Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG
Sozialrechtlicher Herstellungsanspruch
Gründe:
I
Der bei der beklagten Krankenkasse versicherte Kläger erhielt nach langjährigem Erneuerungsbedarf im Februar 2010 durch Dr.
O. eine Versorgung mit provisorischem Zahnersatz, den ein zahnärztliches Gutachten als mangelhaft beschrieb. Die vom Kläger
zur Weiterbehandlung aufgesuchte Zahnärztin Dr. H. erstellte vier Heil- und Kostenpläne (HKP), jeweils zwei für die provisorische
(Regelversorgung nach HKP 1 vom 6.1.2011: 182,00 Euro; über die Regelversorgung hinausgehende Versorgung nach HKP 3 vom 10.1.2011:
1305,77 Euro) und die endgültige Versorgung (Regelversorgung nach HKP 2 vom 6.1.2011: 3861,00 Euro; über die Regelversorgung
hinausgehende Versorgung nach HKP 4 vom 10.1.2011: 8010,77 Euro) mit neuem Zahnersatz. Die Beklagte bewilligte dem Kläger
doppelte Festzuschüsse für die Regelversorgung im Rahmen der Härtefallregelung (182,00 Euro und 3861,00 Euro), lehnte jedoch
die Übernahme der Kosten einer weitergehenden Versorgung entsprechend den HKP 3 und 4 ab. Der Kläger ist mit seinem Begehren
auf Übernahme der Kosten einer über die Regelversorgung hinausgehenden Versorgung in den Vorinstanzen erfolglos geblieben.
Das LSG hat - teilweise unter Bezugnahme auf die Gründe des Gerichtsbescheids des SG - zur Begründung ua ausgeführt, die gesetzliche Regelung (§§
55 ff
SGB V iVm den Richtlinien für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche Versorgung mit Zahnersatz
und Zahnkronen [Zahnersatz-Richtlinie] des GBA idF vom 8.12.2004, BAnz 2005 S 4094 mWv 1.1.2005, zuletzt geändert am 18.2.2016,
BAnz AT 3.5.2016 B1, mWv 4.5.2016, und iVm der Richtlinie des GBA zur Bestimmung der Befunde und der Regelversorgungsleistungen
für die Festzuschüsse nach §§
55,
56 SGB V zu gewähren sind [Festzuschuss-Richtlinie] sowie über die Höhe der auf die Regelversorgungsleistungen entfallenden Beträge
nach §
56 Abs
4 SGB V idF vom 3.11.2004, BAnz 2004 S 24 463, mWv 1.1.2005, zuletzt geändert am 25.11.2016, BAnz AT 30.12.2016 B3, mWv 1.1.2017)
schließe die Übernahme der Kosten einer über den doppelten Festzuschuss für die Regelversorgung hinausgehenden Versorgung
mit Zahnersatz aus. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem klägerischen Vorbringen, dass die Beklagte zur Beseitigung
der Mängel zur Übernahme sämtlicher in den HKP 3 und 4 aufgeführten Kosten verpflichtet sei. Ein weitergehender Anspruch des
Klägers ergebe sich allenfalls aus einem möglichen Schadensersatzanspruch gegen Dr. O. (Urteil vom 3.5.2017).
Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.
II
Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig und daher gemäß §
160a Abs
4 S 1 Halbs 2 iVm §
169 S 3
SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus §
160a Abs
2 S 3
SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des allein geltend gemachten Revisionszulassungsgrundes des Verfahrensmangels.
1. Nach §
160 Abs
2 Nr
3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen
kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von §
109 SGG und §
128 Abs
1 S 1
SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des §
103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende
Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet
werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 36).
a) Wer - wie der Kläger - eine Verfahrensrüge auf eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht stützen will, muss ua die Rechtsauffassung
des LSG wiedergeben, aufgrund der bestimmte Tatsachen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen (vgl BSG Beschluss vom 20.7.2010 - B 1 KR 29/10 B - RdNr 5 mwN; BSG Beschluss vom 1.3.2011 - B 1 KR 112/10 B - Juris RdNr 3 mwN; BSG Beschluss vom 4.3.2014 - B 1 KR 113/12 B - Juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 10.4.2014 - B 1 KR 13/14 B - NZS 2014, 479, RdNr 12). Daran fehlt es. Der Kläger führt dazu nur aus, die von ihm geforderte Vernehmung der Zeugen hätte ergeben, dass
eine Nachbesserung durch Dr. O. nicht ordnungsgemäß möglich gewesen wäre. Ein Sachverständigengutachten hätte sodann den Nachweis
der Pflichtverletzung der Beklagten bei der Prüfung des HKP von Dr. O. erbracht. Hieraus ergebe sich ein sozialrechtlicher
Herstellungsanspruch gegen die Beklagte. Der Kläger legt aber nicht dar, dass nach der Rechtsauffassung des LSG, das aus Rechtsgründen
einen höheren Festzuschuss-Anspruch verneint hat, die umschriebenen Tatsachen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen.
Dies gilt auch hinsichtlich des von ihm angeführten sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs, den das LSG schon nicht erwogen
hat. Es hat den Kläger wegen eventueller Kosten des notwendigen Zahnersatzes, die oberhalb des doppelten Festzuschusses liegen,
auf zivilrechtliche Haftungsansprüche gegen Dr. O. verwiesen. Nur ergänzend weist der erkennende Senat darauf hin, dass nach
seiner Rspr der sozialrechtliche Herstellungsanspruch als Anspruchsgrundlage neben dem Naturalleistungen der gesetzlichen
Krankenversicherung betreffenden Kostenerstattungsanspruch nach §
13 Abs
3 S 1
SGB V keine Anwendung findet (vgl BSGE 99, 180 = SozR 4-2500 §
13 Nr 15, RdNr 19 mwN).
b) Soweit der Kläger das Fehlen von Entscheidungsgründen iS der §§
128 Abs
1 und
136 Abs
1 Nr
6 SGG rügt, legt er deren Fehlen nicht schlüssig dar. Nach §
128 Abs
1 S 2
SGG sind in dem Urteil die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind, nicht dagegen jene, die
es nicht gewesen sind. Das bedeutet, aus den Entscheidungsgründen muss ersichtlich sein, auf welchen Erwägungen in tatsächlicher
und rechtlicher Hinsicht die Entscheidung beruht (vgl Hauck in Zeihe,
SGG, Stand 1.8.2017, §
128 Anm 6a mwN). Dafür muss das Gericht aber nicht jeden Gesichtspunkt, der erwähnt werden könnte, abhandeln (vgl BVerfG SozR
1500 § 62 Nr 16). Auch braucht es nicht zu Fragen Stellung zu nehmen, auf die es nach seiner Auffassung nicht ankommt. Eine
Entscheidung ist nicht schon dann nicht mit Gründen versehen, wenn das Gericht sich unter Beschränkung auf den Gegenstand
der Entscheidung kurz gefasst und nicht jeden Gesichtspunkt, der möglicherweise hätte erwähnt werden können, behandelt hat
(vgl BSG Beschluss vom 7.2.2013 - B 1 KR 68/12 B - Juris RdNr 5). Auch fehlen Entscheidungsgründe nicht bereits dann, wenn die Gründe sachlich unvollständig, unzureichend,
unrichtig oder sonst rechtsfehlerhaft sind (vgl BSG SozR Nr 79 zu §
128 SGG; BSG Beschluss vom 10.3.2011 - B 1 KR 134/10 B - Juris RdNr 11 mwN).
Infolgedessen legt eine Beschwerdebegründung das Fehlen von Gründen nicht schlüssig dar, wenn sie lediglich geltend macht,
das LSG habe die Berufung allein unter Bezugnahme auf die Ausführungen des SG in dem angegriffenen Urteil zurückgewiesen (§
153 Abs
2 SGG). Der Kläger führt - insoweit unzutreffend verkürzend - lediglich aus, die Entscheidungsgründe des LSG wiederholten nur den
Gesetzestext und verwiesen auf die Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung. Aber auch unter Berücksichtigung seiner Ausführungen
zur Begründung einer Verletzung der Amtsermittlungspflicht greift der Kläger im Kern nicht das Fehlen von Entscheidungsgründen
an, sondern die Unrichtigkeit der Rechtsauffassung des LSG. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf seine sachliche
"Richtigkeit" ist aber nicht Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7; BSG SozR 1500 § 160 Nr 44 S 42; BSG Beschluss vom 8.2.2006 - B 1 KR 65/05 B - Juris RdNr 15).
c) Sofern der Kläger damit zugleich die Verletzung rechtlichen Gehörs (§
62 SGG, Art
103 Abs
1 GG, Art 47 Abs 2 Charta der Grundrechte der EU, Art 6 Abs 1 Europäische Menschenrechtskonvention [EMRK]) rügen will, zeigt er einen dahingehenden Verstoß des LSG ebenfalls nicht auf. Das Fehlen von Ausführungen zu den
Einwendungen, die im Berufungsverfahren gegen das angefochtene Urteil vorgebracht wurden, kann eine Verletzung des Grundsatzes
des rechtlichen Gehörs darstellen. Denn auch §
153 Abs
2 SGG gestattet es dem Berufungsgericht nicht, die durch den Verfassungsgrundsatz des rechtlichen Gehörs gebotenen Mindestanforderungen
an die Begründung richterlicher Entscheidungen zu durchbrechen. Ohne Verstoß gegen die Begründungspflicht kann das LSG im
Berufungsverfahren erstmals vorgetragene Prozessausführungen insbesondere dann übergehen, wenn diese ohne weiteres und offensichtlich
als verfehlt zu erkennen sind, sich zB in allgemein gehaltenen, unsubstantiierten Bemerkungen erschöpfen. Wenn aber ein Beteiligter
im Berufungsverfahren neue, nach der Rechtsauffassung des LSG rechtserhebliche Tatsachenbehauptungen vorgebracht oder entsprechende
Beweisanträge gestellt hat oder substantiierte rechtliche Einwendungen gegen die erstinstanzlichen Entscheidungsgründe erhoben
hat, muss sich das LSG damit auseinandersetzen. Eine bloße Bezugnahme auf §
153 Abs
2 SGG ist in solchen Fällen nicht zulässig, denn anderenfalls würde (auch) das rechtliche Gehör des betreffenden Beteiligten verletzt
(vgl BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 3 S 8 f; BSG Urteil vom 28.4.1999 - B 9 VG 7/98 R - Juris RdNr 16; BSG Beschluss vom 21.8.2017 - B 10 EG 1/17 B - Juris RdNr 13). Der Kläger legt - auch unter Berücksichtigung seiner Ausführungen zur Aufklärungsrüge - nicht dar, welche
neuen rechtserheblichen Tatsachen oder substantiierten Einwendungen gegen die erstinstanzlichen Entscheidungsgründe er im
Berufungsverfahren vorgebracht hat, mit denen sich das LSG ausgehend von seiner Rechtsauffassung hätte auseinandersetzen müssen.
Er behauptet nicht, dass das LSG-Urteil den Kern seines bisherigen Vorbringens unzutreffend wiedergibt.
d) Der Kläger rügt auch nicht schlüssig als Verfahrensfehler, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann, das LSG
habe das Urteil in der mündlichen Verhandlung ausweislich der Sitzungsniederschrift nicht begründet (sinngemäß Verletzung
des §
132 Abs
2 S 2
SGG, nicht des §
136 Abs
4 SGG). Gemäß §
132 Abs
2 S 2
SGG soll bei der Verkündung des Urteils der wesentliche Inhalt der Entscheidungsgründe mitgeteilt werden, wenn Beteiligte anwesend
sind. Der Kläger geht nicht darauf ein, ob ein Urteil auf dem Verstoß gegen diese Sollvorschrift unter Einbeziehung der Regelung
des Art 6 Abs 1 S 2 EMRK beruhen kann (vgl EGMR Urteil vom 17.1.2008 - 14810/02 - NJW 2009, 2873 f mwN), insbesondere wenn die Öffentlichkeit unter Bezugnahme auf das Aktenzeichen eine (anonymisierte) Abschrift des Urteils
erlangen kann (vgl BGH Beschluss vom 5.4.2017 - IV AR (VZ) 2/16 - NJW 2017, 1819; Hauck in Hennig,
SGG, Stand Oktober 2017, §
133 RdNr 12 und §
132 RdNr 59 f mwN). Er setzt sich weder damit auseinander, dass im Falle eines Widerspruchs zwischen mündlichen und schriftlichen
Entscheidungsgründen allein letztere maßgeblich sind (BSG SozR Nr 159 zu §
162 SGG; BSG SozR 4-1500 § 178a Nr 12 RdNr 4-5 mwN), noch mit den Folgen des Falles, dass eine Mitteilung des wesentlichen Inhalts der Entscheidungsgründe
gänzlich unterbleibt.
2. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§
160a Abs
4 S 2 Halbs 2
SGG).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.