Teilweise Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld
Gefahren eines Steuerklassenwechsels
Besondere Beratungspflicht
Verletzung der Mitteilungspflicht
Sozialrechtlicher Herstellungsanspruch
Gründe:
I
Der Kläger wendet sich gegen die mit einem Erstattungsanspruch verbundene teilweise Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld
(Alg) in Höhe von 10 566 Euro, die wegen einer Änderung der Lohnsteuerklasse im Bewilligungszeitraum von III auf V erfolgt
ist. Widerspruch und Klage blieben ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 27.9.2011; Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 27.9.2013).
Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hat die Entscheidung der Beklagten im Wesentlichen bestätigt, weil der Kläger
seine Mitteilungspflichten grob fahrlässig verletzt habe. Auf die Mitteilungspflicht über einen Lohnsteuerklassenwechsel und
die Notwendigkeit einer Beratung wegen der finanziellen Auswirkungen eines Lohnsteuerklassenwechsels sei der Kläger ausdrücklich
hingewiesen worden (Urteil vom 19.12.2014).
Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision macht der Kläger eine Divergenz zu einer Entscheidung des Bundessozialgerichts
(BSG) geltend. Die Entscheidung des LSG beruhe auf folgendem Rechtssatz:
"Wird der Arbeitslose von der Agentur für Arbeit durch Übergabe des Merkblatts 1 für Arbeitslose (Stand 2009), dessen Empfang
und inhaltliche Kenntnisnahme der Arbeitslose bestätigt, eindeutig und optisch deutlich auf die Gefahren eines Lohnsteuerklassenwechsel
und die Gefahr, dass ein solcher zu einer niedrigeren Leistung führt, hingewiesen und angehalten, sich vor einem Steuerklassenwechsel
beraten zu lassen, um erhebliche finanzielle Nachteile zu vermeiden, und erfolgt auch im Bewilligungsbescheid noch einmal
ein gesonderter Hinweis auf die Gefahr finanzieller Nachteile durch einen Steuerklassenwechsel, genügt dies der Aufklärungspflicht
der Agentur für Arbeit, so dass der Arbeitslose zumindest grob fahrlässig handelt, wenn er dennoch während des Bezugs des
Arbeitslosengeldes einen Lohnsteuerklassenwechsel ohne vorherige Beratung durchführt."
Diese Rechtsauffassung sei mit dem das Urteil des BSG vom 1.4.2004 - B 7 AL 52/03 R - tragenden Rechtssatz unvereinbar,
dass ein Arbeitsloser, der bereits Alg erhalte, wegen der verfassungsrechtlichen Bedenken gegen das Regelungskonzept des §
137 Abs
4 Satz 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung - (
SGB III) rechtzeitig in die Lage versetzt werden müsse, eine sachgerechte Entscheidung zu treffen, was einen das übliche Maß erheblich
übersteigenden Beratungsbedarf erfordere, weshalb ein solcher Hinweis über die übliche Aushändigung eines Merkblatts deutlich
hinausgehen müsse, die der besonderen Situation im Rahmen des Lohnsteuerklassenwechsels Verheirateter Rechnung zu tragen habe
und eine konkrete auf die Warnung folgende Beratung erforderlich mache, die dem Versicherten als Laien deutlich mache, in
welche leistungsrechtlichen Gefahren er sich im Arbeitsförderungsrecht bei einem steuerrechtlich sinnvollen Steuerklassenwechsel
mit seinem Ehepartner begebe.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil die als Zulassungsgrund geltend gemachte Divergenz (§
160 Abs
2 Nr
2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) nicht in der erforderlichen Weise bezeichnet worden ist (§
160a Abs
2 Satz 3
SGG). Die Beschwerde ist daher ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§
160a Abs
4 Satz 1
SGG, §
169 SGG).
Divergenz iS von §
160 Abs
2 Nr
2 SGG liegt nur vor, wenn sich tragende abstrakte Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind, widersprechen.
Sie kommt deshalb nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem abstrakten
Rechtssatz des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellt hat. Eine Abweichung
liegt folglich nicht schon dann vor, wenn die Entscheidung des LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen
begründet die Zulassung der Revision wegen Abweichung. Darüber hinaus verlangt der Zulassungsgrund der Divergenz, dass die
angefochtene Entscheidung des LSG auf der Abweichung beruht (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG). Die Beschwerdebegründung muss also, um der Darlegungspflicht zu genügen, erkennen lassen, welcher abstrakte Rechtssatz
in der angefochtenen Entscheidung enthalten ist, dass dieser Rechtssatz tragend ist und welcher in der Entscheidung des BSG enthaltene - tragende - Rechtssatz dazu im Widerspruch steht; ferner muss aufgezeigt werden, dass es im Revisionsverfahren
auf die Rechtsfrage ankommen wird (vgl nur BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 f mwN).
Mit seinem Vorbringen wird der Kläger diesen Darlegungserfordernissen nicht gerecht. Bei dem dem LSG zugeschriebenen Rechtssatz
handelt es sich nicht um einen abweichenden Rechtssatz. Vielmehr bezieht sich der Kläger auf tatsächliche Feststellungen des
LSG. Diese betreffen die konkrete Aufklärung des Klägers seitens der Beklagten über die Gefahren eines Steuerklassenwechsels
durch den Inhalt des übergebenen Merkblatts und die Hinweise im Bewilligungsbescheid. Die genannten tatsächlichen Feststellungen
hat das LSG gerade vor dem Hintergrund der vom Kläger genannten Entscheidung des BSG vom 1.4.2004 (BSGE 92, 267 ff = SozR 4-4300 § 137 Nr 1) getroffen. Es ist deshalb nicht ersichtlich, dass es von einem abweichenden Rechtssatz ausgegangen sein könnte. Soweit
der Kläger meint, das LSG habe einen Rechtssatz des BSG unzutreffend angewandt, eröffnet dies nicht die Revision.
Im Übrigen verkennt der Kläger, dass eine Verletzung der vom BSG begründeten besonderen Beratungspflicht nicht den Vorwurf einer grob fahrlässigen - wobei das Vorliegen einer groben Fahrlässigkeit
ohnedies revisionsrechtlich nur beschränkt überprüfbar ist (vgl: BSGE 97, 73 ff RdNr 24 = SozR 4-4300 § 144 Nr 15; SozR 4-4300 § 122 Nr 5 RdNr 14; SozR 4-4300 § 144 Nr 24 RdNr 32) - Mitteilungspflichtverletzung
in Frage stellen würde, sondern allenfalls Grundlage für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch sein könnte (BSGE 92,
267 ff RdNr 36 ff = SozR 4-4300 § 137 Nr 1); dazu ist aber nichts vorgetragen. Vor diesem Hintergrund wäre der Senat auch nicht
in der Lage, die Entscheidungserheblichkeit der behaupteten Abweichung zu beurteilen, also ob die Entscheidung des LSG bei
Berücksichtigung des dem BSG zugeschriebenen Rechtssatz anders hätte ausfallen müssen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.