Wirksamkeit des Widerrufs der Bestellung eines Prozessbevollmächtigten im sozialgerichtlichen Verfahren, Rücknahme der Nichtzulassungsbeschwerde
Gründe:
I
Der Kläger hat die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision durch seinen Prozessbevollmächtigten, Rechtsanwalt H.,
mit Schriftsatz vom 18. Februar 2008 eingelegt ("legen wir namens und im Auftrag des Klägers und Beschwerdeführers Nichtzulassungsbeschwerde
ein"). Ferner hat er angekündigt, die Begründung werde in einem weiteren Schriftsatz nach Akteneinsicht, die er hiermit beantrage,
erfolgen. Mit Schriftsatz vom 21. Februar 2008 hat Rechtsanwalt Ho., der ihn in der Berufungsinstanz vertreten hatte, ebenfalls
Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision eingelegt und vorsorglich einen Antrag auf Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist
gestellt. Mit Verfügung der Senatsvorsitzenden vom 27. Februar 2008 sind die Akten antragsgemäß an Rechtsanwalt H. und Kollegen
zur Einsichtnahme übersandt worden; gleichzeitig ist die Beschwerdebegründungsfrist bis zum 25. April 2008 verlängert worden,
worüber sowohl Rechtsanwalt Ho. als auch Rechtsanwalt H. unterrichtet worden sind. Mit Schriftsatz vom 26. Februar 2008 hat
Rechtsanwalt Ho. "auf Weisung des Klägers, Berufungsklägers und Beschwerdeführers die Nichtzulassungsbeschwerde zurückgenommen".
Am 14. März 2008 ist Rechtsanwalt H. von der Geschäftsstelle des Senats telefonisch über die Beschwerderücknahme informiert
und gebeten worden, die zur Akteneinsicht überlassenen Akten an das BSG zurückzusenden; gleichzeitig ist ihm eine Abschrift
des Schriftsatzes von Rechtsanwalt Ho. vom 26. Februar 2008 zur Kenntnisnahme übersandt worden. Mit Schriftsatz vom 26. März
2008 hat Rechtsanwalt H. die zur Einsicht überlassenen Akten an das Bundessozialgericht (BSG) zurückgesandt. Mit Schriftsatz
vom 21. April 2008 hat er die Nichtzulassungsbeschwerde begründet und eine Verletzung des §
103 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) gerügt.
Auf den Hinweis des Berichterstatters vom 24. April 2008, wonach dem BSG eine Beschwerderücknahme vorliege, hat Rechtsanwalt
H. mit Schriftsatz vom 29. April 2008 ausgeführt, die Beschwerderücknahme sei durch den nicht bevollmächtigten Rechtsanwalt
Ho. erfolgt. Dieser sei Prozessbevollmächtigter im Berufungsverfahren gewesen. Danach sei das Mandatsverhältnis erloschen.
Die vorsorglich eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde von Rechtsanwalt Ho. sei daher ohne ordnungsgemäße Bevollmächtigung erfolgt.
Das Urteil des LSG sei Rechtsanwalt Ho. am 21. Januar 2008 zugestellt worden; in dem beigefügten, an den Kläger gerichteten
Schreiben vom 21. Januar 2008 habe Rechtsanwalt Ho. mitgeteilt, dass er ohne ausdrücklichen, schriftlichen Auftrag keine Nichtzulassungsbeschwerde
einlegen werde. Mit Schreiben vom 13. Februar 2008 habe der Kläger die Kanzlei H. mit der Prüfung der Erfolgsaussichten und
Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde sowie der Beschwerdebegründung beauftragt. Demgemäß sei mit Schriftsatz vom 18. Februar
2008 Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt und eine entsprechende Prozessvollmacht vorgelegt worden. Nur diese Nichtzulassungsbeschwerde
sei somit unter ordnungsgemäßer Bevollmächtigung erfolgt.
Mit Schreiben der Senatsvorsitzenden vom 13. Oktober 2008 ist Rechtsanwalt H. darauf hingewiesen worden, dass sich die Beschwerde
des Klägers durch die wirksame Rücknahmeerklärung von Rechtsanwalt Ho. erledigt haben dürfte. Innerhalb der gesetzten Frist
bis Ende November 2008 hat sich Rechtsanwalt H. nicht geäußert.
II
Die Beschwerde hat sich durch die wirksame Rücknahmeerklärung des Prozessbevollmächtigten des Klägers, Rechtsanwalt Ho., vom
29. April 2008 erledigt. Dies folgt aus §
156 Abs
2 Satz 1 iVm §§
165,
160a SGG (BSG, Beschluss vom 7. Dezember 2000 - B 8 KN 11/00 U B - SozR 3-1500 § 73 Nr 8 mwN). Danach bewirkt die Zurücknahme den
Verlust des Rechtsmittels. Die Zurücknahme hat Rechtsanwalt Ho. als Prozessbevollmächtigter des Beschwerdeführers wirksam
erklärt.
Dem steht nicht entgegen, dass der Mandatsvertrag von Rechtsanwalt Ho. bei Abgabe der Rücknahmeerklärung nach dem Vortrag
des Beschwerdeführers bereits "erloschen" war. Selbst wenn Rechtsanwalt Ho. im Innenverhältnis zum Beschwerdeführer nicht
mehr befugt gewesen sein sollte, für den Kläger Prozesserklärungen abzugeben, so galt er kraft der ihm ausweislich der Berufungsakten
erteilten Prozessvollmacht (§
73 Abs
2 SGG in der hier maßgeblichen, bis zum 30. Juni 2008 geltenden Fassung), die keine Beschränkung enthielt (vgl §
73 Abs
4 Satz 2
SGG aF), doch noch als dessen Prozessbevollmächtigter. Damit musste sich der Beschwerdeführer die Prozessführung - also auch
die Zurücknahme der Beschwerde - durch Rechtsanwalt Ho. zurechnen lassen (§
73 Abs
3 Satz 2
SGG aF). Seine Rücknahmeerklärung beschränkte sich auch nicht auf seine eigene Prozesserklärung, sondern betraf "die" Nichtzulassungsbeschwerde
(vgl BSG SozR 3-1500 § 156 Nr 1).
Auch unter Berücksichtigung des (zeitlich früheren) Schriftsatzes von Rechtsanwalt H. vom 18. Februar 2008, mit dem dieser
"namens und im Auftrag des Klägers und Beschwerdeführers" Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt und - ohne Erwähnung von Rechtsanwalt
Ho. - im Rubrum seine Kanzlei als prozessbevollmächtigt bezeichnet hat, ergibt sich nichts anderes. Damit war aber die Vollmacht
von Rechtsanwalt Ho. nicht erloschen.
Wie der 8. Senat des BSG in seinem Beschluss vom 7. Dezember 2000 (B 8 KN 11/00 U B - SozR 3-1500 §
73 Nr
8 mwN) ausgeführt hat, ordnet §
73 Abs
4 SGG aF für den Umfang und die Wirkung der Vollmacht die entsprechende Geltung der §§
81,
84 bis
86 Zivilprozessordnung (
ZPO) an. Gemäß §
84 Satz 1
ZPO besteht die Möglichkeit, mehrere Bevollmächtigte zur Vertretung der Partei zu ermächtigen. Wenn zwei Bevollmächtigte die
Vertretung nicht gemeinsam wahrnehmen sollen, muss deshalb dem Gericht gegenüber eindeutig angezeigt werden, dass die zunächst
erteilte Prozessvollmacht erloschen ist (BSG aaO). Denn eine Prozessvollmacht endet nicht ohne weiteres von selbst durch die
Bestellung eines anderen Bevollmächtigten. Der Vollmachtgeber muss vielmehr dem Prozessbevollmächtigten das Mandat entziehen
und dem Gericht von dem Erlöschen der Vollmacht Kenntnis geben. Die Kündigung einer Prozessvollmacht durch den Vollmachtgeber
wird erst mit der entsprechenden Mitteilung an das Gericht wirksam (BSG aaO mwN). Dieser Rechtsprechung schließt sich der
erkennende Senat nach eigener Prüfung an.
Wie der 8. Senat in seiner Entscheidung ebenfalls bereits ausgeführt hat, gilt dies unbeschadet der Frage, ob und ggf in welchem
Umfang §
87 Abs
1 ZPO im sozialgerichtlichen Verfahren anwendbar ist. Danach erlangt die Kündigung des Vollmachtsvertrages in Anwaltsprozessen
erst durch die Anzeige der Bestellung eines anderen Anwalts rechtliche Wirksamkeit. Selbst wenn §
87 Abs
1 ZPO auf das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde vor dem BSG entsprechend angewandt würde (bejahend Meyer-Ladewig,
SGG, 8. Aufl, §
73 RdNr 17b; verneinend Zeihe, SGb 2001, 400, 401 f mwN), ergäbe sich daraus nicht, dass mit der Bestellung von Rechtsanwalt H. die Vollmacht von Rechtsanwalt Ho. erloschen
und damit die Rücknahmeerklärung unwirksam gewesen wäre. Mit seinem Schriftsatz vom 18. Februar 2008 hat Rechtsanwalt H. zwar
angezeigt, dass er namens und im Auftrag des Klägers und Beschwerdeführers Nichtzulassungsbeschwerde als dessen Prozessbevollmächtigter
einlegt. Dem Schriftsatz lässt sich jedoch nicht der Wille entnehmen, dass die Vollmacht von Rechtsanwalt H. zum Erlöschen
gekommen sein soll. Weder ist dies ausdrücklich ausgeführt noch den Umständen zu entnehmen. Er hat sich zwar im Rubrum seines
Schriftsatzes als Prozessbevollmächtigten bezeichnet, er hat jedoch weder in diesem Schriftsatz noch anlässlich der mitgeteilten
Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist bis zum 25. April 2008 klargestellt, dass er als neuer Prozessbevollmächtigter
ausschließlich den Kläger im Prozess vertrete bzw Rechtsanwalt H. nicht mehr bevollmächtigt sei. Wegen der im Prozessrecht
zu fordernden klaren Verhältnisse kann es auf späteres Vorbringen im Schriftsatz vom 29. April 2008 (hier: das angebliche
Erlöschen bzw die Kündigung des Vollmachtsvertrages vor der Rücknahmeerklärung von Rechtsanwalt Ho: ...) nicht ankommen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 Abs
1 SGG.