Verfassungsmäßigkeit der Beschränkungen kieferorthopädischer Behandlung
Gründe:
I
Die Kläger sind mit dem Begehren, die Kosten der kieferorthopädischen Behandlung des Klägers zu 1) iHv EUR erstattet
zu erhalten, in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das Landessozialgericht (LSG) hat ausgeführt, bei Behandlungsbeginn,
dem Zeitpunkt der Aufstellung des kieferorthopädischen Behandlungsplans vom 2. März 1993, sei der Kläger zu 1) bereits 22
Jahre alt gewesen. Er habe die Altersgrenze des §
28 Abs
2 Satz 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) (idF des Gesundheitsstrukturgesetzes >GSG< vom 21. Dezember 1992, BGBl I S 2266) überschritten. Auch die Voraussetzungen
des Art 33 § 5 GSG seien nicht erfüllt. Weder habe die kieferorthopädische Behandlung vor dem 1. Januar 1993 begonnen, noch habe die Beklagte
vor dem 5. November 1992 über den Anspruch bereits schriftlich entschieden. Frühere Behandlungen seien abgeschlossen gewesen.
Der Ausnahmefall einer schweren Kieferanomalie iS von §
28 Abs
2 Satz 3
SGB V (idF des GSG) liege nicht vor. Die Retrogenie des Klägers zu 1) sei weniger schwerwiegend als die in den Gesetzesmaterialien angesprochene
Mikrogenie. Zudem sei zweifelhaft, ob eine kombinierte kieferorthopädische und -chirurgische Behandlungsmaßnahme auf der Basis
eines therapeutischen Gesamtkonzepts erforderlich gewesen sei. Der Behandlungsplan vom 2. März 1993 habe dies nicht vorgesehen
(Urteil vom 23. Oktober 2003).
Mit ihrer Beschwerde wenden sich die Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG.
II
Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß §
160a Abs
4 Satz 2 iVm §
169 Satz 3
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus §
160a Abs
2 Satz 3
SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung der geltend gemachten Revisionszulassungsgründe nach §
160 Abs
2 Nr
1,
2 und
3 SGG.
1. Soll die Revision nach §
160 Abs
2 Nr
1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen werden, muss in der Beschwerdebegründung die grundsätzliche Bedeutung
dargelegt werden (vgl §
160a Abs
2 Satz 3
SGG). Hierzu ist es nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) erforderlich, eine Rechtsfrage klar zu formulieren
und aufzuzeigen, dass sie über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besitzt, und dass die Rechtsfrage klärungsbedürftig
sowie klärungsfähig ist, dh sie im Falle der Zulassung der Revision entscheidungserheblich wäre (vgl Senat, Beschluss vom
28. Februar 2005, B 1 KR 6/04 B; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2f; BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151f mwN). Hieran fehlt es.
Die Beschwerde sieht es als klärungsbedürftige Rechtsfrage an, "ob eine ohne Aufstellung eines formalen Behandlungsplanes
im Sinne des GSG nachweisbar bereits vor dem 5. November 1992, dem durch Art 1 Nr 15 GSG festgesetzten Stichtag angelaufene kieferorthopädische Behandlung von der Einschränkung der Leistungspflicht der Krankenkassen
gemäß §
28 Abs
2 SGB V erfasst werden sollte, wenn der Versicherte das 18. Lebensjahr vollendet hat". Es bedarf keiner Entscheidung, ob die aufgezeigte
Rechtsfrage hinreichend klar formuliert ist und hinreichend dargelegt ist, dass sie über den Einzelfall hinaus von Bedeutung
ist. Es ist jedenfalls nicht hinreichend dargelegt, dass sie entscheidungserheblich ist. Die Frage enthält in tatsächlicher
Hinsicht Prämissen, die so in ein mögliches Revisionsverfahren nicht eingehen könnten. Insbesondere hat sie Behauptungen zum
Inhalt, die nicht auch durch entsprechende positive Feststellungen im LSG-Urteil gedeckt sind; in einem Revisionsverfahren
dürften aber allein derartige Feststellungen der rechtlichen Beurteilung zu Grunde gelegt werden (vgl §
163 SGG), zumal das Fehlen solcher Feststellungen nicht hinreichend mit Revisionszulassungsgründen angegriffen wird (vgl dazu auch
3.). Das LSG ist in den Entscheidungsgründen nicht von einem Behandlungsbeginn vor dem 5. November 1992 ausgegangen, sondern
von dem Behandlungsbeginn 2. März 1993.
Soweit die Beschwerde zudem sich für die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache darauf beruft, das LSG-Urteil verletze die
Grundrechte des Klägers zu 1) aus Art
2 Abs
2 Grundgesetz (
GG) und Art
3 Abs
3 Satz 2
GG, da das LSG dem Behandlungsplan eine zahnmedizinische Bedeutung beigemessen habe, welche gegen die zahnmedizinische Erkenntnis
verstoße, eine kieferorthopädische Behandlung solle regelmäßig erst nach Abschluss des Körperwachstums begonnen werden, ist
schon keine klar erkennbare Rechtsfrage aufgeworfen. Zudem setzt sich die Beschwerde nicht damit auseinander, dass nach der
höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärt ist, dass sich sei dem 1. Januar 1993 Erwachsene auf Kosten der gesetzlichen Krankenkassen
nur in den gesetzlich geregelten Ausnahmefällen kieferorthopädisch behandeln lassen können. Darüber hinaus bestehen Ansprüche
des Versicherten weder bei Folgeerkrankungen noch im Hinblick auf Art oder Ursache der zu behandelnden Kieferanomalie. Die
darin liegende Beschränkung des Krankenversicherungsschutzes verletzt kein Verfassungsrecht (vgl Senat, Urteil vom 9. Dezember
1997, SozR 3-2500 § 28 Nr 3 mwN).
2. Auch so weit sich die Beschwerde auf den Zulassungsgrund des §
160 Abs
2 Nr
2 SGG beruft und geltend macht, das LSG sei vom Urteil des BSG vom 25. März 2003, - B 1 KR 17/01 R (SozR 4-2500 §
28 Nr
1) abgewichen, fehlt es an §
160a Abs
2 Satz 3
SGG genügenden Darlegungen. Wer sich auf diesen Zulassungsgrund beruft, muss entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze im Urteil
des Berufungsgerichts einerseits und in einer höchstrichterlichen Entscheidung andererseits gegenüberstellen und begründen,
weshalb diese miteinander unvereinbar seien (vgl Senat, Beschluss vom 28. Februar 2005, B 1 KR 10/04 B; Meyer-Ladewig,
SGG, 7. Aufl 2002, §
160a RdNr 15, §
160 RdNr 10 ff mwN). Daran fehlt es. Die Beschwerde zitiert zwar Passagen aus dem BSG-Urteil, benennt aber keinen dazu konträren
Rechtssatz des LSG-Urteils, aus dem sich die Notwendigkeit zur Herstellung von Rechtseinheit durch eine höchstrichterliche
Entscheidung ergeben könnte. Soweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang vorbringt, die Behandlung des Klägers zu 1) sei
bereits geraume Zeit vor Vollendung seines 18. Lebensjahres begonnen worden, verkennt sie, dass damit nur die für das Verfahren
der Nichtzulassungsbeschwerde unerhebliche Rüge der inhaltlichen Unrichtigkeit der angegriffenen Entscheidung des LSG vorgebracht
wird. Dieses Verfahren dient aber nicht dazu, die sachliche Richtigkeit der vorangegangen Verwaltungs- und Gerichtsentscheidungen
in vollem Umfang erneut zu überprüfen, sondern erfordert Vortrag, der im Einzelnen auf die Zulassungsgründe des §
160 Abs
2 Nr
1,
2 und
3 SGG bezogen ist (vgl Senat, Beschluss vom 28. Februar 2005, B 1 KR 6/04 B; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 3. Aufl 2002, IX, RdNr 182).
3. Mit dem Vorbringen, das LSG habe gegen die Amtsermittlungspflicht (§
103 SGG) verstoßen, weil es zur früheren Behandlung des Klägers zu 1) keinen Zeugenbeweis und keinen Sachverständigenbeweis zum Bestehen
einer schweren Kieferanomalie erhoben habe, legt die Beschwerde einen Verfahrensfehler nicht dar. Insoweit bleibt unbeachtet,
dass eine Verfahrensrüge gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 2
SGG auf die Verletzung des §
103 SGG nur gestützt werden kann, wenn das LSG einen entscheidungserheblichen Beweisantrag übergangen hat. Dazu wäre mit Blick auf
§
160a Abs
2 Satz 3
SGG besonderes Vorbringen nötig gewesen (vgl Senat, Beschluss vom 28. Februar 2005, B 1 KR 10/04 B; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 9 S 20f, Nr 29 S 49, Nr 31 S 51f). Danach kann auf eine Verletzung des §
103 SGG der Verfahrensmangel nach §
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 2
SGG nur dann gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt
ist. Die insoweit von der Beschwerde gerügten Aufklärungsmängel sind nicht schlüssig dargelegt; insbesondere fehlt es an der
Bezugnahme auf einen berücksichtigungsfähigen Beweisantrag.
Dazu geht das BSG in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass es jedenfalls rechtskundig vertretenen Beteiligten obliegt,
in der mündlichen Verhandlung alle diejenigen Anträge zur Niederschrift des Gerichts zu stellen, über die das Gericht entscheiden
soll (vgl BSG, ebenda mwN). Sinn der erneuten Antragstellung ist es, zum Schluss der mündlichen Verhandlung auch darzustellen,
welche Anträge nach dem Ergebnis der für die Entscheidung maßgebenden mündlichen Verhandlung noch abschließend gestellt werden,
mit denen sich das LSG dann im Urteil befassen muss, wenn es ihnen nicht folgt. Ungeachtet der Frage, ob die Beschwerde bloße
Beweisanregungen oder tatsächlich förmliche Beweisanträge vor der mündlichen Verhandlung formuliert hat, auf der das LSG-Urteil
beruht, hat sie jedenfalls nicht dargelegt, dass Beweisanträge in die Niederschrift über die mündliche Verhandlung aufgenommen
worden oder im LSG-Urteil aufgeführt sind. Insoweit ist nicht hinreichend dargelegt, dass Beweisanträge, die das LSG nach
dem Vorbringen der Beschwerde übergangen hat, noch zum Ende der mündlichen Verhandlung aufrechterhalten geblieben sind, obwohl
dort nur ein Sachantrag gestellt worden ist.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG.