Rückwirkende Erstattung von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung infolge des Eintritts von Versicherungsfreiheit
Beginn der Versicherungsfreiheit bei Abschluss eines Versorgungsvertrages mit rückwirkender Versorgungszusage
Monat des Vertragsschlusses
Gründe:
I
In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten über die (rückwirkende) Erstattung
von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) infolge des Eintritts von Versicherungsfreiheit.
Die Klägerin ist bei der zu 2. beigeladenen L. beschäftigt. Die Beigeladene stellte zum 31.3.2009 ihre frühere Praxis ein,
langjährig Beschäftigten eine Versorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen anzubieten. Das BAG erklärte in Musterverfahren
diese Vorgehensweise für rechtswidrig und sprach den betroffenen Arbeitnehmern einen Anspruch auf Abschluss eines Versorgungsvertrags
nach beamtenrechtlichen Grundsätzen aufgrund betrieblicher Übung zu (Urteile vom 15.5.2012 - ua 3 AZR 610/11 - BAGE 141, 222). Das Arbeitsgericht München verurteilte die Beigeladene zu 2., der Klägerin mit Wirkung vom 14.10.2011 eine Versorgungszusage
zu gewähren. Daraufhin vereinbarten diese am 2./7.7.2012 eine Versorgungszusage rückwirkend zum 1.11.2011.
Den Antrag der Klägerin auf Erstattung zu Unrecht zur GRV entrichteter Beiträge in Höhe des Arbeitnehmeranteils lehnte die
beklagte Krankenkasse als Einzugsstelle für die Zeit vom 1.11.2011 bis zum 30.6.2012 ab, weil der Versorgungsvertrag erst
im Juli 2012 geschlossen worden sei (Bescheid vom 25.3.2013). Den Widerspruch hiergegen wies sie zurück (Widerspruchsbescheid
vom 29.5.2013).
Das SG München hat die Beklagte zur Beitragserstattung verurteilt (Urteil vom 13.11.2014). Das Bayerische LSG hat auf die
Berufungen der Beklagten und der zu 1. beigeladenen Deutschen Rentenversicherung Bund das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. §
5 Abs
1 S 4
SGB VI schließe eine Versicherungsfreiheit und damit eine Beitragserstattung für Zeiträume vor Abschluss eines Versorgungsvertrags
aus (Urteil vom 16.1.2018). Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde.
II
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung des LSG ist unbegründet und daher zurückzuweisen.
Der von der Klägerin allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) liegt nicht vor.
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine abstrakt-generelle Rechtsfrage aufwirft, deren Klärung
über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse
erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (stRspr; vgl nur BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN). Die von der Klägerin aufgeworfenen Fragen,
"ab welchem Zeitpunkt die Versicherungsfreiheit aufgrund des Abschluss eines Versorgungsvertrages mit rückwirkender Versorgungszusage
eintritt" und
"Kann der Eintritt der Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Rentenversicherung gem. §
5 Abs.
1 Nr.
2 SGB VI und die in §
5 Abs.
1 Satz 4
SGB VI vorausgesetzte Gewährleistung von Anwartschaften auch durch Erfüllung eines mit Rechtskraft festgestellten Anspruches auf
Gewährung von beamtenrechtlichen Versorgungsleistungen nach den Grundsätzen der betrieblichen Übung begründet werden?",
sind jedenfalls nicht klärungsbedürftig. Eine Rechtsfrage ist dann als nicht klärungsbedürftig anzusehen, wenn die Antwort
praktisch außer Zweifel steht, dh sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt (vgl BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 11 und BSG Beschluss vom 21.1.1993 - 13 BJ 207/92 - SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17). Ob das der Fall ist, bestimmt sich nach dem Gesetzeswortlaut, der Rechtssystematik sowie den Gesetzesmaterialien
(vgl BSG Beschluss vom 20.6.2013 - B 5 R 462/12 B - BeckRS 2013, 70651 RdNr 10).
Bereits der Wortlaut des §
5 Abs
1 S 4
SGB VI (idF des Gesetzes zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes vom 11.4.2002 [BGBl I 1302], als S 3 eingefügt) beantwortet die von der Klägerin aufgeworfene Frage nach dem Beginn der Versicherungsfreiheit
in der GRV. Danach begründet die Gewährleistung von Anwartschaften die Versicherungsfreiheit von Beginn des Monats an, in
dem die Zusicherung der Anwartschaften vertraglich erfolgt. Die Gesetzesfassung ist damit nicht offen, sondern knüpft an den
Monat des Vertragsschlusses und nicht an den Monat an, ab dem Anwartschaften vertraglich eingeräumt werden.
Diese Wortlautauslegung wird durch den in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Willen gestützt
und - entgegen der Auffassung der Klägerin - nicht verdrängt. §
5 Abs
1 S 4
SGB VI beseitigt vormals aufgetretene Auslegungsprobleme, die im Zusammenhang mit der Verleihung rückwirkender Anwartschaften auf
eine beamtenähnliche Versorgung entstanden waren. Die Vorschrift soll sicherstellen, dass eine solche Anwartschaft nicht zu
Lasten der Versichertengemeinschaft rückwirkend für Zeiten verliehen wird, in denen die GRV das Risiko vorzeitiger Erwerbsminderung
und vorzeitigen Todes tatsächlich getragen, eine Anwartschaft auf eine beamtenähnliche Versorgung aus einer "ex ante" Betrachtung
aber nicht bestanden hat (BT-Drucks 14/8133 S 4 f). Damit wird deutlich, dass eine rückwirkende Versicherungsfreiheit durch
mit Wirkung für die Vergangenheit begründete Versorgungsanwartschaften ausgeschlossen sein soll.
Die weitere Frage nach der Bedeutung der arbeitsrechtlichen Rechtsfigur der "betrieblichen Übung" für die streitige Versicherungsfreiheit
lässt sich anhand sozial(versicherungs)rechtlicher Grundsätze beantworten. Nach dem rechtsstaatlichen Grundsatz des Gesetzesvorbehalts
(§
31 SGB I) dürfen Rechte und Pflichten in den Sozialleistungsbereichen des SGB nur begründet, festgestellt, geändert oder aufgehoben
werden, soweit ein Gesetz es vorschreibt oder zulässt. Für eine Abweichung von der ausdrücklichen Regelung des §
5 Abs
1 S 4
SGB VI und dessen Regelungsgedanke ohne gesetzliche Grundlage allein nach Maßgabe der Rechtsfigur der "betrieblichen Übung" ist
daher kein Raum. Ungeachtet dessen ist die Sozialversicherung durch den Grundsatz der Vorhersehbarkeit und Planbarkeit des
Finanzierungsaufkommens gekennzeichnet. Mit diesem Grundsatz sind Verträge (privater) Dritter, durch die einem Sozialversicherungsträger
ohne dessen Beteiligung langjährig rückwirkend Beiträge in erheblichem Umfang entzogen werden, nicht zu vereinbaren. Wegen
der von der GRV geschützten Risiken der Erwerbsminderung und des Todes liefe die von der Klägerin begehrte Beitragsrückabwicklung
auf die Anerkennung einer beitragsfreien öffentlich-rechtlichen Risikoabsicherung durch ein umlagefinanziertes Versicherungssystem
einer Solidargemeinschaft hinaus. Eine nachträgliche Reduzierung des Beitragsaufkommens würde rückwirkend auf die Finanzierbarkeit
der Sozialversicherungssysteme als ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut (für die gesetzliche Krankenversicherung vgl
BVerfG Beschluss vom 13.9.2005 - 2 BvF 2/03 - BVerfGE 114, 196, 248) Einfluss nehmen.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung
beizutragen (§
160a Abs
4 S 2 Halbs 2
SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.