Formulierung einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage
Gerichtliche Hinweise
Bewusstes Aufstellen eines abweichenden Rechtssatzes
1. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren
und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und
über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist.
2. Es besteht kein allgemeiner Verfahrensgrundsatz, der das Gericht verpflichtet, die Beteiligten vor einem Urteil auf eine
in Aussicht genommene Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden
Gründe zuvor mit den Beteiligten zu erörtern.
3. Ebenso wenig muss das Gericht die Beteiligten auf alle nur möglichen Gesichtspunkte hinweisen und vorab seine Rechtsauffassung
zur Rechtssache bzw zu der Erfolgsaussicht zu erkennen geben.
4. Wer eine Rechtsprechungsdivergenz entsprechend den Gesetzesanforderungen darlegen will, muss Entscheidungsfragen der abstrakten
Rechtssätze in der Entscheidung des Berufungsgerichts einerseits und im herangezogenen höchstrichterlichen Urteil andererseits
gegenüber stellen und dazu ausführen, weshalb beide miteinander unvereinbar sein sollen.
5. Erforderlich ist, dass das LSG bewusst einen abweichenden Rechtssatz aufgestellt und nicht etwa lediglich fehlerhaft das
Recht angewendet hat.
Gründe:
I
Der bei der beklagten Krankenkasse versicherte Kläger, der an Fehlsichtigkeit leidet, ist mit seinem Begehren, 4500 Euro Kosten
von zwei refraktiven Augenoperationen (Laserbehandlung mit Cross Linking) erstattet zu erhalten, bei der Beklagten und in
den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das LSG hat ua - zum Teil unter Bezugnahme auf das Urteil des SG - ausgeführt, dass dieses Behandlungsverfahren nach den auch für Versicherte verbindlichen Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses
(GBA) keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung sei. Es liegt auch kein Fall grundrechtsorientierter Auslegung des
Leistungsrechts vor, weil weder eine lebensbedrohliche noch regelmäßig tödlich verlaufende oder eine zumindest wertungsmäßig
damit vergleichbare Erkrankung vorliege. Es drohe keine Erblindung.
Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.
II
Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß §
160a Abs
4 S 1 Halbs 2 iVm §
169 S 3
SGG zu verwerfen. Die Begründung entspricht nicht den aus §
160a Abs
2 S 3
SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung der geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG), des Verfahrensmangels (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG) und der Divergenz (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG).
1. Der Kläger legt die für eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache notwendigen Voraussetzungen nicht in der gesetzlich
gebotenen Weise dar. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache beruft, muss eine Rechtsfrage
klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig
und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN).
Der Kläger formuliert schon keine Rechtsfrage, sondern kritisiert die Entscheidung des LSG lediglich als falsch, weil dessen
Wertungen in Fällen wie dem Vorliegenden an der Sache vorbeigingen. Soweit der Kläger damit sinngemäß eine Frage nach den
Therapiemöglichkeiten für das Augenerleiden und den darauf bezogenen krankenversicherungsrechtlichen Behandlungsanspruch stellen
wollte, wäre damit regelmäßig keine Frage von "grundsätzlicher Bedeutung" gegeben (BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 9; BSG Beschluss vom 14.5.2007 - B 1 KR 16/07 B). Selbst wenn sich den Ausführungen des Klägers eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung entnehmen ließe, fehlen jegliche
Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit. Der Kläger hätte sich insoweit mit der Rechtsprechung des Senats zur grundrechtsorientierten
Auslegung des Leistungsrechts in der gesetzlichen Krankenversicherung auseinandersetzen und darlegen müssen, weshalb darüber
hinaus weiterer Klärungsbedarf besteht. Dies unterlässt er, obwohl er selbst angibt, dass sich das LSG auf die Entscheidung
des Senats vom 5.5.2009 - B 1 KR 15/08 R - (BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 16) gestützt habe, wonach eine hochgradige Sehstörung keine notstandsähnliche Situation begründet, die eine grundrechtsorientierte
Erweiterung des Leistungskatalogs der Gesetzlichen Krankenversicherung rechtfertigt. Er erwähnt diese Entscheidung lediglich
im Rahmen des angeblichen Verfahrensfehlers und der Divergenz, ohne sie im Hinblick auf den Klärungsbedarf weiter zu diskutieren.
2. Der Kläger legt auch einen Verfahrensmangel nicht in der gebotenen Weise dar. Nach §
160 Abs
2 Nr
3 SGG ist eine Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen
kann. Der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von §
109 SGG und §
128 Abs
1 S 1
SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des §
103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende
Begründung nicht gefolgt ist (§
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 2
SGG). Der Kläger macht geltend, es sei überraschend gewesen, dass Ausführungen zu den Risiken einer Keratoplastik fehlten. Jedenfalls
sei dies weiter aufzuklären gewesen. Damit macht er sowohl einen Verstoß gegen das Gebot, rechtliches Gehör zu gewähren (vgl
§
62 SGG, Art
103 Abs
1 GG, Art 47 Abs 2 Charta der Grundrechte der EU, Art 6 Abs 1 Europäische Menschenrechtskonvention) als auch einen Aufklärungsmangel (§
103 SGG) geltend, bezeichnet einen Verstoß aber nicht schlüssig.
Abgesehen davon, dass der Kläger im Ergebnis die Beweiswürdigung des LSG angreift, besteht kein allgemeiner Verfahrensgrundsatz,
der das Gericht verpflichtet, die Beteiligten vor einem Urteil auf eine in Aussicht genommene Beweiswürdigung hinzuweisen
oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gründe zuvor mit den Beteiligten zu erörtern (zB
BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 1; BSG Beschluss vom 17.10.2006 - B 1 KR 104/06 B). Ebenso wenig muss das Gericht die Beteiligten auf alle nur möglichen Gesichtspunkte hinweisen und vorab seine Rechtsauffassung
zur Rechtssache bzw zu der Erfolgsaussicht zu erkennen geben (vgl zB BSG Beschluss vom 10.8.2007 - B 1 KR 58/07 B - Juris RdNr 7 mwN). Im Übrigen stehen die Ausführungen des Klägers im Widerspruch zu den von ihm selbst vorgetragenen Entscheidungsgründen
des LSG. Danach sei es unbeachtlich, dass eine erneute Keratoplastik als anerkannte Standard-Therapie ein höheres Risiko für
den Kläger berge, weil solche Risiken bei der Bewertung durch den GBA berücksichtigt würden. Soweit ein Aufklärungsmangel
geltend gemacht wird, legt der Kläger schon nicht dar, dass er einen Beweisantrag gestellt habe, dem das LSG nicht gefolgt
sei.
3. Der Kläger legt auch die behauptete Divergenz zum Urteil des BSG vom 5.5.2009 - B 1 KR 15/08 R - (BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 16) nicht ausreichend dar. Wer eine Rechtsprechungsdivergenz entsprechend den Gesetzesanforderungen darlegen will, muss
Entscheidungsfragen der abstrakten Rechtssätze in der Entscheidung des Berufungsgerichts einerseits und im herangezogenen
höchstrichterlichen Urteil andererseits gegenüber stellen und dazu ausführen, weshalb beide miteinander unvereinbar sein sollen
(vgl zB Beschluss vom 28.7.2009 - B 1 KR 31/09 B - RdNr 4; BSG Beschluss vom 28.6.2010 - B 1 KR 26/10 B - RdNr 4; BSG Beschluss vom 22.10.2010 - B 1 KR 100/10 B - mwN). Erforderlich ist, dass das LSG bewusst einen abweichenden Rechtssatz aufgestellt und nicht etwa lediglich fehlerhaft
das Recht angewendet hat (vgl zB BSG Beschluss vom 15.1.2007 - B 1 KR 149/06 B - RdNr 4; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 26 S 44 f mwN). An der Darlegung eines vom LSG bewusst abweichend von höchstrichterlicher Rechtsprechung aufgestellten
Rechtssatzes fehlt es. Im Gegenteil trägt der Kläger selbst vor, dass das LSG der Entscheidung des erkennenden Senats vom
5.5.2009 (s oben) gefolgt sei und das Recht lediglich fehlerhaft angewendet habe. Damit rügt er lediglich die Unrichtigkeit
der Entscheidung im Einzelfall, die eine Divergenz nicht begründen kann.
4. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§
160a Abs
4 S 2 Halbs 2
SGG).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.