Versicherungspflicht eines ehrenamtlich beschäftigten stellvertretenden Landrats in Bayern zur Arbeitslosenversicherung
Gründe:
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beigeladene zu 2. in seiner Tätigkeit als gewählter stellvertretender Landrat eines
Landkreises in Bayern der Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung unterlag, und über eine Beitragsnachforderung.
Der Beigeladene zu 2. war Erster Bürgermeister der Gemeinde M. und insoweit Beamter auf Zeit. Daneben übte er nach den Vorgaben
der Landkreisordnung für den Freistaat Bayern und der Geschäftsordnung des Kreistages für den Landkreis Bamberg das (Ehren)Amt des (vom Kreistag
aus seiner Mitte) gewählten Stellvertreters des Landrats des klagenden Landkreises Bamberg aus. Als solcher war er Ehrenbeamter
des Landkreises und erhielt von diesem auf der Grundlage des bayerischen Gesetzes über kommunale Wahlbeamte nach dem Maß seiner
besonderen Inanspruchnahme eine monatliche Entschädigung. Diese betrug ab 1.1.2000 1.574,66 DM im Monat und wurde zuletzt
am 1.7.2003 auf 1.126,40 Euro im Monat erhöht.
Im Anschluss an eine Betriebsprüfung bei dem Kläger stellte der beklagte Rentenversicherungsträger mit Bescheid vom 15.9.2004
ua fest, dass der Beigeladene zu 2. in der Zeit vom 1.1.2000 bis zum 31.12.2003 (Prüfzeitraum) als stellvertretender Landrat
bei dem Kläger beschäftigt und in dieser Beschäftigung in der gesetzlichen Renten- und Arbeitslosenversicherung versicherungspflichtig
gewesen sei, und forderte für diesen Beiträge in Höhe von insgesamt 10.555,98 Euro nach. Auf den Widerspruch des Klägers hob
die Beklagte diesen Bescheid mit Bescheid vom 11.3.2005 im Umfang der von ihr getroffenen Feststellung zur Rentenversicherungspflicht
und der Rentenversicherungsbeiträge auf und reduzierte ihre Beitragsnachforderung für den Beigeladenen zu 2. auf 2.663,23
Euro. Mit Widerspruchsbescheid vom 17.5.2005 wies die Beklagte den Widerspruch im Übrigen, also soweit er die Arbeitslosenversicherung
betraf, zurück.
Der Kläger hat Klage mit dem Antrag erhoben, unter Abänderung der angefochtenen Bescheide festzustellen, dass der Beigeladene
zu 2. in der streitigen Zeit nicht versicherungspflichtig zur Arbeitslosenversicherung gewesen sei. Mit Urteil vom 7.2.2007
hat das Sozialgericht (SG) der Klage stattgegeben. Im Berufungsverfahren hat das Landessozialgericht (LSG) ua die Bundesagentur für Arbeit beigeladen
(Beigeladene zu 1.). Mit Urteil vom 25.11.2008 hat es die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im
Wesentlichen ausgeführt: Der Beigeladene zu 2. sei in seiner Tätigkeit als vom Kreistag gewählter Stellvertreter des Landrats
in der Arbeitslosenversicherung nicht versicherungs- und beitragspflichtig gewesen. Für ihn habe vielmehr Versicherungsfreiheit
nach §
27 Abs
3 Nr
4 SGB III bestanden. Zwar benenne diese Vorschrift nur ehrenamtliche Bürgermeister und ehrenamtliche Beigeordnete. In Bayern gehöre
zu diesem Personenkreis jedoch auch der stellvertretende Landrat. Dieser sei Beigeordneten in den Kommunalverfassungen anderer
Bundesländer gleichzusetzen bzw entspreche ihnen mit der Folge, dass §
27 Abs
3 Nr
4 SGB III über seinen Wortlaut hinaus auf diesen anzuwenden sei. Im Übrigen habe seine Tätigkeit nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift
und hätten aufgrund eines politischen Wahlamtes ehrenamtlich Beschäftigte nach dem Willen des Gesetzgebers in der Arbeitslosenversicherung
versicherungsfrei bleiben sollen. Mit der Einfügung der Nummer
4 in §
27 Abs
3 SGB III habe der Gesetzgeber verhindern wollen, dass aufgrund eines solchen Wahlamtes ehrenamtlich Tätige Ansprüche auf Entgeltersatzleistungen
der Arbeitslosenversicherung erhielten, weil die Arbeitslosenversicherung der besonderen Art dieser Beschäftigung nach seiner
Bewertung nicht gerecht werden könne.
Die Beigeladene zu 1. hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und rügt eine Verletzung von §
27 Abs
3 Nr
4 SGB III. Nach der anlässlich der Einfügung dieser Bestimmung gegebenen amtlichen Begründung habe Versicherungsfreiheit nur für ehrenamtliche
Bürgermeister und Beigeordnete in kleineren und mittleren Gemeinden angeordnet werden sollen, nicht jedoch für ehrenamtlich
Tätige auf Kreisebene. Auch entspreche die rechtliche Stellung des Beigeladenen zu 2. als stellvertretender Landrat in Bayern
im Hinblick auf seinen Aufgabenbereich nicht derjenigen eines Beigeordneten in anderen Bundesländern. Eine analoge Anwendung
der Ausnahmevorschrift des §
27 Abs
3 Nr
4 SGB III auf den Beigeladenen zu 2. komme mangels Regelungslücke nicht in Betracht und sei auch aus Billigkeitsgründen nicht geboten.
Die Beigeladene zu 1. beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 25.11.2008 - L 5 KR 151/07 - sowie das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 7.2.2007 - S 6 KR 5019/05 - aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision der Beigeladenen zu 1. zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Berufungsurteil für zutreffend. Es gehe nicht um eine Analogie, sondern um die richtige Auslegung
des §
27 Abs
3 Nr
4 SGB III. Stellvertretende Landräte in Bayern seien in den persönlichen Anwendungsbereich der Vorschrift einzubeziehen, weil der Gesetzgeber
allgemein die nicht allzu hohen Aufwandspauschalen ehrenamtlich Tätiger nicht noch mit Sozialversicherungsabgaben habe belasten
wollen.
Die Beklagte und die Beigeladenen zu 2. und 3. haben keinen Antrag gestellt.
II
Die Revision der Beigeladenen zu 1. ist unbegründet. Zutreffend hat das LSG die Berufung der Beklagten gegen das der Klage
stattgebende Urteil des SG zurückgewiesen. Soweit er angefochten ist, ist der Bescheid der Beklagten vom 15.9.2004 in der Gestalt ihres Änderungsbescheides
vom 11.3.2005 und des Widerspruchsbescheides vom 17.5.2005 rechtswidrig. Der Beigeladene zu 2. unterlag in der streitigen
Zeit in seiner Tätigkeit als gewählter Stellvertreter des Landrats des klagenden Landkreises Bamberg nicht der Versicherungspflicht
(und Beitragspflicht) in der Arbeitslosenversicherung (ArblV). Zwar war er dem Grunde nach versicherungspflichtig, jedoch
nach §
27 Abs
3 Nr
4 SGB III in dieser Tätigkeit versicherungsfrei.
1. Gegenstand des Verfahrens war der Bescheid der Beklagten vom 15.9.2004 über die Feststellung von Versicherungspflicht und
die Nachforderung von Beiträgen nur, soweit es den Beigeladenen zu 2. und darüber hinaus den Zeitraum vom 1.1.2000 bis zum
31.12.2003 betrifft. Nachdem die Beklagte im Widerspruchsverfahren diesen Bescheid im Umfang ihrer Feststellungen zur Rentenversicherungspflicht
und der Nachforderung von Rentenversicherungsbeiträgen aufgehoben hat, war auch nur (noch) für den Bereich der ArblV zu entscheiden.
2. Die Tätigkeit des Beigeladenen zu 2. als stellvertretender Landrat des Klägers begründete in der Zeit von 1.1.2000 bis
zum 31.12.2003 grundsätzlich Versicherungspflicht (und Beitragspflicht) in der ArblV (dazu a). Der Beigeladene zu 2. war jedoch
nach §
27 Abs
3 Nr
4 SGB III in dieser ausnahmsweise versicherungsfrei (und beitragsfrei) (dazu b). Im Rahmen der Betriebsprüfung war die Beklagte als
Rentenversicherungsträger gemäß § 28p Abs 1 Satz 5
SGB IV befugt, über die Versicherungspflicht und Beitragshöhe im Recht der Arbeitsförderung durch Verwaltungsakt gegenüber dem Kläger
als Arbeitgeber des Beigeladenen zu 2. zu entscheiden.
13 a) In den Jahren 2000 bis 2003, um die es hier geht, unterlagen Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt waren, in
der ArblV nach §
25 Abs
1 SGB III (ab 1.1.2002: §
25 Abs
1 Satz 1
SGB III) der Versicherungs- und Beitragspflicht. Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist §
7 Abs
1 Satz 1
SGB IV.
Der Senat hat in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum Leistungsrecht in ständiger Rechtsprechung
entschieden, dass Träger eines Ehrenamtes im kommunalen Bereich grundsätzlich in einer abhängigen Beschäftigung iS von §
7 Abs
1 SGB IV stehen, wenn sie über Repräsentationsfunktionen hinaus (auch) dem allgemeinen Erwerbsleben zugängliche Verwaltungsaufgaben
wahrnehmen und hierfür eine den tatsächlichen Aufwand übersteigende pauschale Aufwandsentschädigung erhalten (vgl zuletzt
- auch zur Rechtsprechungsentwicklung - Urteil des Senats vom 25.1.2006, B 12 KR 12/05 R, SozR 4-2400 § 7 Nr 6 RdNr 15, mwN). Weder deren - kommunalrechtliche - Rechtsstellung als Organ oder Mitglied eines Organs
einer (Gebiets)Körperschaft des öffentlichen Rechts noch die Zahlung einer pauschalen Aufwandsentschädigung ohne Bezug zu
einem konkreten Verdienstausfall schließen danach die Annahme einer versicherungspflichtigen und beitragspflichtigen Beschäftigung
aus. Ist der ehrenamtlich Tätige (außerdem) in ein Ehrenbeamtenverhältnis berufen, steht auch dieser - beamtenrechtliche -
Status der Annahme einer Beschäftigung nicht entgegen. Denn auch der in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis stehende
(Berufs)Beamte ist im sozialversicherungsrechtlichen Sinne Beschäftigter und deswegen in der Sozialversicherung wie in der
ArblV dem Grunde nach versicherungspflichtig (vgl etwa Urteil des Senats vom 22.2.1996, 12 RK 6/95, BSGE 78, 34, 35 = SozR 3-2940 § 2 Nr 5 S 25 f). Ob der Aufgabenbereich des ehrenamtlich Tätigen durch die weisungsgebundene Wahrnehmung
von Verwaltungsaufgaben geprägt ist, ist aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung
der Ausgestaltung des Ehrenamts in der Kommunalverfassung des jeweiligen Bundeslandes zu beurteilen (vgl Urteil des Senats
vom 25.1.2006, B 12 KR 12/05 R, aaO, und vom 22.2.1996, 12 RK 6/95, aaO).
Dieses zugrunde gelegt, bestehen gegen die vom LSG vorgenommene Beurteilung der von dem Beigeladenen zu 2. ausgeübten ehrenamtlichen
Tätigkeit eines stellvertretenden Landrats eines Landkreises in Bayern als abhängige Beschäftigung iS von §
7 Abs
1 SGB IV keine durchgreifenden Bedenken. Es ist nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht auf der Grundlage des von ihm festgestellten
und damit grundsätzlich bindenden Inhalts der nicht revisiblen Vorschriften der Landkreisordnung für den Freistaat Bayern (dort Art 33, 34) und seiner Feststellungen zu den vom Kreistag (nach Maßgabe seiner Geschäftsordnung) übertragenen Angelegenheiten davon
ausgegangen ist, dass der Beigeladene zu 2. im Vertretungsfall (vgl Art 33 Satz 3) wie der Landrat selbst (vgl Art 34) in
erheblichem Umfang mit weisungsgebundenen Verwaltungsaufgaben befasst war, die seiner ehrenamtlichen Tätigkeit das Gepräge
gaben. Erkennbar wird diese Beurteilung des LSG von den Beteiligten, vor allem auch von dem Kläger, nicht in Frage gestellt.
b) Der Beigeladene zu 2. war jedoch in dieser Beschäftigung nach §
27 Abs
3 Nr
4 SGB III in der ArblV versicherungsfrei. Als - vom Kreistag aus seiner Mitte - gewählter Stellvertreter des Landrats des Klägers gehört
er zu dem Personenkreis, der in dieser Bestimmung mit dem Begriff "ehrenamtlicher Beigeordneter" bezeichnet ist. Wie das Berufungsgericht
zutreffend ausführt, ergibt dies eine Auslegung des §
27 Abs
3 Nr
4 SGB III nach seinem Sinn und Zweck (dazu bb). Diesem weiten Verständnis des Begriffs "ehrenamtlicher Beigeordneter" aufgrund teleologischer
Erwägungen steht der Wortlaut der Vorschrift nicht entgegen (dazu aa).
aa) Zu Recht geht auch die Revision davon aus, dass ein eindeutiger Wortsinn des Begriffs "ehrenamtlicher Beigeordneter" in
§
27 Abs
3 Nr
4 SGB III nicht zu ermitteln ist. Weder findet sich eine gesetzliche Festlegung im Recht der ArblV oder im Sozialversicherungsrecht
noch ist ersichtlich, dass §
27 Abs
3 Nr
4 SGB III für den Bereich der ArblV an eine Definition in anderen Gesetzen anknüpft, die in hinreichendem Maße konturiert wäre. Zwar
besteht im Sozialrecht eine grundsätzliche Verpflichtung, solche Begriffe bei der Auslegung und Anwendung sozialrechtlicher
Vorschriften zugrunde zu legen, wenn - wie hier - eine spezialgesetzliche Ermächtigung fehlt, von den dahinter stehenden (fach)gesetzlichen
Wertungen für das Sozialrecht abzuweichen. Jedoch ist ein abgrenzbarer bzw für die Vornahme von Abgrenzungen geeigneter Begriff
des "ehrenamtlichen Beigeordneten" im - hier maßgeblichen - kommunalen Bereich, auf den zugegriffen werden könnte, nicht feststellbar.
Der Begriff des "ehrenamtlichen Beigeordneten" im kommunalen Bereich ist nicht bundesrechtlich, sondern landesrechtlich, hier
durch das Kommunal(verfassungs)recht des jeweiligen Bundeslandes geprägt. Lässt sich jedenfalls als Kennzeichen "ehrenamtlicher
Tätigkeit" im Allgemeinen noch herausstellen, dass eine solche nebenberuflich, unbesoldet und in der Regel vorübergehend oder
doch zeitlich befristet ausgeübt wird, so können für den Begriff (ehrenamtlicher) "Beigeordneter" gemeinsame prägende Merkmale
nicht nachgewiesen werden. Zwar werden Beigeordnete nach dem einschlägigen Sprachgebrauch (des Kommunalrechts) und dem möglichen
Wortsinn im weiteren Sinne zur Unterstützung, Entlastung und Vertretung bei der Leitung kommunaler Gebietskörperschaften und/oder
ihrer Verbände tätig. Die konkrete Verwendung des Begriffs und die rechtliche Ausgestaltung der Tätigkeit des "Beigeordneten"
sind jedoch in den Bundesländern sehr unterschiedlich. Insoweit handelt es sich um einen (Sammel)Begriff, der in seinem Kern
höchst Unterschiedliches zusammenfasst. Beigeordnete konnten bzw können von der kommunalen Volksvertretung gewählt oder aber
für ihr Amt bestellt werden, sie können fest bestellt oder (jederzeit) abrufbar, im Übrigen ehrenamtlich oder - nach einer
beamtenrechtlichen Ernennung - hauptberuflich als kommunale Zeitbeamte oder nebenberuflich als Ehrenbeamte tätig sein. Sie
waren bzw sind nur in der Regel keine eigenständigen Organe der Kommunalverfassung, sondern (lediglich) fachspezifische Ressortvertreter.
Ihr Einsatz konnte bzw kann gesetzlich vorgeschrieben oder fakultativ sein. Sie konnten bzw können auf der Gemeindeebene als
unterster kommunaler Ebene ebenso wie auf anderen kommunalen Ebenen, etwa derjenigen des Landkreises, Bedeutung erlangen und
hier, worauf das LSG zutreffend hingewiesen hat, die Bezeichnung "Beigeordneter", aber auch andere Bezeichnungen führen. Infolgedessen
greift auch der von der Revision unter Hinweis auf den Wortsinn vorgetragene Einwand nicht durch, dass in §
27 Abs
3 Nr
4 SGB III jedenfalls mit der Bezugnahme auf den ehrenamtlichen "Bürgermeister" insgesamt nur die Gemeindeebene gemeint, und damit auch
lediglich Beigeordnete auf Gemeindeebene erfasst seien.
bb) Die vom Senat vorgenommene erweiternde Auslegung des §
27 Abs
3 Nr
4 SGB III, wonach auch der Beigeladene zu 2., der nach den Feststellungen des LSG vom Kreistag des Klägers gewählter Stellvertreter
des Landrats ist, dem mit "ehrenamtlicher Beigeordneter" umschriebenen Kreis versicherungsfreier Personen zuzuordnen ist,
ist indessen unter teleologischen Gesichtspunkten geboten. Im Hinblick auf den mit dieser Vorschrift verfolgten Zweck, (jedenfalls)
aufgrund eines kommunalen Wahlamtes ehrenamtlich ausgeübte Beschäftigungen als in der ArblV versicherungsfrei zu erfassen,
ist es konsequent, auch Personen wie den Beigeladenen zu 2. nach Maßgabe dieser Norm von der Versicherungspflicht in der ArblV
auszunehmen.
Bis zur Änderung der Rechtslage durch das Arbeitsförderungs-Reformgesetz (AFRG) vom 24.3.1997 (BGBl I S 594) ab 1.4.1997 waren Beschäftigte, darunter auch Personen wie der Beigeladene zu 2., in aller
Regel beitragsfrei zur Bundesanstalt für Arbeit, wenn der zeitliche Umfang ihrer Beschäftigung regelmäßig unter 18 Stunden
wöchentlich und damit unter der für die Beitragspflicht nach dem Arbeitsförderungsgesetz (AFG) maßgeblichen Kurzzeitigkeitsgrenze (vgl §§ 102, 169a Abs 1 AFG) lag. Mit dem Entfall der Kurzzeitigkeitsgrenze und der Umstellung auf die Geringfügigkeitsgrenze nach §
8 SGB IV zunächst - ab 1.4.1997 - in § 169a Abs 1 AFG, sodann - ab 1.1.1998 - in §
27 Abs
2 SGB III wurde die Schwelle für die Versicherungs- und Beitragspflicht in der ArblV deutlich nach unten verschoben. Danach war Versicherungspflicht
bereits bei einer Beschäftigungszeit von 15 Stunden wöchentlich bzw bei einem Arbeitsentgelt von regelmäßig mehr als einem
Siebtel der monatlichen Bezugsgröße (im Jahr 1997: 610 DM in den alten und 520 DM in den neuen Bundesländern) begründet. Mit
der Übernahme der Geringfügigkeitsgrenze in die ArblV sollte der soziale Schutz von Teilzeitbeschäftigten, die bisher unterhalb
der Kurzzeitigkeitsgrenze, aber mehr als geringfügig beschäftigt waren, verbessert werden (vgl BR-Drucks 550/96 S 158). Mit
Wirkung ab 1.1.1998 wurde §
27 Abs
3 SGB III durch Art 1 Nr 6 Buchst b des Ersten Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze (1.
SGB III-ÄndG) vom 16.12.1997 (BGBl I S 2970) um eine Nummer 4 ergänzt, wonach auch Personen in einer Beschäftigung als ehrenamtlicher
Bürgermeister oder ehrenamtlicher Beigeordneter in der ArblV versicherungsfrei sind. Mit dieser, erst während des Gesetzgebungsverfahrens
durch den Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuss) des Deutschen Bundestages angeregten Änderung sollten Auswirkungen
der durch das AFRG eingeführten Versicherungspflicht in der ArblV vermieden werden, die dem besonderen Charakter dieser, von einer politischen
Wahl bestimmten Beschäftigungen nicht gerecht würden (vgl Beschlussempfehlung und Bericht, BT-Drucks 13/8994 S 60). In seiner
Stellungnahme hob der Ausschuss die aufgrund der Gemeindeordnungen verschiedener Bundesländer in kleineren und mittleren Gemeinden
als ehrenamtlicher Bürgermeister oder ehrenamtlicher Beigeordneter Beschäftigten hervor, die wegen der Entschädigung für das
Ehrenamt nunmehr der Versicherungspflicht unterlägen und dadurch - ungewollt - aufgrund ihres politischen Wahlamtes Ansprüche
auf Entgeltersatzleistungen der ArblV erwürben (vgl BT-Drucks 13/8994 S 60).
Entgegen der von der Revision vertretenen Auffassung werden von §
27 Abs
3 Nr
4 SGB III nach seinem Sinn und Zweck - neben ehrenamtlichen Bürgermeistern - nicht nur ehrenamtliche Beigeordnete erfasst, die im jeweiligen
Kommunal(verfassungs)recht technisch als solche bezeichnet werden und darüber hinaus auch nur jene, die auf Gemeindeebene
beschäftigt sind. Im Hinblick auf den Zweck der Vorschrift, Ansprüche auf Entgeltersatzleistungen (jedenfalls) aufgrund eines
politischen Wahlamtes ehrenamtlich Beschäftigter als Auswirkungen ihrer Einbeziehung in die Versicherungspflicht zu vermeiden,
wird von ihr nämlich nicht nur eine Regelung für den Personenkreis ehrenamtlich Beschäftigter im kommunalen Bereich getroffen,
der bis zum Entfall der Kurzzeitigkeitsgrenze zum 31.3.1997 in der ArblV beitragsfrei geblieben war. Nach dem Normprogramm
des §
27 Abs
3 Nr
4 SGB III fallen unter diese Vorschrift vielmehr (jedenfalls) alle ehrenamtlichen Beschäftigungen, deren Grundlage ein (politisches)
Wahlamt und für die infolge der Rechtsänderung nunmehr dem Grunde nach Versicherungspflicht angeordnet ist. Hierzu gehören
seitdem im kommunalen Bereich mithin alle gewählten Ehrenamtlichen, die oberhalb der jeweils geltenden Geringfügigkeitsgrenzen
beschäftigt sind. Dem eingangs dargestellten Ziel des §
27 Abs
3 Nr
4 SGB III, eine Anspruchsberechtigung in der ArblV insgesamt zu verhindern, steht eine Differenzierung nach Gemeinde- und Kreisebene,
wie sie die Revision vornimmt, oder - innerhalb des gemeindlichen Bereichs - nach kleineren und mittleren Gemeinden auf der
einen und großen Gemeinden auf der anderen Seite entgegen.
Gegen diese Auslegung, nach der zu dem mit "ehrenamtlicher Beigeordneter" gekennzeichneten Personenkreis nach dem Sinn und
Zweck des §
27 Abs
3 Nr
4 SGB III jedenfalls auch Personen wie der Beigeladene zu 2. gehören, kann nicht eingewandt werden, die - genannten - den Gesetzgeber
leitenden "wertenden Gesichtspunkte" hätten in den gesetzlichen Tatbestand der Ausnahmevorschrift keinen Eingang gefunden.
Wie bereits dargelegt (siehe oben 2. b) aa), ist ein eindeutiger Wortsinn des in der Vorschrift verwandten Begriffs "ehrenamtlicher
Beigeordneter" nicht zu ermitteln. Hinzu kommt, dass der nunmehr in Nummer 4 genannte, in der ArblV versicherungsfreie Personenkreis
(zunächst) in einem ganz anderen Zusammenhang Bedeutung erlangt hatte. Er ist dann später - ohne weitere Begründung - als
Personenkreis, den es in der ArblV besonders zu behandeln galt, in das Regelungskonzept des §
27 Abs
3 SGB III übernommen worden.
Die Initiative zur Prüfung, welche Nachteile sich für ehrenamtlich Tätige, insbesondere ehrenamtliche Bürgermeister und Beigeordnete,
mit der Einführung der Versicherungspflicht in der ArblV und damit der Erweiterung ihrer Beitragspflicht durch das AFRG ergaben und ob und gegebenenfalls wie diese beseitigt werden konnten, geht auf eine Stellungnahme des Bundesrates (vgl BR-Drucks
604/97 S 3) zu dem Fraktionsentwurf des 1.
SGB III-ÄndG (vgl BT-Drucks 13/8012; textidentisch mit dem Regierungsentwurf, BT-Drucks 13/8653) zurück. Darin hatte der Bundesrat
eine Aufhebung der in §
150 Abs
2 Nr
3 SGB III geregelten Befristung der Gewährung von Teilarbeitslosengeld auf sechs Monate empfohlen, weil diese Schlechterstellung "auch
ehrenamtlich Tätige mit einer mehr als geringfügigen steuerpflichtigen Aufwandsentschädigung" treffe. Zuvor hatte der Ausschuss
für Innere Angelegenheiten des Bundesrates diesem die Feststellung nahegelegt (vgl Niederschrift Nr 37/97 der 727. Sitzung
am 11./12.9.1997 S 46 f), dass "die Erweiterung der Beitragspflicht ... durch das AFRG zu nicht unerheblichen Nachteilen für Personen führen kann, die ein Ehrenamt ausüben". Alle ehrenamtlich Tätigen, deren steuerpflichtige
Aufwandsentschädigung über dem Betrag von 610/520 DM liege, verlören ihren Anspruch auf Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe
aus der Hauptbeschäftigung, wenn sie das Ehrenamt während der Arbeitslosigkeit weiter ausübten. Der Anspruch auf Teilarbeitslosengeld,
der nur für sechs Monate gelte, könne diesen Verlust nicht auffangen. Besonders betroffen davon seien zum Beispiel ehrenamtlich
tätige Bürgermeister und Beigeordnete. Daher könne die Regelung dem ehrenamtlichen Engagement erheblichen Schaden zufügen.
Der Ausschuss hatte die Aufnahme einer Ausnahme in Anlehnung an §
118 Abs
3 Satz 2
SGB III (in der seinerzeit geltenden Fassung) empfohlen. In ihrer Gegenäußerung zu der Stellungnahme des Bundesrates hatte die Bundesregierung
dem auf Aufhebung der Begrenzung des Teilarbeitslosengeldes gerichteten Vorschlag des Bundesrates nicht zugestimmt; stattdessen
war von ihr eine (neue) Prüfung der mit der Rechtsänderung durch das AFRG verbundenen Nachteile "insbesondere für ehrenamtliche Bürgermeister und Beigeordnete" zugesagt worden (vgl BT-Drucks 13/8794
S 3). Der ursprüngliche Vorschlag einer Verbesserung im Leistungsrecht für "ehrenamtliche Bürgermeister" und "ehrenamtliche
Beigeordnete" bei Arbeitslosigkeit in der Hauptbeschäftigung ist später - in abgewandelter Form - mit der Neufassung des Absatzes
2 des §
118 SGB III zum 1.1.1998 wieder aufgegriffen worden. Außerdem ist diese Änderung - wie bereits erörtert (siehe oben 2. b) bb) - auf Anregung
des 11. Ausschusses des Deutschen Bundestages durch die Herausnahme dieses Personenkreises aus der dem Grunde nach bestehenden
Versicherungspflicht in der ArblV, also durch eine Änderung im Mitgliedschaftsrecht, ergänzt worden.
Standen ursprünglich die Folgen der Arbeitslosigkeit in der Hauptbeschäftigung ehrenamtlich Tätiger im Vordergrund sowie das
Ziel, dem ehrenamtlichen Engagement durch die Versagung von Entgeltersatzleistungen keinen erheblichen Schaden zuzufügen,
so ist für diesen Personenkreis später die gesetzliche Anordnung von Versicherungsfreiheit in der ArblV hinzugetreten mit
dem Ziel, ihm den Zugang zu Entgeltersatzleistungen bei Arbeitslosigkeit in der ehrenamtlichen Tätigkeit zu versperren, weil
die ArblV dem besonderen Charakter dieser, von einer politischen Wahl bestimmten Beschäftigung nicht gerecht werde (vgl BT-Drucks
13/8994 S 60). Wird aber - wie hier - bei einer Auswechslung/einem Austausch oder einer Veränderung des gesetzessystematischen
Zusammenhangs der Adressatenkreis, der Gegenstand des ursprünglichen Regelungskonzepts war, ohne weitere Begründung als Adressatenkreis
in ein anderes Regelungskonzept übernommen, so lassen sich dem Belege für eine klare Orientierung des Gesetzes in der Frage
seines personellen Anwendungsbereichs regelmäßig nicht (mehr) entnehmen. Ein solcher Ablauf im Gesetzgebungsverfahren deutet
vielmehr darauf hin, dass der Wahl von Gesetzesbegriffen in einem solchen Fall eine für deren Deutung erforderliche bestimmte
Vorstellung des Gesetzgebers nicht (mehr) zugrunde gelegen hat.
Für das vom Senat gefundene Auslegungsergebnis, wonach Personen wie der Beigeladene zu 2. in die als "ehrenamtliche Beigeordnete"
bezeichnete Gruppe Versicherungsfreier einzubeziehen sind, spricht demgegenüber, dass es andernfalls der Landesgesetzgeber
in der Hand hätte, über die Verwendung technischer Bezeichnungen für im Rahmen eines kommunalen Wahlamtes ehrenamtlich ausgeübte
Beschäftigungen den persönlichen Anwendungsbereich des §
27 Abs
3 Nr
4 SGB III zu bestimmen. Käme es, wie die Revision meint, auf die Bezeichnung "ehrenamtlicher Beigeordneter" in den jeweiligen Kommunalgesetzen
an, so könnte der Landesgesetzgeber durch ihre restriktive Verwendung oder durch Nichtverwendung dieser Bezeichnung für entsprechende
ehrenamtliche Beschäftigungen, was nach Sinn und Zweck des §
27 Abs
3 Nr
4 SGB III (gerade) nicht gewollt ist, in großem Umfang Versicherungspflicht in der ArblV - und damit für die Zeit nach Beendigung des
Ehrenamtes infolge Abwahl oder Fristendes - Ansprüche auf Entgeltersatzleistungen der ArblV begründen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren war gemäß §
197a Abs
1 Satz 1 Halbsatz 1
SGG iVm § 63 Abs 2, § 52 Abs 1 und 3, § 47 Gerichtskostengesetz unter Berücksichtigung der von der Beklagten geltend gemachten Beitragsnachforderung festzusetzen.