Erlöschen des Arbeitslosengeldanspruchs, Beratungspflicht der Bundesagentur für Arbeit
Gründe:
I
Streitig ist, ob die Klägerin Anspruch auf Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit ab 18. Januar 2001 hat.
Die Beklage bewilligte der Klägerin Alg für 312 Tage ab 1. Januar 1997 und zahlte die Leistung bis einschließlich 10. Mai
1997 an die Klägerin aus. Mit Wirkung ab 11. Mai 1997 hob die Beklagte die Alg-Bewilligung auf, da die Klägerin im Zusammenhang
mit der Geburt ihres ersten Kindes am 22. Juni 1997 Mutterschaftsgeld vom 11. Mai 1997 bis 17. August 1997 und im Anschluss
daran Erziehungsgeld (Erzg) bezog. Am 18. Januar 1999 wurde die Klägerin zum zweiten Mal Mutter und bezog danach wiederum
Erzg bis einschließlich 17. Januar 2001.
Am 10. Januar 2001 meldete sich die Klägerin beim für sie zuständigen Arbeitsamt arbeitslos und beantragte, ihr ab 18. Januar
2001 Leistungen zu gewähren. Dies lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 24. Januar 2001). Der Widerspruch, mit dem die Klägerin
geltend machte, ein Mitarbeiter des Arbeitsamtes habe ihr auf telefonische Anfrage im August 2000 die Auskunft erteilt, sie
müsse sich zum Erhalt ihres Anspruchs auf Alg spätestens am 18. Januar 2001 arbeitslos melden, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid
vom 9. März 2001).
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte unter Aufhebung ihrer Bescheide verurteilt, der Klägerin ab 18. Januar 2001 Alg zu zahlen, da es das Arbeitsamt
versäumt habe, die Klägerin auf die Gefahr des Anspruchsverlustes durch Zeitablauf hinzuweisen. Auf die Berufung der Beklagten
hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das LSG ua ausgeführt: Der am 1. Januar 1997 entstandene Anspruch
auf Alg könne wegen Ablaufs der vierjährigen Verfallsfrist des §
147 Abs
2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (
SGB III) nicht mehr geltend gemacht werden. Die Frist sei durch den Bezug von Mutterschaftsgeld und Erzg nicht gehemmt und nicht
unterbrochen worden. Die Arbeitslosmeldung vom 10. Januar 2001 sei verspätet. Eine von der Klägerin behauptete telefonische
Meldung und eine fehlerhafte Auskunft des Arbeitsamts im August 2000 ließen sich nicht feststellen, da die Klägerin den Namen
des Mitarbeiters nicht nennen könne und sich in den Akten der Beklagten hierüber keine Unterlagen befänden; eine weitere Sachaufklärung
sei insoweit nicht möglich. Eine allgemeine Pflicht, Leistungsbezieher regelmäßig über die Verfallsfrist aufzuklären, treffe
die Beklagte nicht. Die Klägerin habe weder einen Beratungswunsch geäußert, noch habe zum Zeitpunkt der Einstellung der Alg-Zahlungen
im Jahre 1997 ein erkennbarer Beratungsbedarf bestanden.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin Verletzungen des §
147 Abs
2 SGB III und der §§
13 ff Sozialgesetzbuch Erstes Buch und macht insbesondere geltend, das LSG habe die Pflicht der Beklagten zur Beratung über
Gebühr eingeengt. Selbst wenn die Beklagte nicht generell zu Hinweisen auf die Verfallsfrist verpflichtet sei, könne dies
im Falle des Bezugs von Mutterschaftsgeld nicht gelten.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des Urteils des LSG vom 4. Dezember 2003 die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG vom 15. Januar 2003 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
II
Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Ihr steht, wie das LSG zutreffend entschieden hat, für die Zeit ab 18. Januar 2001
kein Alg zu. Ein Anspruch auf Arbeitslosenhilfe kommt von vornherein nicht in Betracht, weil sie in der Vorfrist kein Alg
bezogen hat (§ 190 Abs 1 Nr 4, § 192 Satz 2 Nr 3
SGB III in der bis 31. Dezember 2002 geltenden Fassung).
1. Das LSG ist zu Recht von einem Erlöschen des am 1. Januar 1997 entstandenen Anspruchs auf Alg ausgegangen, der zur Leistungsgewährung
bis 10. Mai 1997 geführt hat und dessen Dauer für die Zeit ab 11. Mai 1997 nicht durch Erfüllung gemindert worden ist (§ 110 Satz 1 Nr 1 Arbeitsförderungsgesetz >AFG<, §
128 Abs
1 Nr
1 SGB III). Denn nach §
147 Abs
2 SGB III, der dem vor dem 1. Januar 1998 geltenden § 125 Abs 2 AFG entspricht, kann der Anspruch auf Alg nicht mehr geltend gemacht werden, wenn nach seiner Entstehung vier Jahre verstrichen
sind.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu § 125 Abs 2 AFG hat die Verfallsregelung eine Ausschlussfrist zum Inhalt, die ohne Hemmungs- oder Unterbrechungsmöglichkeit kalendermäßig
abläuft (ua BSGE 54, 212, 214 = SozR 4100 § 125 Nr 2; BSGE 62, 179, 180 f = SozR 4100 § 125 Nr 3). Der Ablauf der Ausschlussfrist hat das Untergehen der gesamten Anspruchsberechtigung zur
Folge (ua BSGE 62 aaO S 181). Hieran ist auch unter Geltung des
SGB III grundsätzlich festzuhalten (vgl bereits Urteil des 7. Senats des BSG vom 21. Oktober 2003, B 7 AL 28/03 R, BSGE 91, 226, 228 = SozR 4-4300 § 147 Nr 2; zustimmend Wank SGb 2004, 322 ff mit weiteren Nachweisen aus dem Schrifttum).
Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG, die nicht mit Revisionsrügen angegriffen und somit gemäß §
163 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) für den Senat bindend sind, ist der Anspruch der Klägerin auf Alg am 1. Januar 1997 entstanden und hat sich die Klägerin
erst am 10. Januar 2001 beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet und Leistungen ab 18. Januar 2001 beantragt. Zur Zeit der Arbeitslosmeldung
war die vierjährige Frist des § 125 Abs 2 AFG bzw des §
147 Abs
2 SGB III abgelaufen. Die Anspruchsberechtigung ist deshalb erloschen.
Die Erlöschensfrist wird auch nicht etwa, wovon das LSG zutreffend ausgegangen ist, durch Zeiten des Bezugs von Mutterschaftsgeld
oder Erzg verlängert. Denn eine Verlängerung wäre nicht mit dem Wesen einer materiellen Ausschlussfrist sowie mit dem Wortlaut
und dem Zweck der Verfallsregelung zu vereinbaren (BSG SozR 3-4100 § 107 Nr 10 S 42 f; BSGE 91, 226, 228 = SozR 4-4300 § 147 Nr 2). Der vom BSG angenommene "eng umgrenzte Sonderfall", wonach die Verfallsfrist während der
Zeit eines Beschäftigungsverbots nach §
6 Mutterschutzgesetz (
MuSchG) nicht ablaufen kann (BSGE 91 aaO S 230), liegt im vorliegenden Fall ersichtlich nicht vor.
2. Die Klägerin kann nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so gestellt werden, als habe sie die Ausschlussfrist
nicht versäumt. Denn das LSG hat keine Tatsachen festgestellt, wonach die Beklagte eine ihr der Klägerin gegenüber obliegende
Beratungspflicht verletzt hätte. Von der Behauptung der Klägerin, ihr sei im August 2000 von einem Mitarbeiter des Arbeitsamts
eine fehlerhafte Auskunft erteilt worden, kann der Senat mangels entsprechender Feststellung durch das LSG nicht ausgehen.
Entgegen dem Vorbringen der Revision kann nicht angenommen werden, die Beklagte sei allgemein verpflichtet gewesen, die Klägerin
auch ohne besonderen Anlass - etwa schon anlässlich der Alg-Bewilligung bzw der Einstellung der Zahlungen im Jahre 1997 oder
später - auf die Möglichkeit des Anspruchsverlustes nach Ablauf von vier Jahren nach Anspruchsentstehung hinzuweisen; eine
Beratungspflicht setzt vielmehr voraus, dass dafür nach den Umständen des Einzelfalles besonderer Anlass besteht (vgl BSGE
62, 179, 183 = SozR 4100 § 125 Nr 3; BSGE 66, 258, 266 = SozR 3-4100 § 125 Nr 1). Einen solchen besonderen Anlass hat das LSG zutreffend verneint. Der Senat hat dabei von
der Feststellung des LSG auszugehen, dass die Klägerin weder bei der Beantragung von Alg noch im Zusammenhang mit der Einstellung
der Zahlungen wegen des Bezugs von Mutterschaftsgeld noch zu einem späteren Zeitpunkt einen Beratungswunsch geäußert hat.
Zu beachten ist weiter, dass die Beklagte zur Zeit der Zahlungseinstellung im Jahre 1997 den Umstand, dass die Klägerin später
erneut Mutter werden würde, nicht voraussehen und mithin auch nicht absehen konnte, dass der Bezug von Mutterschaftsgeld sowie
nachfolgend von Erzg im Hinblick auf die vierjährige Erlöschensfrist relevant werden könnte. Insoweit ist - wie schon das
LSG zutreffend ausgeführt hat - die vorliegende Fallgestaltung mit der, die dem vom SG in Bezug genommenen Urteil des BSG vom 29. September 1987 (- 7 RAr 23/86 - BSGE 62 aaO) zu Grunde lag, nicht vergleichbar.
3. Die Klägerin hat auch keinen neuen Anspruch auf Alg erworben. Insoweit fehlt es jedenfalls an der Anspruchsvoraussetzung
der Erfüllung der Anwartschaftszeit innerhalb der Rahmenfrist (§§ 100, 104, 107 AFG, §§
117,
123,
124 SGB III). Innerhalb der ab 18. Januar 2001 rückwärts zu berechnenden Rahmenfrist hat die Klägerin nicht in einem Versicherungspflichtverhältnis
gestanden; die vor dem 1. Januar 1998 als so genannte "gleichgestellte Zeiten" in Betracht kommenden Zeiten der Kindererziehung
(§ 107 Abs 1 Nr 5 Buchstabe c AFG, vgl § 427 Abs 3
SGB III) reichen für die Begründung eines neuen Anspruchs nicht aus. Hieran ändert sich auch nichts dadurch, dass die grundsätzlich
dreijährige Rahmenfrist nach §
124 Abs
3 Satz 1 Nr
2 SGB III in der bis Ende 2002 geltenden Fassung um Zeiten der Betreuung und Erziehung eines Kindes verlängert wird; denn nach §
124 Abs
2 SGB III reicht die Rahmenfrist nicht in eine vorangegangene Rahmenfrist hinein, in der der Arbeitslose eine Anwartschaftszeit erfüllt
hatte. Auf die vor 1997 zurückgelegten Zeiten einer versicherungspflichtigen Beschäftigung kann die Klägerin einen Anspruch
also nicht mehr stützen. Ein für die Klägerin günstigeres Ergebnis lässt sich auch nicht daraus herleiten, dass es fraglich
sein kann, ob nicht Frauen, die eine versicherungspflichtige Beschäftigung unterbrechen und Mutterschaftsgeld beziehen, in
dieser Zeit versicherungspflichtig bleiben müssten (vgl Vorlagebeschluss des Senats vom 20. Juni 2001, B 11 AL 20/01 R, NZS 2002, 100). Denn selbst wenn die Zeiten des Mutterschaftsgeldbezugs der Klägerin als der Erfüllung der Anwartschaft dienende Zeiten
zu berücksichtigen wären, hätte die Klägerin die Anwartschaftszeit von zwölf Monaten (§
123 SGB III) gleichwohl nicht erfüllt. Ebenso wenig lässt sich ein neuer Anspruch der Klägerin auf die durch das JOB-AQTIV-Gesetz vom
10. Dezember 2001, BGBl I 3443, mit Wirkung ab 1. Januar 2003 eingeführte - im vorliegenden Fall also nicht anwendbare - Regelung
in §
26 Abs
2a SGB III stützen, wonach uU versicherungspflichtig auch Personen in der Zeit sind, in der sie ein Kind, das das dritte Lebensjahr
noch nicht vollendet hat, erziehen.
4. Der Senat kann sich nicht davon überzeugen, dass gegen die genannten gesetzlichen Bestimmungen, insbesondere §
147 Abs
2 SGB III, und ihre Anwendung im vorliegenden Fall durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken bestehen. Dies hat der Senat in seinem
Urteil vom 19. Januar 2005 in dem Rechtsstreit zum Az B 11a/11 AL 35/04 R (zur Veröffentlichung bestimmt) näher ausgeführt.
Hierauf wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.