Hilfsmittelversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung, Ausstattung eines Elektrorollstuhls für Fahrten zu einer Werkstätte
für behinderte Menschen mit einem sog. Kraftknoten
Gründe:
I
Streitig ist, ob der Elektrorollstuhl des Klägers für Fahrten zu einer Werkstätte für behinderte Menschen aus Sicherheitsgründen
mit einem sog Kraftknotensystem auszustatten ist.
Der 1982 geborene, bei der beklagten Krankenkasse versicherte Kläger leidet an den Folgen einer schweren spastischen athetoiden
Tetraparese. Im Rahmen einer Maßnahme der Eingliederungshilfe des beigeladenen überörtlichen Sozialhilfeträgers ist er seit
August 2000 in einer Werkstätte für behinderte Menschen beschäftigt. Er erzielt dort einen Bruttoverdienst von zuletzt 99
Euro monatlich und erhält ergänzend Leistungen zur Grundsicherung nach §§ 19 ff SGB XII. Krankheitsbedingt kann er seine Gliedmaßen
nicht kontrolliert bewegen und - von wenigen Lauten abgesehen - nicht sprechen. Zur Fortbewegung ist er auf einen Elektrorollstuhl
angewiesen, mit dem er von der Beklagten versorgt worden ist. Darin sitzt er auch bei den von der Beigeladenen getragenen
und in Behindertentransportwagen durchgeführten Fahrten zur Werkstätte für behinderte Menschen, weil der Rollstuhl mit einer
besonderen Sitzschale ausgestattet ist und er behinderungsbedingt nicht aus eigener Kraft sitzen kann.
Für Transporte im Rollstuhl sitzender Personen sieht die DIN-Norm 75078-2 seit 1999 den Gebrauch von Drei-Punkt-Gurten sowie
besondere Sicherheitsvorkehrungen für die Befestigung des Rollstuhls im Fahrzeug vor (Rollstuhlrückhaltesystem). Ergänzend
dazu ist die Ausrüstung der Rollstühle mit einem Kraftknotensystem erforderlich. Dafür sind Verstärkungen (Kraftknoten) am
Rollstuhl anzubringen, die über Gurte eine Befestigung am Fahrzeugboden erlauben und zugleich den Beckengurt zum Insassenschutz
aufnehmen. Dadurch soll ein der Rollstuhlkonstruktion angepasster optimaler Punkt für die Ableitung der bei einem Unfall auftretenden
Kräfte genutzt werden, um der DIN-Norm entsprechend die "Rückhaltekräfte des Personenrückhaltesystems in das Rollstuhlrückhaltesystem"
einzuleiten. Hierzu sind Anbauteile erforderlich, die auch nachgerüstet werden können.
Die unter Verweis hierauf bei der Beklagten und dem Beigeladenen gestellten Anträge des Klägers auf eine entsprechende Ausstattung
seines Rollstuhls sind erfolglos geblieben. Zunächst entschied die Beklagte, dass die Rollstuhlausstattung mit Kraftknoten
in die Eigenverantwortlichkeit des Versicherten bzw des Transportunternehmers falle und deshalb kein Anspruch bestehe (Bescheid
vom 18.2.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2.8.2004). Anschließend lehnte der Beigeladene eine Kostenübernahme
ab, weil die Krankenkasse zuständig sei und zudem vorhandene Sicherungssysteme genügten (Bescheid vom 11.10.2004 in Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 7.11.2005); die Klage dagegen wird derzeit vor dem angerufenen Sozialgericht (SG) nicht betrieben (SG Gelsenkirchen, S 8 SO 211/05). Schließlich entschied auf wiederholten Antrag und weitere Prüfung nochmals
die Beklagte, dass der Kläger keinen Anspruch auf Versorgung mit einem Kraftknotensystem habe und es bei der früheren Entscheidung
verbleiben müsse (Bescheid vom 28.10.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.2.2005).
Mit seiner Klage hat der Kläger die Nachrüstung seines Rollstuhls mit einem Kraftknotensystem im Wert von 582,84 Euro durch
die Beklagte begehrt. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 21.10.2005). Das Landessozialgericht (LSG) hat den überörtlichen Träger der Sozialhilfe
zum Rechtsstreit beigeladen und diesen nach Einholung ua einer Stellungnahme der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) unter
Änderung seiner Bescheide verurteilt, den Rollstuhl des Klägers mit dem Rollstuhlrückhaltesystem "Kraftknoten" auszustatten;
im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 14.6.2007): Ein Anspruch gegen die beklagte Krankenkasse bestehe
nicht. Das Kraftknotensystem diene nicht dem Behinderungsausgleich iS von §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V. Bei Fahrten zur Werkstätte für behinderte Menschen seien die Auswirkungen der Behinderung nicht allgemein, sondern nur im
Berufsleben betroffen. Für diese Fahrten habe die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) nicht einzustehen. Jedoch sei der
Beigeladene als überörtlicher Sozialhilfeträger im Rahmen der Eingliederungshilfe leistungspflichtig. Das Kraftknotensystem
sei ein Hilfsmittel iS von §
31 Abs
1 SGB IX und biete gegenüber anderen Rückhaltesystemen einen erheblichen Sicherheitsvorteil, wie insbesondere die Auskunft der BASt
belege. Unter mehreren alternativen Möglichkeiten sei das sicherste System zu gewähren, um unnötige Beförderungsrisiken auszuschließen.
Erst mit dem Kraftknotensystem sei eine Beförderung des schwerstbehinderten Klägers ebenso sicher möglich wie bei Gesunden
oder Behinderten, die auf einem normalen PKW-Sitz Platz nehmen könnten.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Beigeladene die Verletzung materiellen Rechts. Das Kraftknotensystem sei als
Leistung der Eingliederungshilfe nicht erforderlich. Ein genereller Sicherheitsvorteil bestehe nicht; diese Einschätzung des
LSG sei durch das Beweisergebnis nicht gedeckt. Auch individuell werde die Eingliederung des Klägers in das Arbeitsleben durch
die Versorgung mit einem Kraftknotensystem nicht verbessert. Seine Beschäftigung sei auch ohne Ausstattung seines Rollstuhls
mit Kraftknoten gesichert. Zudem sei die zusätzliche Versorgung mit unverhältnismäßigen Mehrkosten iS von § 9 Abs 2 SGB XII
verbunden. Im Übrigen sei eine Leistungspflicht der GKV sachnäher.
Der Beigeladene beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 14.6.2007 zu ändern und die Klage abzuweisen, soweit er unter
Änderung des Bescheides vom 11.10.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7.11.2005 verurteilt worden ist, den Rollstuhl
des Klägers mit einem Kraftknotensystem auszustatten.
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt ebenso wie die Beklagte,
die Revision des Beigeladenen zurückzuweisen.
II
Die Revision des Beigeladenen ist zulässig und begründet. Zu Unrecht hat das LSG die Einstandspflicht der beklagten Krankenkasse
verneint; dies erneut zu überprüfen ist dem Bundessozialgericht (BSG) nicht verwehrt (dazu 1). Entgegen der Auffassung des
LSG ist die Einstandspflicht der Beklagten schon nach dem originären Recht der GKV nicht ausgeschlossen. Vielmehr kann die
Krankenkasse ausnahmsweise aus Gründen der Sicherheit im Straßenverkehr zur Versorgung mit einem Kraftknotensystem für solche
Versicherte verpflichtet sein, die zur Erfüllung ihrer Schulpflicht gesundheitsbedingt im Rollstuhl sitzend an der Schülerbeförderung
teilnehmen müssen oder denen der Besuch bei Ärzten und Therapeuten für eine besondere, im Nahbereich der Wohnung regelmäßig
nicht verfügbare medizinische Versorgung nur im Rollstuhl sitzend möglich ist (dazu 2). Liegt keiner dieser Ausnahmefälle
vor, kommt - wie das LSG im Grundsatz zutreffend erkannt hat - ergänzend die Leistungspflicht der Sozialhilfe in Betracht
(dazu 3). Im vorliegenden Fall ist die beklagte Krankenkasse indes als erstangegangener Leistungsträger nach §
14 Abs
2 Satz 1
SGB IX im (Außen-)Verhältnis zum Kläger zur Erfüllung seines Anspruchs verpflichtet, ohne dass in dem anhängigen Verfahren abschließend
entschieden werden muss, welcher Träger im Innenverhältnis für diese Leistung endgültig einzustehen hat (dazu 4). Kostengesichtspunkte
sind dabei nicht ausschlaggebend (dazu 5).
1. Streitgegenstand ist der Anspruch des Klägers auf Ausstattung seines Rollstuhls mit einem Kraftknotensystem entweder durch
die Beklagte oder den Beigeladenen. Insoweit ist der beim LSG anhängig gewesene Streitstoff vollständig auch beim BSG angefallen,
obwohl nur der Beigeladene Revision eingelegt hat und der Kläger gegen die Zurückweisung der Berufung im Verhältnis zur Beklagten
nicht mit einem eigenen Rechtsmittel - etwa im Wege der Anschlussrevision - vorgegangen ist. Das ergibt sich aus der durch
§
75 Abs
5 SGG eröffneten - und hier vom LSG realisierten - Befugnis, anstelle des verklagten Versicherungs- oder Leistungsträgers nach
Beiladung den tatsächlich leistungsverpflichteten, aber nicht verklagten Träger zu verurteilen. Diese prozessual vorgesehene
Möglichkeit der Verurteilung auf Beiladung dient vor allem der Prozessökonomie, einer Klageänderung bedarf es dabei nicht.
Um der Vorstellung des
SGG-Gesetzgebers in vollem Umfang gerecht werden zu können, muss auch das Revisionsgericht über alle in Frage kommenden prozessualen
Ansprüche entscheiden können, wenn nur der unterlegene - beigeladene - Versicherungsträger Rechtsmittel eingelegt hat. Andernfalls
könnten einander widersprechende Entscheidungen ergehen mit der Folge, dass der Kläger mit seinem Klagebegehren zunächst gegen
den einen Versicherungsträger und in einer weiteren Instanz gegen den anderen Träger nicht durchdringt, obwohl feststeht,
dass gegen einen von beiden jedenfalls der Anspruch besteht. Der Kläger müsste ggf ein Wiederaufnahmeverfahren nach §
180 SGG betreiben, also ein weiteres Verfahren einleiten; dies wäre im höchsten Maße prozessunökonomisch und soll durch die Regelung
des §
75 Abs
5 SGG gerade vermieden werden. Deshalb muss im Revisionsverfahren - wie das BSG schon wiederholt ausgeführt hat - auch über den
Anspruch entschieden werden, der gegen die Beklagte gerichtet war, obgleich die Klage gegen diese abgewiesen worden ist und
nur der verurteilte Beigeladene Revision eingelegt hat (vgl BSGE 9, 67, 69 f; BSG SozR 2200 § 1237a Nr 16 S 37; BSG SozR 2200 § 1236 Nr 31 S 57 f; BSG, Urteil vom 3.4.1986 - 4a RJ 1/85 -, juris).
2. Zu Unrecht ist das LSG davon ausgegangen, dass ein Rechtsanspruch des Klägers auf Ausstattung seines Rollstuhls mit einem
Kraftknotensystem nach dem originären Recht der GKV nicht besteht; diese Entscheidung des LSG wird von den getroffenen Feststellungen
nicht getragen. Rechtsgrundlage eines gegen die beklagte Krankenkasse geltend gemachten Anspruchs ist §
33 Abs
1 SGB V in der seit dem 1.4.2007 geltenden Fassung des Art 1 Nr 17 des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz vom
26.3.2007, BGBl I 378). Nach Satz 1 dieser Vorschrift haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken,
orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um ua eine Behinderung auszugleichen, soweit
die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach §
34 Abs
4 SGB V ausgeschlossen sind. Dieser Anspruch kann als notwendige Änderung eines Hilfsmittels iS von §
33 Abs
1 Satz 4
SGB V auch die Versorgung mit einem Kraftknotensystem umfassen.
a) "Notwendige Änderung" iS von §
33 Abs
1 Satz 4
SGB V ist auch die Anpassung eines Hilfsmittels an den bei seinem bestimmungsgemäßen Gebrauch zu wahrenden Sicherheitsstandard.
Dem Anspruch des §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V genügt ein Hilfsmittel nur, soweit es hinreichend verkehrssicher ist; ansonsten ist sein Gebrauchsvorteil entwertet. Demgemäß
kann ein Versicherter nach §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V Hilfsmittel beanspruchen, die im Rahmen des wirtschaftlich Vertretbaren dem allgemein anerkannten Stand der Sicherheitstechnik
entsprechen und bei deren Gebrauch unvertretbare Gesundheitsrisiken nicht drohen. Ergänzend gewährt §
33 Abs
1 Satz 4
SGB V einen Anspruch auf Nachrüstung, soweit damit den Sicherheitsanforderungen Rechnung getragen werden kann. Insoweit gelten
die §§
2 Abs
1 Satz 3,
12 Abs
1 Satz 1
SGB V entsprechend. Danach haben Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse
zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen (§
2 Abs
1 Satz 3
SGB V) und müssen zudem ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; das Maß des Notwendigen dürfen sie nicht überschreiten
(§
12 Abs
1 Satz 1
SGB V).
b) Wie der Senat mit Urteil vom 20.11.2008 in einer Parallelsache (B 3 KR 6/08 R, zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen) entschieden hat, kann §
33 Abs
1 SGB V einen krankenversicherungsrechtlichen Anspruch auf Versorgung mit einem zum Zwecke der Beförderung hinreichend sicheren Rollstuhl
gewähren, wenn der Versicherte krankheitsbedingt nur im Rollstuhl sitzend transportiert werden kann. Die GKV hat nämlich entgegen
der Auffassung der Beklagten nicht nur für einen zur Fortbewegung im Nahbereich geeigneten Rollstuhl einzustehen (nachfolgend
aa), sondern die Rollstuhlbeschaffenheit auch an den Anforderungen bei der Fahrzeugbeförderung auszurichten, wenn der Fahrzeugtransport
entweder dem Schulbesuch dient oder zur Krankenbehandlung unerlässlich ist (nachfolgend bb).
aa) Grundsätzlich erfüllt die Krankenkasse den Anspruch aus §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V allerdings schon mit der Zurverfügungstellung eines Rollstuhls, der die Erschließung des Nahbereichs um die Wohnung des Versicherten
erlaubt. Auch nach Inkrafttreten des
SGB IX (vgl hier §
31 Abs
1 Nr
3 SGB IX) hat die GKV nicht sämtliche direkten und indirekten Folgen einer Behinderung auszugleichen. Aufgabe der Krankenkassen ist
nach wie vor allein die medizinische Rehabilitation. Eine darüber hinausgehende berufliche oder soziale Rehabilitation bleibt
Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme. Beim Ausgleich direkter oder indirekter Folgen einer Behinderung ist ein Hilfsmittel
daher nur "erforderlich" iS von §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein Grundbedürfnis
des täglichen Lebens betrifft (stRspr, vgl zuletzt BSGE 93, 176 = SozR 4-2500 § 33 Nr 7, jeweils RdNr 12 - schwenkbarer Autositz bei Wachkomaversorgung; BSGE 91, 60 RdNr 9 = SozR 4-2500 § 33 Nr 3 RdNr 10 - RollstuhlLadeboy; BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 31 S 185 - Rollstuhl-Bike; BSG SozR 3-2500
§ 33 Nr 32 S 191 - Therapie-Tandem). Das bezieht sich im Bereich der Mobilität auf den Bewegungsradius, den ein Gesunder üblicherweise
noch zu Fuß erreicht (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 29, 31, 32 sowie BSG SozR 3-1200 § 33 Nr 1; stRspr). Dazu ist der Versicherte
nach Möglichkeit zu befähigen, sich in der eigenen Wohnung zu bewegen und die Wohnung zu verlassen, um bei einem kurzen Spaziergang
"an die frische Luft zu kommen" oder um die - üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden - Stellen zu erreichen, an
denen Alltagsgeschäfte zu erledigen sind (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 31 - Rollstuhl-Bike). Dagegen hat er - von besonderen zusätzlichen
qualitativen Momenten abgesehen - grundsätzlich keinen Anspruch darauf, in Kombination von Auto und Rollstuhl den Radius der
selbstständigen Fortbewegung (erheblich) zu erweitern (BSGE 91, 60 RdNr 15 = SozR 4-2500 § 33 Nr 3 RdNr 16 - Rollstuhl-Ladeboy; ebenso BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 29 S 173 - schwenkbarer Autositz
und BSGE 98, 213 = SozR 4-2500 § 33 Nr 15 RdNr 10 - behinderungsgerechter PKW-Umbau). Dies gilt auch dann, wenn im Einzelfall die Stellen
der Alltagsgeschäfte nicht im Nahbereich liegen, dafür also längere Strecken zurückzulegen sind, die die Kräfte eines Rollstuhlfahrers
möglicherweise übersteigen. Besonderheiten des Wohnortes sind für die Hilfsmitteleigenschaft in der Regel nicht maßgeblich
(BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 31 S 187 - Rollstuhl-Bike).
bb) Anspruch auf Hilfe zur Mobilität über den Nahbereich hinaus haben jedoch Versicherte, die nur im Rollstuhl sitzend an
der Schülerbeförderung teilnehmen und anders der allgemeinen Schulpflicht nicht genügen können. Die dazu erforderliche Sicherheitsausstattung
fällt entgegen der Auffassung der Beklagten nicht in die vorrangige Leistungspflicht eines anderen Trägers. Der Rollstuhl
dient in einem solchen Fall nicht nur als Ausgleich für die fehlende Bewegungsfähigkeit des Versicherten, sondern auch für
dessen krankheitsbedingte Einschränkungen beim Sitzen (vgl dazu näher Urteil vom 20.11.2008 in der Parallelsache B 3 KR 6/08 R, zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor; der Kläger ist im Jahre 1982
geboren und war schon zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung der Beklagten im Jahre 2005 nicht mehr schulpflichtig.
Anspruch auf Hilfe zur Mobilität über den Nahbereich hinaus besteht aber auch dann, wenn die medizinische Versorgung Anforderungen
stellt, die regelmäßig im Nahbereich der Wohnung nicht erfüllbar sind. Davon ist indes nach der Rechtsprechung des Senats
in aller Regel nicht auszugehen. Denn das Bedürfnis, bei Krankheit oder Behinderung Ärzte und Therapeuten aufzusuchen, wird
regelmäßig durch die Erschließung des Nahbereichs ausreichend erfüllt; auch insoweit hat die Krankenkasse nicht für individuelle
Besonderheiten der Wohnsituation einzustehen (BSGE 98, 213 = SozR 4-2500 § 33 Nr 15, jeweils RdNr 14, 17 - behinderungsgerechter PKW-Umbau). Anders kann es sich dann verhalten, wenn
die Krankenbehandlung besondere Anforderungen stellt und dem ausnahmsweise durch einen PKW-Transport Rechnung zu tragen ist
(vgl BSGE 93, 176 = SozR 4-2500 § 33 Nr 7, jeweils RdNr 13 - schwenkbarer Autositz bei Wachkomaversorgung). Eine solche Ausnahmesituation kann
auch dann vorliegen, wenn einem Versicherten der Besuch bei Ärzten und Therapeuten nur im Rollstuhl sitzend möglich ist. Erfordert
eine Erkrankung eine besondere, im Nahbereich der Wohnung regelmäßig nicht verfügbare medizinische Versorgung und ist deshalb
ein im Rollstuhl sitzender Transport erforderlich, hat die Krankenkasse für eine entsprechende Rollstuhlbeschaffenheit aufzukommen.
Der Rollstuhl gleicht dann nicht nur die fehlende Bewegungsfähigkeit aus, sondern ist zudem Ausgleich dafür, dass der Versicherte
nicht aus eigener Kraft in einem Fahrzeugsitz sitzen kann und deshalb auf die besondere Haltefunktion des Rollstuhls angewiesen
ist. Darin kann ein besonderes Krankheitsrisiko liegen, zu dessen Ausgleich die Versichertengemeinschaft nach §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V beizutragen hat. Denn die notwendige medizinische Versorgung ist grundlegende Voraussetzung, um die elementaren Bedürfnisse
des täglichen Lebens befriedigen zu können (BSGE 93, 176 = SozR 4-2500 § 33 Nr 7, jeweils RdNr 12 - schwenkbarer Autositz bei Wachkomaversorgung). Erfordert sie unabhängig von der
Wohnsituation des Versicherten Fahrzeugtransporte zum Arzt oder Therapeuten und dient der Rollstuhl dabei als Sitzfläche,
dann hat die Krankenkasse den Versicherten mit einem auch zu Transportzwecken geeigneten - sicheren - Rollstuhl zu versorgen.
Ob solche besonderen Voraussetzungen in Anbetracht der Schwere der klägerischen Erkrankung hier vorliegen, hat das LSG nicht
ermittelt und demzufolge auch keine weiteren Erwägungen zu den sonstigen Voraussetzungen eines solchen Anspruchs angestellt
(vgl hierzu Senatsbeschluss vom 11.1.2006 - B 3 KR 44/05 B - juris).
3. Dem Grunde nach zutreffend hat das LSG entgegen den Angriffen der Revision entschieden, dass der Kläger nach dem Leistungsrecht
des SGB XII jedenfalls ergänzend die Versorgung mit einem Kraftknotensystem für seinen Rollstuhl verlangen kann, weil anders
ein hinreichend sicherer Transport zur Werkstatt für behinderte Menschen nicht gewährleistet ist.
a) Als Teil der Leistungen der Eingliederungshilfe kann der Kläger die Hilfe beanspruchen, die er für einen hinreichend sicheren
Transport zur Werkstatt für behinderte Menschen benötigt. Das ergibt sich aus den §§
53 Abs
1 Satz 1,
54 Abs
1 Satz 1 SGB XII iVm mit §
41 SGB IX. Nach diesen Vorschriften erhalten Personen, die durch eine Behinderung iS von §
2 Abs
1 Satz 1
SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung
bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach
Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann (§ 53 Abs
1 Satz 1 SGB XII). Zu diesen Leistungen rechnen ua die Leistungen im Arbeitsbereich einer anerkannten Werkstatt für behinderte
Menschen nach §
41 Abs
1 Nr
1 SGB IX (§
54 Abs
1 Halbsatz 1 SGB XII). Sie werden behinderten Menschen gewährt, bei denen ua eine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt
wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht, noch nicht oder noch nicht wieder in Betracht kommen und die in der Lage sind,
wenigstens ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung zu erbringen (§
41 Abs
1 Nr
1 SGB IX). Eine solche Leistung ist dem Kläger seit August 2000 bindend zuerkannt. Als notwendigen Bestandteil dieser Leistung hat
der Kläger ebenfalls Anspruch auf den Transport zu der Werkstatt für behinderte Menschen, wenn die Eingliederungshilfemaßnahme
anders nicht durchgeführt werden kann (vgl BVerwG Buchholz 436.0 § 39 BSHG Nr 8); dies ist hier unbestritten.
b) Beim Transport eines nur im Rollstuhl beförderbaren behinderten Menschen zu seiner Arbeitsstätte sind die Sicherheitsanforderungen
des "Deutschen Instituts für Normung e.V." zu beachten, hier konkret die DIN-Norm 75078-2. Deren Voraussetzungen sind vorliegend
erfüllt; die Fahrzeugbeförderung des Klägers im Rollstuhl mit Sicherung durch das Kraftknotensystem entspricht dem allgemein
anerkannten Stand der Sicherheitstechnik.
aa) Unmittelbare rechtliche Bindungswirkung hat die DIN-Norm 75078-2 allerdings nicht. DIN-Normen sind keine mit Drittwirkung
versehene Normen im Sinne demokratisch legitimierter hoheitlicher Rechtsetzung, sondern auf freiwillige Anwendung ausgerichtete
Regelwerke mit Empfehlungscharakter (BGHZ 139, 16, 19; 103, 338, 341 f; BGH VersR 1987, 783, 784; vgl auch BVerwGE 77, 285, 291). Dies schließt aber nicht aus, zur Feststellung des allgemein anerkannten Standes der Technik solche DIN-Normen heranzuziehen,
denn sie spiegeln den Stand der für die betroffenen Kreise geltenden anerkannten Regeln der Technik wieder und bieten deshalb
einen besonderen Anhalt dafür, was nach der Verkehrsauffassung zu beachten ist (vgl BGHZ 103, 338, 342; BGH NJW 2004, 1449, 1450; BVerwGE 77, 285, 291; BVerwG NVwZ 1991, 881, 883). DIN-Normen kann daher der nach der Verkehrsauffassung maßgebliche Sicherheitsstandard entnommen werden, solange sich
nicht in einem objektivierbaren Verfahren ergibt, dass dies der fachlichen Überprüfung nicht standhält (vgl BVerwG NVwZ-RR
1997 214, 215).
bb) Hiernach genügt die Beförderung im Rollstuhl sitzender Personen in Fahrzeugen dem Stand der aktuellen Sicherheitstechnik
nur, wenn dabei ein Kraftknotensystem nach DIN verwendet wird. Diese Sicherheitsausrüstung sieht die DIN-Norm 75078-2 seit
1999 vor. Dass ein vergleichbarer Sicherheitsstandard ohne entsprechende Verstärkungen und Kraftableitungen am Rollstuhl erreichbar
ist, hat das LSG nicht festgestellt und ist auch von der Beklagten nicht substantiiert aufgezeigt worden. Im Gegenteil ergibt
sich - wie das LSG unangegriffen und damit für den Senat bindend (§
163 SGG) erkannt hat - aus den Auskünften der BASt, dass das Kraftknotensystem erforderlich ist, um Sicherheitsdefizite beim Transport
behinderter Menschen zu minimieren, soweit sie auf eine im Rollstuhl sitzende Beförderung angewiesen sind. Es verringert die
Gefahr der Fehlbedienung bei der Sicherung des Rollstuhls und der Insassen, verhindert bei einem Aufprall den sog Submarine-Effekt
(Durchtauchen unter dem Gurt hindurch) und den sog Klappmesser-Effekt (Aufschlagen des Oberkörpers auf den Knien) und optimiert
den Kraftfluss im Rollstuhl, so dass die Sicherheit beim Behindertentransport deutlich erhöht wird. Behinderte ohne entsprechende
Verstärkungen am Rollstuhl sind erheblichen Sicherheitsrisiken ausgesetzt, die sich mit dem Kraftknotensystem nachhaltig verringern
lassen.
4. Ob der Anspruch des Klägers materiell auf das Leistungsrecht des SGB XII oder des
SGB V zu stützen ist, bedarf keiner weiteren Aufklärung, weil die Beklagte nach §
14 Abs
2 Satz 1
SGB IX im Verhältnis zum Versicherten in beiden Fällen für die Versorgung mit dem Kraftknotensystem einzustehen hat; dies steht
einer Verurteilung des Beigeladenen entgegen.
a) Nach §
14 Abs
2 Satz 1
SGB IX verliert der materiell-rechtlich - eigentlich - zuständige Rehabilitationsträger im Außenverhältnis zum Versicherten oder
Leistungsempfänger seine Leistungszuständigkeit für eine Teilhabeleistung, sobald der zuerst angegangene Rehabilitationsträger
(hier: die beklagte Krankenkasse) eine iS von §
14 Abs
1 SGB IX fristgerechte Zuständigkeitsklärung versäumt hat und demzufolge die Zuständigkeit nach allen in Betracht kommenden rehabilitationsrechtlichen
Rechtsgrundlagen auf ihn übergegangen ist. Sinn dieser Regelung ist es, zwischen den betroffenen behinderten Menschen und
Rehabilitationsträgern die Zuständigkeit schnell und dauerhaft zu klären und so Nachteilen des gegliederten Systems entgegenzuwirken
(vgl BT-Drucks 14/5074, S 95 zu Nr 5 und S 102 f, zu § 14). Dazu ist der erstangegangene Rehabilitationsträger gehalten, innerhalb
von zwei Wochen nach Eingang eines Antrags auf Leistungen zur Teilhabe festzustellen, ob er nach dem für ihn geltenden Leistungsgesetz
für die Leistung zuständig ist; bei den Krankenkassen umfasst die Prüfung auch die Leistungspflicht nach §
40 Abs
4 SGB V (§
14 Abs
1 Satz 1
SGB IX). Stellt er bei der Prüfung fest, dass er für die Leistung nicht zuständig ist, leitet er den Antrag unverzüglich dem nach
seiner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger zu. Muss für eine solche Feststellung die Ursache der Behinderung geklärt
werden und ist diese Klärung in der Frist nach §
14 Abs
1 Satz 1
SGB IX nicht möglich, wird der Antrag unverzüglich dem Rehabilitationsträger zugeleitet, der die Leistung ohne Rücksicht auf die
Ursache erbringt (§
14 Abs
1 Satz 2 und
3 SGB IX). Andernfalls bestimmt §
14 Abs
2 Satz 1
SGB IX: "Wird der Antrag nicht weitergeleitet, stellt der Rehabilitationsträger den Rehabilitationsbedarf unverzüglich fest." Diese
Zuständigkeit nach §
14 Abs
2 Satz 1
SGB IX erstreckt sich im Außenverhältnis zwischen dem Antragsteller und dem erstangegangenen Rehabilitationsträger auf alle Rechtsgrundlagen,
die überhaupt in dieser Bedarfssituation rehabilitationsrechtlich vorgesehen sind (vgl BSGE 93, 283 = SozR 4-3250 § 14 Nr 1, jeweils RdNr 15 ff; BSGE 98, 267 [RdNr 14], auch zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen; möglicherweise aA [obiter dictum] BSG SozR 4-3250 § 14 Nr 3 RdNr
33). Dadurch wird eine nach außen verbindliche Zuständigkeit des erstangegangenen Rehabilitationsträgers geschaffen, die intern
die Verpflichtungen des eigentlich zuständigen Leistungsträgers unberührt lässt und die Träger insoweit auf den nachträglichen
Ausgleich nach §
14 Abs
4 Satz 1
SGB IX und §§ 102 ff SGB X verweist (BSGE 98, 267).
b) Erstangegangener Rehabilitationsträger iS von §
14 SGB IX ist derjenige Träger, der von dem Versicherten bzw Leistungsbezieher erstmals mit dem zu beurteilenden Antrag auf Bewilligung
einer Leistung zur Teilhabe befasst worden ist. Diese Befassungswirkung fällt nach der Rechtsprechung des BSG grundsätzlich
auch nach einer verbindlichen abschließenden Entscheidung des erstangegangenen Trägers nicht weg. Vielmehr behält der erstmals
befasste Rehabilitationsträger seine Zuständigkeit nach §
14 Abs
2 Satz 1
SGB IX im Außenverhältnis zum Antragsteller regelmäßig auch dann weiter bei, wenn er, ohne den Antrag an den aus seiner Sicht zuständigen
Rehabilitationsträger weitergeleitet zu haben, das Verwaltungsverfahren durch Erlass eines Verwaltungsakts abschließt (vgl
§ 8 SGB X), selbst wenn dieser bindend wird. Er bleibt vielmehr auch für ein mögliches Verfahren nach § 44 SGB X zuständig, selbst wenn die Rechtswidrigkeit im Sinne dieser Vorschrift - wie hier - dann (nur) darin liegt, dass er die außerhalb
seiner "eigentlichen" Zuständigkeit liegenden, nach dem Vorstehenden einschlägigen Rechtsgrundlagen nicht beachtet hat (vgl
BSG, Urteil vom 21.8.2008 - B 13 R 33/07 R - [RdNr 31] unter Verweis auf BSGE 93, 283 = SozR 4-3250 § 14 Nr 1, jeweils RdNr 10; zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen). Ob etwas anderes aus prozessökonomischen
Gründen zur Vermeidung eines weiteren Rechtsstreits unter den Rehabilitationsträgern dann gelten muss, wenn der erstangegangene
Träger im Innenverhältnis nach keiner Betrachtungsweise - originär - zuständig sein kann und die Klage gegen den materiell
offenkundig "richtigen" Träger gerichtet worden ist, kann offenbleiben; eine solche Situation liegt hier nicht vor.
c) Hiernach ist der Beigeladene im Verhältnis zum Kläger selbst dann nicht zur Leistung verpflichtet, wenn das Kraftknotensystem
nicht als Leistung der GKV, sondern als solche der Eingliederungshilfe zu gewähren ist. Nach den unangegriffenen und deshalb
bindenden (§
163 SGG) Feststellungen des LSG ist der Antrag auf entsprechende Ausstattung des Rollstuhls erstmals bei der Beklagten angebracht
worden. Diese hat darüber ablehnend entschieden, ohne den Antrag innerhalb der Frist des §
14 Abs
1 SGB IX an den Beigeladenen oder einen anderen aus ihrer Sicht zuständigen Rehabilitationsträger weiterzuleiten. Mit Ablauf der Weiterleitungsfrist
ist danach die Beklagte im Verhältnis zum Kläger zur Prüfung und ggf Bewilligung des Leistungsbegehrens nach jeder rehabilitationsrechtlich
in Betracht zu ziehenden Rechtsgrundlage zuständig geworden; die Zuständigkeit des Beigeladenen ist dadurch - im Außenverhältnis
- verdrängt worden. Dessen Zuständigkeit ist auch nicht nachträglich wieder aufgelebt. Vielmehr hatte die Beklagte auf die
erneute Befassung im Zugunstenverfahren nach § 44 Abs 1 SGB X nunmehr auch zu überprüfen, ob der geltend gemachte Anspruch nach dem Recht der Eingliederungshilfe begründet war und ist.
d) Im Ergebnis hat die Beklagte als erstangegangener Rehabilitationsträger den Rollstuhl des Klägers mit einem Kraftknotensystem
auszustatten. Dafür ist sie entweder als Trägerin der GKV originär berufen, wenn die oa hierfür maßgeblichen Voraussetzungen
erfüllt sind - die Erkrankung des Klägers also eine besondere, im Nahbereich der Wohnung regelmäßig nicht verfügbare medizinische
Versorgung erfordert und hierfür ein im Rollstuhl sitzender Transport notwendig ist - oder aber anstelle des Beigeladenen
im Rahmen der Eingliederungshilfe zuständig. Es bedurfte keiner Zurückverweisung des Rechtsstreits zur weiteren Sachaufklärung
an das LSG, um die krankenversicherungsrechtliche Seite des Falles weiter aufzuklären, weil die sekundäre Verpflichtung zur
Gewährung von Leistungen der Eingliederungshilfe auf jeden Fall feststeht.
5. Gegen die Nachrüstung des Rollstuhls des Klägers sprechen auch keine Kostengesichtspunkte. Muss ein Versicherter im Rollstuhl
sitzend in einem Kraftfahrzeug befördert werden, ist es ihm nicht zuzumuten, aus wirtschaftlichen Gründen auf die Sicherheitsvorteile
der Ausstattung nach DIN 75078-2 zu verzichten.
a) Allerdings beschränkt sich die Leistungspflicht der Krankenkasse bei mehreren Alternativen grundsätzlich auf die kostengünstigste
Hilfsmittelversorgung. Nach §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V besteht kein Anspruch auf eine Optimalversorgung, sondern nur auf ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Hilfsmittel
(§
12 Abs
1 SGB V). Deshalb besteht kein Anspruch auf ein teures Hilfsmittel, soweit die kostengünstigere Versorgung für den angestrebten Nachteilsausgleich
funktionell ebenfalls geeignet ist (vgl BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 26 S 153; stRspr); andernfalls sind die Mehrkosten gemäß §
33 Abs
1 Satz 5
SGB V von dem Versicherten selbst zu tragen. Andererseits hat die Krankenkasse nach ständiger Rechtsprechung des BSG für jede Verbesserung
einzustehen, die einen wesentlichen Gebrauchsvorteil gegenüber einer evtl kostengünstigeren Alternative bietet. Bei Hilfsmitteln
zum unmittelbaren Ersatz ausgefallener Körperfunktionen - unmittelbarer Behinderungsausgleich - insbesondere durch Prothesen
gilt das für grundsätzlich jede Innovation, die dem Versicherten nach ärztlicher Einschätzung in seinem Alltagsleben deutliche
Gebrauchsvorteile bietet (vgl BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 44 S 249 - C-Leg I; BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 45 S 255 - Damenperücke;
BSGE 93, 183 = SozR 4-2500 § 33 Nr 8, jeweils RdNr 4 - C-Leg II). Entsprechendes gilt aber auch beim mittelbaren Behinderungsausgleich,
wenn sich der Gebrauchsvorteil eines Hilfsmittels - wie hier bei einem Rollstuhl - im gesamten Lebensbereich auswirkt und
damit ein Grundbedürfnis des täglichen Lebens betroffen ist (vgl BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 44 S 248 f - C-Leg I). Ausgenommen
von der Leistungspflicht der GKV sind hingegen solche Verbesserungen, die nur einen Ausgleich auf beruflicher oder gesellschaftlicher
Ebene sowie im Freizeitbereich betreffen (vgl BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 34 S 200 - Mikroportanlage). Darüber hinaus hat die
Krankenkasse allgemein nicht für solche Innovationen aufzukommen, die nicht die Funktionalität betreffen, sondern in erster
Linie die Bequemlichkeit und den Komfort bei der Nutzung des Hilfsmittels (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 44 S 249; BSGE 93, 183 = SozR 4-2500 § 33 Nr 8, jeweils RdNr 15). Schließlich können die Grenzen der Leistungspflicht berührt sein, wenn einer geringfügigen
Verbesserung des Gebrauchsnutzens ein als unverhältnismäßig einzuschätzender Mehraufwand gegenübersteht (vgl BSG SozR 3-2500
§ 33 Nr 26 S 153 und Nr 44 S 250, jeweils mwN). Diese Grundsätze gelten in entsprechender Weise auch für den Zuständigkeitsbereich
des Beigeladenen (§ 53 Abs 1 SGB XII iVm § 60 SGB XII und § 9 Abs 1 und 3 Eingliederungshilfe-Verordnung) .
b) Unter Berücksichtigung der vorstehenden Grundsätze kann der Kläger nicht darauf verwiesen werden, ggf mit eigenen Mitteln
selbst für den verbesserten Sicherheitsstandard durch das Kraftknotensystem zu sorgen. Die Verankerung des Rollstuhls mittels
Kraftknoten im PKW-Rückhaltesystem bietet entgegen der Auffassung der Beklagten eine deutlich größere Sicherheit und damit
einen wesentlichen Gebrauchsvorteil. Denn nach dem gegenwärtigen Stand der Sicherheitstechnik erlaubt nur dieses System eine
- annähernde - Angleichung an den Sicherheitsstandard, der für nicht behinderte Menschen im Straßenverkehr zwingend vorgeschrieben
ist. Danach müssen die Sitze ua von Personenkraftwagen und Kraftomnibussen mindestens mit Dreipunkt-Sicherheitsgurten ausgestattet
sein (§ 35a Abs 3 Straßenverkehrs-ZulassungsOrdnung [StVZO] iVm Anhang 1 der Richtlinie 76/115/EWG des Rates vom 18.12.1975
idF der Richtlinie 96/38/EG der Kommission vom 17.6.1996 [EWGRL], ABl EWG vom 26.7.1996, L 187, 95) und über Sitzverankerungen
verfügen, die einem definierten Belastungstest ohne Defekt standhalten können (§ 35a Abs 2 StVZO iVm Ziffer 3.2.5 des Anhangs II der Richtlinie 74/408/EWG des Rates vom 22.7.1974 idF der Richtlinie 96/37/EG der Kommission
vom 17.6.1996, ABl EWG vom 25.7.1996 L 186, 28). Ein vergleichbares Maß an Sicherheit im Straßenverkehr bieten die herkömmlichen
Befestigungen von Rollstühlen in Verbindung mit einem nur einfachen Beckengurtsystem nicht, wie das LSG - wiederum unwidersprochen
- aus den Stellungnahmen der BASt geschlossen hat.
c) Dass die DIN-Norm 75078-2 nicht unmittelbar verbindlich ist, steht dem nicht entgegen. Zu Unrecht nimmt die Beklagte an,
dass sie nur für Sicherheitsstandards aufzukommen hat, die gesetzlich ausdrücklich vorgeschrieben sind. Dabei kann offenbleiben,
welche Anforderungen bei der Beförderung im Rollstuhl sitzender Personen straßenverkehrsrechtlich gelten. Selbst wenn die
durch § 35a StVZO in Bezug genommenen EWGRL 76/115 und 74/408 keine speziellen Vorgaben für den Transport im Rollstuhl treffen, bedeutet dies
nicht, dass insoweit keine Obhutspflichten bestünden. Vielmehr gilt auch hier der Grundsatz, dass der Umfang der Verkehrssicherungspflicht
ungeachtet gesetzlicher Vorgaben jedenfalls nach dem Maß bestimmt wird, das ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen
Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren, und die ihm den Umständen
nach zuzumuten sind (stRspr des BGH, vgl BGH NJW 1984, 801, 802; BGH NJW 1987, 372, 373; BGH NJW 2001, 2019, 2020; BGH NJW-RR 2002, 525, 526; BGH NJW-RR 2003, 1459, 1460; BGH NJW 2007, 1683, 1684 RdNr 14 f, jeweils mwN). Dass die Anforderungen der DIN-Norm 75078-2 darüber hinausreichen und Sicherheitsstandards
begründen würden, die bei umsichtiger, mit den Ergebnissen der Studien zu den Gefahren des Fahrzeugtransports in Rollstühlen
vertrauter Betrachtung unangemessen vorsichtig erscheinen, kann nach den Feststellung des LSG zu den Sicherheitsrisiken der
herkömmlichen Befestigung von Rollstühlen in Fahrzeugen nicht angenommen werden.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.