Anspruch auf Kostenerstattung der gesetzlichen Krankenversicherung für eine stationäre Augmentationsmastopexie als Naturalleistung
im Wege der Genehmigungsfiktion
Krankenversicherung
Rücknahme einer fingierten Genehmigung
Genehmigungsfiktion als voll wirksamer Verwaltungsakt
Gründe:
I
Die Beteiligten streiten über die Versorgung der Klägerin mit einer Augmentationsmastopexie.
Die bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte Klägerin beantragte befundgestützt die Versorgung mit einer Augmentationsmastopexie
(25.3.2015). Die Beklagte forderte bei der Klägerin weitere Angaben an (14.4.2015). Der beauftragte Medizinische Dienst der
Krankenversicherung (MDK) hielt die beantragte Operation für nicht notwendig, da bereits kein krankhafter Befund vorliege;
im Vordergrund stehe die ästhetisch-kosmetische Korrektur (29.4.2015). Die Beklagte lehnte es ab, die beantragte Leistung
zu bewilligen (Bescheid vom 5.5.2015, Widerspruchsbescheid vom 8.10.2015). Das SG hat die Bescheide der Beklagten aufgehoben und die Beklagte verurteilt, "der Klägerin eine Augmentationsmastopexie beidseits
als Sachleistung zu gewähren". Die Klägerin habe aus der fingierten Genehmigung ihres Antrags einen Anspruch auf Versorgung
mit der beantragten Leistung. Die Voraussetzungen der Genehmigungsfiktion nach §
13 Abs
3a S 6
SGB V seien erfüllt (Urteil vom 15.11.2016).
Die Beklagte hat dagegen Revision eingelegt, "die Genehmigungsfiktion" des Antrags vom 25.3.2015 "mit Wirkung für die Zukunft
aufgehoben" und den "Antrag abgelehnt" (Bescheid vom 27.3.2017).
Mit ihrer Sprungrevision rügt die Beklagte die Verletzung von §
13 Abs
3a SGB V. Die fingierte Genehmigung begründe nur Kostenerstattungsansprüche für systemkonforme Leistungen. Außerdem könne die vorgelegte
Bescheinigung von Dr. U. nicht Grundlage eines Vertrauens der Klägerin auf die Notwendigkeit der beantragten Leistung sein.
Eine fingierte Genehmigung könne bei Rechtswidrigkeit aufgehoben werden, wie sich aus § 42a Abs 1 S 2 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) ergebe, auf den §
13 Abs
3a SGB V durch Anordnung der Fiktion verdeckt verweise.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 15. November 2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
II
Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet (§
170 Abs
1 S 1
SGG). Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die zulässige Klage auf Leistung einer Augmentationsmastopexie und Aufhebung der
Ablehnungsentscheidung (Bescheid vom 5.5.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8.10.2015), nicht dagegen auf
Aufhebung der Rücknahmeentscheidung (dazu 1.). Die Klage ist begründet. Zu Recht hat das SG die Ablehnungsentscheidung aufgehoben und die Beklagte zur Versorgung der Klägerin mit einer Augmentationsmastopexie verurteilt.
Die Klägerin hat aufgrund fingierter Genehmigung ihres Antrags einen Naturalleistungsanspruch auf Versorgung mit der beantragten
Augmentationsmastopexie (dazu 2.). Die Ablehnungsentscheidung ist rechtswidrig (dazu 3.).
1. Die Klage auf Augmentationsmastopexie (dazu a) und auf Aufhebung der Leistungsablehnung ist zulässig (dazu b).
a) Die Klage auf Augmentationsmastopexie ist als allgemeine Leistungsklage zulässig. Nach §
54 Abs
5 SGG kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt
nicht zu ergehen hatte. Hierfür genügt es, dass ein bindender Verwaltungsakt (§
77 SGG) vorliegt, der Leistungsträger aber gleichwohl nicht leistet (vgl BSG Urteil vom 11.7.2017 - B 1 KR 1/17 R - Juris RdNr 9, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen; BSGE 50, 82, 83 = SozR 1500 §
54 Nr 40 S 22 f; Coseriu in Zeihe/Hauck,
SGG, Stand August 2017, §
54 Anm 43b). Ist die Genehmigung einer beantragten Leistung kraft Fiktion erfolgt, steht dies der Bewilligung der beantragten
Leistung durch einen Leistungsbescheid gleich. Die Genehmigungsfiktion bewirkt ohne Bekanntgabe (§§ 37, 39 Abs 1 SGB X) einen in jeder Hinsicht voll wirksamen Verwaltungsakt iS von § 31 S 1 SGB X. Durch den Eintritt der Fiktion verwandelt sich der hinreichend inhaltlich bestimmte Antrag in den Verfügungssatz des fingierten
Verwaltungsakts (vgl hierzu unten II 2 d). Er hat zur Rechtsfolge, dass das in seinem Gegenstand durch den Antrag bestimmte
Verwaltungsverfahren beendet ist und dem Versicherten - wie hier - unmittelbar ein Anspruch auf Versorgung mit der Leistung
zusteht (vgl zum Ganzen BSG Urteil vom 11.7.2017 - B 1 KR 26/16 R - Juris RdNr 8 mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen).
Die allgemeine Leistungsklage tritt nicht hinter die Feststellungsklage zurück (§
55 Abs
1 Nr
1 SGG). Mit der allgemeinen Leistungsklage kann ein Kläger effektiven Rechtsschutz (Art
19 Abs
4 S 1
GG) erlangen, wenn sich eine KK - wie hier - weigert, eine durch Verwaltungsakt zuerkannte Leistung zu erbringen. Ihm bleibt
nur die Leistungsklage, um einen Vollstreckungstitel zu erhalten (§
199 Abs
1 Nr
1 SGG). Eine Vollstreckung aus Verwaltungsakten gegen die öffentliche Hand ist nicht vorgesehen (vgl BSGE 50, 82, 83 = SozR 1500 § 54 Nr 40 S 23; BSGE 75, 262, 265 = SozR 3-8560 § 26 Nr 2 S 15). Die allgemeine Leistungsklage und nicht eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage
(§
54 Abs
4 SGG) ist statthaft. Denn die Klägerin stützt ihr Begehren auf den Eintritt der fingierten Genehmigung ihres Antrags (§
13 Abs
3a S 6
SGB V), auf einen fingierten Leistungsbescheid. §
86 SGG findet keine Anwendung. Die Beklagte setzte mit dem späteren Erlass der Ablehnungsentscheidung (Bescheid vom 5.5.2015) das
mit Eintritt der Genehmigungsfiktion beendete, ursprüngliche Verwaltungsverfahren nicht im Rechtssinne fort, sondern eröffnete
ein neues eigenständiges Verfahren (vgl entsprechend BSG Urteil vom 11.7.2017 - B 1 KR 26/16 R - Juris RdNr 9 mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen, und unten II 3). Auch mit dem späteren Aufhebungsbescheid
(27.3.2017) eröffnete die Beklagte ein neues eigenständiges Verfahren (dazu sogleich).
b) Die daneben im Wege der objektiven Klagehäufung (§
56 SGG) erhobene isolierte Anfechtungsklage gegen die Ablehnungsentscheidung, mit der die Beklagte eine neue Sachentscheidung traf,
ist zulässig (BSG Urteil vom 11.7.2017 - B 1 KR 1/17 R - Juris RdNr 11, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen; vgl ähnlich auch BSGE 75, 262, 265 = SozR 3-8560 § 26 Nr 2 S 15). Der erkennende Senat hat über die Änderung der Ablehnung durch die Rücknahme nicht mitzuentscheiden.
Sie gilt als vor dem SG angefochten. Wird während des Revisionsverfahrens der angefochtene Verwaltungsakt durch einen neuen abgeändert oder ersetzt,
so gilt der neue Verwaltungsakt als mit der Klage beim SG angefochten, es sei denn, dass der Kläger durch den neuen Verwaltungsakt klaglos gestellt oder dem Klagebegehren durch die
Entscheidung des Revisionsgerichts zum ersten Verwaltungsakt in vollem Umfang genügt wird (§
171 SGG).
So liegt es hier. Die Rücknahmeentscheidung änderte die Ablehnungsentscheidung nach den zu §
96 Abs
1 SGG entwickelten Grundsätzen. Sie gelten auch bei Anwendung des §
171 SGG, der eine Spezialregelung hierzu bildet. Einerseits sichert er, dass das Revisionsgericht sich auf die Rechtskontrolle konzentriert
(§
163 SGG), und ermöglicht andererseits dem Betroffenen eine Überprüfung in tatsächlicher Hinsicht durch das Eingangsgericht. Ein späterer
Verwaltungsakt ändert oder ersetzt dann einen früheren, angefochtenen, wenn er den Verfügungssatz des Ursprungsbescheids ersetzt,
abändert oder unter Aufrechterhaltung des Rechtsfolgenausspruchs dessen Begründung so modifiziert, dass sich der entscheidungserhebliche
Sachverhalt ändert. Es genügt auch, wenn der spätere in die Regelung des früheren Verwaltungsakts eingreift und damit die
Beschwer des Betroffenen vermehrt oder vermindert (vgl BSGE 91, 277 = SozR 4-2600 § 96a Nr 3, RdNr 7 mwN; Estelmann in Zeihe/Hauck,
SGG, Stand August 2017, §
96 Anm 8a ee). Dies dient dem Gebot, effektiven Rechtsschutz zu gewähren (Art
19 Abs
4 GG). Es harmoniert mit dem maßgeblichen zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff (vgl dazu BSGE 115, 95 = SozR 4-2500 § 2 Nr 4, RdNr 32). Dementsprechend bezieht überzeugend auch Rspr des BSG Verwaltungsentscheidungen in das Gerichtsverfahren ein, mit denen ein Versicherungsträger es während eines Gerichtsverfahrens
ablehnt, hinsichtlich des gerichtlichen Streitgegenstands nach § 44 SGB X tätig zu werden oder einer Änderung Rechnung zu tragen. Dies bezweckt zu vermeiden, dass - durch welcher Art Vorgehen auch
immer - über denselben Streitgegenstand mehrere gerichtliche Verfahren nebeneinander geführt werden (BSG SozR 4-1500 § 96 Nr 3 RdNr 10). Es entspricht auch dem Regelungszweck, den Streitstoff konzentriert im Interesse umfassender beschleunigter
Erledigung einer einheitlichen und nicht mehreren, sich denkmöglich widersprechenden Entscheidungen zuzuführen, indem ein
Zweit- oder Drittprozess ausgeschlossen wird (vgl Estelmann in Zeihe/Hauck,
SGG, Stand August 2017, §
96 Anm 1c aa).
In diesem Sinne änderte die Rücknahme der fingierten Genehmigung die angefochtene Ablehnungsentscheidung. Die Rücknahmeentscheidung
lehnte - wie die angefochtene ursprüngliche Ablehnung (vgl unten II 3) - den Leistungsantrag ab, hob aber zugleich die fingierte
Genehmigung auf. Die Aufhebung der Genehmigung änderte die Grundlage für die nun zu treffende Entscheidung über den Leistungsantrag.
Die Klägerin wurde durch die Rücknahme der fingierten Genehmigung nicht klaglos gestellt. Ihrem Klagebegehren wird auch durch
die Entscheidung des erkennenden Senats zur Leistungsablehnung nicht in vollem Umfang genügt.
Der erkennende Senat darf die Rücknahme der fingierten Genehmigung nicht nach §
171 SGG im anhängigen Revisionsverfahren überprüfen. Die Vorschrift ist weder dispositiv ausgestaltet, sodass von ihr auch nicht
im Einverständnis der Beteiligten abgewichen werden kann noch differenziert die Regelung danach, ob im Rahmen der Prüfung
des ersetzenden Bescheids ausschließlich Rechtsfragen oder auch tatsächliche Umstände zu klären sind. Insoweit unterscheidet
sie sich von der Bestimmung des § 127 Finanzgerichtsordnung, nach der der BFH bei der Ersetzung eines angefochtenen Verwaltungsaktes während des Revisionsverfahrens in der Sache entscheiden
oder, wenn sich durch den neuen Bescheid tatsächliche Änderungen in Bezug auf den Streitgegenstand ergeben, die Sache an das
Finanzgericht zurückverweisen kann (vgl zB BFH Urteil vom 25.1.2007 - III R 7/06 - BFH/NV 2007, 1081, 1082 = Juris RdNr 17 f). Der Gesetzgeber des
SGG hat sich demgegenüber für eine generalisierende Regelung entschieden, die eine Befassung des BSG mit einem im Revisionsverfahren ergangenen ändernden oder ersetzenden Bescheid immer ausschließt (vgl BSG Urteil vom 29.8.2007 - B 6 KA 31/06 R - USK 2007-73 = Juris RdNr 17; zustimmend zitiert in BSGE 109, 96 = SozR 4-3300 § 82 Nr 7, RdNr 14; BSG Beschluss vom 5.10.2009 - B 13 R 79/08 R - SozR 4-1500 § 171 Nr 1 = Juris RdNr 13). Soweit der 7. BSG-Senat hiervon eine Ausnahme für Bescheide machen will, die dieselbe Regelung wie im Ursprungsbescheid lediglich auf eine
andere Begründung stützen (vgl BSGE 15, 105, 106 f = SozR Nr 3 zu §
171 SGG; s ferner BSGE 112, 201 = SozR 4-2500 § 36 Nr 3, RdNr 31), liegt eine solche Ausnahme hier nicht vor. Denn die Rücknahme hat mit der "Aufhebung" der fingierten Genehmigung
einen über die bloße Ablehnung der beantragten Leistung hinausgehenden eigenständigen Regelungsgegenstand.
2. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Versorgung mit der beantragten Augmentationsmastopexie als Naturalleistung.
Er entstand kraft fingierter Genehmigung des Antrags (dazu a). Die Voraussetzungen der Fiktion der Genehmigung sind erfüllt.
§
13 Abs
3a SGB V (idF durch Art 2 Nr 1 Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten [PatRVerbG] vom 20.2.2013, BGBl I 277) erfasst die von
der Klägerin beantragte Leistung zeitlich und als eine ihrer Art nach der Genehmigungsfiktion zugängliche Leistungsart (dazu
b). Die Klägerin war leistungsberechtigt (dazu c). Sie erfüllte mit ihrem Antrag die Voraussetzungen eines genehmigungsfähigen,
den Lauf der Frist auslösenden Antrags auf Versorgung mit einer Augmentationsmastopexie (dazu d). Die Klägerin durfte die
beantragte Leistung für erforderlich halten (dazu e). Die Beklagte hielt die gebotene Frist für eine Verbescheidung nicht
ein (dazu f). Die Genehmigung ist auch nicht später erloschen (dazu g).
a) Gilt eine beantragte Leistung als genehmigt, erwächst dem Antragsteller hieraus ein Naturalleistungsanspruch als eigenständig
durchsetzbarer Anspruch. Der Anspruch ist entsprechend den allgemeinen Grundsätzen auf Freistellung von der Zahlungspflicht
gerichtet, wenn die fingierte Genehmigung eine Leistung betrifft, die nicht als Naturalleistung erbracht werden kann (vgl
BSG Urteil vom 11.7.2017 - B 1 KR 26/16 R - Juris RdNr 12 mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen; BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 25). Ausdrücklich regelt das Gesetz, dass, wenn keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes
erfolgt, die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt gilt (§
13 Abs
3a S 6
SGB V). Ohne den nachfolgenden Satz 7 bliebe es allein bei diesem Anspruch. Denn eine KK darf anstelle der Sach- oder Dienstleistung
(vgl §
2 Abs
2 SGB V) Kosten nur erstatten, soweit es das
SGB V oder das
SGB IX vorsieht (vgl §
13 Abs
1 SGB V). Nach dem Regelungssystem entspricht dem Naturalleistungsanspruch der im Anschluss hieran geregelte, den Eintritt der Genehmigungsfiktion
voraussetzende naturalleistungsersetzende Kostenerstattungsanspruch im Ansatz (vgl §
13 Abs
3a S 7
SGB V). Der Naturalleistungsanspruch kraft Genehmigungsfiktion ermöglicht auch mittellosen Versicherten, die nicht in der Lage
sind, sich die begehrte Leistung selbst zu beschaffen, ihren Anspruch zu realisieren (vgl LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss
vom 23.5.2014 - L 5 KR 222/14 B ER - Juris RdNr 7 mwN). Für diese Auslegung spricht auch der Sanktionscharakter der Norm (vgl zum Ganzen BSG Urteil vom 11.7.2017 - B 1 KR 26/16 R - Juris RdNr 12 mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen; BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 25; zum Sanktionscharakter Entwurf der Bundesregierung eines PatRVerbG, BT-Drucks 17/10488
S 32, zu Art 2 Nr 1).
Soweit die Beklagte mit vereinzelten abweichenden Stimmen einen Naturalleistungsanspruch als Rechtsfolge der Genehmigungsfiktion
verneint, geht diese Ansicht fehl (einen Naturalleistungsanspruch bejahend zB LSG für das Saarland Urteil vom 17.5.2017 -
L 2 KR 24/15 - Juris RdNr 34; LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 21.3.2017 - L 1 KR 623/15 - Juris RdNr 26; Bayerisches LSG Urteil vom 12.1.2017 - L 4 KR 37/15 - Juris RdNr 42 ff; LSG Rheinland-Pfalz Urteil vom 3.11.2016 - L 5 KR 197/15 - Juris RdNr 18; Bayerisches LSG Urteil vom 28.6.2016 - L 5 KR 323/14 - Juris RdNr 27; Schleswig-Holsteinisches LSG Beschluss vom 20.1.2016 - L 5 KR 238/15 B ER - Juris RdNr 25 ff = NZS 2016, 311 und nahezu die gesamte veröffentlichte umfängliche SG-Rspr; einen Naturalleistungsanspruch ablehnend zB KoppenfelsSpies, NZS 2016, 601, 603 f; Helbig in jurisPK-
SGB V, §
13 RdNr 69 ff, Stand 3.11.2017; zutreffend dagegen Noftz in Hauck/Noftz,
SGB V, Stand Oktober 2017; K §
13 RdNr 58l und 58r; Schifferdecker in Kasseler Komm, Stand September 2017, § 13 RdNr 145). Sie verkennt, dass die ursprüngliche
geplante Regelung in Art 2 Nr 1 PatRVerbG-Entwurf der Bundesregierung (BT-Drucks 17/10488 S 7) unmaßgeblich ist. Der Entwurf
sah zunächst lediglich eine Fristsetzung durch den Antragsteller und eine an den Fristablauf gebundene Berechtigung zur Selbstbeschaffung
der erforderlichen Leistung vor. Diese Konzeption wurde jedoch durch die vom Ausschuss für Gesundheit (14. Ausschuss) empfohlenen
(BT-Drucks 17/11710 S 11), mit §
13 Abs
3a S 5 und 6
SGB V Gesetz gewordenen Änderungen iS eines fingierten Verwaltungsakts (Genehmigung) grundlegend geändert. Letztlich will die einen
Naturalleistungsanspruch ablehnende Meinung die von ihr als gesetzgeberische Fehlleistung bewertete Rechtsfolge des §
13 Abs
3a S 6
SGB V (vgl nur Helbig in jurisPK-
SGB V, §
13 RdNr 71, Stand 3.11.2017: "missglückte Wortwahl") entgegen dem eindeutigen Wortlaut nicht anwenden. Sie vernachlässigt dabei,
dass §
13 Abs
3a SGB V bewusst abweichend von den sonstigen in §
13 SGB V geregelten Kostenerstattungstatbeständen geregelt ist und sich wie der Erstattungsanspruch (vgl §
13 Abs
3a S 7
SGB V) nur auf subjektiv "erforderliche" Leistungen erstreckt (vgl zum Ganzen BSG Urteil vom 11.7.2017 - B 1 KR 26/16 R - Juris RdNr 13 mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen; BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 25).
b) Die Regelung des §
13 Abs
3a S 6
SGB V ist auf den Antrag der Klägerin sachlich und zeitlich anwendbar. Die Regelung erfasst ua Ansprüche auf Krankenbehandlung,
nicht dagegen Ansprüche gegen KKn, die unmittelbar auf eine Geldleistung oder auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation
gerichtet sind (vgl zum Ganzen BSG Urteil vom 11.7.2017 - B 1 KR 26/16 R - Juris RdNr 14 mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen; BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 §
13 Nr 33, RdNr 11 ff); auf letztere finden die §§
14 f
SGB IX Anwendung (§
13 Abs
3a S 9
SGB V). Die Klägerin begehrt demgegenüber die Gewährung von Krankenbehandlung in Form stationärer Krankenhausbehandlung (§
27 Abs
1 S 2 Nr
5 iVm §
39 SGB V).
Nach dem maßgeblichen intertemporalen Recht (vgl hierzu zB BSGE 99, 95 = SozR 4-2500 § 44 Nr 13, RdNr 15; BSG SozR 4-2500 § 275 Nr 4 RdNr 13 f mwN) greift die Regelung lediglich für Anträge auf künftig zu erbringende Leistungen, die Berechtigte ab dem
26.2.2013 stellen (vgl zum Ganzen BSG Urteil vom 11.7.2017 - B 1 KR 26/16 R - Juris RdNr 15 mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen; BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 9). Die Klägerin stellte ihren Antrag im Jahr 2015.
c) Die Klägerin ist als bei der Beklagten Versicherte leistungsberechtigt im Sinne der Regelung. "Leistungsberechtigter" ist
derjenige, der berechtigt ist, Leistungen nach dem
SGB V zu beanspruchen. Hierzu zählen ua in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) Versicherte im Verhältnis zu ihrer jeweiligen
KK (vgl BSG Urteil vom 11.7.2017 - B 1 KR 26/16 R - Juris RdNr 16 mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen; BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 22).
d) Die Klägerin beantragte als Leistung hinreichend bestimmt eine Augmentationsmastopexie. Damit eine Leistung als genehmigt
gelten kann, bedarf es eines fiktionsfähigen Antrags. Der Antrag hat eine Doppelfunktion als Verfahrenshandlung (vgl dazu
oben, unter II 1) und als materiell-rechtliche Voraussetzung (vgl zur Doppelfunktion zB BSGE 96, 161 = SozR 4-2500 § 13 Nr 8, RdNr 14). Die Fiktion kann nur dann greifen, wenn der Antrag so bestimmt gestellt ist, dass die
auf Grundlage des Antrags fingierte Genehmigung ihrerseits iS von § 33 Abs 1 SGB X hinreichend bestimmt ist (vgl BSG Urteil vom 11.7.2017 - B 1 KR 26/16 R - Juris RdNr 17 mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen; BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 23). Ein Verwaltungsakt ist - zusammengefasst - inhaltlich hinreichend bestimmt (§ 33 Abs 1 SGB X), wenn sein Adressat objektiv in der Lage ist, den Regelungsgehalt des Verfügungssatzes zu erkennen und der Verfügungssatz
ggf eine geeignete Grundlage für seine zwangsweise Durchsetzung bildet. So liegt es, wenn der Verfügungssatz in sich widerspruchsfrei
ist und den Betroffenen bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers in die Lage versetzt,
sein Verhalten daran auszurichten. Die Anforderungen an die notwendige Bestimmtheit richten sich im Einzelnen nach den Besonderheiten
des jeweils anzuwendenden materiellen Rechts (stRspr, vgl nur BSG Urteil vom 11.7.2017 - B 1 KR 26/16 R - Juris RdNr 17 mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen).
Der Verfügungssatz, einen Naturalleistungsanspruch auf eine bestimmte Krankenbehandlung (§
27 SGB V) zu gewähren, verschafft dem Adressaten - wie dargelegt - eine Rechtsgrundlage dafür, mittels Leistungsklage einen Vollstreckungstitel
auf das Zuerkannte zu erhalten. Die Vollstreckung erfolgt nach den Regelungen über vertretbare Handlungen (vgl §
199 Abs
1 Nr
1, §
198 Abs
1 SGG, §
887 ZPO). Es genügt hierfür, dass das Behandlungsziel klar ist. Dass hinsichtlich der Mittel zur Erfüllung der Leistungspflicht verschiedene
Möglichkeiten zur Verfügung stehen, beeinträchtigt den Charakter einer Leistung als vertretbare Handlung nicht (vgl Stöber
in Zöller,
ZPO, 31. Aufl 2016, §
887 ZPO RdNr 2 mwN). Diese allgemeinen Grundsätze gelten ebenso, wenn Patienten zur Konkretisierung der Behandlungsleistung auf die
Beratung des behandelnden Arztes angewiesen sind (vgl insgesamt BSG Urteil vom 11.7.2017 - B 1 KR 26/16 R - Juris RdNr 18 mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen).
Der Antrag der Klägerin vom 25.3.2015 genügte diesen Anforderungen. Er war auf die Versorgung mit einer Augmentationsmastopexie
gerichtet (vgl entsprechend BSG Urteil vom 11.7.2017 - B 1 KR 26/16 R - Juris RdNr 19 mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen).
e) Der Antrag der Klägerin betraf auch eine Leistung, die sie für erforderlich halten durfte und die nicht offensichtlich
außerhalb des Leistungskatalogs der GKV liegt. Die Gesetzesregelung ordnet diese Einschränkungen für die Genehmigungsfiktion
zwar nicht ausdrücklich an, aber sinngemäß nach dem Regelungszusammenhang und -zweck.
Die Begrenzung auf erforderliche Leistungen bewirkt eine Beschränkung auf subjektiv für den Berechtigten erforderliche Leistungen,
die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV liegen. Einerseits soll die Regelung es dem Berechtigten
erleichtern, sich die ihm zustehende Leistung zeitnah zu beschaffen. Andererseits soll sie ihn nicht zu Rechtsmissbrauch einladen,
indem sie Leistungsgrenzen des GKV-Leistungskatalogs überwindet, die jedem Versicherten klar sein müssen (vgl BSG Urteil vom 11.7.2017 - B 1 KR 26/16 R - Juris RdNr 21 mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen; BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 26).
Dieser Auslegung steht weder das Qualitätsgebot (§
2 Abs
1 S 3
SGB V) noch das Wirtschaftlichkeitsgebot (§
12 Abs
1 SGB V) entgegen. §
13 Abs
3a SGB V weicht gerade als Sanktionsnorm von deren Anforderungen ab, indem er in seinem Satz 6 selbst in den Fällen, in denen eine
KK einen im oben dargestellten Sinn fiktionsfähigen Antrag völlig übergeht, die Fiktion der Genehmigung anordnet und damit
bewusst in Kauf nimmt, dass die Rechtsauffassung des Antragstellers nur "zufällig" rechtmäßig ist, mithin die Leistung auch
dann als genehmigt gilt, wenn der Antragsteller auf diese objektiv ohne die Genehmigungsfiktion keinen materiell-rechtlichen
Anspruch hat. Wären nur die auf sonstige materiell-rechtlich bestehende Leistungsansprüche außerhalb von §
13 Abs
3a SGB V gerichteten Anträge fiktionsfähig, wäre die Reglung des §
13 Abs
3a S 6
SGB V obsolet (dies verkennend: LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 26.5.2014 - L 16 KR 154/14 B ER, L 16 KR 155/14 B - Juris RdNr 26 ff = NZS 2014, 663; Koppenfels-Spies, NZS 2016, 601, 604; Knispel, SGb 2014, 374 ff; vgl dagegen BSG Urteil vom 11.7.2017 - B 1 KR 26/16 R - Juris RdNr 22 mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen).
Die von der Klägerin begehrte Augmentationsmastopexie liegt nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV (vgl
hierzu etwa BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 28 RdNr 7 ff). Gründe, warum die Klägerin die beantragte Augmentationsmastopexie nicht aufgrund der fachlichen Befürwortung
durch ihren Arzt Dr. U. für erforderlich halten durfte, hat das SG nicht festgestellt und sind auch sonst nicht ersichtlich. Die Zulassung von Dr. U. und der von ihm geleiteten K. -Klinik
für die Behandlung gesetzlich Versicherter ist hierfür unerheblich. Das SG hat auch nicht festgestellt, dass die Klägerin die beantragte Operation nur in einem zur Versorgung GKV-Versicherter nicht
zugelassenen Krankenhaus durchführen lassen will. Die Beklagte ermittelte zudem selbst in medizinischer Hinsicht.
f) Die Beklagte beschied den Antrag nicht innerhalb der ab dem 26.3.2015 (dazu aa) beginnenden Drei-Wochen-Frist (dazu bb),
sondern erst nach Fristablauf (dazu cc).
aa) Maßgeblich für den Fristbeginn ist der Eingang des Antrags bei der Beklagten. Hierbei ist es unerheblich, ob die betroffene
KK meint, der maßgebliche Sachverhalt sei noch aufzuklären. Das folgt aus Wortlaut, Regelungssystem, Entstehungsgeschichte
und Regelungszweck. Nach §
13 Abs
3a S 1
SGB V hat die KK über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in
Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des MDK, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang
zu entscheiden. Wenn die KK eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und
die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten (§
13 Abs
3a S 2
SGB V). Der MDK nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung (§
13 Abs
3a S 3
SGB V). Eine hiervon abweichende Frist ist nur für den Fall der Durchführung eines im Bundesmantelvertrag-Zahnärzte (BMV-Z) vorgesehenen
Gutachterverfahrens bestimmt (§
13 Abs
3a S 4
SGB V: ab Antragseingang innerhalb von sechs Wochen). Kann die KK die Fristen nach Satz 1 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten
unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit (§
13 Abs
3a S 5
SGB V). Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt (§
13 Abs
3a S 6
SGB V; vgl BSG Urteil vom 11.7.2017 - B 1 KR 26/16 R - Juris RdNr 25 mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen).
Ein hinreichender Grund für die Nichteinhaltung der Frist kann insbesondere die im Rahmen der Amtsermittlung (§ 20 SGB X) gebotene Einholung von weiteren Informationen beim Antragsteller oder Dritten sein, um abschließend über den Antrag entscheiden
zu können. In diesem Sinne führen die Gesetzesmaterialien beispielhaft an, "dass die Versicherten oder Dritte nicht genügend
oder rechtzeitig bei einer körperlichen Untersuchung mitgewirkt oder von einem Gutachter angeforderte notwendige Unterlagen
beigebracht haben" (vgl Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit [14. Ausschuss] zum PatRVerbG-Entwurf,
BT-Drucks 17/11710 S 30 zu §
13 Abs
3a S 4
SGB V). Die Regelung des Fristbeginns mit Antragseingang entspricht auch dem Zweck des §
13 Abs
3a SGB V, die Bewilligungsverfahren bei den KKn zu beschleunigen (BT-Drucks 17/10488 S 32; vgl BSG Urteil vom 11.7.2017 - B 1 KR 26/16 R - Juris RdNr 26 mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen).
Der Gesetzgeber hat bewusst davon abgesehen, in §
13 Abs
3a SGB V Regelungen aufzunehmen entsprechend § 42a Abs 2 S 2 VwVfG über den Fristbeginn ("Eingang der vollständigen Unterlagen"; hierauf dennoch abstellend zB LSG Berlin-Brandenburg Beschluss
vom 24.2.2016 - L 9 KR 412/15 B ER - Juris RdNr
11) oder entsprechend §
32 Abs
1a S 3 und 4
SGB V (eingefügt mit Wirkung zum 1.1.2012 durch Art 1 Nr 5 Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung [GKV-Versorgungsstrukturgesetz
- GKV-VStG] vom 22.12.2011, BGBl I 2983). Danach ist in Fällen eines Genehmigungsverfahrens bei langfristigem Behandlungsbedarf
mit Heilmitteln, das eine Genehmigungsfiktion nach Ablauf von vier Wochen nach Antragstellung vorsieht, der Lauf der Frist
bis zum Eingang der vom Antragsteller zur Verfügung zu stellenden ergänzenden erforderlichen Informationen unterbrochen. Die
Nichtübernahme solcher Regelungen in §
13 Abs
3a SGB V dient dazu, eine zügige Bescheidung der Anträge im Interesse der betroffenen Versicherten zu erreichen (BT-Drucks 17/6906
S 54; zutreffend Bayerisches LSG Urteil vom 12.1.2017 - L 4 KR 295/14 - Juris RdNr 56; vgl insgesamt BSG Urteil vom 11.7.2017 - B 1 KR 26/16 R - Juris RdNr 27 mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen).
Nach diesen Grundsätzen begann die Frist am 26.3.2015 zu laufen. Denn der maßgebliche Antrag der Klägerin ging der Beklagten
am Mittwoch, dem 25.3.2015 zu (vgl § 26 Abs 1 SGB X iVm §
187 Abs
1 BGB).
bb) Die Frist endete am Mittwoch, dem 15.4.2015 (§ 26 Abs 1 SGB X iVm §
188 Abs
2 BGB). Nach dem aufgezeigten Regelungssystem galt die gesetzliche Drei-Wochen-Frist (vgl §
13 Abs
3a S 1 Fall 2
SGB V). Die Beklagte informierte die Klägerin nicht innerhalb der drei Wochen nach Antragseingang darüber, dass sie eine Stellungnahme
des MDK einholen wollte (vgl §
13 Abs
3a S 2
SGB V). Maßgeblich ist - wie im Falle der Entscheidung durch einen bekanntzugebenden Verwaltungsakt - der Zeitpunkt der Bekanntgabe
gegenüber dem Antragsteller, nicht jener der behördeninternen Entscheidung über die Information (vgl §§ 39, 37 SGB X; BSG Urteil vom 11.7.2017 - B 1 KR 26/16 R - Juris RdNr 29 mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen; BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 28; unzutreffend Bayerisches LSG Beschluss vom 25.4.2016 - L 5 KR 121/16 B ER - Juris RdNr 26).
Die gesetzliche Frist verlängerte sich auch nicht dadurch, dass die Beklagte die Klägerin um weitere Angaben bat (Schreiben
vom 30.3. und 14.4.2015). Die Beklagte teilte der Klägerin darin nicht die voraussichtliche Dauer der Fristüberschreitung
mit. Ohne eine taggenaue Verlängerung der Frist kann der Antragsteller nicht erkennen, wann die Fiktion der Genehmigung eingetreten
ist. Dies widerspräche dem dargelegten Regelungsgehalt und Beschleunigungszweck der Norm (vgl zum Ganzen BSG Urteil vom 11.7.2017 - B 1 KR 26/16 R - Juris RdNr 32 mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen; BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 20).
cc) Die Beklagte beschied den Antrag nicht bis zum Fristablauf am 15.4.2015, sondern erst später mit Erlass des Bescheides
vom 5.5.2015.
g) Die entstandene Genehmigung ist auch nicht später erloschen. Auch eine fingierte Genehmigung - wie jene der Klägerin -
bleibt wirksam, solange und soweit sie nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder
auf andere Weise erledigt ist. Sind Bestand oder Rechtswirkungen einer Genehmigung für den Adressaten erkennbar von vornherein
an den Fortbestand einer bestimmten Situation gebunden, so wird sie gegenstandslos, wenn die betreffende Situation nicht mehr
besteht. In diesem Sinne ist eine KK nach Fristablauf nicht mit allen Einwendungen gegen die fingierte Genehmigung ausgeschlossen.
Die fingierte Genehmigung schützt den Adressaten dadurch, dass sie ihre Wirksamkeit ausschließlich nach den allgemeinen Grundsätzen
über Erledigung, Widerruf und Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts verliert. Ihre Rechtmäßigkeit beurteilt sich
nach der Erfüllung der oben aufgezeigten Voraussetzungen (§
13 Abs
3a SGB V), nicht nach den Voraussetzungen des geltend gemachten Naturalleistungsanspruchs (BSG Urteil vom 11.7.2017 - B 1 KR 26/16 R - Juris RdNr 35, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen; BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 31; anders die Regelung des § 42a Abs 1 S 2 VwVfG, vgl zB Uechtritz in Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2014, § 42a RdNr 45 ff mwN; s ferner zur Rechtslage vor Inkrafttreten des § 42a VwVfG Caspar, AöR 2000, 131 - Der fiktive Verwaltungsakt - Zur Systematisierung eines aktuellen verwaltungsrechtlichen Instituts). Diese vom erkennenden
Senat zu §
13 Abs
3a SGB V entwickelten Grundsätze gelten in gleicher Weise für Naturalleistungsbegehren wie für Kostenerstattungsbegehren. Eine unterschiedliche
Behandlung der beiden Fallgruppen widerspräche der Gesetzeskonzeption, dem Sanktionscharakter der Regelung, die das Interesse
aller Versicherten an einem beschleunigten Verwaltungsverfahren schützt. Sie würde mittellose Versicherte sachwidrig ungleich
gegenüber jenen behandeln, die sich die Leistung nach fingierter Genehmigung selbst beschaffen können (unzutreffend Bayerisches
LSG Urteil vom 31.1.2017 - L 5 KR 471/15 - Juris RdNr 61 ff; SG Speyer Urteil vom 18.11.2016 - S 19 KR 329/16 - Juris RdNr 44 f).
Die Beklagte regelte mit der Ablehnung der Leistung weder ausdrücklich noch sinngemäß, weder förmlich noch inhaltlich eine
Rücknahme, eine Aufhebung oder einen Widerruf (vgl hierzu §§ 45, 47, 48 SGB X) der fingierten Genehmigung (vgl auch BSG Urteil vom 11.7.2017 - B 1 KR 26/16 R - Juris RdNr 36 mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen; BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 32). Die Rücknahme der fingierten Genehmigung ist nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens
(vgl oben, II 1 b). Geänderte Umstände, die die Genehmigung durch Eintritt eines erledigenden Ereignisses entfallen lassen
könnten, hat weder das SG festgestellt noch sind sie sonst ersichtlich.
Der Senat weist ergänzend darauf hin, dass sich die Rechtswidrigkeit der fingierten Genehmigung als Voraussetzung für eine
Rücknahme nach § 45 SGB X danach richtet, ob die oben aufgezeigten Voraussetzungen für einen Anspruch aus §
13 Abs
3a SGB V erfüllt sind, nicht nach den Voraussetzungen des ursprünglich beantragten Naturalleistungsanspruchs (stRspr, vgl zB BSG Urteil vom 7.11.2017 - B 1 KR 24/17 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen; BSG Urteil vom 11.7.2017 - B 1 KR 26/16 R - Juris RdNr 35, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen; BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr
31). Der Gesetzgeber hat bei der Regelung des §
13 Abs
3a SGB V bewusst verzichtet auf eine § 42a Abs 1 S 2 VwVfG vergleichbare Regelung (vgl hierzu zB Uechtritz in Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2014, § 42a RdNr 45 ff mwN; s ferner zur Rechtslage vor Inkrafttreten des § 42a VwVfG Caspar, AöR 2000, 131 - Der fiktive Verwaltungsakt - Zur Systematisierung eines aktuellen verwaltungsrechtlichen Instituts). Entgegen der Ansicht
der Beklagten kommt bei dieser Gesetzes- und Rechtslage eine Anrufung des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des
Bundes wegen Divergenz schon im Ansatz nicht in Betracht.
3. Die ursprüngliche Ablehnungsentscheidung (Bescheid vom 5.5.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8.10.2015)
ist rechtswidrig. Sie verletzt die Klägerin in ihrem sich aus der fiktiven Genehmigung ihres Antrags ergebenden Leistungsanspruch
(vgl dazu oben, I 2).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.