Anspruch auf Feststellung eines Arbeitsunfalls mit einem Bandscheibenvorfall der Lendenwirbelsäule als weiterem Gesundheitserstschaden;
Maßstab für die objektive Kausalitätsbeurteilung
Gründe:
I
Der Kläger begehrt die gerichtliche Feststellung, dass sein Bandscheibenvorfall im Bereich L 3/4 seiner Lendenwirbelsäule
(LWS) ein weiterer Gesundheitserstschaden seines von der Beklagten anerkannten Arbeitsunfalls vom 19.12.2006 ist.
Der 1958 geborene Kläger leidet etwa seit seinem 20. Lebensjahr an Rückenschmerzen. Wegen Beschwerden im Bereich der LWS gab
er 1992 seine Tätigkeit als Gießereiarbeiter auf. Nach einer Umschulung zum Feinmechaniker nahm er im Jahr 2002 wegen eines
chronisch rezidivierenden Lumbal- und Zervikalsyndroms mit pseudoradikulärer Symptomatik an einer stationären Rehabilitationsmaßnahme
teil. Im Anschluss daran wurde er wegen der Wirbelsäulenbeschwerden regelmäßig ambulant behandelt. Bei einer im Februar 2005
durchgeführten Computertomographie der LWS war eine sichere Bandscheibenvorwölbung nicht zu erkennen.
Der Kläger war zuletzt in der Qualitätssicherung der R. GmbH beschäftigt. Am 19.12.2006 rutschte er in der zweiten Schicht
mit dem linken Fuß von einer ca 30 bis 40 cm hohen Stufe ab, arbeitete trotz Schmerzen aber zunächst bis zum 21.12.2006 weiter.
Der an diesem Tag aufgesuchte Durchgangsarzt diagnostizierte eine Distorsion der LWS und des linken Beckens. Bei einer am
22.12.2006 durchgeführten Computertomographie zeigte sich ein frischer lateraler Bandscheibenvorfall im Segment L 3/4 mit
einer Kompression der Nervenwurzel. Dieser Bandscheibenvorfall wurde im Januar 2007 mikrochirurgisch beseitigt.
Die Beklagte stellte einen Arbeitsunfall vom 19.12.2006 mit den als Unfallfolge bezeichneten Erstschäden "Zerrung der LWS
und des linken Beckens" fest. Die Feststellung der "Unfallfolgen" krankhafter Veränderungen der LWS sowie des Bandscheibenvorfalls
L 3/4 lehnte sie hingegen ab. Der Unfall sei nur geeignet gewesen, eine Zerrung zu verursachen. Die weiteren Gesundheitsbeeinträchtigungen
seien das Ergebnis eines Verschleißprozesses und nicht traumatisch bedingt (Bescheid vom 19.3.2007; Widerspruchsbescheid vom
21.8.2007).
Das SG Stuttgart hat die Klagen abgewiesen (Urteil vom 20.8.2009).
Das LSG Baden-Württemberg hat die Gerichts- und Verwaltungsentscheidungen abgeändert und einen "operierten Bandscheibenvorfall
L 3/4 als weitere Unfallfolge" festgestellt (Urteil vom 27.1.2011). Das Begehren sei wegen der Bandscheibenoperation auf die
Feststellung des operierten Bandscheibenvorfalls als Unfallfolge gerichtet. Für diesen Bandscheibenvorfall sei das Abrutschen
von der Stufe eine naturwissenschaftliche Ursache. Auf eine traumatische Schädigung der Bandscheibe L 3/4 durch das Unfallereignis
deuteten wesentliche Indizien hin. Im unmittelbaren Anschluss an den Vorfall hätten sich zunehmende Schmerzen in der LWS mit
Ausstrahlung und Sensibilitätsstörungen im linken Oberschenkel entwickelt. Der am dritten Tag nach dem Unfallereignis nachgewiesene
Bandscheibenvorfall sei als frisch beschrieben worden. Neben diesem zeitlichen Zusammenhang bestehe auch ein örtlicher Zusammenhang
des Bandscheibenvorfalls mit dem Abrutschen, denn selbst die Beklagte habe eine Zerrung der LWS festgestellt. Den gegen den
naturwissenschaftlichen Zusammenhang sprechenden Umständen komme keine durchgreifende Bedeutung zu. Die beim Kläger gegebenen
Bandscheibendegenerationen relativierten grundsätzlich nicht die auf eine akute traumatische Schädigung hinweisenden Zeichen.
Das Unfallereignis sei auch geeignet gewesen, den Bandscheibenvorfall hervorzurufen. An der notwendigen Geeignetheit fehle
es nur dann, wenn der geschädigte Körperteil überhaupt nicht betroffen gewesen sei. Der Unfall habe aufgrund seiner relevanten
biomechanischen Belastung aber zu einer Stauchung der LWS geführt. Des Nachweises von Begleitverletzungen des Bandapparates
oder der umgebenden Wirbelkörper bedürfe es nicht, weil ein Bandscheibenvorfall regelmäßig degenerativer Natur sei. Die gegenteilige,
ggf den aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft wiedergebende Auffassung in Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall
und Berufskrankheit, 8. Auflage, berücksichtige nicht die zweistufige Kausalitätsprüfung und könne schon aus Rechtsgründen
nicht zu Grunde gelegt werden. Abgesehen davon ließen sich minimale Begleitverletzungen nicht immer computertomographisch
abbilden. Das Unfallereignis sei nach den gutachtlichen Feststellungen von Dr. H. auch die rechtlich wesentliche Ursache.
Von den fortgeschrittenen Verschleißerscheinungen sei nicht das Bewegungssegment L 3/4 betroffen gewesen. Die zurückliegenden
Rückenbeschwerden hätten vor dem Unfall nicht zu gravierenden sozialmedizinischen Einschränkungen geführt. Ein Bandscheibenvorfall
sei bei der im Februar 2005 durchgeführten Computertomographie gerade nicht festgestellt worden. Selbst wenn aber die degenerativen
Prozesse als mitursächlich angesehen würden, wäre die Wahrscheinlichkeit eines unfallunabhängigen Bandscheibenvorfalls um
ein Vielfaches geringer als ein unfallbedingter Bandscheibenvorfall. Der Kläger habe aufgrund seines Lebensalters 28 Jahre
Zeit gehabt, einen symptomatischen Bandscheibenvorfall zu entwickeln. Auch sei das Unfallgeschehen in Kombination mit dem
erheblichen Körpergewicht von 100 Kilogramm kein alltägliches Ereignis.
Mit der vom BSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung des §
8 Abs
1 Satz 1
SGB VII und einen Verstoß gegen die Pflicht zur Amtsermittlung. Der erforderliche ursächliche Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis
und dem Bandscheibenvorfall liege nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vor. Ausweislich der bildgebenden Diagnostik
fehle es an nach herrschender unfallmedizinischer Lehrmeinung notwendigen Begleitverletzungen der ligamentären oder knöchernen
Strukturen. Das LSG habe sich allein auf die Feststellungen des Sachverständigen Dr. H. gestützt, ohne sich mit dem aktuellen
wissenschaftlichen Erkenntnisstand inhaltlich auseinanderzusetzen. Der vom Berufungsgericht aufgestellte Grundsatz, dass es
an der Geeignetheit eines Unfallgeschehens nur dann fehle, wenn der geschädigte Körperteil nicht betroffen sei, widerspreche
der Rechtsprechung des BSG.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 27. Januar 2011 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das
Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 20. August 2009 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
II
Die zulässige Revision der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und der Zurückverweisung der Sache an
das LSG (§
170 Abs
2 Satz 2
SGG) begründet.
1. Aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des LSG kann das BSG nicht abschließend darüber befinden, ob die Verrichtung der versicherten Tätigkeit, die die Verbandszuständigkeit der Beklagten
begründet und eine Einwirkung auf die LWS des Klägers wesentlich mit verursacht hat (dazu unter 3.), dadurch auch eine objektive
und zudem rechtlich wesentliche Mitursache des Bandscheibenvorfalls auf der Höhe des 3./4. Lendenwirbelkörpers geworden ist.
Nur dann wäre dieser ein Gesundheitserstschaden des anerkannten Arbeitsunfalls.
Das LSG hat nicht festgestellt, ob dieser Schaden nach Maßgabe des derzeit anerkannten Standes der medizinischen Wissenschaft
durch die verrichtungsbedingte und deshalb versicherte Einwirkung unmittelbar objektiv mit verursacht wurde (dazu unter 4.).
Seine Ansicht, dies könne durch "eine wertende Entscheidung", die "ohnehin dem juristischen Betrachter vorbehalten" sei, im
Rahmen der rechtlichen "Wesentlichkeitsbeurteilung" ersetzt werden, stimmt nicht mit dem Rechtsbegriff der unfallversicherungsrechtlichen
"Wesentlichkeit" einer Ursache für eine bestimmte Wirkung überein (dazu unter 3. und 5.).
2. Die Beklagte wendet sich mit ihrer Revision dagegen, dass das LSG auf die Berufung des Klägers das die Klage abweisende
Urteil des SG Stuttgart vom 20.8.2009 aufgehoben, die angefochtenen Bescheide abgeändert und als "weitere Folge des Arbeitsunfalls
vom 19.12.2006" einen "Operierten Bandscheibenvorfall L 3/4" festgestellt hat. Der Erfolg ihrer Rechtsmittel hängt davon ab,
ob die zulässige Kombination der zulässigen Anfechtungs- mit der zulässigen Feststellungsklage des Klägers begründet ist.
Das wäre dann der Fall, wenn die Beklagte durch ihren negativ feststellenden Verwaltungsakt einen Anspruch des Klägers auf
die Feststellung eines Bandscheibenvorfalls L 3/4 als Gesundheitserstschaden zu Unrecht abgelehnt hätte. Dann wäre dieser
durch Feststellungsurteil als weiterer Erstschaden des anerkannten Arbeitsunfalls festzustellen gewesen. Andernfalls hätte
ihre Revision durchgreifenden Erfolg.
Wie in der mündlichen Verhandlung vor dem BSG zwischen den Beteiligten klargestellt werden konnte, richtete sich das Begehren des Klägers von Anfang an nicht auf die Feststellung
seines Bandscheibenvorfalls als eine (unmittelbare) Unfallfolge. Ihm kam es vielmehr stets auf die Feststellung dieses Gesundheitsschadens
als weiteren Erstschaden des anerkannten Arbeitsunfalls an. Eine unmittelbare Unfallfolge kann sich hingegen nur infolge eines
Gesundheitserstschadens einstellen, der selbst als Tatbestandsvoraussetzung des Unfallbegriffs iS des §
8 Abs
1 Satz 2
SGB VII dem Begriff des Arbeitsunfalls unterfällt. Der Bandscheibenvorfall war zudem ersichtlich keine Wirkung eines bereits anerkannten
Erstschadens. Bei sachgerechter Auslegung war auch die angefochtene negative Feststellung der Beklagten auf die Ablehnung
der Anerkennung eines Erstschadens gerichtet.
3. Nach den bisherigen tatsächlichen Feststellungen des LSG ist nicht abschließend beurteilbar, aber möglich, dass dem Kläger
der erhobene Feststellungsanspruch gegen die Beklagte zusteht. Jeder Versicherte hat nämlich das Recht, vom zuständigen Unfallversicherungsträger
gemäß §
102 SGB VII die Feststellung aller Erstschäden (Gesundheitserstschäden oder Tod) eines Arbeitsunfalls iS von §
8 Abs
1 SGB VII zu verlangen, wenn ein solcher eingetreten ist (vgl BSG vom 31.1.2012 - B 2 U 2/11 R - zur Veröffentlichung in SozR 4-2700 § 8 Nr 43 vorgesehen, Juris RdNr 15 sowie BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - SozR 4-2700 § 11 Nr 1 RdNr 15 f).
a) Der Anspruch scheitert nicht daran, dass die Beklagte eine insoweit unanfechtbar gewordene Feststellung getroffen hätte,
der Kläger habe infolge seiner versicherten Tätigkeit an der Druckgießmaschine einen Arbeitsunfall mit folgenden Gesundheitserstschäden
erlitten: "Zerrung der Lendenwirbelsäule und des linken Beckens." Denn zugleich hat die Beklagte in diesem Verwaltungsakt
ausdrücklich unter Ziffer 3 verfügt, dass krankhafte Veränderungen der LWS sowie der Bandscheibenvorfall in den Segmenten
L 3/4 weder im Sinne der Entstehung noch im Sinne der Verschlimmerung "Folgen des Arbeitsunfalls" sind.
Werden die Erstschäden anfangs nur unvollständig anerkannt, hat der Versicherte Anspruch auf eine vollständige Feststellung
aller objektiv vom Arbeitsunfall umfassten Gesundheitserstschäden. Entscheidet der Versicherungsträger bei seiner Feststellung
eines Arbeitsunfalls, wie hier, dass der Versicherte keinen Anspruch auf Feststellung bestimmter weiterer Erstschäden habe,
oder stellt er die Gesundheitserstschäden ausdrücklich abschließend (positiv oder negativ) fest, ist dagegen der Widerspruch
gegeben (nach Fristablauf allein §§ 44 f SGB X). Da hier um einen weiteren, von der Beklagten ausdrücklich abgelehnten Gesundheitserstschaden gestritten wird, erfasst die
rechtliche Bindungswirkung des den Arbeitsunfall feststellenden Verwaltungsakts den hier rechtshängigen Streitgegenstand nicht.
b) Die Feststellungen des LSG lassen erkennen, dass der Kläger möglicherweise einen Anspruch auf Feststellung des umstrittenen
Gesundheitserstschadens hat. Denn danach hat er eine versicherte Tätigkeit als Beschäftigter verrichtet und infolge dessen
ein Unfallereignis erlitten (dazu sogleich).
Nach §
8 Abs
1 Satz 1
SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§
2,
3 oder 6 (oder 8 Abs
2)
SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse,
die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (Abs 1 Satz 2).
Daher muss eine Verrichtung des Verletzten vor dem fraglichen Unfallereignis, das "infolge", also ua nach dieser Verrichtung
eingetreten sein muss, den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt haben. Nur dies begründet seine Versichertenstellung
in und seinen Versicherungsschutz aus der jeweiligen Versicherung.
Diese (versicherte) Verrichtung muss ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis (Unfallereignis),
kurz gesagt: eine Einwirkung, objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (Unfallkausalität). Diese (versicherte) Einwirkung
muss einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (haftungsbegründende
Kausalität).
Die den Versicherungsschutz in der jeweiligen Versicherung begründende "Verrichtung", die (möglicherweise dadurch verursachte)
"Einwirkung" und der (möglicherweise dadurch verursachte) "Erstschaden" müssen (vom Richter im Überzeugungsgrad des Vollbeweises)
festgestellt sein.
aa) §
8 Abs
1 Satz 1
SGB VII setzt voraus, dass der Verletzte eine "den Versicherungsschutz" begründende "Tätigkeit (versicherte Tätigkeit)" verrichtet
hat und dass der Unfall (iS von Satz 2 aaO) "infolge" dieser versicherten Tätigkeit eingetreten ist.
Diese gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen umschreiben den Rechtsgrund, aufgrund dessen der wegen einer Verrichtung einer
versicherten Tätigkeit durch den Verletzten verbandszuständige Unfallversicherungsträger überhaupt versicherungsrechtlich
für die Schäden, Nachteile und Bedarfe des verunfallten Verletzten einstehen soll. Er soll nur verpflichtet sein, soweit der
Versicherungsschutz durch die Verrichtung der versicherten Tätigkeit in der jeweiligen Versicherung begründet ist. Er soll
deshalb (grundsätzlich) nur einstehen müssen für Gesundheitsschäden (oder Tod und ggf wirtschaftliche Folgen etc), die "infolge"
der versicherten Verrichtung eingetreten sind und ein Risiko realisieren, gegen das die jeweils begründete Versicherung schützen
soll. Zurechnungsvoraussetzungen sind somit auf der ersten Stufe die (faktisch-objektive) Wirkursächlichkeit der versicherten
Verrichtung des Verletzten für den Schaden und auf der darauf aufbauenden zweiten Stufe dessen rechtliche Erfassung vom Schutzzweck
der begründeten Versicherung.
bb) Die Zurechnung setzt somit erstens voraus, dass die Verrichtung der versicherten Tätigkeit den Schaden (ggf neben anderen
konkret festgestellten unversicherten Wirkursachen) objektiv mitverursacht hat. Denn für Einbußen des Verletzten, für welche
die versicherte Verrichtung keine Wirkursache war, ist schlechthin kein Versicherungsschutz begründet, hat also der Versicherungsträger
nicht einzustehen. Eine Verrichtung ist jedes konkrete Handeln eines Verletzten, das (objektiv) seiner Art nach von Dritten
beobachtbar (BSG vom 9.11.2010 - B 2 U 14/10 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 39 RdNr 22) und (subjektiv, also jedenfalls in laienhafter Sicht) - zumindest auch - auf die Erfüllung
des Tatbestandes der jeweiligen versicherten Tätigkeit ausgerichtet ist (innere Tatsache). Als (objektives) Handeln des Verletzten
kann es erste Ursache einer objektiven Verursachungskette sein. Diese kann über die Einwirkung auf den Körper, über Gesundheitserstschäden
oder Tod hinaus bis zu unmittelbaren oder iS von §
11 SGB VII, der für die zweite Stufe andere Zurechnungsgründe als die "Wesentlichkeit" regelt, mittelbaren Unfallfolgen sowie ua zur
Minderung der Erwerbsfähigkeit und zu den Bedarfen reichen, derentwegen das
SGB VII Leistungsrechte vorsieht.
Erst dann, wenn die "Verrichtung", die (möglicherweise dadurch verursachte) "Einwirkung" und der (möglicherweise dadurch verursachte)
"Erstschaden" festgestellt sind, kann und darf (auf der ersten Stufe der Zurechnung) über die tatsächliche Kausalitätsbeziehung
(objektive Verursachung) zwischen der Verrichtung und der Einwirkung (mit dem richterlichen Überzeugungsgrad mindestens der
Wahrscheinlichkeit) entschieden werden. Es geht hierbei ausschließlich um die rein tatsächliche Frage, ob und ggf mit welchem
Mitwirkungsanteil die versicherte Verrichtung (ggf neben anderen konkret festgestellten unversicherten Wirkursachen) eine
Wirkursache der von außen kommenden, zeitlich begrenzten Einwirkung auf den Körper des Versicherten war.
cc) Zweitens muss der (letztlich) durch die versicherte Verrichtung mitbewirkte Schaden rechtlich auch unter Würdigung unversicherter
Mitursachen als Realisierung einer in den Schutzbereich der begründeten Versicherung fallenden Gefahr, eines dort versicherten
Risikos, zu bewerten sein. Denn der Versicherungsschutz greift nur ein, wenn sich ein Risiko verwirklicht hat, gegen das die
jeweils begründete Versicherung Schutz gewähren soll.
Wird auf der ersten Stufe die objektive (Mit-)Verursachung bejaht, indiziert dies in keiner Weise die auf der zweiten Stufe
der Zurechnung rechtlich zu gebende Antwort auf die Rechtsfrage (so schon BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17), ob die Mitverursachung der Einwirkung durch die versicherte Verrichtung unfallversicherungsrechtlich
rechtserheblich, "wesentlich", war. Denn die unfallversicherungsrechtliche Wesentlichkeit der Wirkursächlichkeit der versicherten
Verrichtung für die Einwirkung (etc) muss eigenständig rechtlich nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweils begründeten Versicherung
beurteilt werden.
Sie setzt rechtlich voraus, dass der Schutzbereich und der Schutzzweck der jeweiligen durch die versicherte Verrichtung begründeten
Versicherung durch juristische Auslegung des Versicherungstatbestandes nach den anerkannten Auslegungsmethoden erkannt werden.
Insbesondere ist festzuhalten, ob und wie weit der Versicherungstatbestand gegen Gefahren aus von ihm versicherten Tätigkeiten
schützen soll (vgl hierzu BSG vom 15.5.2012 - B 2 U 16/11 R - zur Veröffentlichung in SozR 4-2700 § 2 Nr 21 vorgesehen - RdNr 21 ff - Lebendnierenspende).
Bei der folgenden Subsumtion muss vorab entschieden werden, ob die versicherte Verrichtung durch ihren auf der ersten Stufe
festgestellten Verursachungsbeitrag überhaupt ein Risiko verwirklicht hat, das in den Schutzbereich der begründeten Versicherung
fällt. Nur wenn dies, wie zumeist, zu bejahen ist, kommt es darauf an, ob ggf konkret festgestellte unversicherte Mitursachen,
die selbst die Zurechnung zum Unfallversicherungsträger nie begründen können, gleichwohl die Zurechnung ausschließen. Das
ist der Fall, wenn die unversicherten Wirkursachen das gesamte Unfallgeschehen derart geprägt haben, dass die Wirkung insgesamt
trotz des Mitwirkungsanteils der versicherten Verrichtung nicht mehr unter den Schutzbereich der jeweiligen Versicherung fällt.
Bei dieser Subsumtion sind alle auf der ersten Stufe im Einzelfall konkret festgestellten versicherten und unversicherten
Wirkursachen mit ihren ggf festgestellten Mitwirkungsanteilen in einer rechtlichen Gesamtabwägung nach Maßgabe des jeweilig
festgestellten Schutzzwecks des Versicherungstatbestandes zu bewerten.
Nur wenn beide Zurechnungskriterien bejaht sind, erweist sich die versicherte Verrichtung als "wesentliche Ursache" (vgl schon
RVA vom 24.5.1912, AN 1912, 930 [Nr 2585] = Breithaupt 1912, 212; GS RVA vom 26.2.1914, AN 1914, 411 [2690]; vgl BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 26/10 R -; BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274 = SozR 4-2700 § 11 Nr 1; BSG vom 17.2.2009 - B 2 U 18/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 31; BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17; BSG vom 12.4.2005 - B 2 U 11/04 R - BSGE 94, 262 = SozR 4-2700 § 8 Nr 14, RdNr 17).
dd) In gleicher Weise muss zum Vorliegen eines Arbeitsunfalls ggf die versicherte Einwirkung den Erstschaden (ggf den Tod)
a) objektiv und b) rechtlich wesentlich verursacht haben. Dabei kommt es schon wegen der Einheit des jeweiligen Versicherungsfalls
stets auch darauf an, dass die Zurechnungskette auf ein- und dieselbe versicherte und den Versicherungsschutz bei dem Unfallversicherungsträger
begründende Verrichtung zurückzuführen ist.
ee) Diese Voraussetzungen müssen für jeden einzelnen Gesundheitserstschaden erfüllt sein. "Gesundheitserstschaden" ist jeder
abgrenzbare Gesundheitsschaden, der unmittelbar durch eine versicherte Einwirkung objektiv und rechtlich wesentlich verursacht
wurde, die durch einund dieselbe versicherte Verrichtung objektiv und rechtlich wesentlich verursacht wurde. Es handelt sich
also um die ersten voneinander medizinisch abgrenzbaren Gesundheitsschäden (oder den Tod), die "infolge" ein- und derselben
versicherten Verrichtung eintreten.
c) Nach den Feststellungen des LSG liegt eine versicherte Verrichtung des Klägers vor, die eine Einwirkung objektiv und rechtlich
wesentlich verursacht hat.
aa) Der Kläger hat durch seine Tätigkeit an der Druckgießmaschine während der zweiten Arbeitsschicht den Tatbestand der versicherten
Tätigkeit als "Beschäftigter" iS des §
2 Abs
1 Nr
1 SGB VII erfüllt (zu den Voraussetzungen dieses Tatbestandes näher BSG Urteil vom 15.5.2012 - B 2 U 8/11 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-2700 § 2 Nr 20 vorgesehen). Denn er hat dadurch eine Hauptflicht aus seinem Beschäftigungsverhältnis
mit der R. GmbH erfüllt, wie in der mündlichen Verhandlung vor dem BSG auch in tatsächlicher Hinsicht abschließend außer Streit gestellt werden konnte. Er war daher in der Beschäftigtenversicherung
grundsätzlich gegen alle Gefahren unfallversichert, die sich "infolge" der versicherten Tätigkeit an der Druckgießmaschine
verwirklichten.
bb) Das LSG hat ferner bindend festgestellt, dass es infolge des Ausrutschens von einer Stufe an der Maschine in Höhe von
30 bis 40 cm und den Aufprall auf dem Boden zu einer Einwirkung auf das Becken und die LWS gekommen ist. Unter "Einwirkung"
(als Kurzbezeichnung für das von außen kommende, zeitlich begrenzt einwirkende Unfallereignis) ist die durch einen solchen
Vorgang ausgelöste Änderung des physiologischen Körperzustandes zu verstehen, die von dem (möglicherweise zeitnah danach eintretenden)
Gesundheitserstschaden zu unterscheiden ist. Das LSG hat zur Natur der körperlichen Veränderung festgestellt, dass nach dem
19.12.2006 mehrere Ärzte eine "Zerrung" bzw Distorsion der LWS und des linken Beckens diagnostiziert haben. Nach dem Gesamtzusammenhang
des Urteils des LSG hat es sich diese Diagnose zu eigen gemacht. Eine solche LWSDistorsion genügt jedenfalls dem (weiten)
Einwirkungsbegriff.
cc) Das LSG hat durch die Bezugnahme auf "die Unfallanzeige der Arbeitgeberin" vom 5.1.2007 auch noch festgestellt, dass die
versicherte Tätigkeit an der Maschine mit dem Rutschen von einer 30-40 cm hohen Stufe und dem Auftreffen des linken Fußes
auf dem Boden bei einem Körpergewicht des Klägers von mehr als 100 kg diese Einwirkung auf die LWS objektiv mitverursacht
hat.
Das LSG hat zwar keine näheren Feststellungen zur Ursache des Ausrutschens und zu anderen Mitursachen (ua Beschaffenheit der
Treppe bzw Stufe, Materialfehler, äußere Ursache) und auch nicht dazu getroffen, ob es gerade bei dem Begehen der Stufen um
die Ausübung der Kontrolltätigkeit an der Maschine ging oder ob der Kläger unmittelbar bei der Kontrolltätigkeit abgerutscht
ist. Dennoch ist die Feststellung des LSG rechtlich nicht zu beanstanden, dass die versicherte Tätigkeit in der Qualitätskontrolle
an der Druckgießmaschine als Grundvoraussetzung des Unfallhergangs eine mitwirkende Ursache für die Einwirkung war. Wie zudem
vor dem BSG zur Gehörsgewährung eingeführt und von den Beteiligten bestätigt wurde, entspricht es dem heutigen allgemeinkundigen Stand
der Erfahrung, dass ein solcher Ablauf eines Sturzes/Ausrutschens mit der Wirkung eines starken Aufpralls des linken Fußes
bei einem 100 kg schweren Menschen Ursache ua einer Verstauchung der LWS sein kann und nach den konkreten Umständen des Falles
hier auch war. Weitere Mitursachen wurden vom LSG nicht festgestellt und von der Beklagten nicht behauptet.
dd) Das LSG hat sinngemäß auch die rechtliche Beurteilung geäußert, dass das versicherte Handeln des Klägers eine mit der
Erfüllung dieser Pflicht aus seinem Beschäftigungsverhältnis verbundene Gefahr für seine Gesundheit verwirklicht hat. Das
trifft bundesrechtlich zu. Denn die Beschäftigtenversicherung soll grundsätzlich in allen Lebens- und Gesundheitsgefahren
schützen, die sich aus dem Handeln zur Erfüllung von Pflichten oder zur Wahrnehmung unternehmensbezogener Rechte aus dem Beschäftigungsverhältnis
unter Eingliederung in einen vom Unternehmer bestimmten Gefahrenbereich ergeben. Der Kläger hat infolge der ihm aufgetragenen
Aufgaben an der Druckgießmaschine mit entsprechenden Treppenstufen Gesundheitsgefahren eingehen müssen, die sich in der Einwirkung
realisiert haben. Damit fällt bei der gebotenen rechtlichen Gesamtabwägung die durch die versicherte Verrichtung mit bewirkte
Einwirkung auf die LWS unter den Schutzbereich der hier begründeten Beschäftigtenversicherung. Weitere Mitursachen der Einwirkung
sind nicht festgestellt.
ee) Das LSG hat schließlich auch bindend festgestellt, dass der vom Kläger als Gesundheitserstschaden geltend gemachte Bandscheibenvorfall
L 3/4 vorliegt.
d) Damit sind die Voraussetzungen für den vom Kläger erhobenen Anspruch auf Feststellung dieses Vorfalls L 3/4 als weiteren
Gesundheitserstschaden des anerkannten Arbeitsunfalls mit der Ausnahme erfüllt, dass das BSG noch nicht entscheiden kann, ob das Arbeiten an der Druckgießmaschine mit der durch sie rechtlich wesentlich mitverursachten
Einwirkung auf die LWS des Klägers auch rechtserhebliche (Mit-)Wirkursache dieses Bandscheibenvorfalls war.
4. Das LSG hat zwar ausgeführt, die versicherte Einwirkung und letztlich die versicherte Tätigkeit an der Druckgießmaschine
hätten auch den Bandscheibenvorfall objektiv und wesentlich verursacht. Dies ist jedoch für das BSG nicht bindend. Es darf dies seiner Entscheidung nicht zugrunde legen.
a) Dies folgt für die Rechtsfrage der unfallversicherungsrechtlichen Wesentlichkeit schon daraus, dass es hier allein um Rechtsanwendung,
also um die rechtliche Subsumtion der auf der ersten Stufe der Zurechnung festgestellten Tatsachen unter den Schutzbereich
der für die konkrete Beschäftigung begründeten Beschäftigtenversicherung geht. Hier muss das Revisionsgericht in vollem Umfang
die Beachtung des Bundesrechts überprüfen. Das LSG hat hierbei den Rechtsbegriff der unfallversicherungsrechtlichen "Wesentlichkeit"
einer Ursache unzutreffend angewandt (dazu unter 5.).
b) Auf der ersten Stufe der Zurechnung hat das LSG keine das BSG bindenden tatsächlichen Feststellungen zur objektiven Verursachung des Bandscheibenvorfalls durch die versicherte Einwirkung/versicherte
Verrichtung getroffen.
Allerdings hat das LSG ausdrücklich festgestellt, dass die (versicherte) Einwirkung auf die LWS des Klägers naturwissenschaftliche
Ursache des beim Kläger aufgetretenen Bandscheibenvorfalls im Bewegungssegment L 3/4 gewesen ist.
aa) Grundsätzlich ist das Revisionsgericht an eine solche Tatsachenfeststellung, zu der auch der konkrete objektive Kausalzusammenhang
im Einzelfall gehört, gebunden (§
163 SGG). Hier tritt diese Bindung jedoch nicht ein, weil das LSG zum einen von einem unzutreffenden Rechtsbegriff der objektiven
("wissenschaftlich-philosophischen") Kausalität ausgegangen ist. Zum anderen hat es damit die Grenzen der Befugnis zur freien
richterlichen Beweiswürdigung (§
128 Abs
1 Satz 1
SGG) überschritten. Es hat seinem Urteil einen nicht existierenden Erfahrungssatz zugrunde gelegt und deshalb davon abgesehen
aufzuklären, ob es einen nach dem neuesten Stand der medizinischen Wissenschaft anerkannten Erfahrungssatz gibt, nach dem
isolierte Bandscheibenvorfälle durch Unfalleinwirkungen nur verursacht werden können, wenn ein unfallbedingter Begleitschaden
vorliegt.
bb) Das LSG hat seine Kausalitätsbeurteilung auch auf folgenden nicht existierenden Erfahrungssatz gestützt: Liegen - wie
hier - Hinweise auf eine traumatische Schädigung vor, ohne dass eine andere Schädigung als der Arbeitsunfall örtlich-zeitlich
in Rede steht, ist ein naturwissenschaftlicher Zusammenhang regelmäßig als wahrscheinlich anzusehen.
Daran ist das BSG nicht gebunden. Ein solcher Erfahrungssatz ist nicht allgemeinkundig oder dem BSG gerichtsbekannt. Die Revisionsführerin bestreitet seine Existenz. Das LSG hat nicht mitgeteilt, woher es diese Erkenntnis
gewonnen hat. Soweit die Formulierung auch als generelle weitere "Beweiserleichterung" bei der richterlichen Überzeugungsbildung
zum Grad der (juristischen) Wahrscheinlichkeit gemeint sein könnte, wäre sie bundesrechtswidrig. Denn der juristische Überzeugungsgrad
der Wahrscheinlichkeit knüpft an die Würdigung der Einzelfallumstände nach Maßgabe der im jeweiligen Lebensbereich vorhandenen
aktuell anerkannten wissenschaftlichen Erfahrung, hilfsweise der sonstigen einschlägigen Fachkunde, und deren ggf vorhandene
Unsicherheiten an. Er erlaubt es aber nicht, an dem vorhandenen Erfahrungswissen durch "juristische Betrachtungen" vorbeizugehen.
c) Das LSG hat auch im Übrigen einen unzutreffenden Rechtsbegriff der objektiven Verursachung (der "philosophisch-wissenschaftlichen
Kausalität") zugrunde gelegt.
Objektive Verursachung bedeutet einen nach dem jeweils neuesten anerkannten Stand der einschlägigen Erfahrung (insbesondere
der Wissenschaft, hilfsweise der sonstigen Fachkunde) geprüften und festgestellten Wirkungszusammenhang zwischen einer bestimmten
Wirkursache und ihrer Wirkung. Dabei gibt es keine Ursache ohne Wirkung und keine Wirkung ohne Ursache.
Die versicherte Verrichtung muss also eine Wirkursache (ggf neben anderen Wirkursachen) der Einwirkung, die Einwirkung eine
Wirkursache (ggf neben anderen Wirkursachen) des Gesundheitserstschadens sein. Ob die Verrichtung Wirkursache der Einwirkung
(etc) war, ist eine Frage, die nur auf der Grundlage von Erfahrung über Kausalbeziehungen beantwortet werden kann.
Auch der Satz der Bedingungstheorie, ein tatsächlicher Umstand sei "notwendige Bedingung" (nicht: Ursache) eines anderen Umstandes,
wenn der erste nicht "hinweggedacht" werden könne, ohne dass der zweite (der "Erfolg") entfiele ("conditio sine qua non"),
ist kein logischer Schluss. Er verlangt eine hypothetische, dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung grundsätzlich fremde,
alternative Zusammenhangserwägung ohne Berücksichtigung eines in Wirklichkeit vorhandenen Umstandes und mit Unterstellung
eines in Wirklichkeit nicht erfolgten Geschehensablaufs. Darüber hinaus verweist er auf Erfahrungswissen über den Zusammenhang
von Bedingungen.
Die Erwägung nach dieser Formel führt zur Unbeachtlichkeit von Bedingungen, die nach Erfahrung die Wirkung nicht verursacht
haben können. Insoweit kann sie zur ersten negativen Vorklärung, dem Ausscheiden von als Ursachen von vornherein nicht in
Betracht kommender Bedingungen, beitragen. Sie erfasst aber alle Bedingungen, die nach Erfahrung möglicherweise die fragliche
Wirkung (den "Erfolg") verursacht haben könnten. Aus sich heraus gibt sie aber keinen Maßstab dafür, ob ein solcher als für
das Geschehen erforderliche (und nur in diesem Sinne "notwendige") Bedingung erkannter Umstand den "Erfolg" wirklich bewirkt,
also die Wirkung mitverursacht hat, worauf schon der große Senat des RVA (aaO) hingewiesen hat. Eine solche Bedingung kann
Wirkursache sein, muss es aber nicht. Sie kann auch bloße Randbedingung sein. Die Formel schließt nur "Bedingungen" aus, die
nach Erfahrung unmöglich Wirkursachen sein können.
Entscheidend ist aber, ob die versicherte Verrichtung die Einwirkung und ob diese den Erstschaden bewirkt hat. Wenn die festgestellte
versicherte Verrichtung nach Erfahrung eine "Bedingung eines Erfolgs", also einer Einwirkung und des Gesundheitserstschadens
(etc) ist, wären diese (hypothetisch) ohne sie nicht eingetreten. Gleiches gilt für eine kaum abzählbare Menge anderer Bedingungen
für den konkreten Unfall. Die Verrichtung war aber nur dann eine Wirkursache der Einwirkung/des Gesundheitserstschadens, wenn
sie das Unfallereignis hervorgerufen oder in Gang gehalten und dadurch die Einwirkung herbeigeführt hat, welche den Körper
des Verletzten/seinen physiologischen Zustand verändert und dadurch den Gesundheitsschaden mitbewirkt hat. Ob dies der Fall
war, ist nach dem neuesten anerkannten Stand des einschlägigen Fachwissens zu beurteilen.
aa) Dies gilt auch für die Beantwortung der Frage, ob der festgestellte Bandscheibenvorfall des Klägers Wirkung der festgestellten
versicherten Einwirkung/versicherten Tätigkeit an der Druckgießmaschine als Ursache war. Dafür kommt es, weil es sich um eine
in den Fachbereich der medizinischen Wissenschaft fallende Frage handelt, allein darauf an, ob ein Wirkungszusammenhang zwischen
dem Ausrutschen und dem Aufprall auf dem Boden und dieser Einwirkung auf die LWS des Klägers und diesem Bandscheibenvorfall
nach dem aktuellen Stand des anerkannten medizinischen Erfahrungswissens vorliegt. Dafür reicht ein bloßer örtlicher und zeitlicher
Zusammenhang nicht aus.
Vielmehr ist der jeweils neueste anerkannte Stand des einschlägigen Erfahrungswissens zugrunde zu legen. Dies wird in der
Regel die Auffassung der Mehrheit der im jeweiligen Fragenbereich veröffentlichenden Wissenschaftler/Fachkundigen eines Fachgebiets
sein. Lässt sich eine solche "herrschende Meinung" nicht feststellen, so darf der Richter nicht gleichsam als Schiedsrichter
im Streit einer Wissenschaft fungieren und selbst eine (von ihm anerkannte) Ansicht zur maßgeblichen des jeweiligen für ihn
fachfremden Wissenschaftsgebietes erklären. Vielmehr kommt, falls auch durch staatliche Merkblätter, Empfehlungen der Fachverbände
etc kein von den Fachkreisen mehrheitlich anerkannter neuester Erfahrungsstand festgestellt werden kann, eine Entscheidung
nach Beweislastgrundsätzen in Betracht (anders offenbar noch BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 18).
Dazu muss dieser Erfahrungsstand inhaltlich festgestellt und so rechtzeitig mit seiner Erkenntnisquelle (zB medizinisches
Fachbuch) in das Gerichtsverfahren eingeführt werden, dass die Beteiligten sich darüber fachkundig machen und ggf konkrete
Beweiserhebungen beantragen können. Das gilt auch dann, wenn das Gericht meint, der Stand des einschlägigen Erfahrungswissens
sei gerichtsbekannt, allgemeinkundig oder könne vom Gericht aus eigener, stets rechtzeitig offenzulegender Fachkompetenz beurteilt
werden.
bb) Soweit ein nicht allgemeinkundiges oder gerichtsbekanntes Erfahrungswissen Gegenstand einer staatlich anerkannten Wissenschaft,
hilfsweise einer sonstigen fachkundigen Profession, ist, muss das Gericht, sofern es keine nachweisbare eigene Fachkompetenz
oder Gerichtskenntnis auf diesem Gebiet hat, aufgrund der Ermessensreduktion im Rahmen seiner Sachaufklärung nach §
103 SGG sich die erforderliche Kenntnis durch Sachverständige verschaffen. Es ist gerade Aufgabe der Sachverständigen, dem Richter
den aktuellen anerkannten Stand des Wissens darüber zu vermitteln, ob es Erfahrungssätze über Ursache-Wirkung-Beziehungen
der fraglichen Art gibt und ggf welche Anwendungsbedingungen für die Anwendung dieser Sätze im Einzelfall erfüllt sein müssen.
Soweit auch die Anwendung der Erfahrungssätze im Einzelfall, wie häufig, ebenfalls besondere Sachkunde erfordert, kann der
Sachverständige auch damit beauftragt werden.
Gegenstand solcher Erfahrungssätze und ihrer generellen Anwendungsbedingungen ist, ob Vorgänge der Art des vorderen Kausalgliedes
- hier: die Einwirkung auf den LWS-Bereich durch den Aufprall unter Absehung von bloßen Randbedingungen des konkreten Falles
- allein oder im Zusammenwirken mit anderen nach dieser Erfahrung ursächlichen Bedingungen Vorgänge der Art des zweiten Kausalgliedes
- hier: Bandscheibenvorfall L 3/4 als Gesundheitserstschaden - bewirken. Sofern diese Kausalbeziehung zwischen den beiden
Arten der Kausalglieder besteht, ist das vordere eine hinreichende Ursache des folgenden Kausalgliedes. Tritt das zweite Kausalglied
(hier: der Gesundheitserstschaden) immer und nur dann auf, wenn das vordere Kausalglied vorliegt, handelt es sich bei diesem
um eine notwendige Ursache, bei dem zweiten um eine notwendige Wirkung. Bedingungen im Sinne der Bedingungstheorie, die erfahrungsgemäß
keine solchen hinreichenden oder sogar notwendigen Wirkursachen sind, bleiben schon deshalb bei der Zurechnung außer Betracht.
cc) Allerdings darf das Gericht die jeweils einschlägige Wissenschaft (oder Fachkunde) auch nicht mit gebietsfremden Anforderungen
überfordern, welchen dieser Erfahrungsbereich nicht genügen kann. Das Rechtssystem knüpft in den Grenzen der Rechtslogik an
den jeweiligen aktuell anerkannten Stand der einschlägigen empirischen Wissenschaft (oder Fachkunde) an.
Es sind - gerade auch im Bereich der Medizin - nicht immer deterministische Erfahrungssätze vorhanden oder anerkannt. Sehr
häufig werden nur wissenschaftlich begründete Wahrscheinlichkeitssätze (die nichts mit dem juristischen Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit
zu tun haben) festgestellt werden können. Dabei gibt es in den verschiedenen Wissenschaften unterschiedliche Begriffe von
empirischer Wahrscheinlichkeit bis hin zu probabilistischen Erfahrungssätzen. Sie werden nach entsprechenden Untersuchungen
gelegentlich mathematisch formuliert, häufig aber allein durch tradierte Erfahrung im jeweiligen Fachkreis mit geringer Überprüfungsdichte
gelehrt und/oder bloß unausgesprochen in der Praxis vorausgesetzt (begründete Vermutungen). Hier sind Unterschiede ferner
zwischen Fachbereichen zu beachten, in denen es wissenschaftliche Fachdisziplinen gibt, und solchen, in denen es überwiegend
nur die tradierte Erfahrung des Kreises der professionell im jeweiligen Gebiet Tätigen gibt.
dd) Maßstab für die objektive Kausalitätsbeurteilung ist also der neueste anerkannte Stand des Erfahrungswissens (vgl hierzu
zuletzt auch BSG Urteil vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3 - RdNr 23 f "in der Regel 100 Feinstaubjahre"). Als Maßstäbe sind jeweils, soweit vorhanden,
die aktuell anerkannten Erfahrungssätze festzustellen und anzuwenden. Dies ist eine reine Tatsachenfeststellung, bei der der
Richter der Hilfe des Sachverständigen bedarf. Hinsichtlich der richterlichen Feststellung des Inhalts der Erfahrungssätze
genügt der richterliche Beweisgrad der juristischen Wahrscheinlichkeit. Der Sachverständige muss bei seiner Begutachtung also
verdeutlichen, welche Erfahrungssätze er seiner Begutachtung zugrunde legt und dass dieses Erfahrungswissen in der einschlägigen
Wissenschaft (oder Fachkunde) aktuell als neuester Stand anerkannt ist.
ee) Die Feststellung des jeweils aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes ist für eine objektive Urteilsfindung unerlässlich
(BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 24 ff). Ausgangsbasis der richterlichen Erkenntnisbildung über wissenschaftliche Erfahrungssätze
sind auch bei Fragen der objektiven Verursachung die Fachbücher und Standardwerke insbesondere zur Begutachtung im jeweiligen
Bereich. Außerdem sind die jeweiligen Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften
(AWMF) zu berücksichtigen. Hinzu kommen andere aktuelle wissenschaftliche Veröffentlichungen. Diese Quellen hat der Richter
jeweils kritisch zu würdigen.
Eine bloße Literaturauswertung durch auf dem einschlägigen Gebiet nicht fachgerecht ausgebildete Richter genügt zur Feststellung
des (nicht allgemeinkundigen oder gerichtsbekannten) aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über Kausalbeziehungen
in der Regel nicht. Vielmehr wird dessen Klärung im Rahmen des ohnehin benötigten Gutachtens erfolgen. Dieser Erkenntnisstand
ist aber die Basis für die Beurteilung durch den Sachverständigen, die er stets zugrunde legen muss und von der er nur durch
zusätzliche Ausführungen, weshalb er ihr nicht folgt, mit wissenschaftlicher Begründung abweichen darf.
Bestreitet nach rechtzeitiger Einführung eines solchen Erfahrungssatzes in den Prozess einer der Beteiligten dessen Vorliegen
oder Tragweite mit nicht offenkundig fernliegenden Sachargumenten, so wird das Gericht im Regelfall diesem Vorbingen durch
(zumindest schriftliche) Befragung eines Sachverständigen nachzugehen haben (vgl hierzu BSG Beschluss vom 24.7.2012 - B 2 U 100/12 B - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Insofern macht die Beklagte auch zutreffend geltend, dass der Anspruch auf Gewährung
rechtlichen Gehörs gemäß §
62 SGG iVm Art
103 GG gebietet, dass das LSG jeweils vor der Zugrundelegung solcher Erfahrungssätze diese in den Prozess einführen und den Beteiligten
Gelegenheit geben muss, sich zu diesen Erfahrungssätzen (und ggf zu deren Tragweite) zu äußern.
d) Das LSG hat hinsichtlich der strittigen Verursachung des Bandscheibenvorfalls schon keinen neuesten anerkannten Stand der
medizinischen Wissenschaft festgestellt, sondern einen anderen Verursachungsbegriff zugrunde gelegt.
aa) Die Beklagte hat unter Zitierung des Werks von Schönberger/Mehrtens/Valentin gegenüber dem LSG dargelegt, dass es dem
dort dokumentierten Stand der medizinischen Wissenschaft entspreche, dass ein traumatischer Bandscheibenvorfall nur mit knöchernen
oder ligamentären Begleitverletzungen vorkommen könne. Das LSG hätte deshalb im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht selbst
die Existenz oder Nichtexistenz dieses oder eines anderen anerkannten Erfahrungssatzes in der medizinischen Wissenschaft feststellen
müssen.
bb) Das Vorgehen des LSG war auch nicht etwa deshalb gerechtfertigt, weil es davon ausgegangen ist, dass sich eine Feststellung
des einschlägigen medizinischen Erfahrungssatzes erübrige, weil die Autoren Schönberger/Mehrtens/Valentin von einem unzutreffenden
rechtlichen Maßstab bei der Kausalitätsbetrachtung ausgegangen seien. Sie hätten Aspekte der rechtlichen Wesentlichkeit im
Sinne der Rechtsprechung des BSG mit naturwissenschaftlichen Aussagen verquickt.
Es ist hier nicht darauf einzugehen, ob diese Behauptungen zutreffen. Beiläufig ist darauf hinzuweisen, dass nicht jeder Gebrauch
des Wortes "wesentlich" zugleich eine Äußerung zur "Theorie der wesentlichen Bedingung" sein muss. Soweit Nichtjuristen sich
zu solchen juristischen Problemen äußern, liegen keine Stellungnahmen eines Sachverständigen, möglicherweise aber dennoch
bedenkenswerte oder richtige Argumente vor. In keinem Fall durfte das LSG davon absehen, den aktuellen Stand der anerkannten
medizinischen Erfahrung über durch Unfälle verursachte Bandscheibenvorfälle festzustellen.
e) Es ist nicht tunlich (§
170 Abs
2 Satz 2
SGG), dass das BSG das Bestehen und den Inhalt des von der Beklagten behaupteten oder eines sonstigen aktuell anerkannten medizinischen Erfahrungssatzes
über die Verursachung von Bandscheibenvorfällen durch Unfalleinwirkungen und dessen generelle Anwendungsbedingungen selbst
feststellt. Zwar gehören solche generellen Erfahrungssätze dem revisiblen Bundesrecht (§
162 SGG) an. Jedoch bedürfte es zu einer Entscheidung darüber, ob im Fall des Klägers die Vorgaben eines solchen Erfahrungssatzes
erfüllt sind, der Feststellung von Einzelfalltatsachen und deren fachgerechte Zuordnung zum generellen medizinischen Erfahrungssatz.
Das BSG müsste daher voraussichtlich nach Klärung des generellen Standes der anerkannten Erfahrung die Sache dennoch an das LSG zurückverweisen,
dem die Feststellung von Tatsachen des Einzelfalles grundsätzlich vorbehalten ist.
Das LSG wird folglich nach der Zurückverweisung durch Einholung von Sachverständigengutachten und die anderen aufgezeigten
Ermittlungsmöglichkeiten festzustellen haben, ob der von der Beklagten behauptete wissenschaftliche Erfahrungssatz oder ein
anderer von der Mehrheit der Wissenschaftler des einschlägigen medizinischen Wissenschaftszweiges vertreten wird.
Lässt sich dies zur vollen richterlichen Überzeugung bejahen, so ist er nebst seinen in gleicher Weise wissenschaftlich anerkannten
generellen Anwendungsbedingungen der (mindestens im richterlichen Beweisgrad der juristischen Wahrscheinlichkeit zu treffenden)
Feststellung zwingend zugrunde zu legen, ob im vorliegenden Fall die versicherte Einwirkung faktische Mitursache des Bandscheibenvorfalls
L 3/4 war. Stellt das LSG hingegen fest, dass nicht dieser Erfahrungssatz, sondern ein anderer entsprechend anerkannt ist,
ist dieser zwingend maßgeblich. In jedem Fall ist dann über die Mitursächlichkeit des Ausrutschens an der Maschine und des
Aufpralls auf dem Boden und der durch sie verursachten Einwirkung für den Vorfall L 3/4 und dabei auch der Mitverursachungsanteil
anderer Wirkursachen zu entscheiden.
5. Von diesen Feststellungen darf das LSG nicht wegen der zweiten Zurechnungsstufe, der rechtlichen "Wesentlichkeit" der Wirkursache
für den Schaden, absehen. Das LSG hat nämlich in seinem Urteil den dargelegten bundesrechtlichen Begriff der Wesentlichkeit
unzutreffend auf den Bereich der objektiven Verursachung angewandt. Er betrifft aber allein die zweite Stufe der Zurechnung.
Auf ihr geht es ausschließlich um die Rechtsfrage, ob die auf der ersten Stufe abschließend festzustellende faktische Mitverursachung
des Gesundheitsschadens durch die versicherte Verrichtung/versicherte Einwirkung überhaupt ein versichertes Risiko der Beschäftigtenversicherung
verwirklicht hat. Gegebenenfalls hängt - wie oben gezeigt - diese Rechtserheblichkeit davon ab, ob unversicherte Mitursachen
und ihr Mitwirkungsanteil nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweiligen Versicherung in einer Gesamtabwägung dieser Umstände
des Einzelfalls die Schadensverursachung derart prägen, dass dieser nicht mehr dem Schutzbereich der Versicherung, sondern
dem allgemeinen Lebensrisiko unterfällt.
Hierbei geht es ausschließlich um rechtliche Bewertungen (Auslegung und Subsumtion). Die Wirkursachen und ihre Mitwirkungsanteile
(Tatsachenfrage) sind bereits auf der ersten Stufe der objektiven Verursachung abschließend festzustellen. Insbesondere kann
die ordnungsgemäße Tatsachenfeststellung auf der ersten Stufe nicht durch Wertungen auf der zweiten ersetzt werden.
Das LSG wird daher, falls es auf der ersten Stufe die objektive Verursachung des Bandscheibenvorfalls durch die versicherte
Verrichtung/Einwirkung nach neuer Prüfung bejahen wird, auf der zweiten Stufe erstmals die vorgenannte Rechtsfrage beantworten
müssen.
6. Das LSG wird auch abschließend über die Kosten des Rechtsstreits zu befinden haben.