Feststellung der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung
Grundsatzrüge
Klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage
Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung
Gründe:
I
In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit begehrt der Kläger die Feststellung, dass er ab 21.9.2014
als Rentner der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) unterliegt.
Der 1950 in Kasachstan geborene Kläger ist dort seit 1966 erwerbstätig gewesen. Am 20.11.1995 siedelte er mit seiner Ehefrau,
die Spätaussiedlerin iS von § 4 Gesetz über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge (Bundesvertriebenengesetz - BVFG) ist, nach Deutschland über. Hier sind Versicherungszeiten in der GKV vom 25.11.1995 bis 30.6.1999 und vom 12.7.1999 bis
20.9.2014 nachgewiesen. Seit 1.10.2014 bezog der Kläger eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit.
Der Kläger ist freiwilliges Mitglied der GKV. Seinen Antrag, seine Pflichtmitgliedschaft als Rentner in der GKV festzustellen,
lehnte die beklagte Krankenkasse unter Hinweis auf die fehlende Erfüllung der Vorversicherungszeit ab. Widerspruch, Klage
und Berufung des Klägers sind erfolglos geblieben. Mit seiner Beschwerde wendet er sich gegen die Nichtzulassung der Revision.
II
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des LSG Nordrhein-Westfalen vom 19.4.2017 ist
gemäß §
160a Abs
4 S 1 Halbs 2
SGG in entsprechender Anwendung von §
169 S 2 und 3
SGG als unzulässig zu verwerfen. Der Kläger hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen §
160a Abs
2 S 3
SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.
Das BSG darf gemäß §
160 Abs
2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder
- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder
- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).
Die Behauptung, das Berufungsurteil sei inhaltlich unrichtig, kann demgegenüber nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl
BSG Beschluss vom 26.1.2005 - B 12 KR 62/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 6 RdNr 18 = Juris RdNr 9).
1. Der Kläger beruft sich in der Beschwerdebegründung vom 17.7.2017 ausschließlich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen
Bedeutung der Rechtssache (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG). Hierzu muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden
Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit)
und durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (stRspr, vgl nur BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN). Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach
dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht
zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (vgl BSG Beschluss vom 25.10.1978 - 8/3 RK 28/77 - SozR 1500 § 160a Nr 31 S 48). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
Der Kläger wirft auf Seite 2 der Beschwerdebegründung die Frage auf, "ob im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal 'erstmalige
Aufnahme einer Erwerbstätigkeit' auch auf die Aufnahme der Tätigkeit im Ausland herangezogen werden darf."
Zu Unrecht hätten die Vorinstanzen - gestützt auf die Rechtsprechung des BSG (Hinweis auf BSG Urteil vom 8.11.1983 - B 12 RK 26/82 - BSGE 56, 39 = SozR 2200 §
165 Nr
72) - entschieden, dass die streitentscheidende Norm des §
5 Abs
1 Nr
11 SGB V "gebietsneutral" auszulegen sei und daher auf die Tätigkeit des Klägers in Kasachstan abgestellt. Würde man demgegenüber
auf seine Tätigkeit in Deutschland abstellen, hätte er die Vorversicherungszeit erfüllt. Das frühere, über 30 Jahre alte Urteil
des BSG könne nicht herangezogen werden, da es zu § 165 Abs 1 Nr 3
RVO ergangen sei, der von §
5 Abs
1 Nr
11 SGB V abweiche. "Aus welchem Grund der von einem Solidarausgleich nunmehr in der Krankenversicherung der Rentner ausgeschlossen
werden" solle, sei nicht nachvollziehbar und nicht von Art
3 Abs
1 GG gedeckt.
a) Es kann offenbleiben, ob die Beschwerdebegründung die Darlegungsvoraussetzungen für eine Grundsatzrüge (vgl hierzu exemplarisch
BSG Beschluss vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN) nicht erfüllt, weil der Kläger keine abstraktgenerelle Rechtsfrage zur Auslegung, zum
Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (§
162 SGG) mit höherrangigem Recht (BSG Beschluss vom 23.12.2015 - B 12 KR 51/15 B - Juris RdNr 11 mwN) formuliert. Die Bezeichnung einer abstrakten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist jedoch
unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (BSG Beschluss vom 10.9.2014 - B 10 ÜG 3/14 B - Juris RdNr 11 mwN).
b) Jedenfalls legt der Kläger die Klärungsbedürftigkeit der von ihm in den Raum gestellten Frage - ihre Qualität als hinreichend
formulierte Rechtsfrage unterstellt - nicht hinreichend dar.
aa) Insbesondere zeigt der Kläger nicht auf, inwieweit sich seine Frage nicht bereits durch das - auch von ihm selbst - genannte
frühere Urteil des BSG (Urteil vom 8.11.1983 - 12 RK 26/82 - BSGE 56, 39 = SozR 2200 § 165 Nr 72) beantworten lässt. Der Kläger beschränkt sich darauf, auf den unterschiedlichen Wortlaut der damaligen
sowie der heutigen Vorschrift ("Halbbelegung" [§ 165 Abs 1 Nr 3 RVO] vs. Mitgliedschaft bzw Versicherung mindestens zu 9/10
der zweiten Hälfte des Zeitraums ab Aufnahme der Erwerbstätigkeit [§ 5 Abs 1 Nr 11 SGB V], vgl zur verfassungsrechtlichen
Würdigung dieses Erfordernisses ua BVerfG Beschluss vom 15.3.2000 - 1 BvL 16/96 ua - BVerfGE 102, 68 = SozR 3-2500 § 5 Nr 42) hinzuweisen, unterlässt aber die naheliegende Prüfung, inwieweit es sich bei dem entscheidenden
Merkmal der "erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit" um ein gemeinsames Merkmal handelt, für das die damalige Entscheidung
des BSG auch heute noch Geltung beanspruchen kann. Der Beschwerdebegründung kann auch nicht entnommen werden, dass die frühere Entscheidung
des BSG zB in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung oder in der rechtswissenschaftlichen Literatur Widerspruch bzw Kritik hervorgerufen
hat.
bb) Der Kläger setzt sich zudem nicht damit auseinander, dass er nach den Feststellungen der Beklagten kein Spätaussiedler
iS des BVFG ist.
cc) Soweit der Kläger Art
3 Abs
1 GG erwähnt, erfüllt die Beschwerdebegründung nicht die Anforderungen, die an die Behauptung eines Gleichheitsverstoßes zu stellen
sind. Wird in der Beschwerde eine Verletzung des Gleichheitssatzes geltend gemacht, muss die Beschwerdebegründung aber unter
Einbeziehung der einschlägigen Literatur und Rechtsprechung - insbesondere des BVerfG, aber auch des BSG - im Einzelnen aufzeigen, woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergeben soll (BSG Beschluss vom 22.8.1975 - 11 BA 8/75 - BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11; ferner zB BSG Beschluss vom 8.12.2008 - B 12 R 38/07 B - Juris RdNr 7 mwN). Dazu müssen der Bedeutungsgehalt der in Frage stehenden einfachgesetzlichen Normen aufgezeigt, die
Sachgründe ihrer jeweiligen Ausgestaltung erörtert und die Verfassungsverletzung dargelegt werden. Wird in der Beschwerde
eine Verletzung des Gleichheitssatzes geltend gemacht, muss die Beschwerdebegründung unter Berücksichtigung der Rechtsprechung
des BVerfG darlegen, worin die für eine Gleich- bzw Ungleichbehandlung wesentlichen Sachverhaltsmerkmale bestehen sollen (vgl
BVerfG [Dreier-Ausschuss] Beschluss vom 8.6.1982 - SozR 1500 § 160a Nr 45). Dies unterlässt der Kläger.
2. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung
beizutragen (§
160a Abs
4 S 2 Halbs 2
SGG).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG.