Erstattung von Praxisgebühren
Nichtbeachtung eines Terminverlegungsantrags
Anspruch auf Terminverlegung
Gewährung von Prozessgrundrechten
1. Einem Verfahrensbeteiligten wird das Recht auf mündliche Verhandlung versagt, wenn das Gericht mündlich verhandelt und
in der Sache abschließend entscheidet, obwohl der Beteiligte zuvor gemäß §
227 Abs.
1 ZPO i.V.m. §
202 SGG einen Terminverlegungsantrag gestellt und dafür erhebliche Gründe geltend gemacht hat.
2. Das Gericht ist in einem derartigen Fall bei ordnungsgemäßem Vorgehen verpflichtet, den anberaumten Verhandlungstermin
zu verlegen oder zu vertagen.
3. Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Fehlern
ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Beteiligten haben.
4. Dieses Gebot verpflichtet die Gerichte allerdings nicht, jedes Vorbringen eines Beteiligten ausdrücklich zu bescheiden;
es muss nur das Wesentliche der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung dienende Vorbringen in den Entscheidungsgründen verarbeitet
werden.
5. Art.
101 Abs.
1 S. 2
GG lässt bei einem gänzlich untauglichen oder rechtsmissbräuchlichen Ablehnungsgesuch eine Selbstentscheidung der abgelehnten
Richter zu, wenn sich hierbei jedes Eingehen auf den Gegenstand des Verfahrens erübrigt.
Gründe:
I
Der bei der beklagten Krankenkasse versicherte Kläger ist mit seinem Begehren auf Erstattung von Praxisgebühren iHv 60 Euro
nebst Zinsen für die Jahre 2006 bis 2008 bei der Beklagten und den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das LSG hat zur Begründung
ua ausgeführt, Zuzahlungen seien nach §
28 Abs
4 S 1
SGB V (idF durch Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung vom 14.11.2003, BGBl I 2190) mit Rechtsgrund geleistet
worden. Die Norm sei verfassungsgemäß. Der Kläger habe auch nicht an einer integrierten Versorgung (§
140a SGB V - Hausarztmodell) teilgenommen. Auch unter dem Gesichtspunkt eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ergebe sich kein
Anspruch (Urteil vom 21.11.2014).
Der Kläger begehrt, ihm für eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil Prozesskostenhilfe (PKH) unter
Beiordnung eines Rechtsanwalts zu bewilligen.
II
Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von PKH und Beiordnung eines Rechtsanwalts ist abzulehnen. Nach §
73a Abs
1 S 1
SGG iVm §§
114,
121 ZPO kann einem bedürftigen Beteiligten für das Beschwerdeverfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet werden, wenn - ua - die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende
Aussicht auf Erfolg bietet. Daran fehlt es.
Der Kläger kann aller Voraussicht nach mit seinem Begehren auf Zulassung der Revision nicht durchdringen, weil es keine hinreichende
Aussicht auf Erfolg bietet. Nach Durchsicht der Akten fehlen - auch unter Würdigung des Vorbringens des Klägers - Anhaltspunkte
dafür, dass er einen der in §
160 Abs
2 Nr
1 bis
3 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe darlegen könnte.
Die Sache bietet keine Hinweise für eine über den Einzelfall des Klägers hinausgehende grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache
(§
160 Abs
2 Nr
1 SGG). Insbesondere ist höchstrichterlich geklärt, dass die Pflicht zur Zuzahlung von 10 Euro je Kalendervierteljahr für den Arztbesuch
("Praxisgebühr") nicht gegen verfassungsrechtlich geschützte Rechte der Versicherten verstößt (BSGE 103, 275 = SozR 4-2500 § 28 Nr 3).
Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass das LSG entscheidungstragend von Rechtsprechung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abgewichen sein könnte (Zulassungsgrund gemäß §
160 Abs
2 Nr
2 SGG) oder dass der Kläger einen Verfahrensfehler des LSG dartun könnte, auf dem die Entscheidung des LSG beruhen kann (Zulassungsgrund
gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 SGG).
Soweit der Kläger geltend macht, seine Teilnahme am Verhandlungstermin sei verhindert worden, weil der Vorsitzende seinem
Gesuch, den Termin zu verlegen (auf eine spätere Uhrzeit oder einen anderen Wochentag), nicht entsprochen habe, vermag sein
Vortrag eine Verletzung seines Rechts auf mündliche Verhandlung als Kernstück des sozialgerichtlichen Verfahrens und damit
des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§
62 SGG, Art
103 Abs
1 GG, Art 47 Abs 2 Charta der Grundrechte der EU, Art 6 Abs 1 EMRK) nicht zu begründen. Einem Verfahrensbeteiligten wird das Recht auf mündliche Verhandlung versagt, wenn das Gericht mündlich
verhandelt und in der Sache abschließend entscheidet, obwohl der Beteiligte zuvor gemäß §
227 Abs
1 ZPO iVm §
202 SGG einen Terminverlegungsantrag gestellt und dafür erhebliche Gründe geltend gemacht hat. Das Gericht ist in einem derartigen
Fall bei ordnungsgemäßem Vorgehen verpflichtet, den anberaumten Verhandlungstermin zu verlegen oder zu vertagen (BSG SozR 3-1750 § 227 Nr 1 S 2; BSG Beschluss vom 18.12.2012 - B 1 KR 90/12 B - Juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 21.6.2011 - B 1 KR 144/10 B - Juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 17.2.2010 - B 1 KR 112/09 B - Juris RdNr 5). Der Kläger hat zwar beantragt, den Termin am Freitag, den 21.11.2014 um 12.50 Uhr zu verlegen, hierfür jedoch
keinen erheblichen Grund geltend gemacht. Er hat lediglich behauptet, dass er schon um 9.30 Uhr aufstehen müsse, wenn er den
Termin wahrnehmen wolle, dann aber wegen seines Schlafrhythmus (5 1/2 Stunden Schlaf) nicht ausreichend konzentriert verhandeln
könne. Hierdurch war er aber nicht gehindert, den Termin wahrzunehmen. Seinem Vortrag ist auch nicht zu entnehmen, dass er
etwa wegen Schlafmangels verhandlungsunfähig gewesen wäre. Das vorgelegte Attest belegt seine Verhandlungsunfähigkeit ebenfalls
nicht. Es führt nur aus, dass der Kläger "der festen Überzeugung" sei, "mündlichen Verhandlungen bei Gericht nachmittags besser
folgen zu können als vormittags". Etwaigen Konzentrationsschwächen hätte das LSG im Übrigen durch Unterbrechung der Sitzung
Rechnung tragen können.
Das LSG hat das rechtliche Gehör auch nicht dadurch verletzt, dass es - wie der Kläger meint - seinen Vortrag übergangen hat.
Art
103 Abs
1 GG verpflichtet ebenso wie §
62 SGG die Gerichte, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gebot der Gewährung
rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Fehlern ergeht, welche ihren Grund
in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Beteiligten haben. Dieses Gebot verpflichtet
die Gerichte allerdings nicht, jedes Vorbringen eines Beteiligten ausdrücklich zu bescheiden; es muss nur das Wesentliche
der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung dienende Vorbringen in den Entscheidungsgründen verarbeitet werden (BVerfGK 13,
303, 304 f mwN). Dies hat das LSG erkennbar getan. Soweit der Vortrag des Klägers zum Barmer-Heft 1/2005 unberücksichtigt
blieb, war dies - ausgehend von der Rechtsauffassung des LSG - folgerichtig, weil es einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch
schon aus rechtlichen Gründen verneint hat. Soweit der Kläger im Zusammenhang mit dem rechtlichen Gehör auch den fehlerhaften
Umgang mit der Gehörsrüge gegen die Ablehnung von PKH geltend macht, ist nicht erkennbar, dass das Berufungsurteil auf dem
behaupteten Verfahrensfehler beruht.
Auch vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung getroffene Entscheidung über den Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden
Richter am LSG Neumann vermag einen Verfahrensfehler (fehlerhafte Besetzung des Berufungsgerichts) nicht zu begründen. Die
Rüge fehlerhafter Besetzung des Berufungsgerichts bei Erlass des angefochtenen Urteils, weil ein Ablehnungsgesuch gegen mitwirkende
Richter wegen Besorgnis der Befangenheit zuvor zu Unrecht abgewiesen worden sei, kann im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde
nur darauf gestützt werden, die Zurückweisung des Ablehnungsantrags beruhe auf willkürlichen Erwägungen oder habe Bedeutung
und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art
101 Abs
1 S 2
GG grundlegend verkannt (BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 1 RdNr 8; BSG SozR 4-1100 Art 101 Nr 3 LS 1). Denn das Revisionsgericht ist im Hinblick auf §
202 SGG iVm §
557 Abs
2 ZPO grundsätzlich an Entscheidungen gebunden, die dem Endurteil des LSG vorausgegangen sind, sofern sie unanfechtbar sind. Dies
gilt auch für Entscheidungen der Vorinstanz, die ein Ablehnungsgesuch unter fehlerhafter Anwendung einfachen Rechts zurückgewiesen
haben (§§
60,
177 SGG; vgl hierzu entsprechend BVerfGE 31, 145, 164; BSG SozR 4-1100 Art 101 Nr 3 RdNr 5 mwN). Nur in den aufgezeigten engen Ausnahmen ist das Revisionsgericht wegen eines fortwirkenden Verstoßes gegen
das Gebot des gesetzlichen Richters iS des Art
101 Abs
1 S 2
GG an die Zurückweisung von Ablehnungsgesuchen, die dem Endurteil des LSG vorausgegangen sind, nicht gebunden.
Es ist nichts dafür ersichtlich, dass die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs auf willkürlichen, manipulativen Erwägungen
beruht oder das LSG Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art
101 Abs
1 S 2
GG grundlegend verkannt hat. Das LSG hat in Einklang mit obergerichtlicher Rechtsprechung aus den Umständen und der Begründung
des Ablehnungsgesuchs geschlossen, dass dieses ausschließlich eine zuvor abgelehnte Terminverlegung bezweckte, und deshalb
das Ablehnungsgesuch als "unzulässig verworfen". Auch den Ausführungen des Klägers sind keine Anhaltspunkte zu entnehmen,
die auf Willkür schließen lassen. Sie erschöpfen sich darin, dass der Auffassung des LSG widersprochen und eine eigene rechtliche
Bewertung des zugrunde liegenden Sachverhalts vorgenommen wird. Vorsitzender Richter am LSG Neumann musste auch nicht - wie
der Kläger meint - an der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch mitwirken. Art
101 Abs
1 S 2
GG lässt bei einem gänzlich untauglichen oder rechtsmissbräuchlichen Ablehnungsgesuch eine Selbstentscheidung der abgelehnten
Richter zu, wenn sich hierbei jedes Eingehen auf den Gegenstand des Verfahrens erübrigt (BSG SozR 4-1500 § 60 Nr 6 RdNr 6). Dies bedeutet aber nicht, dass eine Selbstentscheidung zwingend erforderlich wäre. Ob das Ablehnungsgesuch
aus Sicht des LSG rechtsmissbräuchlich ist, ist ohnehin erst das Ergebnis der Einschätzung der Umstände und der rechtlichen
Würdigung durch das LSG.