Rückwirkende Durchführung einer Familienversicherung
Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Vorliegen einer Breitenwirkung
Abstraktes Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts
Gründe:
I
In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrundeliegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten über die rückwirkende Durchführung
einer Familienversicherung und die Erstattung von zur gesetzlichen Krankenversicherung sowie sozialen Pflegeversicherung gezahlten
Beiträgen für die Zeit vom 1.10.1999 bis zum 15.7.2013. Die miteinander verheirateten Kläger sind seit 1993 bei der Beklagten
zu 1. freiwillig krankenversichert. Dem bei ihr am 15.7.2013 eingegangenen Antrag der Klägerin, ihre freiwillige Krankenversicherung
in eine Familienversicherung zu überführen, wurde lediglich mit Wirkung für die Zukunft ab 16.7.2013 entsprochen (Bescheid
vom 24.1.2014, Widerspruchsbescheide vom 13.3.2014). Die auf Feststellung einer rückwirkenden Familienversicherung für die
Zeit vom 1.10.1999 bis zum 15.7.2013 und Erstattung der in diesem Zeitraum entrichteten Beiträge gerichtete Klage hat das
SG abgewiesen (Urteil vom 24.4.2015). Nachdem zwei wegen Besorgnis der Befangenheit geltend gemachte Ablehnungsgesuche vom 23.11.2017
und 4.3.2018 erfolglos gewesen sind (Beschlüsse vom 15.2. und 13.3.2018), hat das LSG Berlin-Brandenburg die Berufung zurückgewiesen.
Das dritte Ablehnungsgesuch vom 16.3.2018 sei offensichtlich rechtsmissbräuchlich. Unabhängig davon, ob die erhobene Feststellungsklage
wegen der nicht angegriffenen Beitragsbescheide überhaupt zulässig sei, habe die Klägerin durch jährliche Anträge auf Verlängerung
der einkommensabhängigen Beitragsberechnung zu erkennen gegeben, der freiwilligen Krankenversicherung angehören zu wollen,
die eine Familienversicherung ausschließe. Damit scheide auch eine Beitragserstattung aus (Beschluss vom 23.3.2018). Gegen
die Nichtzulassung der Revision wenden sich die Kläger mit ihrer Beschwerde.
II
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung des LSG ist als unzulässig zu verwerfen
(§
160a Abs
4 S 1 Halbs 2 iVm §
169 SGG). Die Kläger haben entgegen §
160a Abs
2 S 3
SGG die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) und des Verfahrensfehlers (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG) nicht hinreichend dargelegt oder bezeichnet.
1. Bei Geltendmachung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache muss die Beschwerdebegründung ausführen,
welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit
oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und durch das Revisionsgericht zu erwarten
(Klärungsfähigkeit) ist (stRspr, vgl nur BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN). Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach
dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht
zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (vgl BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 5 mwN). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
Die Kläger messen folgender Frage eine grundsätzliche Bedeutung bei:
"Ist eine gesetzliche Krankenversicherung ohne Rücksicht auf §
814 BGB verpflichtet, den bei ihr freiwillig als selbständig versicherten einkommenslosen Ehegatten in die Familienversicherung des
ebenfalls bei ihr freiwillig Versicherten, der die Familienlasten allein trägt, auch rückwirkend ab dem nach kurzen Ermittlungen
erreichten Zeitpunkt im Einvernehmen beider Versicherter aufzunehmen, zudem der einkommenslose Ehegatte darüber hinaus keine
Arbeitnehmer beschäftigt, monatlich einen ganz belanglosen Zeitaufwand unterhalb eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses
hat und die Einkommenslosigkeit auf Aufforderung regelmäßig nachgewiesen wurde, insbesondere wenn die Krankenversicherung
in ihrer Satzung - wie hier § 15 - festlegt, 'Die Kasse gibt dem Austritt freiwillig versicherter Mitglieder abweichend von
§
191 Nr. 4
SGB V zu dem Zeitpunkt statt, ab dem ohne die freiwillige Mitgliedschaft Anspruch auf Familienversicherung nach §
10 SGB V bestünde'."
Damit ist schon keine Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm
des Bundesrechts (§
162 SGG) mit höherrangigem Recht (BSG Beschluss vom 23.12.2015 - B 12 KR 51/15 B - Juris RdNr 11 mwN) formuliert, sondern nach dem Ergebnis eines Subsumtionsvorgangs im Einzelfall gefragt worden. Die Bezeichnung
einer hinreichend bestimmten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist jedoch unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht
an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (BSG Beschluss vom 10.9.2014 - B 10 ÜG 3/14 B - Juris RdNr 11 mwN). Selbst wenn aber eine Rechtsfrage als aufgeworfen unterstellt
würde, wäre jedenfalls deren Klärungsbedürftigkeit, Klärungsfähigkeit und Breitenwirkung nicht dargelegt.
Eine Rechtsfrage ist dann als höchstrichterlich geklärt und damit als nicht (mehr) klärungsbedürftig anzusehen, wenn die Antwort
praktisch außer Zweifel steht, dh sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt (vgl BSG Beschluss vom 21.1.1993 - 13 BJ 207/92 - SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17) oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. Ist sie noch nicht ausdrücklich entschieden, genügt es, dass schon
eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beantwortung der von
der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (BSG Beschluss vom 30.8.2016 - B 2 U 40/16 B - SozR 4-1500 § 183 Nr 12 RdNr 7 mwN). Gemessen daran ist die Klärungsbedürftigkeit nicht dargetan. Die Kläger haben lediglich
darauf hingewiesen, dass es an höchstrichterlicher Rechtsprechung sowie Kommentarliteratur fehle, sich aber auch nicht ansatzweise
mit dem Wortlaut des §
10 Abs
1 S 1 Nr
2 SGB V auseinandergesetzt, wonach die Familienversicherung nur für Ehegatten in Betracht kommt, die "nicht freiwillig versichert
sind".
Darüber hinaus liegt die über den Einzelfall hinausgehende allgemeine Bedeutung nur vor, wenn die Rechtsfrage auch für weitere
Fälle maßgeblich und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des
Rechts berührt ist (BSG Beschluss vom 26.1.2012 -B5R 334/11 B - Juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 19.1.1981 - 7 BAr 69/80 - SozR 1500 § 160a Nr 39 S 58). Dass sich die von den Klägern aufgeworfene Frage in der Rechtspraxis in einer Vielzahl von Fällen stellt, ist
der Beschwerdebegründung nicht zu entnehmen. Auf deren Klärungsfähigkeit sind die Kläger ebenfalls nicht eingegangen.
2. Einen Verfahrensmangel, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann, haben die Kläger nicht hinreichend bezeichnet.
a) Der geltend gemachte Verstoß gegen das Recht auf ein zügiges Verfahren und damit gegen Art 6 Abs 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention ist nicht hinreichend dargelegt. Insoweit genügt es nicht darauf hinzuweisen, wann das Verfahren begonnen hat und beendet
worden ist. Die Kläger hätten auch aufzeigen müssen, dass weder rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten des Verfahrens
und damit verbundene Ermittlungen zur Aufklärung des Sachverhalts noch ihr Verhalten oder eine besondere Bedeutung der Rechtssache
zu der Verzögerung geführt haben (vgl BSG Beschluss vom 27.9.2010 - B 5 R 232/10 B - Juris RdNr 9 mwN). Daran fehlt es hier.
b) Die behauptete Verletzung des §
60 SGG iVm §
42 ZPO sowie des Rechts auf den gesetzlichen Richter nach Art
101 Abs
1 S 2
GG ist ebenfalls nicht hinreichend substantiiert dargetan. Eine solche Rüge ist grundsätzlich ausgeschlossen, wenn sie sich
gegen eine unanfechtbare Vorentscheidung richtet (§
202 SGG iVm §
557 Abs
2 ZPO), es sei denn, die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs beruht auf willkürlichen und manipulativen Gründen oder verkennt grundlegend
Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des gesetzlichen Richters (BSG Beschluss vom 27.10.2009 - B 1 KR 51/09 B - SozR 4-1500 § 60 Nr 6 RdNr 6). Eine derartige, die Bindungswirkung der unanfechtbaren Zwischenentscheidungen des LSG vom
15.2. und 13.3.2018 durchbrechende Ausnahme lässt die Beschwerdebegründung nicht erkennen. Soweit das LSG lediglich in den
Gründen des mit der Nichtzulassungsbeschwerde angegriffenen Beschlusses von einem rechtsmissbräuchlichen Ablehnungsgesuch
ausgegangen ist, kann sich die fehlerhafte Anwendung einfachen Rechts - anders als in den Fällen einer Zwischenentscheidung
- zwar als Verfahrensfehler erweisen, auf dem die Entscheidung beruhen kann (vgl BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a SB 18/06 B - SozR 4-1500 § 60 Nr 4 RdNr 11). Die fehlerhafte Anwendung einfachen Rechts ist
mit dem Hinweis darauf, dass die Behandlung der Ablehnungsgesuche "verfahrensfremde Ziele der Richter" offenbare, jedoch nicht
substantiiert dargelegt worden.
c) Auf eine Verletzung des §
103 SGG (Amtsermittlungsprinzip) kann ein Verfahrensmangel nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem
das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Das Übergehen eines Beweisantrags ist aber nur dann ein Verfahrensfehler,
wenn das LSG vor seiner Entscheidung darauf hingewiesen wurde, dass der Beteiligte die Amtsermittlungspflicht des Gerichts
noch nicht als erfüllt ansieht. Insoweit ist darzulegen, dass ein prozessordnungsgemäßer Beweisantrag, mit dem sowohl das
Beweismittel als auch das Beweisthema angegeben und aufgezeigt wurde, über welche Tatsachen im Einzelnen Beweis erhoben werden
sollte, in der abschließenden mündlichen Verhandlung oder bei einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung schriftsätzlich
zu einem Zeitpunkt, in dem feststand, dass das LSG von sich aus Ermittlungen nicht mehr durchführen würde, bis zuletzt aufrechterhalten
oder gestellt worden ist (vgl BSG Beschluss vom 19.11.2007 - B 5a/5 R 382/06 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 6; BSG Beschluss vom 18.12.2000 - B 2 U 336/00 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 31 S 51 f; BSG Beschluss vom 28.5.1997 - 9 BV 194/96 - SozR 3-1500 § 160 Nr 20 S 32 f). Dass ein Beweisantrag bis zuletzt gestellt worden sei, ist der Beschwerdebegründung aber nicht zu entnehmen.
Diese Beschränkung der Amtsermittlungsrüge auf bis zuletzt für aufklärungsbedürftig erachtete Verfahren kann nicht über den
Umweg über die Vorschriften zum rechtlichen Gehör umgangen werden (vgl BSG Beschluss vom 21.8.2008 - B 2 U 278/07 B - mwN).
d) Auch die Rüge der Kläger, das LSG habe ihr Vorbringen nicht berücksichtigt und damit den Anspruch auf rechtliches Gehör
(Art
103 GG, §§
62,
128 Abs 2
SGG) verletzt, ist nicht hinreichend aufgezeigt worden. Dieser Anspruch soll zwar ua sicherstellen, dass die Ausführungen der
Beteiligten vom Gericht in seine Erwägungen miteinbezogen werden. Das Prozessgericht hat jedoch nicht ausdrücklich jedes Vorbringen
der Beteiligten zu bescheiden. Vielmehr verpflichtet das Gebot des rechtlichen Gehörs nur, deren Darlegungen zur Kenntnis
zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Es ist erst dann verletzt, wenn sich im Einzelfall aufgrund besonderer Umstände klar
ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist (BVerfG [Kammer] Beschluss vom 25.3.2010 - 1 BvR 2446/09 - Juris RdNr 11 mwN; BVerfG Urteil vom 8.7.1997 - 1 BvR 1621/94 - BVerfGE 96, 205, 216). Solche Umstände gehen aus der Beschwerdebegründung nicht hervor.
e) Soweit die Kläger geltend machen, der angegriffene Beschluss sei "willkürlich und rechtsstaatswidrig" und verletze "§§
10,
191 Nr. 4
SGB V und §
15 der Satzung der Beklagten", wird dessen Richtigkeit beanstandet. Die Behauptung, die Berufungsentscheidung sei inhaltlich
unrichtig, kann aber nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl BSG Beschluss vom 26.1.2005 - B 12 KR 62/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 6 RdNr 18 = Juris RdNr 9).
f) Inwieweit die geltend gemachten Verfahrensmängel auch deshalb nicht in einer den Anforderungen des §
160a Abs
2 S 3
SGG in Verbindung mit §
160a Abs
2 Nr
3 SGG genügenden Weise bezeichnet sind, weil es an Ausführungen dazu fehlt, dass die angefochtene Entscheidung darauf beruhen kann
und das LSG ohne Verfahrensverstoß zu einem für die Kläger günstigeren Ergebnis gekommen wäre (BSG Beschluss vom 1.8.2017 - B 13 R 323/16 B - Juris RdNr 15) kann nach alledem dahinstehen.
3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung
beizutragen (§
160a Abs
4 S 2 Halbs 2
SGG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.