a RdNr 9), hat keinen Erfolg, denn sie ist - ihre Zulässigkeit unterstellt - jedenfalls unbegründet. Unabhängig davon, ob die
Darlegungserfordernisse des §
178a Abs
2 S 5
SGG erfüllt sind, liegt die Voraussetzung einer entscheidungserheblichen Verletzung rechtlichen Gehörs nicht vor (§
178a Abs
1 S 1 Nr
2 SGG).
Das Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art
103 Abs
1 GG; §
62 SGG) verpflichtet das Gericht, den Vortrag der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl zB BSG Beschluss vom 1.11.2010 - B 14 AS 3/10 C). Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Fehlern
ergeht, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Beteiligten haben könnten.
Dieses Gebot verpflichtet die Gerichte allerdings nicht, der Rechtsansicht eines der Beteiligten zu folgen (vgl BVerfG [Kammer]
vom 4.9.2008 - 2 BvR 2162/07, 2 BvR 2271/07 - BVerfGK 14, 238, 241 f unter Hinweis auf BVerfGE 64, 1, 12 und BVerfGE 87, 1, 33 = SozR 3-5761 Allg Nr 1 S 4; ebenso BVerfG [Kammer] vom 20.7.2011 - 1 BvR 3269/10 - Juris RdNr 3).
Der Kläger beanstandet zunächst, das BSG habe zur (verneinten) Frage des erneuten Klärungsbedarfs die eingehende Befassung der Gremien mit der Hofabgabeklausel für
die Einhaltung der Überprüfungspflicht des Gesetzgebers ausreichen lassen, obwohl seines - des Klägers - Erachtens eine Evaluierung
statistischer Zahlen geboten sei. Tatsächlich hat sich der erkennende Senat mit der Überprüfung anhand "belastbarer" Daten
auseinandergesetzt und dargelegt, warum eine so weitgehende Überprüfungspflicht des Gesetzgebers nicht gefordert werden kann.
Der Kläger bemängelt weiter, der erkennende Senat habe darauf eingehen müssen, dass im Vergleich zur Situation bei Einführung
der Hofabgabeklausel im Jahr 1957 die tatsächlichen Verhältnisse in der Landwirtschaft im Jahr 2013 völlig verändert seien.
Der angegriffene Beschluss beschäftigt sich allerdings mit der Relevanz dieser Veränderungen angesichts der vorhandenen Rechtsprechung
des BVerfG, zuletzt aus dem Jahr 2004, wenn auch nicht im Sinne des Klägers. Schließlich verpflichtet die Gewährung rechtlichen
Gehörs auch im Hinblick auf den angeführten Verlust der sozialen Absicherungsfunktion nicht zur Übernahme der Rechtsauffassung
der Beschwerde, der Gesetzgeber manifestiere mit der Beibehaltung der Hofabgabeklausel eine mit Art
3 Abs
1 GG nicht zu vereinbarende Regelung. Der Senat verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf die im angegriffenen Beschluss
zitierten - vom Kläger allerdings auch hier nur unzureichend wiedergegebenen - differenzierenden Überlegungen von Mehl.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§
178a Abs
4 S 3
SGG).