Beachtung eines Beweisverwertungsverbots im sozialgerichtlichen Verfahren
Gründe:
I. Umstritten sind die Folgen eines Arbeitsunfalls.
Der im Jahr 1960 geborene Kläger war nach Maurerlehre, Ausbildung zum Bautechniker und Maurermeister als selbständiger Techniker
und Maurermeister berufstätig und bei der Rechtsvorgängerin der beklagten Berufsgenossenschaft (BG) versichert. Am 9. Dezember
1994 erlitt er einen Arbeitsunfall, als die vordere Bohle eines 1,50 m hohen Gerüstes beim Betreten brach und er abstürzte.
Beim Sturz verlor er seinen Schutzhelm und ein abgebrochenes Bohlenstück schlug auf seine rechte Kopfseite. Nachdem am nächsten
Tag ein neurologisches Konzil in dem Krankenhaus, in das er nach dem Sturz gebracht worden war, keinen pathologischen Befund
ergab, wurde der Kläger nach Hause entlassen. Aufgrund fortdauernder Beschwerden wie Kopfschmerzen, Schwindel usw schlossen
sich in den folgenden Jahren zahlreiche ärztliche Behandlungen an. Nach Einholung von Gutachten auf neurochirurgischem Gebiet
bei Prof. Dr. M./Dr. K., Hals-Nasen-Ohren-ärztlichem Gebiet bei Dr. Ma. und neurologisch-psychiatrischem Gebiet bei Dr. F.
stellte die BG fest, es liege keine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit mehr vor, berufsfördernde Maßnahmen aufgrund der Unfallfolgen
seien nicht erforderlich und ein Anspruch auf Verletztenrente bestehe nicht (Bescheid vom 6. November 1995). Der Widerspruch
des Klägers wurde nach Einholung eines psychosomatischen Gutachtens bei Prof. Dr. O. zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid
vom 4. April 1996).
Das angerufene Sozialgericht (SG) hat nach weiteren medizinischen Beweiserhebungen und insbesondere Einholung eines psychosomatisch-psychotherapeutischen
Gutachtens bei Prof. Dr. H. die BG verurteilt, eine "Panikstörung und Somatisierungsstörung" als Unfallfolge anzuerkennen
und im gesetzlichen Umfang zu entschädigen, weil diese rechtlich wesentlich durch den Arbeitsunfall mitverursacht worden sei
(Urteil vom 11. März 1999). Das Landessozialgericht (LSG) hat im Berufungsverfahren Beweis erhoben, insbesondere durch Einholung
eines psychiatrischen Gutachtens nach §
109 des Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) bei Prof. Dr. W., der die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) des Klägers auf 100 vH schätzte. Dem trat
die BG unter Vorlage einer von ihr bei Dr. S. eingeholten, mit "Gutachten" überschriebenen schriftlichen Äußerung entgegen.
Der Kläger widersprach der Verwertung des "Gutachtens" von Dr. S., da dieses unter Verstoß gegen §
200 Abs
2 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung (
SGB VII) eingeholt worden sei, es sei aus der Verwaltungsakte zu entfernen und dürfe im anhängigen Gerichtsverfahren nicht beachtet
werden. Das LSG hat außerdem ein Gutachten bei Prof. Dr. Fo. in Auftrag gegeben, das dieser unter Mitwirkung seines Oberarztes
Prof. Dr. St. nur nach Aktenlage erstattete, weil eine weitere Untersuchung des Klägers als nicht zumutbar angesehen wurde.
Der Kläger hat gegen dieses Gutachten eingewandt, es sei nicht von Prof. Dr. Fo., sondern von Prof. Dr. St. erstellt worden,
zumindest werde nicht deutlich, in welchem Umfang Prof. Dr. St. tätig geworden sei. Im Übrigen unterliege dieses Gutachten
auch einem Verwertungsverbot, weil es unter Verwendung und in Bezugnahme auf das "Gutachten" von Dr. S. erstellt worden sei.
Prof. Dr. Fo. hat in einer Stellungnahme die volle Verantwortung für das Gutachten übernommen.
Mit Urteil vom 20. Juni 2006 hat das LSG auf die Berufung der BG das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen sowie die Anschlussberufung des Klägers, ihm eine Verletztenrente nach einer MdE von
100 vH zu zahlen, zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Der Arbeitsunfall habe zu keiner längeranhaltenden
organischen Gesundheitsstörung geführt. Die beim Kläger vorliegenden Störungen könnten auch nicht als posttraumatisches Belastungssyndrom
eingeordnet werden, weil keine Einwirkung anderer Menschen vorgelegen habe, es nur zu geringen Verletzungen gekommen sei und
auch deren weitere diagnostische Kriterien nicht gegeben seien. Beim Kläger liege eine Agoraphobie und Panikstörung sowie
Somatisierungsstörung auf dem Boden einer überwiegend ängstlich-abhängigen Persönlichkeitsstruktur vor. Nach übereinstimmender
Beurteilung der gehörten Sachverständigen Prof. Dr. H., Prof. Dr. W. und Prof. Dr. Fo. könnten diese Störungen nicht kausal
dem Arbeitsunfall zugerechnet werden. Die zunächst entfernte und dann wieder in das Verfahren eingeführte "Stellungnahme"
des Dr. S. und das Gutachten von Prof. Dr. F. seien verwertbar, weil keine Verletzung des §
200 Abs
2 SGB VII vorliege, denn die Einholung und Vorlage einer beratungsärztlichen Stellungnahme durch einen Unfallversicherungsträger im
Laufe eines Gerichtsverfahrens werde durch diese Norm nicht erfasst und sei Ausfluss seines Anspruchs auf rechtliches Gehör
(Hinweis auf die Urteile des LSG Nordrhein-Westfalen vom 14. Juli 2004 - L 17 U 106/02 - und - L 17 U 15/02 -). Die Vorschrift diene nicht dem Datenschutz und ihre Beachtung unterliege nicht den Kontrollbefugnissen des Datenschutzbeauftragten.
Sie sei ein ausnahmsweiser Eingriff in den Grundsatz der Amtsermittlung und daher eng auszulegen. Das Gutachten von Prof.
Dr. Fo. verstoße nicht gegen §
407a Abs
2 Satz 1 der
Zivilprozessordnung (
ZPO), da die gutachtliche Beurteilung durch ihn selbst erfolgt sei. Der Einholung des vom Kläger beantragten weiteren Gutachtens
bei Dr. Sch zur Frage einer posttraumatischen Belastungsstörung beim Kläger habe es nicht bedurft, weil dies durch die eingeholten
Gutachten geklärt sei.
Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung formellen und materiellen Rechts und macht geltend: Das Urteil des LSG
verstoße gegen §
200 Abs
2 SGB VII. Es gründe ua auf dem Gutachten von Prof. Dr. Fo., der das "Gutachten" von Dr. S. berücksichtigt habe, obwohl dieses von
der BG unter Verstoß gegen sein Auswahlrecht nach §
200 Abs
2 SGB VII eingeholt worden sei, auch sei er nicht auf sein Widerspruchsrecht nach § 76 Abs 2 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren (SGB X) hingewiesen worden. Das LSG hätte - wie beantragt - das "Gutachten" von Dr. S. und das von Prof. Dr. Fo. aus der Akte entfernen
müssen, weil sie einem Verwertungsverbot unterlegen hätten. §
200 Abs
2 SGB VII sei auch im Klageverfahren anwendbar, weil die Unfallversicherungsträger andernfalls im Klageverfahren weitergehende Ermittlungsrechte
als im Verwaltungsverfahren hätten. Das "Gutachten" von Dr. S. sei nicht ein irgendwie gearteter Sachvortrag der BG, sondern
ein "Gutachten", wie sich aus dem Vortrag der BG und Seite 1 des "Gutachtens" ergebe. Es sei kein "Parteigutachten", weil
die BG auch im Gerichtsverfahren zur objektiven Sachverhaltsaufklärung nach § 20 SGB X verpflichtet sei und die von den Sozialleistungsträgern während eines Klageverfahrens zu den Akten gereichten Gutachten wie
Gutachten des Gerichts von letzterem behandelt würden. Der Wortlaut des §
200 Abs
2 SGB VII enthalte keine Anknüpfungspunkte für eine einschränkende Auslegung, ebenso wenig sei eine solche den Gesetzesmaterialien
oder dem Sinn und Zweck der Vorschrift zu entnehmen. Die systematische Einordnung in den Abschnitt "Datenschutz" spreche für
eine Anwendung auch im Klageverfahren. Dies sei auch die Auffassung des Bundesbeauftragten für Datenschutz, wie sich aus dessen
im Laufe des Verfahrens vorgelegten Stellungnahmen ergebe. Durch §
200 Abs
2 SGB VII werde das Amtsermittlungsprinzip eingeschränkt und, da das Feststellungsverfahren aufgrund des anschließenden Gerichtsverfahrens
noch nicht mit bestandskräftigem Bescheid abgeschlossen sei, gelte die Vorschrift auch im gerichtlichen Verfahren. Dem Unfallversicherungsträger
solle nicht das Recht abgesprochen werden, sich zu einem im Gerichtsverfahren eingeholten Gutachten beraten zu lassen, würden
aber Feststellungen wie in einem Gutachten abgefragt, werde in die grundrechtlich geschützte Sphäre des Versicherten eingegriffen.
Der Grundrechtsbezug des §
200 Abs
2 SGB VII ändere sich nicht dadurch, dass diese Feststellungen im Rahmen eines Gutachtens in einem Klageverfahren erfolgten. Entsprechendes
gelte auch für die Parallelvorschrift des §
14 Abs
5 Satz 3 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (
SGB IX).
Außerdem verstoße das Urteil des LSG gegen §
118 SGG iVm §
407a Abs
2 Satz 1
ZPO, weil es sich auf das Gutachten von Prof. Dr. Fo. stütze und bei einer sachgerechten Begutachtung nach Aktenlage die Durchsicht
der Akten nicht durch einen anderen Arzt erfolgen könne. Das Urteil des LSG verletze §§
103,
106,
128 SGG, indem es dem Beweisantrag auf Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens bei Dr. Sch nicht gefolgt sei, sowie
§
8 SGB VII und die sich daraus ergebende Kausalitätsnorm der gesetzlichen Unfallversicherung (Hinweis auf die Entscheidung des Senats
vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17).
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 20. Juni 2006 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil
des Sozialgerichts Wiesbaden vom 11. März 1999 zurückzuweisen sowie die Beklagte im Wege der Anschlussberufung zu verurteilen,
ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 9. Dezember 1994 eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit
von 100 vH ab 1. November 1995 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Sie habe bei Dr. S. kein Gutachten, sondern eine Stellungnahme in Auftrag
gegeben, sodass eine Verletzung des §
200 Abs
2 SGB VII nicht vorliege. Bei Beauftragung eines Beratungsarztes zur Erstattung einer Stellungnahme handele es sich um einen verwaltungsinternen
Vorgang. Die von Dr. S. erstattete Stellungnahme sei zunächst irrtümlich als Gutachten bezeichnet und von ihrer Rechtsvorgängerin
dann aus der Verwaltungsakte entfernt worden. Das LSG habe die Stellungnahme schließlich wieder zu den Akten genommen, und
welche Beweismittel das LSG seiner Entscheidung zugrunde lege, stehe in dessen Ermessen.
II. Das Urteil des LSG ist aufzuheben, weil ihm ein Verfahrensmangel zugrunde liegt (§
170 Abs
2, §
162 SGG). Der Verfahrensmangel liegt in der Nichtbeachtung eines Beweisverwertungsverbotes, was zu einer mangelhaften Tatsachenfeststellung
wegen der Berücksichtigung unzulässiger Beweismittel geführt hat (vgl Bundesverfassungsgericht [BVerfG] Beschluss vom 19.
Dezember 1991 - 1 BvR 382/85 - NJW 1992, 815; Bundesgerichtshof [BGH] Urteil vom 12. Februar 1985 - VI ZR 202/83 - NJW 1985, 1470 = VersR 1985, 573; Gummer/Heßler in Zöller,
ZPO, 26. Aufl 2007, §
538 RdNr 27).
Das LSG hat sein Urteil auf die als Gutachten anzusehende schriftliche Äußerung von Dr. S. und das Gutachten von Prof. Dr.
Fo. gestützt (nachfolgend 1.). Das Gutachten von Dr. S. ist aufgrund eines Verstoßes gegen §
200 Abs
2 SGB VII in rechtlich unzulässiger Weise zu Stande gekommen (nachfolgend 2.). Dieser Rechtsverstoß zieht ein Beweisverwertungsverbot
- auch des Gutachtens von Prof. Dr. Fo. - nach sich (nachfolgend 3.). Die Rüge dieses Verfahrensmangels ist nicht ausgeschlossen
und das Rügerecht ist nicht durch Heilung verloren gegangen (nachfolgend 4.). Angesichts dessen ist eine Entscheidung über
die weiteren Rügen des Klägers entbehrlich, und die Sache ist an das LSG zurückzuverweisen (nachfolgend 5.).
1. Das Urteil des LSG beruht auf den Gutachten von Dr. S. und von Prof. Dr. Fo. Das LSG stützt sein Urteil zwar nicht unmittelbar
und ausdrücklich auf das Gutachten von Dr. S., sieht dieses aber als verwertbar an, was dafür spricht, dass das LSG das Gutachten
von Dr. S. bei seiner Entscheidungsfindung berücksichtigt hat, auch wenn es dies in den Entscheidungsgründen nicht herausgestellt
hat. In dem Gutachten von Prof. Dr. Fo., auf das sich das LSG ausdrücklich und unmittelbar stützt, wird das Gutachten von
Dr. S. wiedergegeben und das Ergebnis teilweise mit denselben Überlegungen wie im Gutachten von Dr. S. begründet - die Angststörungen
seien überwiegend genetisch bedingt und es habe kein schweres Unfallereignis vorgelegen.
2. Das Gutachten von Dr. S. ist aufgrund eines Verstoßes gegen §
200 Abs
2 SGB VII in rechtlich unzulässiger Weise zu Stande gekommen. Das Gutachten fällt unter den Anwendungsbereich dieser Vorschrift (nachfolgend
a). Insbesondere gilt §
200 Abs
2 SGB VII auch für von den Unfallversicherungsträgern im Laufe eines Gerichtsverfahrens eingeholte Gutachten (nachfolgend b). Bei der
Einholung der schriftlichen Äußerung von Dr. S. hat die BG die gesetzlichen Vorgaben nicht beachtet (nachfolgend c).
§
200 SGB VII ist Teil des Achten Kapitels "Datenschutz" des
SGB VII und trägt die Überschrift "Einschränkung der Übermittlungsbefugnis". Sein Abs 2 lautet: "Vor Erteilung eines Gutachtenauftrages
soll der Unfallversicherungsträger dem Versicherten mehrere Gutachter zur Auswahl benennen; der Betroffene ist außerdem auf
sein Widerspruchsrecht nach § 76 Abs 2 SGB X hinzuweisen und über den Zweck des Gutachtens zu informieren."
Die Vorschrift enthält in ihren zwei Halbsätzen zwei verschiedene, wenn auch im Zusammenhang miteinander stehende Regelungen:
Halbsatz 1 regelt das Auswahlrecht des Versicherten vor Erteilung eines Gutachtenauftrages; Halbsatz 2 betont sein Widerspruchsrecht
gegen die Übermittlung besonders schutzwürdiger Daten wie ärztliche Unterlagen, das bei der Erteilung eines Gutachtenauftrages
zu beachten sein kann, zB bei Beauftragung eines freiberuflich tätigen ärztlichen Sachverständigen, aber nicht sein muss,
zB bei Beauftragung eines bei einem Unfallversicherungsträger beschäftigten Arztes, weil in letzterem Fall keine Übermittlung
iS des § 76 SGB X vorliegt (§ 67 Abs 6, 10 SGB X).
a) Nach ihrem Wortlaut und dem Regelungszusammenhang mit den §§ 67 ff SGB X gilt die zitierte Vorschrift für Gutachten, die der Unfallversicherungsträger zur Erfüllung seiner gesetzlichen Aufgaben
in Auftrag gibt. Der Begriff des Gutachtens wird im Gesetz selber nicht definiert. Dem allgemeinen Sprachverständnis folgend
fällt darunter nicht jedwede Äußerung oder Stellungnahme eines medizinischen oder technischen Sachverständigen zu einzelnen
Aspekten des Verfahrensgegenstandes, sondern nur die umfassende wissenschaftliche Bearbeitung einer im konkreten Fall relevanten
fachlichen Fragestellung durch den Sachverständigen. Diese Auslegung wird durch die Entstehungsgeschichte und den Zweck der
Regelung gestützt.
§
200 Abs
2 SGB VII hatte keine Vorläufervorschrift in der
Reichsversicherungsordnung (
RVO), sondern ist mit dem
SGB VII im Rahmen des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes (UVEG) vom 7. August 1996 (BGBl I 1254) geschaffen worden und zum 1. Januar 1997 in Kraft getreten. Das Auswahlrecht des Versicherten
nach §
200 Abs
2 Halbs 1
SGB VII war noch nicht im Regierungsentwurf des UVEG (BT-Drucks 13/2204) enthalten. Dieser lautete damals vielmehr: "§ 76 Abs 2 SGB X gilt mit der Maßgabe, dass der Unfallversicherungsträger auch auf ein gegenüber einem anderen Sozialleistungsträger bestehendes
Widerspruchsrecht hinzuweisen hat, wenn dieser nicht selbst zu einem Hinweis nach § 76 Abs 2 Nr 1 SGB X verpflichtet ist. Rechtzeitig vor der Erteilung eines Gutachtenauftrages ist dem Betroffenen unter Hinweis auf sein Widerspruchsrecht
nach § 76 Abs 2 SGB X der Zweck des Gutachtens und die Person des Gutachters mitzuteilen." Zur Begründung des Satzes 2 wird ausgeführt: "Satz 2
erweitert die Hinweispflicht nach § 76 Abs 2 Nr 1 SGB X, damit der Betroffene die Möglichkeit hat, einer Übermittlung seiner Daten an einen Gutachter zu widersprechen. Dies berücksichtigt
die Besonderheiten des berufsgenossenschaftlichen Verwaltungsverfahrens, in dem häufig außenstehende Gutachter eingeschaltet
werden" (BT-Drucks 13/2204 S 118).
Seine heutige Fassung erhielt §
200 Abs
2 SGB VII im Rahmen der Beratungen des Bundestagsausschusses für Arbeit und Sozialordnung. In dessen Bericht werden die intensiven
Beratungen mit dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz hervorgehoben (BT-Drucks 13/4853 S 11 f), und es wird ergänzend
ausgeführt: "Die Vorschrift begründet bei der Bestellung von Gutachtern ein Auswahlrecht für den Versicherten und dient damit
der Transparenz des Verfahrens. Das Auswahlrecht setzt voraus, dass der Unfallversicherungsträger dem Versicherten mehrere
geeignete Gutachter vorschlägt; auch der Versicherte hat das Recht, einen oder mehrere Gutachter vorzuschlagen. ..." (Es folgen
Ausführungen zu den Schwierigkeiten geeignete Gutachter ggf zu finden; BT-Drucks 13/4853 S 22).
Die Ausführungen in der Gesetzesbegründung zeigen, dass mit der um ein Auswahlrecht ergänzten speziellen Datenschutzregelung
des
SGB VII auf die von den anderen Zweigen der Sozialversicherung abweichende Praxis der Unfallversicherungsträger reagiert werden sollte,
die für Leistungsansprüche der Versicherten bedeutsamen medizinischen Fragen zum Zusammenhang einer Gesundheitsstörung mit
einem Unfallereignis oder mit schädlichen Einwirkungen am Arbeitsplatz durch externe ärztliche Sachverständige beantworten
zu lassen. Der Gesetzgeber hatte mithin bei der Formulierung der Vorschrift Gutachten im klassischen Wortsinn vor Augen. Nur
auf solche umfassenden Gutachten kann sich auch das in §
200 Abs
2 Halbs 1
SGB VII normierte Auswahlrecht beziehen. Denn es wäre mit einer geordneten und funktionsfähigen Verwaltungspraxis schwerlich zu vereinbaren,
wenn die BGen bei jeder Einschaltung eines externen Arztes, etwa zur Klärung einer Detailfrage, zur Beratung über das weitere
Vorgehen oder zur Bewertung der Schlüssigkeit eines anderweit eingeholten Gutachtens, den Versicherten beteiligen und ihm
eine Auswahl unter mehreren hierfür geeigneten Ärzten ermöglichen müssten.
Der Begriff des Gutachtens in §
200 Abs
2 SGB VII muss schließlich nicht deshalb in einem weiten, auch bloße Stellungnahmen oder Auskünfte umfassenden Sinne verstanden werden,
weil die im Halbsatz 2 der Vorschrift geregelte Pflicht des Versicherungsträgers, den Versicherten auf sein Widerspruchsrecht
gegen die Übermittlung sensibler persönlicher Daten an einen außenstehenden Gutachter hinzuweisen, bei jeder Datenübermittlung
unabhängig davon besteht, zu welchem Zweck dieser Arzt eingeschaltet wird. Dieser Gesichtspunkt würde nur dann zu einer anderen
Auslegung zwingen, wenn §
200 Abs
2 SGB VII für die dort geregelten Fälle ein originäres Widerspruchsrecht des Versicherten und eine damit verknüpfte Belehrungspflicht
des Unfallversicherungsträgers begründen würde. Das ist jedoch nicht der Fall, denn die in Rede stehenden Rechte und Pflichten
ergeben sich dem Grunde nach bereits unmittelbar aus den allgemeinen datenschutzrechtlichen Regelungen des SGB X, hier insbesondere aus dem in §
200 Abs
2 SGB VII in Bezug genommenen § 76 Abs 2 SGB X.
§ 76 SGB X regelt die "Einschränkung der Übermittlungsbefugnis bei besonders schutzwürdigen Sozialdaten". Nach seinem Abs 1 ist die
Übermittlung von Sozialdaten, die einem Leistungsträger - wie der beklagten BG - zB von einem Arzt zugänglich gemacht worden
sind, nur unter den Voraussetzungen zulässig, unter denen dieser Arzt selbst übermittlungsbefugt wäre. Eine solche Übermittlungsbefugnis
kann sich insbesondere aus der Einwilligung des Betroffenen oder aus einer gesetzlichen Mitteilungspflicht (zB nach §§ 6 ff Infektionsschutzgesetz, vgl im Übrigen: Seidel in Sozialgesetzbuch X - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz, 2. Aufl 2007 [LPK-SGB X], § 76 RdNr 9 ff) ergeben. Absatz 1 bewirkt damit eine Verlängerung zB der ärztlichen Schweigepflicht auf den Leistungsträger, dem
ein Arzt bestimmte medizinische Informationen übermittelt hat. Dieser Leistungsträger darf diese medizinischen Informationen
nur dann weiterübermitteln, wenn er eine Übermittlungsbefugnis hat, insbesondere eine Einwilligung des Betroffenen, oder wenn
eine Ausnahme nach § 76 Abs 2 SGB X vorliegt. Ohne eine solche Übermittlungsbefugnis oder Ausnahme darf zB ein Unfallversicherungsträger die ihm - im Rahmen
eines Verwaltungsverfahrens auf Anerkennung von Gesundheitsstörungen als Unfallfolge - vom behandelnden Arzt übermittelten
medizinischen Daten nicht an eine andere Stelle weitergeben.
Nach § 76 Abs 2 Nr 1 SGB X gilt dieses verlängerte Übermittlungsverbot nicht im Rahmen des § 69 Abs 1 Nr 1 und 2 SGB X für Sozialdaten, die im Zusammenhang mit einer Begutachtung wegen der Erbringung von Sozialleistungen oder wegen der Ausstellung
einer Bescheinigung übermittelt worden sind, es sei denn, dass der Betroffene der Übermittlung widerspricht; auf dieses Widerspruchsrecht
ist er hinzuweisen. § 69 Abs 1 SGB X erklärt eine Übermittlung von Sozialdaten ua für zulässig, soweit sie erforderlich ist
1. für die Erfüllung der Zwecke, für die sie erhoben worden sind, oder die Erfüllung einer gesetzlichen Aufgabe nach dem SGB
der ermittelnden Stelle oder des Dritten, an den die Daten übermittelt werden, wenn er eine in §
35 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil (
SGB I) genannte Stelle ist, und
2. für die Durchführung eines mit der Erfüllung dieser Aufgabe zusammenhängenden gerichtlichen Verfahrens.
Dies bedeutet, wenn der Betroffene ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht belehrt worden ist und von ihm keinen Gebrauch
gemacht hat, dass zB ein im Rahmen eines berufsgenossenschaftlichen Verwaltungsverfahrens über die Folgen eines Arbeitsunfalls
eingeholtes medizinisches Gutachten ohne Einwilligung des Betroffenen an dessen Rentenversicherungsträger im Rahmen eines
dort anhängigen Verfahrens auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung nach §
43 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung (
SGB VI) übermittelt werden kann. Dasselbe gilt auch für ein sich anschließendes Rentenverfahren vor dem SG. Unzulässig ist aber zB die Übermittlung der Daten bzw eines solchen Gutachtens an eine andere Stelle oder Person, die kein
Leistungsträger iS des
SGB I ist, also zB an einen freiberuflich tätigen Arzt, der den Betroffenen behandelt - es sei denn, der Betroffene hat eingewilligt.
Zulässig ist hingegen die Übermittlung an einen solchen Arzt, wenn diese im Rahmen des bei dem Unfallversicherungsträger anhängigen
Verwaltungsverfahrens erfolgt, zB um ein weiteres Gutachten zu einem schon vorliegenden medizinischen Gutachten über die bei
dem Betroffenen vorliegenden Unfallfolgen einzuholen (1. bzw 2. Alternative des § 69 Abs 1 Nr 1 SGB X). Hat der Betroffene jedoch von seinem Widerspruchsrecht nach § 76 Abs 2 SGB X Gebrauch gemacht und zB der Übermittlung eines eingeholten Gutachtens widersprochen, ist die Übermittlung dieses Gutachtens
an einen anderen Sozialleistungsträger oder einen weiteren Sachverständigen zur Einholung eines weiteren Gutachtens unzulässig.
Aus diesen Regelungen wird deutlich, dass ein Widerspruchsrecht des Versicherten und eine daran gekoppelte Belehrungspflicht
des Versicherungsträgers bereits nach allgemeinen Vorschriften in allen Fällen bestehen, in denen besonders schutzwürdige
persönliche Daten an einen außenstehenden Fachmann übermittelt werden sollen, einerlei ob dieser Experte ein Gutachten erstatten
oder sich lediglich zu einzelnen Aspekten eines Leistungsfalls sachverständig äußern soll. Die eigenständige Bedeutung der
Regelung in §
200 Abs
2 Halbs 2
SGB VII besteht allein darin, dass der Unfallversicherungsträger bei der Einholung von Gutachten wegen der besonderen Bedeutung für
das Verfahren nochmals einen gesonderten, auf die konkrete Maßnahme bezogenen Hinweis auf das Widerspruchsrecht des Versicherten
erteilen muss.
Aus alledem folgt, dass der Begriff des Gutachtens in §
200 Abs
2 SGB VII eng auszulegen ist. Ein Gutachten liegt vor, wenn ein solches angefordert oder - wie vorliegend - ausweislich seiner Selbstbezeichnung
"Gutachten" erstellt und übersandt oder abgerechnet wurde. Unabhängig von dieser rein äußerlichen Bezeichnung ist zur weiteren
Unterscheidung vom Bezugspunkt der schriftlichen Äußerung des Sachverständigen auszugehen: Enthält sie vornehmlich eine eigenständige
Bewertung der verfahrensentscheidenden Tatsachenfragen, zB des umstrittenen Ursachenzusammenhangs - wie vorliegend der Frage,
ob entsprechend dem Urteil des SG beim Kläger eine Panik- und Somatisierungsstörung als Unfallfolge anzuerkennen ist -, ist es ein Gutachten (vgl zB zum Begriff
des Zusammenhangsgutachtens iS der §§
5,
4 Abs
4 Berufskrankheiten-Verordnung: P. Becker, BG 1998, 558, 559 f; O. Blome, BG 1998, 364). Setzt sich die schriftliche Äußerung des Sachverständigen im Wesentlichen
mit dem eingeholten Gerichtsgutachten auseinander, insbesondere im Hinblick auf dessen Schlüssigkeit, Überzeugungskraft und
Beurteilungsgrundlage (vgl zB zum aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand als Beurteilungsgrundlage bei Kausalitätsfragen:
Urteil des Senats vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, jeweils RdNr 17 ff), ist es nur eine beratende Stellungnahme. Dass eine derartige Stellungnahme,
wenn der Ursachenzusammenhang zwischen einem Ereignis und einer Gesundheitsstörung umstritten ist, auch Aussagen zu diesem
Ursachenzusammenhang und dem einschlägigen aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand enthält, ergibt sich aus der Materie.
Entscheidend sind daher der Bezugspunkt der umstrittenen ärztlichen Äußerung, die an den Arzt gestellten Fragen und die von
ihm gegebenen Antworten. Gerade bei einer ärztlichen Stellungnahme zu einem Gerichtsgutachten hilft es nur eingeschränkt weiter,
wenn der Verfasser der Stellungnahme bloß seine von dem Gerichtsgutachten abweichende Sicht der Dinge wiedergibt. Prozessual
zielgenau verwertbar für den auftraggebenden Beteiligten und das Gericht wird sie erst, wenn sie Einwendungen und Ergänzungsfragen
iS des §
411 Abs
4 ZPO zu dem Gerichtsgutachten formuliert.
b) §
200 Abs
2 SGB VII gilt auch für von den Unfallversicherungsträgern im Laufe eines Gerichtsverfahrens eingeholte Gutachten. Für die dem Datenschutz
dienende Regelung im zweiten Halbsatz der Vorschrift leuchtet dies unmittelbar ein. Denn ein Gerichtsverfahren ist kein datenschutzfreier
Raum, wie aus der umfassenden Geltung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung folgt. Im Übrigen ergibt sich dies aus
den für seine Anwendung sprechenden Gründen (nachfolgend aa), zumal die gegen seine Anwendung erhobenen Bedenken nicht durchgreifen
(nachfolgend bb) und keine unlösbaren praktischen Probleme in der Rechtswahrnehmung durch die beklagte BG oder andere Unfallversicherungsträger
zu erkennen sind (nachfolgend cc) (im Ergebnis ebenso die neuere Rechtsprechung des 17. Senats des LSG Nordrhein-Westfalen
Urteil vom 20. Juni 2007 - L 17 U 125/04 - S 21, der damit seine frühere gegenteilige Auffassung - vgl Urteile vom 14. Juli 2004 - L 17 U 15/02 - RdNr 33 und - 16/02 - RdNr 27 aufgegeben hat; Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand März 2007, §
200 SGB VII Anm 4.8; Schömann, SGB 2006, 78).
aa) Aus Wortlaut, Gesetzesgeschichte und Zweck des §
200 Abs
2 SGB VII ist kein Anhaltspunkt für eine Beschränkung des Anwendungsbereichs der Vorschrift oder eines der beiden Halbsätze auf das
Verwaltungsverfahren herleitbar. Aufgrund teilweise gegenteiliger Darstellungen (vgl zB LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom
14. Juli 2004 - L 17 U 15/02 - RdNr 33; Kranig in Hauck/Noftz,
SGB VII, Stand Juni 2007, §
200 RdNr 2) ist insbesondere darauf hinzuweisen, dass den Gesetzesmaterialien keine Beschränkung auf das Verwaltungsverfahren,
sei es im engeren Sinne (vgl die Legaldefinition in § 8 SGB X) oder im weiteren Sinne einschließlich des Widerspruchsverfahrens (vgl Vogelgesang in Hauck/Noftz, SGB X, Stand September 2007, § 8 RdNr 2 bis 11; von Wulffen in dsl, SGB X 5. Aufl 2005, §
8 RdNr 7; vgl Ricke, Kasseler Kommentar, Stand September 2007,
SGB VII, §
200 RdNr 3) zu entnehmen ist.
Systematische Gründe wie die Überschrift des §
200 SGB VII und seine Stellung im Kapitel Datenschutz sprechen vielmehr für eine Anwendung auch auf das Handeln der Unfallversicherungsträger
in Gerichtsverfahren. Nach dem vom BVerfG im sog Volkszählungsurteil (BVerfGE 65, 1 ff) als Ausprägung des in Art
1,
2 des Grundgesetzes (
GG) verankerten allgemeinen Persönlichkeitsrechts anerkannten Recht auf informationelle Selbstbestimmung kann der Einzelne grundsätzlich
selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten bestimmen. Da das Recht auf informationelle Selbstbestimmung
nicht schrankenlos ist, muss der Einzelne Einschränkungen im überwiegenden Interesse anderer oder der Allgemeinheit hinnehmen,
die jedoch einer gesetzlichen Grundlage bedürfen (vgl zuletzt BVerfG Urteil vom 13. Februar 2007 - 1 BvR 421/05 - NJW 2007, 753 RdNr 66 f). Dementsprechend ist nach allgemeinen datenschutzrechtlichen Grundsätzen die Übermittlung von Daten nur zulässig,
wenn ein Gesetz sie erlaubt oder der Betroffene einwilligt (vgl für das Sozialrecht: §
35 Abs
1,
2 SGB I iVm § 67b Abs 1 Satz 1, § 67c Abs 2, § 67d Abs 1 SGB X).
Das
SGG sieht über die allgemeinen für die Unfallversicherungsträger geltenden gesetzlichen Regelungen und Befugnisse zur Datenverarbeitung,
insbesondere nach §
35 Abs
1 SGB I, §§ 67 ff SGB X, §§
199 ff
SGB VII keine weiterreichenden Befugnisse zur Datenverarbeitung durch die Unfallversicherungsträger als Beteiligte eines Gerichtsverfahrens
vor. Dementsprechend können die Unfallversicherungsträger in einem Gerichtsverfahren nicht beliebig über die Daten der klagenden
Versicherten verfügen, insbesondere wenn es sich um besonders schutzwürdige medizinische Daten handelt. Als Beteiligter in
einem Gerichtsverfahren bleibt ein Unfallversicherungsträger bezogen auf seine eigene Datenverarbeitung den Regelungen des
SGB unterworfen. Sein Handeln als Beteiligter im Rahmen eines Gerichtsverfahrens ist keine privatrechtliche Angelegenheit,
sondern Verwaltungshandeln, wenn auch nicht im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens nach § 8 SGB X, und unterliegt der Bindung an Gesetz und Recht nach Art
20 Abs
3 GG.
Im Übrigen würde, wenn die Anwendung des §
200 Abs
2 SGB VII als Konkretisierung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung für das Handeln der Unfallversicherungsträger in Gerichtsverfahren
abgelehnt würde, dies nicht zwingend dazu führen, dass diese an beliebige Personen oder Stellen die ärztlichen Unterlagen
der klagenden Versicherten versenden dürften, vielmehr wäre ihr Handeln dann unmittelbar im Lichte des Rechts auf informationelle
Selbstbestimmung aus Art
1,
2 GG zu prüfen. Die intensiven Beratungen des §
200 Abs 2
SGB VII iVm § 76 Abs 2 SGB X im Gesetzgebungsverfahren sprechen jedoch für eine bestimmte gesetzgeberische Gesamtkonzeption, zumal de lege ferenda auch
andere Regelungen oder Ausnahmen möglich gewesen wären, wie insbesondere § 76 Abs 3 SGB X mit den Sonderregelungen für den Medizinischen Dienst der Krankenkassen zeigt.
bb) Die gegen die Anwendung des §
200 Abs
2 SGB VII auf Gutachten, die Unfallversicherungsträger als Beteiligte in einem Gerichtsverfahren einholen, neben der Beklagten vor
allem von berufsgenossenschaftlichen Praktikern (insbesondere Ricke, Kasseler Kommentar,
SGB VII, §
200 RdNr 3 f) erhobenen Bedenken greifen nicht durch.
(1) Die allgemeine Überlegung, §
200 Abs
2 SGB VII sei als Ausnahmevorschrift eng auszulegen, ist schon methodisch dem Grunde nach unzutreffend (vgl nur Larenz, Methodenlehre
der Rechtswissenschaft, 6. Aufl 1991, S 355 f mwN) und in der Sache, bezogen auf den Untersuchungsgrundsatz nach § 20 Abs 1 SGB X im Verhältnis zu dem grundrechtlich geschützten Recht auf informationelle Selbstbestimmung, nicht begründet. Denn der Untersuchungsgrundsatz
gilt nicht uneingeschränkt (vgl nur Urteil des Senats vom 15. Februar 2005 - B 2 U 3/04 R - BSGE 94, 149 = SozR 4-2700 § 63 Nr 2, jeweils RdNr
7 f zum Verwaltungsverfahren) und der verfassungsrechtliche Hintergrund des §
200 Abs
2 SGB VII ist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, wie der oben wiedergegebenen Gesetzgebungsgeschichte entnommen werden
kann. Die Wahrung von Grundrechten ist jedoch im Verhältnis zum Untersuchungsgrundsatz nicht die Ausnahme.
(2) Weitere Gesichtspunkte werden aus der Rolle des Unfallversicherungsträgers als Beteiligter in einem Gerichtsverfahren
hergeleitet: Der Anwendung des §
200 Abs
2 SGB VII stehe der Anspruch des Unfallversicherungsträgers auf rechtliches Gehör gemäß Art
103 Abs
1 GG und §
62 SGG entgegen, sie verstoße gegen das Gebot der prozessualen Waffengleichheit und verhindere eine wirksame Rechtsverteidigung
des Unfallversicherungsträgers, die nur möglich sei, wenn dieser sich durch Ärzte seines Vertrauens beraten lassen könne,
was der klagende Versicherte aber mittels §
200 Abs
2 SGB VII verhindern könne. Auch diese Gesichtspunkte führen zu keinem anderen Ergebnis.
Die hohe Bedeutung des rechtlichen Gehörs nicht nur als ein "prozessuales Urrecht" des Menschen, sondern als objektiv-rechtliches
Verfahrensprinzip, das für ein rechtsstaatliches Verfahren iS des
GG schlechthin konstitutiv ist, steht dem nicht entgegen. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs, der auch in dem Anspruch auf
ein faires Verfahren gemäß Art 6 Abs 1 der europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) sowie in Art 47 Abs 2 der Europäischen Grundrechte-Charta anerkannt wird, soll sicherstellen, dass der Einzelne nicht nur Objekt der richterlichen
Entscheidung ist, sondern vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort kommt, um als Subjekt Einfluss auf das
Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können. Das rechtliche Gehör sichert den Beteiligten ein Recht auf Information, Äußerung
und Berücksichtigung. Es zielt auf einen angemessenen Ablauf des Verfahrens: Wer bei Gericht formell ankommt, soll auch substantiell
ankommen, also wirklich gehört werden (vgl zusammenfassend nur: BVerfG vom 30. April 2003 - 1 PBvU 1/02 - BVerfGE 107, 395 = SozR 4-1100 Art 103 Nr 1). Es gilt als Verfahrensgrundrecht auch für Behörden wie den beklagten Unfallversicherungsträger
(vgl nur BVerfGE 61, 82, 104; Keller in Meyer-Ladewig,
SGG, 8. Aufl 2005, §
62 RdNr 5).
Für seine Konkretisierung im sozialgerichtlichen Verfahren nach §
62 SGG bedeutet dies, dass die Beteiligten sich zu neuen entscheidungserheblichen Gesichtspunkten, wie vom Gericht eingeholten Gutachten,
medizinisch und rechtlich beraten lassen können und eine sachgerechte Stellungnahme abgeben können (vgl nur Krasney/Udsching,
Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 4. Aufl 2005, III, RdNr 19,
72; Keller in Meyer-Ladewig,
SGG, §
62 RdNr 10). Dies bedeutet jedoch nicht, dass ein Verfahrensbeteiligter zur Stützung seiner Position alle beliebigen Maßnahmen
ergreifen darf - unabhängig von der Rechtsstellung der anderen Beteiligten und der Rechtsordnung insgesamt. Das rechtliche
Gehör beinhaltet eine "Gehörsgarantie" gegenüber dem zur Entscheidung berufenen Gericht, aber keine Ermittlungsgarantie gegenüber
den anderen Beteiligten (vgl auch zB seine Einschränkung bei der Prüfung der wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Gewährung
von Prozesskostenhilfe in §
117 Abs
2 Satz 2
ZPO). Zur Wahrung des Anspruchs des beklagten Unfallversicherungsträgers auf rechtliches Gehör ist auch aus praktischen Gründen
keine Einschränkung des §
200 Abs
2 SGB VII notwendig (vgl nachfolgend (3).
Der Grundsatz der Waffengleichheit, der aus dem Gleichheitssatz (Art
3 Abs
1 GG) iVm dem Rechtsstaatsprinzip (Art
20 Abs
3 GG) und dem außerdem auf Art 6 Abs 1 EMRK gestützten Anspruch auf ein faires Verfahren abgeleitet wird, soll eine nicht nur formale Gleichheit der prozessualen Rechtspositionen
der Beteiligten an einem Gerichtsverfahren gewährleisten, sondern - weiter gehend - auch ihre durch den Richter zu verwirklichende
materielle Gleichwertigkeit iS einer prozessualen Chancengleichheit (vgl EGMR Entscheidung vom 15.02.2005 - 68416/01 - NJW 2006, 1255, RdNr 59; BVerfG vom 19. September 2006 - 2 BvR 2115/01 ua - NJW 2007, 499, RdNr 50 ff; Vollkommer in Zöller,
ZPO, Einleitung 102; jeweils mwN). Aus diesem Gesichtspunkt kann die beklagte BG vorliegend nichts gegen eine Anwendung des §
200 Abs
2 SGB VII herleiten. Denn das sozialgerichtliche Verfahren ist durch ein hohes Maß an Ungleichheit zwischen den Beteiligten zu Gunsten
der Verwaltung geprägt, weil meistens ein "normaler" Mensch gegen eine Sozialverwaltung klagt, die eine von ihm begehrte Feststellung
oder Sozialleistung abgelehnt hat. Diesem "normalen" Menschen, der oftmals durch Armut, Alter, Arbeitslosigkeit oder körperliche
Gebrechen eingeschränkt ist, steht eine spezialisierte Fachverwaltung mit nahezu unbegrenzten finanziellen Ressourcen, besonders
ausgebildeten Sachbearbeitern, entsprechend geschulten Juristen und oftmals Ärzten sowie weiteren Fachwissenschaftlern gegenüber
(vgl von Wulffen/P. Becker, SGB 2004, 507 ff). Im Bereich der Unfallversicherungsträger ist darüber hinaus hervorzuheben,
dass diese mittels ihrer Zusammenschlüsse über eigene Kliniken und große spezialisierte naturwissenschaftliche und technische
Forschungseinrichtungen verfügen.
Wieso ein Unfallversicherungsträger zur Wahrung der Chancengleichheit der Beteiligten als Ausdruck seines Anspruchs auf ein
faires Verfahren im Rahmen eines Gerichtsverfahrens gegenüber einem solchem Kläger, wie dem des vorliegenden Verfahrens, das
Recht besitzen muss, Ermittlungen ohne die Beschränkungen des §
200 Abs
2 SGB VII vorzunehmen, ist nicht zu erkennen. Insbesondere ist nicht ersichtlich, wieso er im Gerichtsverfahren als Beteiligter mehr
Rechte haben muss, verglichen mit seiner Stellung als zur Entscheidung berufener Leistungsträger im Verwaltungsverfahren.
(3) Der letztlich auf Praktikabilitätsüberlegungen beruhende Gesichtspunkt einer wirksamen Rechtsverteidigung der beklagten
BG vermag nicht durchzudringen, weil die aufgezeigten praktischen Probleme im vorgegebenen rechtlichen Rahmen lösbar sind.
Die gegenteilige Auffassung verkennt den "Rollenwechsel" des Unfallversicherungsträgers von der zur Entscheidung berufenen
Behörde im Rahmen des Verwaltungsverfahrens zum Beteiligten im sozialgerichtlichen Verfahren. Im Gerichtsverfahren ist es
Aufgabe des Gerichts, den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären und Beweise zu erheben - nicht die des beklagten Unfallversicherungsträgers.
Ist in einem Gerichtsverfahren ein Gutachten durch das Gericht eingeholt worden, können die Beteiligten sich als Ausfluss
ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör, wie oben ausgeführt, zu diesem Gutachten fachkundig beraten lassen und eine Stellungnahme
abgeben. Dies entspricht auch der gesetzlichen Konzeption des §
118 Abs
1 SGG iVm §
411 Abs
4 ZPO, die nicht von Gegengutachten der Beteiligten zu den Gerichtsgutachten ausgeht, sondern von Einwendungen und Ergänzungsfragen
der Beteiligten zu den Gerichtsgutachten.
Es bedarf keiner weitergehenden Erörterung, dass der für die Bearbeitung eines Gerichtsverfahrens bei dem beklagten Unfallversicherungsträger
zuständige Sachbearbeiter dies nicht aus Datenschutzgründen völlig alleine machen muss, sondern sich mit Kollegen, Vorgesetzten
usw, die ebenfalls bei diesem Unfallversicherungsträger beschäftigt sind, beraten darf oder ggf auch muss - zB Vorlage an
den Vorgesetzten vor Abgabe eines Vergleichsvorschlages oder Anerkenntnisses. Zu diesen ihn ggf hinsichtlich rechtlicher,
aber auch technischer oder medizinischer Gesichtspunkte beratenden anderen Mitarbeitern des Unfallversicherungsträgers können
selbstverständlich auch dort beschäftigte Ärzte gehören. Denn es handelt sich bei der Weitergabe von Daten an diese internen
"Berater" um keine Übermittlung von Daten an einen Dritten bzw eine andere Stelle außerhalb des Unfallversicherungsträgers
iS des § 67 Abs 6, 10 SGB X.
Dass diese Beratungsmöglichkeiten nicht auf Ärzte, die in einem Beschäftigungsverhältnis iS des §
7 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (
SGB IV) bei dem jeweiligen Unfallversicherungsträger stehen, beschränkt ist, zeigt auch die Auslegung der Parallelvorschrift des
§ 67 Abs 10 Satz 3 SGB X in §
3 Abs
8 Satz 2 des Bundesdatenschutzgesetzes (
BDSG) iVm §
5 BDSG, nach der freie Mitarbeiter, Praktikanten usw ebenfalls unter diese Regelung fallen (vgl Gola/Schomerus,
BDSG, 9. Aufl 2007, §
3 RdNr 54, §
5 RdNr 8; Dammann in Simitis,
Bundesdatenschutzgesetz, 6. Aufl 2006, §
3 RdNr 234; Walz in Simitis,
BDSG, §
5 RdNr 15). Entscheidend ist die Ausgestaltung der Rechtsbeziehung zu ihnen (vgl Walz, aaO), sodass zB der Abschluss entsprechender
Dienst- oder Beratungsverträge höherer Art mit sog Beratungsärzten möglich ist, die dann als Teil des Unfallversicherungsträgers
tätig werden.
Die Beratung und Meinungsbildung eines Unfallversicherungsträgers zu einem Gerichtsgutachten, um eine Stellungnahme abzugeben,
wird nur ausnahmsweise die Einholung eines Gutachtens erforderlich machen und damit überhaupt zur Anwendung des §
200 Abs
2 SGB VII führen, wenn eine umfassende Überprüfung des Sachverhalts und eigenständige Bewertung erforderlich ist und eine Auseinandersetzung
mit einem schon vorliegenden Gerichtsgutachten nicht ausreicht (zur Abgrenzung siehe oben 2. a). Was in diesen eher seltenen
Fällen der Einhaltung des Verfahrens nach §
200 Abs
2 SGB VII entgegenstehen sollte, ist nicht zu erkennen. Insbesondere kann es entgegen entsprechenden Befürchtungen (Schömann, SGB 2006,
78 und ihm folgend LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 20. Juni 2007 - L 17 U 125/04) nicht zu einer "Blockade" des Unfallversicherungsträgers durch den Kläger kommen oder dazu, dass dieser die Sachverständigen,
die sich mit dem für ihn positiven Gutachten nach §
109 SGG kritisch auseinandersetzen sollen, selbst aussuchen kann.
Denn trotz der in §
200 Abs
2 Halbs 1
SGB VII statuierten Pflicht der Unfallversicherungsträger, dem klagenden Versicherten mehrere Sachverständige zur Auswahl vorzuschlagen,
verbleibt die Entscheidung, bei wem er das Gutachten einholt, letztlich immer bei dem beklagten Unfallversicherungsträger,
wenn auch unter Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers (P. Becker, MedSach 2006, 74, 75; Burchardt in Brackmann, Handbuch
der Sozialversicherung, Bd 3, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand Juli 2007, §
200 RdNr 19; Ricke in Kasseler Kommentar,
SGB VII, §
200 RdNr 6). Hierfür spricht auch die zwischenzeitliche Normierung eines Auswahlrechts des Leistungsberechtigten in §
14 Abs
5 SGB IX, der über das Auswahlrecht in Satz 3 hinausgehend in Satz 4 vorschreibt, dass dem Wunsch des Leistungsberechtigten Rechnung
zu tragen ist.
Zwar kann der Kläger durch einen Widerspruch nach §
200 Abs
2 Halbs 2
SGB VII iVm § 76 Abs 2 SGB X verhindern, dass das Gerichtsgutachten an einen bestimmten Sachverständigen, dessen Meinung der Unfallversicherungsträger
gerne hören würde, übersandt werden darf. Aber dies ist kein spezielles Problem des Gerichtsverfahrens, sondern gilt auch
im Verwaltungsverfahren. Im Übrigen kann der Unfallversicherungsträger das Gegengutachten bei einem Arzt einholen, der bei
ihm beschäftigt ist, bzw in einer entsprechenden Rechtsbeziehung steht (s oben), sodass schon keine Übermittlung iS des §
76 SGB X vorliegt und §
200 Abs
2 Halbs 2
SGB VII nicht zur Anwendung kommt. Denkbar erscheint des Weiteren auch die Übersendung des Gerichtsgutachtens in anonymisierter Form.
Zudem wird anscheinend von der beklagten BG ebenso wie von dem Kläger verkannt, dass ein Kläger - wie im vorliegenden Verfahren
- selbst nach einem für ihn positiven Urteil des SG und einem für ihn positiven Gutachten in dem von der BG angestrengten Berufungsverfahren nicht eine Art "Anspruch" auf eine
für ihn positive Entscheidung des Rechtsstreits durch das LSG hat. Denn das
SGG und die
ZPO enthalten keine Beweisregeln, von wenigen Ausnahmen im Bereich des Urkundenbeweises abgesehen, sondern sind durch die freie
Beweiswürdigung des erkennenden Gerichts nach §
128 Abs
1 Satz 1
SGG geprägt (vgl nur Urteil des Senats vom 11. November 2003 - B 2 U 41/02 R - SozR 4-2700 §
4 Nr 1 RdNr 12; Bolay in Lüdtke,
Sozialgerichtsgesetz, 2. Aufl 2006 (HK-
SGG), §
128 RdNr 5; Meyer-Ladewig,
SGG, §
128 RdNr 4a f). Ebenso wenig wie das Gericht den übereinstimmenden Aussagen von zwei oder drei Zeugen folgen muss, wenn es diese
zB für unglaubwürdig oder ihre Aussagen nicht für glaubhaft hält, muss es den Ergebnissen eines oder mehrerer übereinstimmender
Gutachten folgen, wenn diese zB nicht dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand (vgl dazu Urteil des Senats vom 9.
Mai 2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17; jeweils RdNr 17 ff) entsprechen. Letzteres kann eine BG ggf relativ kurz und klar zB mit Hilfe einer
beratungsärztlichen Stellungnahme und Hinweisen auf den in Standardwerken dargestellten aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand
belegen, zumal es für ihre Rechtsverteidigung in aller Regel ausreicht, die Überzeugungskraft des für den klagenden Versicherten
positiven Gutachtens zu erschüttern, weil dieser die sog objektive Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen trägt
(vgl nur BSGE 6, 70, 73; Krasney/Udsching, aaO, III RdNr 27).
c) Gegen diese Anforderungen des §
200 Abs
2 SGB VII hat die beklagte BG bei Einholung der schriftlichen Äußerung von Dr. S verstoßen.
Die schriftliche Äußerung von Dr. S. ist entgegen der nicht näher begründeten Bezeichnung als "Stellungnahme" im Urteil des
LSG ein Gutachten iS des §
200 Abs
2 SGB VII. Dies ergibt sich schon aus der Überschrift und Selbstbezeichnung als "Gutachten". Dr. S. hat sich außerdem nicht nur mit
den im Gerichtsverfahren von Prof. Dr. H. und Prof. Dr. W. eingeholten Gutachten auseinander gesetzt, insbesondere zB Schwächen,
Widerspruche usw in diesen aufgezeigt, sondern eine eigenständige Beurteilung des vorliegend umstrittenen Ursachenzusammenhangs
zwischen den vom Kläger geltend gemachten Gesundheitsstörungen und dem nicht umstrittenen Arbeitsunfall vom 9. Dezember 1994
vorgenommen, wie seiner "Zusammenfassung und Beurteilung" zu entnehmen ist.
Dass die BG nach deren Vortrag nur eine gutachtliche Stellungnahme bei Dr. S. in Auftrag gegeben hat, ändert an diesem Ergebnis
nichts, da sie, wenn sie kein Gutachten wollte, das unzutreffenderweise erstellte Gutachten als mangelhafte Leistung von Dr.
S. hätte zurückweisen können (vgl zur Anwendung des Werkvertragsrechts auf Gutachten nur: Brückner/Neumann, MDR 2003, 906; Sprau in Palandt,
BGB, 66. Aufl 2007, vor §
631 RdNr 29 mwN). Dies hat sie jedoch nicht gemacht, sondern das Gutachten von Dr. S in unveränderter Form ins Verfahren eingeführt.
Wie sich aus dem Gesamtzusammenhang des Verfahrensablaufs ergibt, wurden dem Kläger durch die BG vor Erteilung des Gutachtenauftrags
nicht mehrere Sachverständige zur Auswahl benannt, und, dass ein Hinweis des Klägers auf sein Widerspruchsrecht nach §
200 Abs
2 Halbs 2
SGB VII iVm § 76 Abs 2 SGB X entbehrlich wäre, weil Dr. S. als Sachverständiger innerhalb der BG tätig geworden wäre, ist vom LSG nicht festgestellt und
von der BG auch nicht behauptet worden. Der von Dr. S. verwandte Briefkopf, die Stellungnahme der BG zur Verwertbarkeit seines
Gutachtens, die zwischenzeitliche Entfernung des Gutachtens aus den Akten durch die BG sowie die Ausführungen des LSG in seinem
Urteil sprechen vielmehr dagegen.
3. Der Rechtsverstoß gegen §
200 Abs
2 SGB VII hinsichtlich des Gutachtens von Dr. S. zieht ein Beweisverwertungsverbot nach sich (nachfolgend a), das sich auch auf das
Gutachten von Prof. Dr. Fo. erstreckt (nachfolgend b).
Das
SGG kennt im Gegensatz zur
ZPO, trotz des Verweises in §
118 Abs
1 SGG, keinen abgeschlossenen Katalog der Beweismittel, wie der Aufzählung in §
106 Abs
3 SGG zu entnehmen ist (vgl nur Krasney/Udsching, aaO, III RdNr
30; Meyer-Ladewig,
SGG, §
118 RdNr 8; Roller in HK-
SGG, §
118 RdNr 8). Ein im Wege des Urkundenbeweises zu verwertendes Beweismittel sind die von den Leistungsträgern im Verwaltungsverfahren
schon eingeholten Gutachten, aber auch die von ihnen im Laufe des Gerichtsverfahrens vorgelegten ärztlichen Gutachten und
Stellungnahmen (vgl nur Krasney/Udsching, aaO, III RdNr 35, 49 f; Meyer-Ladewig,
SGG, §
118 RdNr 12b f). Ein solches Beweismittel ist das von der BG eingeholte und vorgelegte Gutachten von Dr. S..
Aber auch in einem Gerichtsverfahren darf nicht jedes Beweismittel unabhängig von der Frage, wie es erlangt wurde, verwertet
und der Entscheidung zugrunde gelegt werden. Zwar regeln weder das
SGG noch die
ZPO oder die
Verwaltungsgerichtsordnung (
VwGO) ausdrücklich die Verwertung bzw ein Beweisverwertungsverbot für unzulässig erlangte Beweismittel, aber in Rechtsprechung
und Literatur ist allgemein anerkannt, dass die Verwertung unzulässig erlangter Beweismittel unter bestimmten Voraussetzungen
verboten ist (vgl BVerfG Beschluss vom 19. Dezember 1991 - 1 BvR 382/85 - NJW 1992, 815; BVerfG Urteil vom 13. Februar 2007 - 1 BvR 421/05 - BVerfGE 117, 202 = NJW 2007, 753, jeweils RdNr 90, 94; BGH Urteil vom 12. Februar 1985 - VI ZR 202/83 - NJW 1985, 1470 = VersR 1985, 573; BGH Urteil vom 4. Dezember 1990 - IX ZR 310/89 - NJW 1991, 1180; BGH Urteil vom 1. März 2006 - XII ZR 210/04 - BGHZ 166, 283 = NJW 2006, 1657; Meyer-Ladewig,
SGG, §
118 RdNr 8a; Greger in Zöller,
ZPO, §
286 RdNr 15a ff; Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann,
ZPO, 66. Aufl 2008, Übers §
371 RdNr 12 f, §
286 RdNr 68; Prütting in Münchener Kommentar,
ZPO, 2. Aufl 2000 [MK-ZPO], § 284 RdNr 63 ff; Kopp/Schenke,
VwGO, 15. Aufl 2007, §
98 RdNr 4; Dawin in Schoch ua,
VwGO, Stand September 2007, §
86 RdNr 106 f; vgl zum Verwaltungsverfahren: Urteil des Senats vom 15. Februar 2005 - B 2 U 3/04 R - BSGE 94, 149 = SozR 4-2700 § 63 Nr 2 = SGB 2005, 709 mit Anm Spickhoff, jeweils RdNr 25 mwN). Dies bedeutet, dass ein unzulässiges - dh
in rechtswidriger Weise entstandenes oder erlangtes - Beweismittel nicht automatisch ein Verwertungsverbot nach sich zieht,
sondern ausgehend von der verletzten Rechtsnorm zu beurteilen ist, welche Folgen der Verstoß hat (vgl insbesondere Prütting,
aaO, der auf den Schutzzweck der verletzten Norm verweist). Zum Teil wird auch eine Güterabwägung zwischen der Rechtsverletzung
und dem im Streit stehenden Recht gefordert (Kopp/Schenke,
VwGO, §
98 RdNr 4, Greger in Zöller,
ZPO, §
286 RdNr 15a) oder als Leitlinie unterschieden zwischen Verstößen gegen einfaches Recht, die nicht grundsätzlich ein Verwertungsverbot
zur Folge haben, und Verstößen gegen Verfassungsrecht, insbesondere das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art
2 Abs
1 GG, die in der Regel zu einem Verwertungsverbot führen (Greger, aaO).
a) Aufbauend auf diesen Grundlagen ist bei einem Verstoß gegen das verfassungsrechtlich geschützte Recht auf informationelle
Selbstbestimmung von einem Beweisverwertungsverbot auszugehen (BVerfG Beschluss vom 19. Dezember 1991 aaO; Kopp/Schenke,
VwGO, §
98 RdNr 4; Greger in Zöller,
ZPO, §
286 RdNr 15a ff; Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann,
ZPO, Übers §
371 RdNr 12 f; Prütting in MK-
ZPO §
284 RdNr 66). Eine Ausnahme ist nur zu machen, wenn das Interesse an der Verwertung über das schlichte Beweisinteresse hinaus
und trotz der Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts schutzbedürftig ist (BVerfG Urteil vom 13. Februar 2007 aaO RdNr
94).
Ein solches Beweisverwertungsverbot gilt auch bei einer Verletzung der im Widerspruchsrecht des §
200 Abs
2 Halbs 2
SGB VII iVm § 76 Abs 2 SGB X zum Ausdruck kommenden Konkretisierung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. Denn dieses Widerspruchsrecht gibt
- so schon die oben wieder gegebenen Gesetzesmaterialien (BT-Drucks 13/2204 S 118) - dem Betroffenen die Möglichkeit, einer
Übermittlung seiner besonders schutzwürdigen Daten an einen Gutachter zu widersprechen, und beinhaltet damit die zentrale
Gewährleistung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung für den Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe
und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen und zu entscheiden (BVerfGE 65, 1).
Dass seitens der beklagten BG durch die Einholung des Gutachtens bei Dr. S. im Laufe des Gerichtsverfahrens gegen dieses Widerspruchsrecht
des Klägers nach §
200 Abs
2 Halbs 2
SGB VII verstoßen wurde, wurde schon festgestellt.
Ein Grund für eine spezifische rechtfertigende Ausnahme ist nicht zu erkennen. Insbesondere hätte die BG ihr Recht auf prozessuale
Chancengleichheit und Abgabe einer Stellungnahme zu den eingeholten Gerichtsgutachten durch die aufgezeigten anderen Instrumentarien
(s oben 2. b) bb) (3) wahren können.
Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner Entscheidung, ob der gleichzeitige Verstoß gegen das Auswahlrecht nach §
200 Abs
2 Halbs 1
SGB VII ebenfalls zu einem Beweisverwertungsverbot führt. Zumal die Rechtsposition des Versicherten beim Auswahlrecht verglichen
mit seinem Widerspruchsrecht erheblich schwächer ist, weil er sich zwar zu den vorgeschlagenen Gutachtern äußern und ggf einen
Gegenvorschlag machen kann, die beklagte BG dem aber nicht folgen muss (s oben 2. b) bb) (3), und nicht zu erkennen ist, wieso
das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zwingend zu einem Auswahlrecht hinsichtlich des Sachverständigen gegenüber
dem beklagten Unfallversicherungsträger führen muss. Entbehrlich ist damit auch eine Stellungnahme zu dem langjährigen Konflikt
zwischen dem Bundesbeauftragten für Datenschutz und den Unfallversicherungsträgern um die Handhabung dieses Teils des §
200 Abs
2 SGB VII (vgl nur die von den Beteiligten in das Verfahren eingeführten und im Internet unter www.bundesdatenschutzbeauftragter.de
zu findenden Materialien: 18. Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für Datenschutz, BT-Drucks 14/5555 S 154 zu Nr 23.1.3.2;
19. Tätigkeitsbericht, BT-Drucks 15/888 S 141 zu Nr 26.1.3; 20. Tätigkeitsbericht, BT-Drucks 15/5252 S 175 zu Nr 19.1.3).
Aus den allgemeinen Überlegungen von Ricke zu den Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen §
200 Abs
2 SGB VII im Verwaltungsverfahren folgt nichts anderes. Ricke (NZS 2002, 357 ff) meint, ein solcher Verstoß sei nach § 42 Satz 1 SGB X unbeachtlich, weil nach dieser Vorschrift die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nichtig sei, nicht allein wegen
eines Verfahrensverstoßes beansprucht werden könne, wenn offensichtlich sei, dass der Verfahrensverstoß die Entscheidung in
der Sache nicht beeinflusst habe. Ob letzteres der Fall sei, müsse ohne Rückgriff auf das inkorrekt eingeholte Gutachten in
einem weiteren Gutachten geklärt werden (Ricke, NZS 2002, 357, 359 linke Spalte). Bestätige das zweite Gutachten das erste Gutachten, liege kein Verfahrensmangel vor. Dies führt im Ergebnis
zunächst zu einem Verwertungsverbot für das inkorrekt eingeholte Gutachten; wird es jedoch durch das zweite Gutachten bestätigt,
ist das erste letztlich überflüssig, sodass nicht zu erkennen ist, wofür es noch benötigt wird. Den speziellen datenschutz-
und verfassungsrechtlichen Anforderungen im Hinblick auf das durch eine solche Anwendung tangierte Recht auf informationelle
Selbstbestimmung werden diese Ausführungen nicht gerecht.
Seine früheren Überlegungen, dass ein Verstoß gegen §
200 Abs
2 SGB VII nach § 41 SGB X geheilt werden könne, hat Ricke zu Recht aufgegeben (NZS 2002, 357, 359 bei Fn 22). Denn Verstöße gegen das Widerspruchsrecht nach §
200 Abs
2 Halbs 2
SGB VII iVm § 76 Abs 2 SGB X bei der Übermittlung besonders schutzwürdiger Daten sind mit den dort aufgeführten Verfahrensverstößen nicht vergleichbar.
Diese Verfahrensverstöße betreffen im Wesentlichen die Antragstellung sowie Mitwirkungs-, Anhörungs- und Begründungserfordernisse.
Ihre Nachholung im Laufe eines Verwaltungsverfahrens oder in einem sich anschließenden Vor- oder Gerichtsverfahren ist möglich
und die sich aus ihnen ergebenden Gesichtspunkte können bei der abschließenden Entscheidung berücksichtigt werden.
Verstöße gegen das Widerspruchsrecht können hingegen nur dadurch geheilt werden, dass das entsprechende Gutachten aus den
Akten entfernt wird, weil anderenfalls die Rechtsverletzung und der Verstoß gegen das auf Art
1,
2 GG beruhende Recht auf informationelle Selbstbestimmung perpetuiert werden. Nur so ist die aus dem allgemeinen Verwaltungsrecht
bekannte Folgenbeseitigung oder Herstellung des Zustandes, der ohne die Rechtsverletzung bestehen würde, möglich.
Aus dem Umstand, dass die BG das Gutachten von Dr. S. zunächst aus der Akte entfernte und es dann aufgrund einer Entscheidung
des LSG wieder zu den Akten genommen wurde, ergibt sich nichts anderes, da sich das Beweisverwertungsverbot letztlich an das
erkennende Gericht - hier das LSG - wendet.
b) Dieses Beweisverwertungsverbot für das Gutachten von Dr. S. führt auch zu einem Beweisverwertungsverbot für das Gutachten
von Prof. Dr. Fo..
Ebenso wenig wie ein in rechtswidriger Weise entstandenes oder erlangtes Beweismittel automatisch ein Beweisverwertungsverbot
nach sich zieht, wirkt sich das für ein solches Beweismittel geltende Verwertungsverbot automatisch auf alle späteren Beweismittel
aus (BGH Urteil vom 1. März 2006 - XII ZR 210/04 - BGHZ 166, 283 = NJW 2006, 1657, RdNr 17 ff; vgl Greger in Zöller,
ZPO, §
286 RdNr 15e). Auf die vom BGH in seiner Entscheidung erörterten Fragen der Schlüssigkeit des Parteivortrags ohne das rechtswidrig
erlangte Beweismittel und die Berücksichtigung prozessordnungswidrig eingeholter Beweismittel bei der Entscheidung kommt es
für das im Unterschied zur
ZPO auf dem Untersuchungsgrundsatz beruhende Verfahren nach dem
SGG nicht an. Maßstab für die Reichweite oder "Fernwirkung" eines Beweisverwertungsverbotes muss vielmehr sein, ob durch das
weitere Beweismittel das Beweisverwertungsverbot hinsichtlich des ersten Beweismittels umgangen würde, ob das zweite Beweismittel
auch ohne das erste - unzulässige und verbotene - Bestand hätte oder inwieweit das zweite Beweismittel auf dem ersten aufbaut.
Denn beim Vorliegen einer dieser Voraussetzungen würde der Verstoß gegen das grundrechtlich geschützte Recht auf informationelle
Selbstbestimmung durch die Verwertung des weiteren Beweismittels perpetuiert, ohne dass ein rechtfertigender Grund zu erkennen
ist (ähnlich der BGH aaO RdNr 25 ff im Hinblick auf die in Abstammungsprozessen betroffenen Grundrechte mehrerer Beteiligter).
Auf dieser Grundlage muss vorliegend das Beweisverwertungsverbot für das Gutachten von Dr. S. auf das Gutachten von Prof.
Dr. Fo. erstreckt werden. Denn das Gutachten von Prof. Dr. Fo. baut auf dem Gutachten von Dr. S. auf, wie sich aus der Wiedergabe
des Gutachtens von Dr. S. in dem Gutachten von Prof. Dr. Fo. ergibt. Zudem begründet Prof. Dr. Fo. das Ergebnis seines Gutachtens
teilweise mit denselben Überlegungen, wie sie schon in dem Gutachten von Dr. S. angeführt werden (die Angststörungen seien
überwiegend genetisch bedingt und es habe kein schweres Unfallereignis vorgelegen). Im Übrigen entspricht es dem allgemein
üblichen, gerade einem erfahrenen Sachverständigen wie Prof. Dr. Fo. und seinem Oberarzt Prof. Dr. St. bekannten Standard
vor allem bei einem Gutachten nach Aktenlage alle schon vorliegenden Unterlagen, Gutachten usw in die eigene Beurteilung miteinzubeziehen.
Auch das LSG ist in seiner Begründung, mit der es die Verwertung sowohl des Gutachtens von Dr. S. als auch des von Prof. Dr.
Fo. rechtfertigte, davon ausgegangen.
Ein überragender Grund, wieso diese Verletzung des Widerspruchsrechts des Klägers nach §
200 Abs
2 Halbs 2
SGB VII und seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung nicht zu einem Beweisverwertungsverbot führen sollte, ist nicht zu
erkennen.
4. Die Rüge dieses Verfahrensmangels ist nicht ausgeschlossen (nachfolgend a), und das Rügerecht ist nicht durch Heilung verloren
gegangen (nachfolgend b).
a) Die Rüge eines Verfahrensmangels ist ausgeschlossen, wenn sie sich gegen eine unanfechtbare Vorentscheidung richtet (§
202 SGG iVm §
557 Abs
2 ZPO), also zB gegen einen verfahrensleitenden Beschluss oder eine Zwischenentscheidung des LSG (vgl §
177 SGG). Eine derartige Fallgestaltung ist vorliegend nicht gegeben, weil der Kläger sich mit seiner Rüge gegen die Verwertung der
Gutachten von Dr. S. und Prof. Dr. Fo. im Urteil des LSG wendet.
b) Das Rügerecht darf nicht verloren gegangen sein (§
202 SGG iVm §§
556,
295 ZPO). Die Vorschriften der
ZPO über die Rüge von Verfahrensmängeln der Berufungsinstanz im Revisionsverfahren und die Heilung von Verfahrensmängeln sind
im sozialgerichtlichen Verfahren entsprechend anzuwenden (BSG SozR 1500 §
160a Nr 61; Lüdtke in HK-
SGG, §
160 RdNr 23). Gemäß §§
556,
295 ZPO kann die Verletzung einer das Verfahren der Berufungsinstanz betreffenden Vorschrift in der Revisionsinstanz nicht mehr gerügt
werden, wenn das Rügerecht verloren gegangen ist, weil auf die Befolgung der Vorschrift verzichtet wurde oder in der auf den
Mangel folgenden nächsten mündlichen Verhandlung, in welcher der betreffende Beteiligte vertreten war, der Mangel nicht gerügt
worden ist, obgleich er bekannt war oder bekannt sein musste.
Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben, weil der Kläger sich unmittelbar nach Vorlage des Gutachtens von Dr.
S. durch die beklagte BG gegen die Verwertung des Gutachtens in dem Verfahren gewandt und auch gegenüber dem Gutachten von
Prof. Dr. Fo. von Anfang an ein Verwertungsverbot geltend gemacht hat. Dass er diese Rügen bis zum Schluss der mündlichen
Verhandlung aufrechterhalten hat, zeigen die entsprechenden Ausführungen im Urteil des LSG.
5. Die weiteren vom Kläger erhobenen Rügen, die sich im Wesentlichen ebenfalls gegen das Gutachten von Prof. Dr. Fo. wenden
und auf eine weitere Beweiserhebung abzielen, sind nicht mehr entscheidungserheblich, weil das Urteil des LSG schon aus den
dargelegten Gründen aufzuheben ist.
Der Rechtsstreit ist zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§
170 Abs
2 Satz 2
SGG). Denn eine Entscheidung in der Sache über die vom Kläger geltend gemachte Anerkennung von Unfallfolgen und Gewährung einer
Verletztenrente nach §§
8,
56 SGB VII ist mangels ausreichender, verfahrensfehlerfreier Feststellungen des LSG zur Verursachung der umstrittenen Gesundheitsstörungen
durch den unstreitigen Arbeitsunfall vom 9. Dezember 1994 nicht möglich und eine weitere Sachverhaltsaufklärung ist angesichts
der widersprüchlichen Ergebnisse der verwertbaren Gutachten angezeigt (vgl §
170 Abs
2 SGG).
Im weiteren Verfahren wird das LSG zu beachten haben, dass zur Sicherstellung des Rechts des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung
nach §
200 Abs
2 Halbs 2
SGB VII iVm § 76 Abs 2 SGB X neben den Gutachten von Dr. S. und Prof. Dr. Fo. alle weiteren Gutachten und Stellungnahmen, die sich auf diese Gutachten
beziehen oder sie verwerten, aus der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte entfernt werden, ehe diese zur Einholung eines weiteren
Gutachtens versandt werden.
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.