Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit bei einem Streit um ein Hausverbot
Gründe:
I
Umstritten ist die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Sozialgerichten bei einem Streit um ein Hausverbot.
Der im Jahr 1954 geborene Kläger bezieht seit Jahren Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II). Nachdem der Beklagte ihm gegenüber bereits in 2008 und 2011 Hausverbote ausgesprochen hatte, erteilte er dem Kläger aufgrund
erneuter Beleidigungen seiner Mitarbeiter und damit verbundener erheblicher Störungen des Dienstbetriebs ein Hausverbot für
die vom Beklagten genutzten und im Einzelnen aufgeführten Dienstgebäude für die Zeit vom 26.2.2013 bis zum 31.5.2013 und ordnete
die sofortige Vollziehung des Bescheides nach §
86a Abs
2 Nr
5 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) an (Bescheid vom 26.2.2013, Widerspruchsbescheid vom 27.8.2013). Zugleich wies er darauf hin, dass diese Dienstgebäude nur
nach telefonischer oder schriftlicher Terminabsprache oder aufgrund einer schriftlichen Einladung betreten werden dürften.
Im Übrigen seien die Angelegenheiten mit dem Beklagten nur noch telefonisch, per Telefax oder schriftlich zu erledigen. Sofern
der Kläger eine andere Person mit der Wahrnehmung seiner Angelegenheiten beim Beklagten beauftragen wolle, bedürfe es der
Vorlage einer von ihm unterschriebenen Vollmacht und der Vorlage des Personalausweises durch die beauftragte Person. Zur Begründung
führte der Beklagte aus, der Kläger habe in Mails Mitarbeiter des Beklagten persönlich massiv beleidigt. Wie schon in der
Vergangenheit, in der der Kläger Mitarbeiter in aggressiver Weise beschimpft, beleidigt und bedroht habe und es schon zu Handgreiflichkeiten
gekommen sei, werde durch dieses unangemessene Verhalten der Dienstbetrieb in nachhaltiger Weise gestört. Nach der Rechtsbehelfsbelehrung
im Widerspruchsbescheid ist die Klage zum Sozialgericht (SG) Köln zulässig.
Auf die vom Kläger erhobene Klage hat das SG nach Anhörung der Beteiligten den zu ihm beschrittenen Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht
(VG) Köln verwiesen (Beschluss vom 14.10.2013). Die Beschwerde des Beklagten zum Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen
wurde zurückgewiesen (Beschluss vom 4.3.2014) und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Der Beklagte habe sich des öffentlich-rechtlichen
Hausrechts bzw der öffentlichen Ordnungsgewalt bedient, denn er habe das Hausverbot erlassen, um Störungen des Dienstbetriebs
zu verhindern und seine Mitarbeiter bei der Ausübung ihrer dienstlichen Tätigkeit zu schützen. Der hiergegen geltend gemachte
Abwehranspruch des Klägers finde seine Grundlage weder im SGB II noch in anderen Büchern des Sozialgesetzbuchs (SGB). Auch das Hausrecht der Behördenleitung und die daraus ggf resultierende
Befugnis, ein Hausverbot zu erteilen, finde keine rechtliche Ausformung im SGB. Vielmehr folge die Ermächtigung zur Erteilung
eines Hausverbots aus dem allgemeinen öffentlich-rechtlichen Grundsatz, dass das Hausrecht als notwendiger Annex zur öffentlich-rechtlichen
Sachkompetenz einer Behörde von deren Leiter kraft der ihm zustehenden Organisationgewalt zur Gewährleistung und Aufrechterhaltung
eines geordneten Dienstbetriebs ausgeübt werde. Für auf dieser öffentlich-rechtlichen Grundlage ausgesprochene Hausverbote
sei der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. Ein die Rechtswegzuständigkeit der Sozialgerichte begründender Sachzusammenhang des
Hausrechts zum SGB II sei nicht zu bejahen. Dass bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines Hausverbots sozialrechtliche Implikationen eine Rolle
spielen könnten, sei für die Rechtswegzuweisung unbeachtlich.
Mit seiner vom LSG zugelassenen Beschwerde wendet sich der Beklagte gegen die Verweisung des Rechtsstreits an das VG. Er hält
unter Hinweis auf den Beschluss des Bundessozialgerichts (BSG) vom 1.4.2009 (B 14 SF 1/08 R - SozR 4-1500 § 51 Nr 6) den Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit für eröffnet, da das Hausverbot in der
öffentlich-rechtlichen Rechtsform eines Verwaltungsakts und im Rahmen eines zwischen den Beteiligten geführten Verwaltungsverfahrens
ausgesprochen worden sei.
Der Kläger hat sich nicht geäußert; er verweigert die Annahme von Post.
II
Die zulässige weitere Beschwerde des beklagten Jobcenters ist begründet. Die Beschlüsse des LSG und des SG sind aufzuheben. Für Streitigkeiten über ein Hausverbot, das von einem Jobcenter gegenüber einem Antragsteller auf Leistungen
nach dem SGB II ausgesprochen wurde, sind die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zuständig und nicht die allgemeinen Verwaltungsgerichte
oder die ordentlichen Gerichte; an dieser schon mit Beschluss vom 1.4.2009 (B 14 SF 1/08 R - SozR 4-1500 § 51 Nr 6) begründeten Rechtsprechung hält der Senat entgegen der hieran geübten Kritik (vgl etwa LSG Hamburg
Beschluss vom 8.7.2013 - L 4 AS 214/13 B, aufgehoben durch Beschluss des Senats vom heutigen Tag - B 14 SF 1/13 R; Oberverwaltungsgericht [OVG] Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 13.5.2011 - 16 E 174/11, NJW 2011, 2379 ff; LSG Hamburg Beschluss vom 31.7.2013 - L 4 AS 246/12 B ER; Hamburgisches OVG Beschluss vom 17.10.2013 - 3 So 119/13, NJW 2014, 1196 ff; OVG Bremen Beschluss vom 25.3.2013 - 1 B 33/13; Ulmer in Henning,
SGG, Stand 12/2013, §
51 RdNr 51; Hintz/Lowe,
SGG, 2012 §
51 RdNr 16) fest.
Rechtsgrundlage hierfür ist §
51 Abs
1 Nr
4a SGG, nach dem die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der Grundsicherung
für Arbeitsuchende entscheiden. Der Verwaltungsrechtsweg ist - hingegen - in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher
Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind (§
40 Abs
1 Satz 1
Verwaltungsgerichtsordnung [VwGO]). Vor die ordentlichen Gerichte gehören die bürgerlichrechtlichen Rechtsstreitigkeiten, die Familiensachen und die
Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Zivilsachen) sowie die Strafsachen, für die nicht entweder die Zuständigkeit
von Verwaltungsbehörden oder Verwaltungsgerichten begründet ist oder aufgrund von Vorschriften des Bundesrechts besondere
Gerichte bestellt oder zugelassen sind (§
13 Gerichtsverfassungsgesetz [GVG]; siehe hinsichtlich des Rechtswegs zu den Gerichten für Arbeitssachen §§ 2 ff Arbeitsgerichtsgesetz [ArbGG] und des Finanzrechtswegs § 33 Finanzgerichtsordnung [FGO]).
Wenn es an einer ausdrücklichen Sonderzuweisung für den zuständigen Rechtsweg fehlt, bestimmt sich die gerichtliche Zuständigkeit
nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird (Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe
des Bundes [GmSOGB] vom 4.6.1974 - GmS-OGB 2/73 - BSGE 37, 292 = SozR 1500 § 51 Nr 2 = NJW 1974, 2087; GmSOGB vom 10.4.1986 - GmS-OGB 1/85 - BGHZ 97, 312 = SozR 1500 § 51 Nr 39; GmSOGB vom 29.10.1987 - GmS-OGB 1/86 - BGHZ 102, 280, 283 = SozR 1500 § 51 Nr 47; vgl speziell zum Hausrecht: BSG vom 1.4.2009 - B 14 SF 1/08 R - SozR 4-1500 § 51 Nr 6 RdNr 9 mwN; zum Rechtsverhältnis zwischen den Beteiligten als entscheidendes Kriterium zur Beurteilung
des Rechtswegs vgl zuletzt BSG vom 18.3.2014 - B 8 SF 2/13 R - vorgesehen für SozR 4-3500 § 75 Nr 3 RdNr 7; Bundesverwaltungsgericht [BVerwG] vom 15.10.2012 - 7 B 2/12 - Juris RdNr 14 ff).
Das hier maßgebliche Rechtsverhältnis zwischen dem Kläger und dem Beklagten beruht auf dem SGB II, weil der Kläger (fortlaufend) einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II bei dem Beklagten als dafür zuständige Behörde gestellt hat, und für Streitigkeiten aus diesem Rechtsverhältnis sind die
Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zuständig, wie sich unmittelbar aus dem genannten §
51 Abs
1 Nr
4a SGG ergibt und auch von SG und LSG nicht in Abrede gestellt wird (BSG vom 1.4.2009 - B 14 SF 1/08 R - SozR 4-1500 § 51 Nr 6, auch zum Folgenden). Bestätigt wird die öffentlich-rechtliche Natur des Rechtsverhältnisses durch
die vom Beklagten gewählte Handlungsform Verwaltungsakt (vgl § 31 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - [SGB X]), die in der Form seines Schreibens vom 26.2.2013 an den Kläger deutlich zum Ausdruck kommt, durch die Bezeichnung
als "Bescheid", die Anordnung der sofortigen Vollziehung (nach §
86a Abs
2 Nr
5 SGG) sowie eine Rechtsbehelfsbelehrung. In Anspruch genommen sein können hierfür nur Befugnisse, die dem Beklagten in dem durch
das SGB II konstituierten Verhältnis zum Kläger eingeräumt sind.
Aus dem Umstand, dass vorliegend um ein von dem Beklagten gegenüber dem Kläger ausgesprochenes Hausverbot für bestimmte Dienstgebäude
des Beklagten gestritten wird, folgt nichts anderes. Das Hausrecht und das aus ihm abgeleitete Recht von Behörden, ein Hausverbot
auszusprechen, beruhen ebenso wie bei Personen des Privatrechts - die entsprechende Rechtsstellung vorausgesetzt - zunächst
auf den privatrechtlichen Besitz- und Eigentumsrechten nach §§
859 ff, 903, 1004
Bürgerliches Gesetzbuch ([BGB], vgl schon Bundesgerichtshof [BGH] vom 26.10.1960 - V ZR 122/59 - BGHZ 33, 230; BVerwG vom 13.3.1970 - VII C 80.67 - BVerwGE 35, 103). Daneben ist auch ein öffentlich-rechtliches Hausrecht anerkannt, zu dessen Begründung auf den Zweck des Besuchs der Person,
der gegenüber das Hausverbot ausgesprochen wird, abgestellt (vgl BGH und BVerwG aaO) oder allgemein auf die Sicherstellung
eines ordnungsgemäßen Verwaltungsablaufs verwiesen wird (vgl U. Stelkens in P. Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 8. Aufl 2014, § 35 RdNr 132 ff mwN).
Ob diesem letzten Begründungsansatz zu folgen und ein aus der allgemeinen Wahrnehmung von öffentlich-rechtlichen Aufgaben
unabhängig von den Rechtsgrundlagen, die die jeweilige Behörde zum öffentlich-rechtlichen Handeln ermächtigen, abgeleitetes
allgemeines öffentlich-rechtliches Hausrecht als Annex-Kompetenz und demzufolge eine auf §
40 Abs
1 Satz 1
VwGO beruhende allgemeine Zuständigkeit der (allgemeinen) Verwaltungsgerichte für alle Fälle eines öffentlich-rechtlichen Hausverbots
anzunehmen ist, kann dahinstehen (vgl etwa zu Zweifeln daran, ob es eine Rechtsgrundlage für ein solches allgemeines öffentlich-rechtliches
Hausrecht jeder Behörde gegenüber jedem Bürger gibt U. Stelkens in P. Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 8. Aufl 2014, § 35 RdNr 133 f mwN: "das" Hausverbot gibt es nicht; ebenso Brüning, DÖV 2003, 389 ff mit ausführlicher Begründung). Denn jedenfalls in den Fällen wie hier vorliegend, in denen ein Rechtsverhältnis zwischen
der Behörde, die das Hausverbot ausspricht, und dem Adressaten des Hausverbots besteht, ist in Übereinstimmung mit der aufgezeigten
Rechtsprechung des BGH und BVerwG auf dieses Rechtsverhältnis abzustellen.
Die Kostenentscheidung (vgl zu deren Notwendigkeit BSG vom 1.4.2009 - B 14 SF 1/08 R - SozR 4-1500 §
51 Nr 6 RdNr 19 f) beruht auf §§
183,
193 SGG.