Krankenversicherung
Krankenhausindividuelles Zusatzentgelt
Grundsatzrüge
Klärungsbedürftigkeit für ausgelaufenes Recht
Tatbestandsmerkmale einer Einzelvergütungsvorschrift mit einer normativ vorgegebenen kurzen Geltungsdauer
Gründe:
I
Der Kläger, Träger eines für die Behandlung Versicherter zugelassenen Krankenhauses, behandelte die bei der beklagten Krankenkasse
(KK) versicherte K (im Folgenden: Versicherte) stationär vom 19.12.2010 bis 8.3.2011 und berechnete hierfür ausgehend von
der Hauptdiagnose ICD-10-GM D68.31 (Hämorrhagische Diathese durch Vermehrung von Antikörpern gegen Faktor VIII Vermehrung
von Anti-VIIIa) die Fallpauschale (Diagnosis Related Group 2010 [DRG]) A09B (Beatmung > 499 und < 1000 Stunden mit komplexer
OR-Prozedur oder Polytrauma oder intensivmedizinischer Komplexbehandlung, Alter > 15 Jahre, mit sehr komplexem Eingriff oder
komplizierter Konstellation; 94 288 Euro zuzüglich Zuschlägen, insgesamt 158 513,58 Euro) zuzüglich eines krankenhausindividuell
vereinbarten Zusatzentgelts (ZE) 2010-27 für die "Behandlung von Blutern mit Blutgerinnungsfaktoren" (690 153,76 Euro; Rechnungsbetrag
insgesamt 848 667,34 Euro). Die Versicherte hatte sich zuvor in einer anderen Klinik einer Herzoperation unterzogen. Die Verlegung
erfolgte wegen pulmonaler Blutung im Rahmen einer erworbenen Hemmkörperhämophilie mit isoliertem Faktor VIII-Mangel. Die Beklagte
zahlte den Betrag in Höhe von 158 513,58 Euro, nicht aber den auf das ZE2010-27 entfallenden Anteil für die Gabe von Faktor
VIII-Präparaten. Das SG hat die Beklagte zur Zahlung der Differenz in Höhe von 690 153,76 Euro nebst Zinsen verurteilt. Das LSG hat das SG-Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen: Der Begriff "Bluter" im Text der ZE2010-27 schränke den Personenkreis, für dessen
Behandlung mit Blutgerinnungsfaktoren das streitige Zusatzentgelt abgerechnet werden könne, im Hinblick auf die Krankheitsdauer
ein. Er unterscheide nicht nach der Krankheitsursache oder danach, ob die Bluterkrankheit von Geburt an bestehe oder erst
im Lauf des Lebens auftrete. Erforderlich sei aber eine - im Sinne einer Behinderung - dauerhafte oder zumindest für einen
längeren Zeitraum (klinisch manifest) bestehende Erkrankung. Wer - wie die Versicherte - nur für einen vorübergehenden Zeitraum
für die Dauer einer Akuterkrankung unter erhöhter Blutungsneigung leide, sei nicht als "Bluter" anzusehen, auch wenn der zeitlich
beschränkten Krankheitsmanifestation eine latente Krankheitsursache zugrunde liege, die ihrerseits dauerhaft bestehe, wie
eine genetische Prädisposition (Urteil vom 22.3.2017).
Der Kläger wendet sich mit seiner dagegen eingelegten Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.
II
Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig und daher gemäß §
160a Abs
4 S 1 Halbs 2 iVm §
169 S 3
SGG zu verwerfen. Seine Begründung entspricht nicht den aus §
160a Abs
2 S 3
SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des allein geltend gemachten Revisionszulassungsgrundes der grundsätzlichen
Bedeutung (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG).
1. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich
sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN).
Der Kläger formuliert als Rechtsfragen:
"Wie ist der Begriff 'Bluter' in der Leistungslegende des Bluter-ZE 2010-27 des als den Anlagen 4 und 6 der FPV 2010 beigefügten
Zusatzentgeltekatalogs zu definieren?
Schränkt der im Text ('Leistungslegende') des Bluter-ZE (FPV 2010) verwendete Begriff 'Bluter' den Personenkreis im Hinblick
auf die Erkrankungsursache, den Erkrankungsbeginn und die Erkrankungsdauer ein?
Kann das Bluter-ZE 2010-27 bei der Hauptdiagnose ICD D68.31 beansprucht werden?"
Der Kläger legt jedoch die Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfragen nicht hinreichend dar. Hierzu bedarf es generell besonderen
Vorbringens, wenn es sich - wie bei der Fallpauschalvereinbarung (FPV) 2010 und der von dem Kläger ua mit der AOK Baden-Württemberg
geschlossenen "Budget- und Entgeltvereinbarung gemäß § 11 KHEntgG für das Jahr 2010" vom 27.7.2010 - um ausgelaufenes Recht
handelt (vgl ausführlich BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 32 RdNr 10 ff mwN, dort zum Operationen- und Prozedurenschlüssel [OPS]). Dementsprechend entbehren Rechtsfragen der grundsätzlichen
Bedeutung, wenn die Tatbestandsmerkmale einer Einzelvergütungsvorschrift mit einer normativ vorgegebenen kurzen Geltungsdauer
einer rechtstatsächlich stattfindenden fortlaufenden Überprüfung und eventuellen Anpassung mit der Folge unterliegen, dass
im Zeitpunkt der Befassung des Revisionsgerichts mit der Norm eine über den Einzelfall hinausweisende Bedeutung nicht mehr
erkennbar ist. Bezogen auf die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung unter dem Gesichtspunkt des ausgelaufenen Rechts bedeutet
dies, dass im Streit über die Anwendbarkeit einer bestimmten DRG darzulegen ist: (1) Die betroffene Einzelvorschrift (bzw
das dort betroffene Tatbestandsmerkmal) hat im konkreten Fall auf die zur Ermittlung der DRG durchzuführende Groupierung Einfluss.
(2) Die in der kalenderjahresbezogen anzuwendenden FPV mitgeregelte betroffene Einzelvorschrift gilt in späteren FPV im Wortlaut
unverändert erlöswirksam für die Groupierung fort. (3) Ein sich daraus in einer Vielzahl von Behandlungsfällen bereits ergebender
und zukünftig zu erwartender Streit konnte von den am Abschluss des FPV mitwirkenden Vertragsparteien bislang nicht einvernehmlich
gelöst werden (BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 32 RdNr 14; BSG Beschluss vom 26.8.2016 - B 1 KR 60/16 B - RdNr 6 f zum OPS-Kode 8-981.x). Dies gilt entsprechend für die Anwendbarkeit eines bestimmten krankenhausindividuellen
Zusatzentgeltes.
Der Kläger legt schon die zweite Voraussetzung nicht ausreichend dar. Er setzt sich nicht hinreichend damit auseinander, dass
die Anlagen 4 und 6 sowie die Anlage 7 (Zusatzentgelt-Katalog - Blutgerinnungsstörung) zur FPV seit 2013 nunmehr bei der Behandlung
von Blutgerinnungsstörungen zwei Zusatzentgelte (aktuell ZE2017-97 "Behandlung von Blutern mit Blutgerinnungsstörung" und
ZE2017-98 "Gabe von Blutgerinnungsfaktoren") vorsehen, denen jeweils konkrete nach dem ICD-Kode verschlüsselte Diagnosen zugeordnet
werden. Der Kläger führt zwar aus, die auch ab dem Jahre 2013 geltende Leistungslegende "Behandlung von Blutern mit Blutgerinnungsfaktoren"
sei ausgehend von der bei der Versicherten kodierten Hauptdiagnose ICD-10-GM D68.31 "Hämorrhagische Diathese durch Vermehrung
von Antikörpern gegen Faktor VIII Vermehrung von Anti-VIIIa" unverändert geblieben. Er legt aber nicht dar, wieso dies gelten
soll, obwohl die in der Anlage 7 zur FPV 2013 abschließend aufgeführten ICD-10-GM Diagnosen - einschließlich der Hauptdiagnose
ICD-10-GM D68.31 - nunmehr darüber entscheiden, ob und welches Zusatzentgelt wegen der Gabe von Blutgerinnungspräparaten abgerechnet
werden kann. Er legt auch nicht dar, wieso die von ihm in der Rechtsfrage 2 angesprochene Erkrankungsdauer seit der FPV 2013
noch Bedeutung für die Hauptdiagnose ICD-10-GM D68.31 haben soll, obwohl die dritte Tabelle der Anlage 7 zur FPV ("Zu differenzierende
ICD-Kodes") diese Diagnose nicht enthält. Nur für die dort genannten Diagnosen gilt, dass sie dem ZE 2013-97 zuzuordnen sind,
soweit es sich um dauerhaft erworbene Blutgerinnungsstörungen handelt und dem ZE 2013-98, soweit es temporäre Blutgerinnungsstörungen
sind. Der Kläger legt auch nicht dar, dass die Rechtsfragen 1 und 2 noch für eine erhebliche Zahl von Fällen, die noch nach
altem Recht zu entscheiden sind, von Bedeutung sind (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 19; BSG Beschluss vom 10.2.2004 - B 1 KR 10/03 B - Juris RdNr 7; BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 32, RdNr 10).
Der Kläger legt einen fortdauernden Klärungsbedarf zur Frage 3 ebenfalls nicht dar. Er setzt sich nicht damit auseinander,
wieso sich ihre Beantwortung seit 2013 nicht unmittelbar aus der Tabelle 1 der Anlage 7 der FPV ergeben soll. Soweit der Kläger
mit seiner dritten Frage sinngemäß geklärt wissen will, ob bei einer aufgrund einer genetischen Prädisposition durch Vermehrung
von Antikörpern gegen Faktor VIII erworbenen Hämophilie die ICD-10-GM Diagnose D68.31 (Hämorrhagische Diathese durch Vermehrung
von Antikörpern gegen Faktor VIII Vermehrung von Anti-VIIIa) zu kodieren ist, legt er einen Klärungsbedarf nicht dar. Eine
Rechtsfrage ist nicht klärungsbedürftig, obwohl das BSG sie noch nicht ausdrücklich behandelt hat, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sodass eine weitere Klärung oder
Fortentwicklung des Rechts nicht mehr zu erwarten ist (vgl zB BSG Beschluss vom 16.4.2012 - B 1 KR 25/11 B - Juris RdNr 7 mwN). Die gebotene substantiierte Darlegung der Klärungsbedürftigkeit von in einer Vergütungsvorschrift verwendeten
Begriffen erfordert, dass der Beschwerdeführer ausführt, warum ausnahmsweise noch ein über die Frage der zutreffenden Auslegung
durch das Tatsachengericht hinausgehender Klärungsbedarf besteht, obwohl die Auslegung von Vergütungsvorschriften lediglich
nach Wortlaut und - ergänzend - Systematik erfolgt. Die Auslegung einer der jährlichen Überprüfung und eventuellen Anpassung
unterliegenden vertraglichen Einzelvergütungsvorschrift hat nämlich in der Regel keine grundsätzliche Bedeutung, wenn sie
keine wesentlichen Auslegungsprobleme aufwirft sowie die hierfür anzuwendenden Auslegungsmethoden einfach und geklärt sind
(vgl zum Ganzen BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 32 RdNr 17 f, dort speziell zur Auslegung von medizinischen Begriffen). Unter Berücksichtigung der vom Kläger selbst vorgetragenen,
seit 2013 geltenden Leistungslegende der Anlage 7 der FPV, die maßgeblich auf ICD-Kodes abstellt, erschließt sich nicht, warum
die Feststellung des Sinngehalts des Bluterbegriffs sich nicht in der korrekten Ermittlung des medizinisch-wissenschaftlichen
Sinngehalts der ICD-Kodes erschöpft, die der "Behandlung von Blutern mit Gerinnungsfaktoren" zugeordnet sind (vgl zur Beweiserhebung
über den medizinisch-wissenschaftlichen Sprachgebrauch BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 32 RdNr 18). Der Kläger trägt nicht vor, warum es hier über die Klärung des in Anlage 7 der FPV aufgeführten medizinischen
Begriffs "Hämorrhagische Diathese durch Vermehrung von Antikörpern gegen Faktor VIII" hinaus noch Auslegungsbedarf geben soll.
Der Kläger trägt auch nichts dazu vor, ob der Auslegungsstreit über die hier streitige Einzelvorschrift eine strukturelle
Frage des Vergütungssystems betrifft, deren Beantwortung - ungeachtet der Fortgeltung der konkret betroffenen Vorschrift -
über die inhaltliche Bestimmung der Einzelvorschrift hinaus für das Vergütungssystem als Ganzes oder für einzelne Teile zukünftig
von struktureller Bedeutung ist (vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 32 RdNr 15).
Soweit der Kläger die Auslegung des Begriffs "Bluter" durch das LSG kritisiert, die Auslegung des Begriffs des "Bluters" sei
fehlerhaft, weil die vom LSG vorgenommene Differenzierung nicht dem (medizinisch-wissenschaftlichen) Sprachgebrauch entspreche,
wendet er sich im Kern gegen die Richtigkeit der Entscheidung. Dies reicht indes nicht aus, um die Revision zuzulassen (vgl
BSG SozR 1500 § 160a Nr 7 S 10; BSG Beschluss vom 22.5.2017 - B 1 KR 9/17 B - Juris RdNr 9 mwN).
2. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§
160a Abs
4 S 2 Halbs 2
SGG).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a Abs
1 S 1 Teils 3
SGG iVm §
154 Abs
2 VwGO, diejenige über den Streitwert auf §
197a Abs
1 S 1 Teils 1
SGG iVm §
63 Abs
2 S 1, § 52 Abs 1 und 3, § 47 Abs 1 und 3 GKG.