Höhe des Verletztengeldes in der gesetzlichen Unfallversicherung bei Wiedererkrankung nach einem Wechsel des Unfallversicherungsträgers
Gründe:
I. Streitig ist die Höhe des dem Kläger zustehenden Verletztengeldes.
Der Kläger war bis 1990 Inhaber einer Kraftfahrzeugwerkstatt mit Autohandel und als solcher bei der Rechtsvorgängerin der
beklagten Berufsgenossenschaft (BG) freiwillig versichert. Bei Ausübung seiner Tätigkeit erlitt er am 30. März 1989 einen
Arbeitsunfall mit multiplen Knochenbrüchen, wegen dessen Folgen er später wiederholt arbeitsunfähig war. Nachdem er den Betrieb
des Autohauses aufgegeben hatte, führte er ab 1991 ein Büro als Kfz-Sachverständiger und wurde mit diesem Unternehmen zum
1. Januar 1992 an die Verwaltungs-BG überwiesen. Der vom Kläger gewählte Jahresarbeitsverdienst (JAV) betrug bis Ende 1990
40.000 DM; ab dem 1. Januar 1991 verdoppelte er sich auf 80.000 DM. Der freiwilligen Versicherung bei der Verwaltungs-BG lag
zuletzt (2002) ein JAV von 85.000 Euro zugrunde.
In der Zeit vom 31. Januar bis 3. März 2002 war der Kläger wegen der Unfallfolgen erneut arbeitsunfähig krank. Die Beklagte
legte der Berechnung des Verletztengeldes das von ihr ermittelte tatsächliche Arbeitseinkommen aus dem Jahr 2000 (1.254 DM)
zugrunde, wodurch sich ein kalendertäglicher Zahlbetrag von 2,23 Euro ergab (Bescheid vom 25. April 2002 in der Gestalt des
Änderungsbescheides vom 14. August 2002 und des Widerspruchsbescheides vom 25. September 2002).
Das Sozialgericht (SG) Bayreuth hat die Beklagte verurteilt, Verletztengeld unter Zugrundelegung eines JAV in Höhe von 16.884 Euro zu gewähren
(Gerichtsbescheid vom 17. November 2004). Da der Kläger im Zeitpunkt seiner Wiedererkrankung nicht mehr bei der Beklagten
versichert gewesen sei, habe die Berechnung nach dem satzungsmäßigen Mindest-JAV der Beklagten zu erfolgen. Auf die Berufung
des Klägers hat das Bayerische Landessozialgericht (LSG) diese Entscheidung und den angefochtenen Bescheid geändert und die
Beklagte verurteilt, das Verletztengeld nach einer Versicherungssumme von 40.903 Euro (80.000 DM) zu berechnen (Urteil vom
26. September 2006). Aus §
48 iVm §
47 Abs
5 und §
83 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB VII) ergebe sich, dass im Fall der Wiedererkrankung an Unfallfolgen der in diesem Zeitpunkt durch die Satzung festgelegte JAV
maßgebend sein solle. Bestehe bei dem entschädigungspflichtigen Versicherungsträger keine freiwillige Versicherung mehr, so
müsse wegen des Fehlens einer aktuellen Versicherungssumme an sich auf den Mindest-JAV zurückgegriffen werden. Habe jedoch
für den freiwillig Versicherten keine Möglichkeit bestanden, eine Aktualisierung des JAV durch Aufrechterhaltung der Versicherung
herbeizuführen, so entspreche es Sinn und Zweck des Verletztengeldes, die Leistung nach dem zuletzt mit dem leistungspflichtigen
Träger vereinbarten JAV zu berechnen.
Mit der Revision rügt die Beklagte eine Verletzung der §§
47,
48 und
83 SGB VII. Die Anknüpfung an den letzten vereinbarten JAV werde der Funktion des Verletztengeldes nicht gerecht, denn dieses solle
das durch die Wiedererkrankung ausfallende Einkommen ersetzen. Mangels einer anderen plausiblen Bezugsgröße könne nur auf
den jeweils aktuellen Mindest-JAV zurückgegriffen werden, wie das SG zutreffend entschieden habe.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 26. September 2006 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid
des Sozialgerichts Bayreuth vom 17. November 2004 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er schließt sich dem angefochtenen Urteil an.
II. Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das LSG hat zutreffend entschieden, dass das Verletztengeld des Klägers nach
dem im Jahr 1991 vor dem Wechsel des Versicherungsträgers zuletzt vereinbarten JAV in Höhe von 80.000 DM (40.903 Euro) zu
bemessen ist.
Der streitige Anspruch beurteilt sich nach den Bestimmungen des
SGB VII, obwohl der zugrunde liegende Versicherungsfall aus dem Jahr 1989 datiert, also vor dem Inkrafttreten des
SGB VII am 1. Januar 1997 eingetretenen ist. Die Maßgeblichkeit des geltenden Rechts ergibt sich aus der Übergangsregelung in §
214 Abs
1 Satz 1 und Abs
2 SGB VII, derzufolge die Vorschriften über das Verletztengeld im Ersten Abschnitt des Dritten Kapitels des
SGB VII (§§
45 ff) sowie über den JAV im Dritten Abschnitt des Dritten Kapitels (§§ 81 ff) auch auf Altfälle anzuwenden sind.
Die Höhe des Verletztengeldes richtet sich bei Arbeitnehmern nach dem Regelentgelt, das aus dem Gesamtbetrag des regelmäßigen
Arbeitsentgelts und des Arbeitseinkommens des Versicherten in dem der Arbeitsunfähigkeit unmittelbar vorangehenden Bemessungszeitraum
berechnet wird (§
47 Abs
1 SGB VII iVm §
47 Abs
1 und
2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch). Demgegenüber bildet bei Versicherten, die - wie der Kläger - den Versicherungsfall
infolge einer Tätigkeit als Unternehmer erlitten haben, nicht das Regelentgelt, sondern der JAV die Bezugsgröße für die Berechnung
des Verletztengeldes (§
47 Abs
5 Satz 1
SGB VII). Erkrankt der Verletzte im Laufe der Zeit wiederholt an den Folgen des Versicherungsfalls, so ist gemäß §
48 SGB VII in jedem neuen Leistungsfall auf das im Zeitpunkt der Wiedererkrankung maßgebende Bemessungsentgelt, bei einem freiwillig
Versicherten also auf den zu diesem Zeitpunkt in der Satzung festgelegten oder satzungsgemäß vereinbarten JAV abzustellen.
Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts [BSG] (siehe bereits SozR 2200 § 574 Nr 2 und SozR 2200 § 561
Nr 6; zuletzt: SozR 3-2700 § 83 Nr 1) sind die Verhältnisse im Zeitpunkt der Wiedererkrankung vorbehaltlich einer abweichenden
Regelung in der Satzung auch dann maßgebend, wenn der JAV nach Eintritt des Versicherungsfalls heraufgesetzt wurde und der
aktuellen Einkommenssituation des Versicherten nicht (mehr) entspricht.
Bereits die vom Gesetz vorgeschriebene Anknüpfung des Verletztengeldes an den JAV als solche relativiert den Einwand der Beklagten,
eine von den tatsächlichen Einkommensverhältnissen abweichende Bemessung werde der Funktion des Verletztengeldes als Einkommensersatz
nicht gerecht. Denn der JAV bemisst sich zwar im Regelfall nach dem Arbeitsentgelt und dem Arbeitseinkommen des Versicherten
(§
82 SGB VII). Für den Personenkreis der kraft Gesetzes versicherten selbstständig Tätigen, der kraft Satzung versicherten Unternehmer
und Ehegatten sowie der freiwillig Versicherten ist er jedoch abweichend davon in der Satzung des Unfallversicherungsträgers
zu bestimmen (§
83 Satz 1
SGB VII). Diese Regelung soll einerseits die bei Selbstständigen oft schwierige Ermittlung des tatsächlichen jährlichen Arbeitsverdienstes
erübrigen, zum anderen soll sie dem besonderen Charakter der Unternehmerversicherung als einer Eigenhilfeeinrichtung der Unternehmer
auf genossenschaftlicher Basis Rechnung tragen, was der Vertreterversammlung als Satzungsgeber einen weiten Gestaltungsspielraum
eröffnet. Der JAV kann an das reale Einkommen des Versicherten anknüpfen, indem etwa auf die Festsetzungen in dem jeweils
aktuellen Steuerbescheid abgestellt wird; er kann aber auch als einheitlicher Festbetrag ausgestaltet werden, der im Einzelfall
vom tatsächlichen Einkommen erheblich abweichen kann. Geht das Gesetz bei der Gruppe der pflichtversicherten Selbstständigen
noch von der Vorstellung eines grundsätzlich am Einkommen orientierten JAV aus, der auf Antrag durch eine Höherversicherung
aufgestockt werden kann (§
83 Satz 2
SGB VII), so unterliegen freiwillig versicherte Unternehmer wie der Kläger von vornherein keiner solchen Beschränkung. Ihnen kann
durch die Satzung gestattet werden, in den durch den Höchstjahresarbeitsverdienst gezogenen Grenzen eine Versicherungssumme
ohne Bezug zum tatsächlichen Einkommen frei zu wählen (in diesem Sinne bereits BSGE 5, 222, 229 f = SozR Nr 1 zu § 677
RVO aF; siehe auch Keller in: Hauck/Noftz,
SGB VII, Stand: Juni 2007, K §
83 RdNr 5; Schmitt,
SGB VII, 2. Aufl 2004, §
83 RdNr 7). Diese Gestaltungsmöglichkeit, von der die Beklagte in § 45 ihrer Satzung Gebrauch gemacht hat, entspricht der Natur
der freiwilligen Versicherung, über deren Zustandekommen und Beendigung die gemäß §
6 Abs
1 Nr
1 bis 4
SGB VII beitrittsberechtigten Personen selbst entscheiden können (zur Unbedenklichkeit der Wahlfreiheit unter verfassungsrechtlichen
Aspekten siehe BVerfG Beschluss vom 23. Januar 1968 - 1 BvR 665/67 - SozR Nr 70 zu Art
3 GG).
Die Bindung an den JAV führt nach alledem bei freiwillig Versicherten zwangsläufig zu einem Zurücktreten der Einkommensersatzfunktion
des Verletztengeldes zugunsten einer durch die Wahl der Versicherungssumme festgelegten, einkommensunabhängigen Geldleistung.
Dass im Fall wiederholter Erkrankung an den Unfallfolgen bei der Bemessung des Verletztengeldes auch eine erst nach Eintritt
des Versicherungsfalls auf Antrag des Versicherten vorgenommene Erhöhung des JAV berücksichtigt wird, steht nicht im Widerspruch
zum Versicherungsprinzip. Anders als Renten, die auf der Grundlage des zur Zeit des Versicherungsfalls maßgebenden JAV berechnet
und später nach Maßgabe des §
95 SGB VII dynamisiert werden, ist es für Leistungen bei Arbeitsunfähigkeit, die den vorübergehenden Wegfall des Einkommens ausgleichen
sollen, gerade typisch, dass sie sich an den Verhältnissen bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit orientieren. Ob die Satzung
hiervon abweichen und bestimmen kann, dass für die Berechnung des Verletztengeldes bei freiwillig Versicherten auch in Fällen
der Wiedererkrankung der zur Zeit des Versicherungsfalls vereinbarte JAV maßgebend bleibt, wie dies der Senat im Fall der
Höherversicherung eines pflichtversicherten Selbstständigen nach §
83 Satz 2
SGB VII für zulässig gehalten hat (Urteil vom 19. Dezember 2000 - B 2 U 36/99 R - SozR 3-2700 § 83 Nr 1), bedarf keiner Entscheidung, da die Satzung der Beklagten eine solche Bestimmung nicht getroffen
hat.
Aus §
48 SGB VII lässt sich allerdings auch in Verbindung mit §
47 Abs
5 und §
83 SGB VII nicht unmittelbar ersehen, welcher JAV der Berechnung des Verletztengeldes zugrunde gelegt werden soll, wenn der Versicherte
im Zeitpunkt der Wiedererkrankung nicht mehr bei dem für die Entschädigung zuständigen Versicherungsträger versichert ist.
Die gesetzliche Regelung bedarf deshalb in diesem Punkt einer ergänzenden Auslegung, die den Grundgedanken der genannten Vorschriften
im Rahmen des Möglichen Rechnung trägt.
Kommt es wie im Fall des Klägers wegen Umgestaltung des Unternehmens zu einem Wechsel des Unfallversicherungsträgers und kann
deshalb bei einer erneuten Erkrankung an den Unfallfolgen mangels Zuständigkeit des neuen Trägers nicht an einen aktuellen
JAV als Berechnungsgrundlage angeknüpft werden, bleibt nur die Möglichkeit, auf die mit dem entschädigungspflichtigen Träger
vor dem Ausscheiden zuletzt vereinbarte Versicherungssumme als die zeitnächste Bezugsgröße zurückzugreifen (ebenso: Bereiter-Hahn/Mehrtens,
Gesetzliche Unfallversicherung, Stand: Oktober 2007, §
82 SGB VII RdNr 10.2; Keller, aaO, K §
83 RdNr 3; Ricke in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Stand: 1. Dezember 2007, §
48 SGB VII RdNr 4; ders SGb 1994, 184, 185). Ein freiwillig versicherter Unternehmer, dessen umgestaltetes Unternehmen zu einem anderen Träger der gesetzlichen
Unfallversicherung überwiesen worden ist, hat wegen eines vor dem Trägerwechsel erlittenen Versicherungsfalles im Falle seiner
Wiedererkrankung Anspruch auf Verletztengeld auf der Grundlage des mit dem entschädigungspflichtigen Träger zuletzt satzungsgemäß
vereinbarten JAV.
Für eine Anknüpfung an den Mindest-JAV aus §
85 Abs
1 Satz 1 Nr
2 SGB VII, wie vom SG und von der Beklagten befürwortet, gibt es dagegen keine Berechtigung. Das SG bezieht sich auf das Urteil des früheren 8a-Senats des BSG vom 8. Mai 1980 - 8a RU 56/79 - SozR 2200 § 561 Nr 6, wonach das Verletztengeld nach dem Mindest-JAV zu bemessen ist, wenn die freiwillige Versicherung
im Zeitpunkt der Wiedererkrankung infolge unterbliebener Beitragszahlung erloschen war. In einer solchen Konstellation würde
ein Rückgriff auf den zuvor maßgebenden JAV der Zielsetzung des Verletztengeldes zuwiderlaufen. Wenn das Gesetz eine möglichst
weitgehende Aktualisierung dieser Leistung erreichen wolle, es andererseits aber freiwillig versicherte Unternehmer selbst
in der Hand hätten, diese Aktualisierung durch Änderungen der Versicherungssumme herbeizuführen, so sei es nicht gerechtfertigt,
die Geldleistungen im Falle des Erlöschens einer solchen Versicherung nach einer früheren, bei bestehender Versicherung geltenden
Versicherungssumme zu berechnen. Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob er sich diesen Überlegungen in einem vergleichbaren
Fall anschließen würde, denn sie lassen sich jedenfalls auf den hier zu beurteilenden Sachverhalt nicht übertragen. Anders
als ein Unfallverletzter, der seine bestehende Versicherung bei der entschädigungspflichtigen BG aus freien Stücken nicht
fortführt oder deren Beendigung verschuldet, hatte der Kläger wegen der Zuständigkeitsänderung und der Überweisung an die
Verwaltungs-BG keine Möglichkeit, sich weiterhin bei der Beklagten zu versichern und mit ihr eine seinen Bedürfnissen entsprechende
Versicherungssumme zu vereinbaren. Bei dieser Sachlage würde eine Verweisung auf den Mindest-JAV der Funktion des Verletztengeldes
nicht gerecht, solange der Mindest-JAV unterhalb des zuletzt vereinbarten JAV liegt.
Das LSG hat danach zu Recht entschieden, dass der Berechnung des Verletztengeldes die Versicherungssumme zugrunde zu legen
ist, die vor dem Wechsel des Versicherungsträgers bei der Beklagten zuletzt gegolten hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.