Auslegung der Deutschen Kodierrichtlinien
Keine Vornahme von Bewertungen und Bewertungsrelationen
Gründe:
I
Die Klägerin, Trägerin eines für die Behandlung Versicherter zugelassenen Krankenhauses, behandelte die bei der beklagten
Krankenkasse versicherte Marta Becht (im Folgenden: Versicherte) vollstationär in der Zeit vom 15. bis zum 29.8.2013. Sie
kodierte ua die Prozeduren nach dem 2013 geltenden Operationen- und Prozedurenschlüssel (OPS) 5-794.1f (Offene Reposition
einer Mehrfragment-Fraktur im Gelenkbereich eines langen Röhrenknochens, durch Draht oder Zuggurtung/Cerclage: Femur proximal)
und OPS 5-794.af (Offene Reposition einer Mehrfragment-Fraktur im Gelenkbereich eines langen Röhrenknochens, durch Marknagel
mit Gelenkkomponente: Femur proximal) nach dem 2013 geltenden OPS und berechnete hierfür ausgehend von der Fallpauschale (Diagnosis
Related Group 2013 [DRG]) I08E (Andere Eingriffe an Hüftgelenk und Femur mit komplexem Eingriff oder äußerst schweren CC,
ohne Osteotomie oder Muskel-/Gelenkplastik, oder ohne kompl. Eingr., ohne äuß. schw. CC, mit Osteotomie oder Muskel-/Gelenkplastik,
oh. best. Beckenrepositionen) 6880,71 Euro (Rechnung vom 7.4.2014). Die Beklagte zahlte hierauf lediglich 5467,67 Euro: Die
offene Reposition einer subtrochantären Mehrfragmentfraktur sei bereits durch den OPS 5-794.af abgebildet. Das zusätzliche
Osteosyntheseverfahren durch Cerclagen sei durch den Zusatzkode OPS 5-786.1 zu kodieren; die Kodierung einer zweiten offenen
Reposition sei nicht zulässig. Zu vergüten sei daher DRG I08F (Andere Eingriffe an Hüftgelenk und Femur ohne komplexen Mehrfacheingriff,
ohne sehr komplexe Diagnosen, ohne komplexen Eingriff, ohne äußerst schwere CC, ohne Osteotomie oder Muskel-/Gelenkplastik).
Das SG hat die Beklagte zur Zahlung des restlichen Rechnungsbetrags von 1413,04 Euro nebst Zinsen verurteilt (Urteil vom 25.4.2016).
Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen: Die Klägerin dürfe OPS 5-794.1f und zugleich OPS 5-794.af kodieren, sodass die DRG
I08E angesteuert werde. Nach den Hinweisen zu den OPS-Kodes 5-79 (Reposition von Fraktur und Luxation) sei die Durchführung
einer zweiten Osteosynthese gesondert zu kodieren (Urteil vom 16.2.2017).
Die Beklagte wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.
II
Die Beschwerde der Beklagten ist unbegründet. Die grundsätzliche Bedeutung der von der Klägerin gestellten Rechtsfrage (Zulassungsgrund
nach §
160 Abs
2 Nr
1 SGG) liegt nicht vor.
1. Die Beschwerde, mit der die Klägerin allein die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend macht (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) ist zulässig. Ihr Vortrag genügt noch den Anforderungen an die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde wegen grundsätzlicher
Bedeutung. Die Beschwerde ist aber nicht begründet. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine
Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer
Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Hieran fehlt es.
Die Beklagte formuliert als Rechtsfrage:
"Sind mehrere OPS-Codes, von denen jeder einzelne sowohl die Reposition einer Fraktur als auch ein verwendetes Osteosyntheseverfahren
abbildet, auch dann nebeneinander zu verwenden, wenn tatsächlich nur eine Reposition durchgeführt und die Fraktur mit verschiedenen
Osteosyntheseverfahren versorgt wurde?"
Die aufgeworfene Rechtsfrage hat keine grundsätzliche Bedeutung; sie bedarf keiner Klärung in einem Revisionsverfahren. Das
Bedürfnis für die Klärung einer Rechtsfrage in einem Revisionsverfahren fehlt, wenn das BSG die Rechtsfrage zwar nicht unter den dort aufgeworfenen Aspekten ausdrücklich behandelt hat, aber deren Beantwortung einerseits
nach der klaren Rechtslage nicht ernsthaft in Zweifel steht (vgl auch BSG Beschluss vom 16.4.2012 - B 1 KR 25/11 B - Juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 19.12.2017 - B 1 KR 17/17 B - Juris RdNr 6) und verbleibende Restzweifel andererseits aufgrund der dazu ergangenen höchstrichterlichen Rspr im Ergebnis
jedenfalls bereits ausgeräumt sind, sodass eine weitere Klärung oder Fortentwicklung des Rechts nicht mehr zu erwarten ist
(vgl BSG Beschluss vom 28.3.2017 - B 1 KR 66/16 B - Juris RdNr 7). So liegt der Fall hier. Es steht außer Zweifel, dass bei der Reposition einer Fraktur durch Materialkombinationen,
dh die Verwendung mehrerer Osteosynthesematerialien, seit der Version 2010 des OPS die den verwendeten Osteosyntheseverfahren
zugeordneten Prozeduren aus dem OPS-Abschnitt 5-79 im Kapitel 5 "Operationen" nebeneinander zu kodieren sind. Die Klägerin
durfte OPS 5-794.af und OPS 5-794.1f kodieren. Die Kodierung eines Zusatzkodes aus dem Abschnitt 5-786 kommt bei der Osteosynthese
einer Fraktur hingegen nicht in Betracht.
Nach der Rspr des erkennenden Senats (BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 27; BSG SozR 4-2500 § 301 Nr 1 RdNr 14; BSG SozR 4-5562 § 9 Nr 4 RdNr 13; zur Auslegung von medizinischen Begriffen im OPS vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 32 RdNr 12 ff, stRspr) sind die Deutschen Kodierrichtlinien (DKR) und die in der Fallpauschalenvereinbarung (FPV) enthaltenen
Abrechnungsbestimmungen (zur normativen Wirkung der FPV und der DKR BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 18) einschließlich des ICD-10-GM und des OPS wegen ihrer Funktion im Gefüge der Ermittlung
des Vergütungstatbestands innerhalb eines vorgegebenen Vergütungssystems stets eng am Wortlaut orientiert und unterstützt
durch systematische Erwägungen auszulegen; Bewertungen und Bewertungsrelationen bleiben außer Betracht.
Nach diesen Auslegungsmaßstäben wirft die Beantwortung der von der Klägerin gestellten Rechtsfrage keine ernsthaften, noch
in einem Revisionsverfahren zu klärenden Zweifel auf. Der Wortlaut gibt die mehrfache Kodierung von Prozeduren aus dem OPS-Abschnitt
5-79 vor, wie das LSG - unter Verweis auf das SG-Urteil - überzeugend ausgeführt hat. Die Hinweise zum OPS 5-79 bestimmen ausdrücklich, dass "die Durchführung einer zweiten
Osteosynthese, z. B. bei einer Zwei-Etagen-Fraktur, (...) gesondert zu kodieren" ist. Auch der Hinweis - etwa zu OPS 5-794.8
- sieht vor, dass "bei Kombinationen von Osteosynthesematerialien während eines Eingriffs alle Komponenten einzeln zu kodieren"
sind. Der Begriff "Komponente" bezieht sich erkennbar nicht auf das Verhältnis zwischen einer Reposition und dem verwendeten
Osteosynthesematerial, sondern auf das Verhältnis mehrerer verwendeter Osteosynthesematerialien. Er steht einer mehrfachen
Kodierung von Prozeduren aus dem OPS-Abschnitt 5-79 nicht entgegen. Eine andere Kodierung als OPS 5-794.1f neben OPS 5-794.af
ist ausgeschlossen. Der OPS-Abschnitt 5-79 sieht eine isolierte Kodierung einzelner Komponenten von Osteosynthesematerial
für das GKV-System nicht vor. Die zwingende Ausschlussregelung bei den OPS-Kodes 5-786 verbietet nach ihrem klaren Wortlaut
strikt, die Zusatzkodes bei der "Osteosynthese einer Fraktur (5-79 ff.)" zu kodieren. Wollte man keine mehrfache Kodierung
von Prozeduren aus dem OPS-Abschnitt 5-79 zulassen, liefe die ausdrückliche Zulassung der Kodierung aller Komponenten bei
Kombinationen von Osteosynthesematerialien leer. Der Grundsatz der monokausalen Kodierung (vgl zB P003d der DKR 2013) tritt
zurück, da die Hinweise zum OPS 5-79 - wie dargelegt - eine ausdrückliche, in den DKR nicht abbedungene Regelung zur mehrfachen
Kodierung enthalten.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a Abs
1 S 1 Teils 3
SGG iVm §
154 Abs
2 VwGO, diejenige über den Streitwert auf §
197a Abs
1 S 1 Teils 1
SGG iVm §
63 Abs
2 S 1, § 52 Abs 1 und 3, § 47 Abs 1 und 3 GKG.