Zusammenhang zwischen Arbeitsverrichtung und Unfallereignis in der gesetzlichen Unfallversicherung
Gründe:
I
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen.
Die Klägerin ist die Witwe des J M (im Folgenden: M). Am 25. Mai 1999 entfernte M zusammen mit dem Zeugen H
auf einer selbstfahrenden Hubbühne Farbflecken an der Fassade eines Parkhauses.
Hierzu wurden die Universalverdünner Brillux und Staufen - entzündbare Stoffe der Gefahrklassen A 2 bzw A 1 - verwendet. Eine
Unterrichtung der Beschäftigten im Umgang mit diesen Reinigungsmitteln war nicht erfolgt, entsprechende Kenntnisse wurden
vorausgesetzt. Auf den Gebinden wird jeweils auf die Feuergefährlichkeit hingewiesen, die H auch bekannt war. Während M die
Reinigungsarbeiten durchführte, bediente H die Hubbühne. Gegen 9.30 Uhr brach auf der Hubbühne ein Feuer aus, das die Kleidung
von M und H entzündete. Diese retteten sich aus dem Korb der Hubbühne auf das dritte Parkdeck, wo sie sich ihrer Kleidung
entledigten. Die herbeigerufene Polizei fand auf dem Parkdeck eine Zigarettenkippe, die von M, der im Unterschied zu H Raucher
war, stammte. M verstarb am 24. Juni 1999 an den erlittenen Verbrennungen.
Die beklagte Berufsgenossenschaft (BG) lehnte die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen aufgrund des Todes von M ab, weil
die brennende Zigarette die Brandursache gewesen sei und M aufgrund einer selbstgeschaffenen Gefahr verunglückt sei, so dass
ein Arbeitsunfall zu verneinen sei (Bescheid vom 9. August 2000, Widerspruchsbescheid vom 17. November 2000). Das angerufene
Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, der Klägerin Hinterbliebenenleistungen zu gewähren, weil nicht im sogenannten Vollbeweis habe
festgestellt werden können, dass M während der Arbeit geraucht oder zumindest versucht habe, eine Zigarette anzuzünden (Urteil
vom 2. Mai 2002). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 4. März 2004) und
zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Arbeit, die M zum Unfallzeitpunkt ausgeführt habe, habe grundsätzlich in einem
wesentlichen inneren Zusammenhang mit dessen versicherter Tätigkeit gestanden. Dieser innere Zusammenhang sei nicht durch
eine von M selbstgeschaffene Gefahr gelöst worden. Im Gegensatz zum SG sei es aber überzeugt, dass M durch das Rauchen einer Zigarette eine Verpuffung ausgelöst habe, die zu den für ihn tödlichen
Verbrennungen geführt habe. Er habe beim Halten eines mit Verdünnungsmitteln getränkten Lappens eine Zigarette angezündet,
der Lappen habe sich entzündet, sei von M auf den Boden der Hubbühne fallen gelassen worden und habe zu einer Verpuffung der
dort angesammelten Lösungsmitteldämpfe geführt, die die Kleidung von M und H entzündet habe. Das Anzünden der Zigarette sei
zwar sorglos und unvernünftig gewesen, führe jedoch nicht zu einer Verneinung des Versicherungsschutzes unter dem Gesichtspunkt
der selbstgeschaffenen Gefahr. Die leichte Entflammbarkeit von Lösungsmitteln und der mit ihnen getränkten Stoffe sei M zwar
bekannt gewesen. Die betriebsbedingten Umstände seien durch die selbstgeschaffene Gefahr jedoch nicht soweit zurückgedrängt
worden, dass sie keine wesentliche Bedingung für den Unfall gewesen seien. Das Anzünden der Zigarette habe zwar privaten Zwecken
gedient, M habe jedoch keine Arbeitspause machen wollen, sondern habe sofort weiterarbeiten wollen. Es habe also nur eine
ganz geringfügige private Handlung vorgelegen. Zu berücksichtigen sei auch, dass zur Schwere der Verletzungen beigetragen
habe, dass die Verpuffung nur durch die Ansammlung lösemittelhaltiger Dämpfe auf dem Boden der Hubbühne möglich gewesen sei.
Eine elektrostatische Entladung zB hätte ebenso zu einer Verpuffung führen können und M sei mangels Belehrung durch den Arbeitgeber
die Gefährlichkeit seines Handelns im Hinblick auf die Schwere eines möglichen Unfalls nicht bewusst gewesen.
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte die Verletzung materiellen Rechts und macht geltend: Das Anzünden der Zigarette sei nicht
Teil einer gemischten Tätigkeit gewesen. Es sei vielmehr eine klar abgrenzbare, unversicherte Handlung gewesen. Diese private
Verrichtung habe zu einer Unterbrechung und damit zum Verlust des Versicherungsschutzes geführt, zumal sie gefahrerhöhend
gewesen sei (Hinweise auf die Entscheidungen des Bundessozialgerichts - BSG - vom 31. März 1965 - 2 RU 200/64 -, BG 1965, 273 und vom 7. Dezember 1976 - 8 RU 36/76 -, SozR 2200 § 548 Nr 26). Der Versicherungsschutz folge nicht aus dem Mitwirken einer gefährlichen Betriebseinrichtung,
denn es gebe in der gesetzlichen Unfallversicherung außerhalb der Schifffahrt keinen Betriebsbann. Maßgeblich sei daher nicht
die Mitwirkung betrieblicher Gefahren, sondern ob die Verrichtung, während der der Unfall geschah, mit der versicherten Tätigkeit
im inneren Zusammenhang gestanden habe.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 4. März 2004 und des Sozialgerichts Reutlingen vom 2. Mai 2002
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des LSG im Ergebnis für zutreffend, meint jedoch, es stände nicht fest, dass M durch das Anzünden einer
Zigarette den Brand verursacht habe.
II
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das LSG hat zu Recht ihre Berufung gegen das klagestattgebende Urteil des SG zurückgewiesen. Denn die Klägerin hat Anspruch auf Hinterbliebenenleistungen aufgrund des Todes ihres Ehemannes.
In der gesetzlichen Unfallversicherung besteht ein Anspruch auf Hinterbliebenenleistungen, wenn der Tod infolge eines Versicherungsfalles
eingetreten ist (§ 63 Abs 1 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung >SGB VII<). Der Tod eines
Versicherten ist infolge eines Versicherungsfalls eingetreten, wenn er durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit
und sei es auch nur mittelbar, vor allem aufgrund der sich aus ihnen ergebenden Gesundheitsstörungen und Erkrankungen verursacht
wurde (BSG SozR 3-2200 § 553 Nr 1). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt, denn der Unfall des Ehemannes der Klägerin
am 25. Mai 1999 war ein Arbeitsunfall und an dessen Folgen ist er verstorben.
Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§
2,
3,
6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit; §
8 Abs
1 Satz 1
SGB VII). Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls iS des §
8 Abs
1 Satz 2
SGB VII ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit
zuzurechnen ist (innerer bzw sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zum Unfallereignis geführt hat und letzteres
einen Gesundheits(-erst-)schaden oder den Tod des Versicherten verursacht (haftungsbegründende Kausalität) hat. Das Entstehen
von längerandauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheits(-erst-)schadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist nicht Voraussetzung
für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls.
Der sachliche Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der Verrichtung zur Zeit des Unfalls (BSGE 63, 273, 274 = SozR 2200 § 548 Nr 92 S 257; BSG SozR 3-2200 § 548 Nr 19; BSG SozR 3-2700 § 8 Nr 10; BSG SozR 4-2700 § 8 Nr 2 RdNr
4) ist wertend zu ermitteln, indem untersucht wird, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenze liegt, bis zu welcher
der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht (BSGE 58, 76, 77 = SozR 2200 § 548 Nr 70 S 197; BSGE 61, 127, 128 = SozR 2200 § 548 Nr 84 S 234; BSG SozR 3-2700 § 8 Nr 10).
Bei einem nach §
2 Abs
1 Nr
1 SGB VII versicherten Beschäftigten, wie vorliegend, sind Verrichtungen im Rahmen des dem Beschäftigungsverhältnis zugrunde liegenden
Arbeitsverhältnisses Teil der versicherten Tätigkeit und stehen mit ihr im erforderlichen sachlichen Zusammenhang. Dies bedeutet
nicht, dass alle Verrichtungen eines grundsätzlich versicherten Arbeitnehmers im Laufe eines Arbeitstages auf der Arbeitsstätte
versichert sind, weil nach dem Wortlaut des §
8 Abs
1 Satz 1
SGB VII nur Unfälle "infolge" der versicherten Tätigkeit Arbeitsunfälle sind und es einen sogenannten Betriebsbann nur in der Schifffahrt
(§
10 SGB VII), nicht aber in der übrigen gesetzlichen Unfallversicherung gibt (stRspr BSGE 14, 295 f; 41, 137, 139 = SozR 2200 § 555 Nr 1 S 3; BSG SozR 3-2200 § 548 Nr 38; SozR 3-2700 § 8 Nr 11). Typischerweise und in der Regel unversichert
sind höchst persönliche Verrichtungen wie zB Essen (BSGE 11, 267, 268 f; BSG SozR 3-2700 § 8 Nr 11) oder eigenwirtschaftliche wie zB Einkaufen (vgl BSG SozR 3-2200 § 548 Nr 22). Sie führen
zu einer Unterbrechung der versicherten Tätigkeit und damit auch in der Regel zu einer Unterbrechung des Versicherungsschutzes.
Maßgebliches Kriterium für die wertende Entscheidung über den Zusammenhang zwischen versicherter Tätigkeit und Verrichtung
zur Zeit des Unfalls ist die Handlungstendenz des Versicherten, ob er eine dem Beschäftigungsunternehmen dienende Verrichtung
ausüben wollte (BSGE 58, 76, 77 = SozR 2200 § 548 Nr 70 S 197; BSG SozR 2200 § 548 Nr 96; SozR 3-2200 § 550 Nr 1; SozR 3-2200 § 548 Nr 22; BSGE 91, 293 = SozR 4-2700 § 8 Nr 3; BSG Urteil vom 26. Oktober 2004 - B 2 U 24/03 R - vorgesehen zur Veröffentlichung in BSGE und SozR).
Dass nicht jede private Verrichtung während der versicherten Tätigkeit automatisch zu einer Unterbrechung des Versicherungsschutzes
führt, ist in der Rechtsprechung des Senats seit langem anerkannt. Vor allem bei einer gemischten Tätigkeit oder einer unwesentlichen
Unterbrechung der versicherten Tätigkeit besteht der Versicherungsschutz fort (vgl BSGE 91, 293 = SozR 4-2700 § 8 Nr 3; BSG Urteil vom 26. Oktober 2004 - B 2 U 24/03 R - vorgesehen zur Veröffentlichung in BSGE und SozR).
Eine gemischte Tätigkeit liegt vor, wenn eine Verrichtung nicht trennbar sowohl unversicherten privaten als auch versicherten
Zwecken dient. Lässt sich eine Verrichtung in zwei Teile zerlegen, von denen einer versicherten und einer privaten Zwecken
dient, liegt keine gemischte Tätigkeit vor. Versicherungsschutz bei einer gemischten Tätigkeit besteht, wenn sie dem Unternehmen
zwar nicht überwiegend, aber doch wesentlich zu dienen bestimmt ist. Entscheidendes Abgrenzungskriterium hierfür ist, ob die
Tätigkeit hypothetisch auch dann vorgenommen worden wäre, wenn der private Zweck entfallen wäre (stRspr BSGE 3, 240, 245; BSG SozR 3-2200 § 548 Nr 19 mwN; SozR 3-2200 § 548 Nr 32).
Bei Unterbrechungen ist wie folgt zu unterscheiden: Die tatsächliche Unterbrechung einer versicherten Verrichtung, insbesondere
eines Weges, ist nur dann versicherungsrechtlich relevant, wenn sie auch zu einer Unterbrechung des Versicherungsschutzes
führt. Dies ist zB der Fall, wenn die Unterbrechung privaten Zwecken dient. Nur dann liegt eine Unterbrechung im Rechtssinne
vor, die auch den Versicherungsschutz unterbricht, weil die ausgeübte private Verrichtung nicht im sachlichen Zusammenhang
mit der versicherten Tätigkeit steht. Wird aber die gerade ausgeübte versicherte Verrichtung unterbrochen, um eine andere
versicherte Verrichtung einzuschieben, zB Fahrt von einer Filiale zu einer anderen und zwischendurch Besuch eines Kunden,
so besteht der Versicherungsschutz fort (vgl BSGE 91, 293 = SozR 4-2700 § 8 Nr 3 mwN).
Dient die Unterbrechung dagegen privaten Verrichtungen, so unterscheidet die ständige Rechtsprechung des BSG zwischen erheblichen
und unerheblichen Unterbrechungen. Während einer privaten Zwecken dienenden, erheblichen Unterbrechung besteht kein Versicherungsschutz
(BSGE 43, 113, 114 f = SozR 2200 § 550 Nr 26 S 58; BSGE 74, 159, 161 = SozR 3-2200 § 550 Nr 9 S 33; BSG SozR 3-2200 § 550 Nr 16; BSGE 91, 293 = SozR 4-2700 § 8 Nr 3). Eine privaten Zwecken dienende, unerhebliche tatsächliche Unterbrechung, während der der Versicherungsschutz
fortbesteht, liegt dagegen vor, wenn die Unterbrechung zeitlich und räumlich nur ganz geringfügig ist und einer Verrichtung
dient, die "im Vorbeigehen" und "ganz nebenher" erledigt wird. Sie darf nach natürlicher Betrachtungsweise und in Würdigung
der gesamten Umstände des Einzelfalles nur zu einer geringfügigen, tatsächlichen Unterbrechung der versicherten Verrichtung
geführt haben, zB Kauf einer Zeitung an einem Kiosk während eines versicherten Weges (BSGE 20, 219, 221 = SozR Nr 49 zu § 543
RVO aF; BSGE 43, 113, 114 f = SozR 2200 § 550 Nr 26 S 58; BSG SozR 3-2200 § 550 Nr 1; BSG SozR 3-2200 § 548 Nr 8, 38). Beim Kauf einer Zeitung an einem Kiosk oder Betrachten
eines Schaufensters während eines zu Fuß zurückgelegten Weges, ist der Versicherte noch auf seinem Weg und hält nur in der
Fortbewegung aus privatem Grund für eine kurze Zeit inne, ohne den Weg zu verlassen. Die Aufrechterhaltung des Versicherungsschutzes
in diesen Fällen findet ihre Rechtfertigung darin, dass die in sachlichem Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehende
Verrichtung - das Zurücklegen des Weges - der wesentliche Grund dafür ist, dass der Versicherte in dieser Situation ist, in
der er dann ganz nebenher oder im Vorbeigehen die private Verrichtung ausübt. Gleiches gilt für das Abzwicken eines privat
benötigten Federdrahtes am eigenen Arbeitsplatz im Laufe der Berufstätigkeit (BSG vom 18. Dezember 1974 - 2 RU 37/73 -, USK 74212). Von daher steht diese Rechtsprechung in Übereinstimmung mit der schon oben dargestellten grundsätzlichen Verneinung
eines Betriebsbannes in der gesetzlichen Unfallversicherung. Denn es wird nicht nur auf einen räumlichen und zeitlichen Zusammenhang,
wie zB die bloße Anwesenheit am Arbeitsplatz, abgestellt, sondern auf die praktisch andauernde Ausübung einer versicherten
Verrichtung, in die eine räumliche und zeitliche unerhebliche private Verrichtung eingeschoben wird. Letztlich handelt es
sich um Fallgestaltungen, in denen die versicherte Verrichtung und die private Verrichtung als tatsächliches Geschehen nur
sehr schwer voneinander zu trennen sind. Die Situation ist also ähnlich der bei einer gemischten Tätigkeit, bei der auch die
versicherte von der unversicherten Verrichtung nicht getrennt werden kann, weil beide zusammen zu einer bestimmten Gesamtlage
geführt haben.
Nach diesen Grundsätzen war M bei einer Verrichtung, die in sachlichem Zusammenhang mit seiner versicherten Tätigkeit stand,
als er die Zigarette anzündete und den Arbeitsunfall erlitt, an dessen Folgen er verstarb. Denn nach den seitens der Beklagten
nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen angegriffenen und daher für den Senat bindenden (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes
>SGG<) tatsächlichen Feststellungen des LSG war M bei seiner grundsätzlich versicherten Berufstätigkeit, dem Reinigen der
Fassade des Parkhauses, als er sich eine Zigarette anzündete. Dieses Anzünden führte zu einer Entzündung des Lappens mit den
Verdünnungsmitteln in seiner Hand. Daraufhin wurde der Lappen von M fallen gelassen und führte zu der Verpuffung der Lösungsmitteldämpfe
auf dem Boden der Hubbühne, die seine Kleidung und die des H entzündete. Das Anzünden der Zigarette war entweder einer unerhebliche
private Verrichtung, die den Versicherungsschutz nicht unterbrach, weil sie offenkundig nur nebenher, während der Arbeit erfolgte,
zu keiner Entfernung vom Arbeitsplatz führte und vergleichbar dem Kauf an einem Automaten oder dem Abknipsen eines Drahtes
fast keine Zeit in Anspruch nahm. Oder es war Teil einer gemischten Tätigkeit trotz der zeitlichen Kürze des Geschehens. Denn
das Anzünden der Zigarette war zwar eine eigenständige Handlung, sie erfolgte aber in der Arbeitssituation auf der Hubbühne
und war mit dieser untrennbar verbunden, wie vor allem der Lappen in der Hand des M und die weitere Entwicklung mit der Verpuffung
belegen. Für eine weitergehende Unterscheidung zwischen kurzen gemischten Tätigkeiten und unerheblichen Unterbrechungen besteht
vorliegend kein Anlass, denn unter beiden Blickwinkeln besteht Versicherungsschutz aufgrund des Zusammenhanges der Verrichtung
zur Zeit des Unfalls mit der versicherten Tätigkeit.
Dass das Anzünden der Zigarette in dieser Situation sorglos und unvernünftig war, führt zu keiner anderen Beurteilung und
schließt den sachlichen Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Versicherungsschutz zur Zeit des Anzündens
der Zigarette durch M nicht aus. Insbesondere folgt aus dem im Laufe des Verfahrens verwandten Begriff der "selbstgeschaffenen
Gefahr" nichts anderes.
Der Begriff der "selbstgeschaffenen Gefahr" ist nach der bisherigen ständigen Rechtsprechung des BSG eng auszulegen und nur
mit größter Zurückhaltung anzuwenden. Einen Rechtssatz des Inhalts, dass der Versicherungsschutz entfällt, wenn der Versicherte
sich bewusst einer höheren Gefahr aussetzt und dadurch zu Schaden kommt, gibt es nicht. Auch leichtsinniges unbedachtes Verhalten
beseitigt den bestehenden sachlichen Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der Verrichtung zur Zeit des Unfalls
nicht. Dies ist vielmehr nur ausnahmsweise dann der Fall, wenn ein Beschäftigter sich derart sorglos und unvernünftig verhält,
dass für den Eintritt des Arbeitsunfalls nicht mehr die versicherte Tätigkeit, sondern die selbstgeschaffene Gefahr als die
rechtlich allein wesentliche Ursache anzusehen ist. Dabei hat das BSG stets klargestellt, dass ein solches Verhalten den Zusammenhang
zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall nie ausschließt, wenn der Versicherte ausschließlich betriebliche Zwecke
verfolgt, die selbstgeschaffene Gefahr bekommt also erst dann Bedeutung, wenn ihr betriebsfremde Motive zugrunde liegen (BSGE
6, 164, 169; BSGE 42, 129, 133 = SozR 2200 § 548 Nr 22; BSGE 64, 159, 161 = SozR 2200 § 548 Nr 93 mwN; zuletzt BSG SozR 3-2700 § 8 Nr 10).
Wie diesen Ausführungen zu entnehmen ist, ist der Begriff der selbstgeschaffenen Gefahr für die Beurteilung des sachlichen
Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der Verrichtung zur Zeit des Unfalls ohne Bedeutung. Ist die von dem
Versicherten selbst geschaffene Gefahr seiner versicherten Tätigkeit zuzurechnen, zB ein grober Verstoß gegen die Arbeitssicherheit
bei Ausführung seiner Arbeit, ist diese Gefahrerhöhung unbeachtlich, wie sich aus §
7 Abs
2 SGB VII ergibt. Steht die selbstgeschaffene Gefahr nicht im sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit, sondern ist sie
einer privaten Verrichtung zuzurechnen, ist die Gefahrerhöhung als solche ebenfalls unerheblich, weil schon der sachliche
Zusammenhang fehlt. Dies ist auch der Kern der Aussage der von der Revision zitierten Entscheidung des Senats vom 31. März
1965 - 2 RU 200/64 - BG 1965, 273, in der gerade nicht auf die Gefahrerhöhung durch das Verhalten des Versicherten abgestellt wird, sondern
auf die Aufhebung des Versicherungsschutzes, weil er sich zur Zeit des Unfalls entgegen den Anweisungen von seiner Arbeit
entfernte.
Eine Gefahrerhöhung durch Risiken, die nicht der versicherten Verrichtung zur Zeit des Unfalls, sondern privaten Umständen
zuzurechnen sind, betreffen nicht den sachlichen Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der Verrichtung zur
Zeit des Unfalls, sondern den Zusammenhang zwischen der Verrichtung zur Zeit des Unfalls und dem Unfallereignis. Für diesen
Zusammenhang zwischen der Verrichtung zur Zeit des Unfalls und dem Unfallereignis gilt die Theorie der wesentlichen Bedingung.
Diese setzt zunächst einen naturwissenschaftlichen Ursachenzusammenhang zwischen der Verrichtung zur Zeit des Unfalls und
dem Unfallereignis voraus und in einem zweiten wertenden Schritt, dass diese Verrichtung für das Unfallereignis wesentlich
war. Denn als im Sinne des Sozialrechts ursächlich und rechtserheblich werden nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer
besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (stRspr: BSGE 1, 72, 76; 1, 150, 156 f; BSG SozR 3-2200 § 548 Nr 13).
Typische Fallgestaltungen, in denen dieser Zusammenhang zwischen versicherter Verrichtung zur Zeit des Unfalls und Unfallereignis
von Bedeutung ist, sind die Fälle einer möglichen inneren Ursache, einer gemischten Tätigkeit, einer unerheblichen Unterbrechung
oder einer eingebrachten Gefahr, in denen neben die in sachlichem Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehende Verrichtung
zur Zeit des Unfalls eine weitere, nicht versicherten Zwecken zuzurechnende Ursachenkette hinzutritt (vgl nur zur inneren
Ursache: BSG SozR 3-2200 § 548 Nr 11; zur eingebrachten Gefahr: BSG SozR 2200 § 550 Nr 37). In Fällen einer gemischten Tätigkeit,
einer unerheblichen Unterbrechung oder einer eingebrachten Gefahr kann die Gefahrerhöhung durch die privaten und damit unversicherten
Zwecken zuzurechnende Ursachenkette in Abwägung mit der auf die versicherte Tätigkeit zurückgehenden Ursachenkette bei der
Beurteilung des Zusammenhangs zwischen der versicherten Verrichtung und dem Unfallereignis von Bedeutung sein. Auch in der
von der Revision angeführten Entscheidung des 8. Senats vom 7. Dezember 1976 (SozR 2200 § 548 Nr 26: Stehen bleiben und Zuschauen
bei einer Schlägerei auf einem versicherten Weg) erhält die Gefahrerhöhung ihre Bedeutung erst im Rahmen der Ursachenbeurteilung,
die zur Verneinung des wesentlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfallereignis führt, während
der grundsätzliche Versicherungsschutz für die kurze Zeit des Stehenbleibens (= Innehaltens in der Fortbewegung auf dem versicherten
Weg) bejaht wird. Die selbstgeschaffene Gefahr ist daher kein besonderes Rechtsprinzip oder eigenständiger Rechtssatz zur
Zusammenhangsbeurteilung beim Arbeitsunfall, sondern nur im Rahmen der Abwägung zwischen der versicherten und der nichtversicherten
Ursache als Element der letzteren bei der Beurteilung des Zusammenhangs zwischen der versicherten Verrichtung zur Zeit des
Unfalls und dem Unfallereignis zu berücksichtigen.
Nach diesen Maßstäben hat das LSG zu Recht den Zusammenhang zwischen der versicherten Verrichtung Fassadereinigen und dem
Unfallereignis Verpuffung bejaht. Vorliegend war die eine naturwissenschaftliche Ursache für die Verpuffung, die Verbrennungen
und schließlich den Tod des M das private Anzünden der Zigarette. Eine weitere naturwissenschaftliche Ursache war die Arbeitssituation,
die geprägt war durch die Reinigungsarbeiten mit feuergefährlichen Verdünnungsmitteln auf einer Hebebühne ohne besondere Unterrichtung,
zumal M kein Gebäudereiniger, sondern angelernter Monteur und Schweißer war. Vor diesem Hintergrund ist die rechtliche Würdigung
des LSG aufgrund des von ihm festgestellten Sachverhalts, gegen den von der Beklagten keine Einwände erhoben wurden, überzeugend
und nachvollziehbar. Danach sind die betriebsbedingten Umstände durch das private Zigarettenanzünden nicht so weit zurückgedrängt
worden, dass sie keine wesentliche Bedingung für den Unfall waren. Die Schwere der Verletzungen war entscheidend dadurch bedingt,
dass nur durch die Ansammlung lösemittelhaltiger Dämpfe auf dem Boden der Hubbühne eine Verpuffung möglich war. M war mangels
Belehrung durch den Arbeitgeber die Gefährlichkeit seines Handelns im Hinblick auf die Schwere eines möglichen Unfalls nicht
bewusst. Gesteigert wurde dies durch den Arbeitsplatz auf einer Hubbühne, der kein schnelle und einfache Flucht aus der Gefahr
zuließ.
Auch die haftungsbegründende Kausalität zwischen der Verpuffung und den Verbrennungen sowie die haftungsausfüllende Kausalität
zwischen den Verbrennungen und dem Tod des M ist gegeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.