Fristwahrende Einlegung der Berufung im sozialgerichtlichen Verfahren
Gründe:
I
Die Beteiligten streiten in der Hauptsache über den Eintritt einer Sperrzeit von 12 Wochen. Das Klageverfahren verlief erfolglos.
Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts (SG) Hildesheim ist den Prozessbevollmächtigten des Klägers gegen Empfangsbekenntnis am 16. Juli 2004 zugestellt worden.
Die Prozessbevollmächtigten des Klägers haben mit Schriftsatz vom 12. August 2004 Berufung eingelegt. Der an das SG Hildesheim
gerichtete Schriftsatz ging am 17. August 2004 (Dienstag) beim SG ein. Über dem Eingangsstempel des SG findet sich ein handschriftlicher Vermerk "Postfach A.G.". Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat wegen der Nichteinhaltung
der Berufungsfrist vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Er hat vorgetragen, der Schriftsatz sei mit
weiterer Post, am Freitag, dem 13. August 2004, dem Amtsgericht (AG) übergeben worden. Die Vorgehensweise, Post über das AG
Hildesheim zu leiten, werde langjährig praktiziert und habe noch nie zu Schwierigkeiten geführt.
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung mit Beschluss vom 3. September 2004 als unzulässig verworfen. Das LSG hat ausgeführt,
es lägen keine Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vor. Dem Prozessbevollmächtigten des Klägers hätte bekannt
sein müssen, dass nur die Einlegung der Berufung beim LSG oder beim SG die Berufungsfrist wahre. Wenn er den Umweg über das AG Hildesheim wähle, könne er nicht damit rechnen, dass der Schriftsatz
am nächsten Werktag beim SG eingehe. Auch gebe es keine Verpflichtung des SG, jeden Tag Post vom AG abzuholen.
Wegen der Nichtzulassung der Revision in diesem Beschluss hat der Kläger Beschwerde eingelegt und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe
beantragt. Er trägt vor, die Angelegenheit habe grundsätzliche Bedeutung. Zu klären sei die Rechtsfrage, ob die Einlegung
eines Schriftsatzes bei einem anderen Gericht grundsätzlich die Fristen wahre. Einerseits bestehe die Möglichkeit, dass der
Einlegung in das Gerichtsfach fristwahrende Bedeutung zukomme, andererseits stelle sich die Frage, ob die Einlegung in das
Gerichtsfach wie der Einwurf eines Briefes in einen Postkasten der Deutschen Post AG zu behandeln sei. Bezüglich der Einlegung
eines Briefes in einen Postkasten habe das Bundessozialgericht (BSG) bereits mehrfach entschieden, dass offensichtliche Verzögerungen
auf dem Postweg nicht als Verschulden angerechnet würden.
Darüber hinaus liege ein Fall der Divergenz vor. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des BSG gelte,
dass Verzögerungen der Briefbeförderung durch die Post nicht als Verschulden angerechnet würden. Gleiches gelte, wenn Verzögerungen
durch die Mitarbeiter beim SG bzw AG verursacht würden. Nach Kenntnisstand der Prozessbevollmächtigten des Klägers hole das SG die Post täglich vom AG ab. Sofern eine Abholung am 16. August 2004 nicht erfolgt sei, handele es sich um eine Störung des
Betriebsablaufs, die der Kläger nicht zu vertreten habe.
Schließlich habe das LSG auch gegen den Amtsermittlungsgrundsatz verstoßen. Es habe eine Auskunft beim SG einholen müssen, ob das Gerichtsfach beim AG Hildesheim am 16. August 2004 geleert worden sei bzw wann das Gerichtsfach am
13. August 2004 geleert worden sei. Darüber hinaus habe das Gericht auch beim AG Hildesheim Nachfrage halten müssen, wann
im Einzelnen die eingehende Post auf die Gerichtsfächer verteilt worden sei.
II
Dem Kläger steht Prozesskostenhilfe nicht zu, denn die Beschwerde hat nicht die nach §
73a Abs
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) iVm §
114 Zivilprozessordnung erforderliche hinreichende Aussicht auf Erfolg. Die auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, Divergenz und das Vorliegen
eines Verfahrensmangels (§
160 Abs
2 SGG) gestützte Beschwerde ist unzulässig; die geltend gemachten Zulassungsgründe sind in der Beschwerdebegründung vom 15. September
und 3. November 2004 nicht in der nach §
160a Abs
2 Satz 3
SGG gebotenen Weise dargelegt bzw bezeichnet.
1. Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache lässt sich nur darlegen, indem die Beschwerdebegründung ausführt, welche
Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit
oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht
zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 60 und 65; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 16 mwN - stRspr; BVerwG
NJW 1999, 304; vgl auch: BVerfG SozR 3-1500 § 160a Nr 7). Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach
dem Stand von Rechtsprechung und ggf des Schrifttums nicht ohne weiteres zu beantworten ist und den Schritt darzustellen,
den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im Allgemeininteresse vornehmen soll (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31). Diesen
Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
Mit dem Vorbringen, es sei zu prüfen, ob "offensichtliche Verzögerungen" bei der Einlegung in das Gerichtsfach entsprechend
dem Einwurf eines Briefes in einen Postkasten der Deutschen Post AG zu behandeln sei, will die Beschwerdebegründung offenbar
eine Rechtsfrage zum Begriff des Verschuldens iS von §
67 Abs
1 SGG aufwerfen. Abgesehen davon, dass die Beschwerdebegründung die gesetzlichen Anforderungen an die Darlegung der Klärungsbedürftigkeit
nicht erfüllt, weil sie sich schon nicht mit dem Wortlaut der fraglichen Norm auseinander setzt und auch nicht den Klärungsbedarf
anhand der vorliegenden Rechtsprechung (zB BGH LM Nr 13 zu §
232 ZPO; BGH VersR 1976, 1063; BFH Urteil vom 7. April 1998 - VII R 70/96 - in JURIS) aufzeigt, wird jedenfalls die Klärungsfähigkeit der angesprochenen Fragen nicht dargelegt. Hierzu hätte die Beschwerdebegründung
nämlich darlegen müssen, dass nach den (bindenden) Feststellungen das LSG von einer "offensichtlichen Verzögerung" auf Grund
des Verhaltens der Bediensteten des AG oder des SG auszugehen ist. Dies ist nicht dargelegt und hätte im Übrigen auch nicht dargelegt werden können. Denn das LSG hat im Gegenteil
- wie in der Beschwerdebegründung insoweit zutreffend selbst vorgetragen wird - eine pflichtwidrige Verzögerung der Weiterleitung
des Berufungsschriftsatzes im ordentlichen Geschäftsgang an das zuständige Gericht verneint.
Ebenfalls nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprechend wird die in der Beschwerdebegründung allenfalls angedeutete (logisch
vorrangige) Frage dargelegt, es bestehe die Möglichkeit, dass der Einlegung in das Gerichtsfach fristwahrende Bedeutung zukomme.
Zur Erfüllung der gesetzlichen Begründungserfordernisse wäre erforderlich gewesen, dass sich die Beschwerdebegründung jedenfalls
mit der Frage auseinander setzt, ob und inwiefern die Rechtsprechung zur Fristwahrung durch Einlegung in ein Postschließfach
(BSG SozR 4100 § 81 Nr 3; BSGE 48, 12 = SozR 2200 § 1227 Nr 23) auf die vorliegende Gestaltung übertragbar ist. Hieran fehlt es. Nichts anderes ergäbe sich, wenn
zu Gunsten des Klägers davon auszugehen wäre, dass mit dem Vorbringen sinngemäß eine Verletzung des §
151 Abs
2 SGG gerügt werden solle. Denn ein Verfahrensmangel wird nur iS des §
160a Abs
2 Satz 3
SGG bezeichnet, wenn die ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert und schlüssig bezeichnet werden (Lüdtke in:
Handkommentar
SGG, 2003, §
160a RdNr 15). Es hätte also zB ausgeführt werden müssen, in welcher Weise die Schriftstücke beim AG für das SG verwahrt werden, damit beurteilt werden kann, ob die Schriftstücke in den "Machtbereich" des SG gelangt sein können (BGH VersR 1989, 932 mwN; BAGE 52, 19; Bernsdorff in Hennig, Komm zu
SGG, §
151 RdNr 41 mwN). Dabei ist allerdings zu beachten, dass - anders als bei den in der Beschwerdebegründung angesprochenen "Klageschriften"
(vgl §
91 SGG) - die Berufung nach §
151 SGG nicht fristwahrend bei einem anderen Gericht (hier AG Hildesheim) eingelegt werden kann (vgl Meyer-Ladewig,
SGG, 7. Aufl §
151 RdNr 2a).
2. Um eine Abweichung iS des §
160 Abs
2 Nr
2 SGG zu bezeichnen, hat die Beschwerdebegründung einen Widerspruch im Grundsätzlichen oder ein Nichtübereinstimmen tragender abstrakter
Rechtssätze in der Entscheidung des LSG einerseits und in einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten
Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts andererseits aufzuzeigen (BSG SozR 1500 § 160a Nr 67) und die in
Bezug genommene Entscheidung so zu kennzeichnen, dass sie ohne weiteres aufzufinden ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14). Dabei
muss die Beschwerdebegründung deutlich machen, dass in der angefochtenen Entscheidung eine sie tragende Rechtsansicht entwickelt
und nicht etwa nur ungenaue oder unzutreffende Rechtsausführungen oder Rechtsirrtum im Einzelfall die Entscheidung bestimmen
(BSG SozR 1500 § 160a Nr 67; BSG 27. Juni 2002 - B 11 AL 87/02 B -). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Die Beschwerdebegründung legt nicht entsprechend den geschilderten Anforderungen dar, dass das LSG der in der Beschwerdebegründung
aufgeführten Rechtsprechung zu den Folgerungen aus einer Verzögerung der Briefbeförderung grundsätzlich widersprochen hätte.
Dies hätte auch nicht geschehen können, denn das LSG hat eine Verzögerung gegenüber dem ordentlichen Geschäftsgang ausdrücklich
verneint.
3. Die Verletzung der Amtsermittlungspflicht eröffnet den Revisionsrechtszug nur, wenn der Beschwerdeführer geltend macht,
das LSG sei einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt. Solches kann der Beschwerdeführer nur rügen, wenn
er im Berufungsverfahren einen Beweisantrag gestellt hat, der sich auf Tatsachen bezieht, die nach der Rechtsansicht des LSG
entscheidungserheblich sind. Ein bloßes Beweisangebot oder eine Beweisanregung erfüllt die Warnfunktion des Beweisantrages
gegenüber dem LSG als letzter Tatsacheninstanz nicht. Dabei muss der Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung oder im schriftlichen
Verfahren (§§
124 Abs
2,
153 Abs
4 SGG) im letzten Schriftsatz vor der Entscheidung deutlich machen, welche Tatsachen der Beschwerdeführer geklärt wissen will und
welcher Beweismittel sich das LSG dazu bedienen soll (BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 9; 29 und 31 mwN). Eine pauschale Bezugnahme
auf tatsächliches Vorbringen in der Vorinstanz wird der Darlegungslast des §
160a Abs
2 Satz 3
SGG nicht gerecht. Die Rüge einer Verletzung der gesetzlichen Grenzen tatrichterlicher Beweiswürdigung (§
128 Abs
1 Satz 1
SGG) eröffnet den Revisionsrechtszug nach ausdrücklicher Regelung des §
160 Abs
2 Nr
3 SGG nicht. Abgesehen davon, dass die Beschwerdebegründung einen Beweisantrag nicht bezeichnet, beachtet sie nicht, dass bei der
Prüfung, ob ein Verfahrensmangel vorliegt, von der Rechtsauffassung des LSG auszugehen ist (Meyer-Ladewig,
SGG, 7. Aufl 2002, §
160 RdNr 16b). Angesichts der Auffassung des LSG bedurfte es - wie bereits ausgeführt - der Einholung von Auskünften des SG oder AG nicht.
Auch wenn zu Gunsten des Klägers davon ausgegangen würde, er wolle die nicht ausdrücklich gerügte Verletzung des §
67 SGG als Verfahrensmangel geltend machen, genügt das Vorbringen nicht den gesetzlichen Anforderungen. Denn es ist die Bezeichnung
derjenigen Umstände erforderlich, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 26 und 36).
Einen derartigen Vortrag enthält - wie bereits ausgeführt wurde - die Beschwerdebegründung nicht. Zudem ist nicht nachvollziehbar,
warum in der Beschwerdebegründung davon ausgegangen wird, es hätten am 18. August 2004 (richtig wohl 13. August 2004) insgesamt
vier Tage für eine Zuleitung an das SG zur Verfügung gestanden. Auch für die nunmehr behauptete tägliche Leerung (gemeint wohl werktägliche Leerung) des Postfachs
im ordentlichen Geschäftsgang finden sich keine ausreichenden Darlegungen.
Die unzulässige Beschwerde ist zu verwerfen (§
160a Abs
4 Satz 2, §
169 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.