Funktionstauglichkeit, therapeutischer Nutzen und Qualität neuartiger Hilfsmittel in der Krankenversicherung
Gründe:
I
Streitig ist die Versorgung des Klägers mit einer Oberschenkelprothese mit elektronisch gesteuertem Kniegelenksystem (C-Leg)
der Firma B. auf Kosten der beklagten Krankenkasse.
Der 1966 geborene Kläger - gelernter Orthopädiemeister und Bandagist - ist bei der Beklagten krankenversichert. Seit einem
1984 erlittenen Verkehrsunfall ist er linksseitig oberschenkelamputiert und auf die Benutzung einer Prothese angewiesen. Von
der Beklagten wurde er zunächst mit einer Oberschenkelprothese mit mechanisch-hydraulischem Kniegelenk versorgt; noch im März
2003 bewilligte die Beklagte dem Kläger eine Neuanfertigung dieses Typs (Kosten: 10.927,11 EUR), weil die alte Prothese unbrauchbar
geworden war.
Im Februar 1998 beantragte der Kläger mit ärztlicher Verordnung von Dr. F. die Versorgung mit einer Oberschenkelprothese
mit elektronisch gesteuertem C-Leg, deren Kosten ausweislich eines beigefügten Kostenvoranschlages 44.453,13 DM (= 22.728,52
EUR) betragen sollten. Nach Einholung eines Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) lehnte die
Beklagte diesen Antrag mit Bescheid vom 4. März 1998 ab, weil eine herkömmliche Versorgung ausreichend sei und es sich bei
dem C-Leg-System um eine unwirtschaftliche Versorgung handele. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte nach
erneuter Anhörung des MDK mit Widerspruchsbescheid vom 21. August 1998 zurück. Im September 2002 hat sich der Kläger eine
C-Leg-Prothese nebst Zubehör zum Gesamtpreis von 27.918,14 EUR selbst beschafft.
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, dem Kläger die Kosten der C-Leg-Prothese nebst
Zubehör in Höhe von 27.918,14 EUR zu erstatten, das Landessozialgericht (LSG) die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten
zurückgewiesen (Gerichtsbescheid des SG vom 12. Dezember 2002, Urteil des LSG vom 6. November 2003). Der Kläger besitze einen Erstattungsanspruch in der geltend
gemachten Höhe, weil die Beklagte die Versorgung mit dem begehrten Hilfsmittel zu Unrecht abgelehnt habe. Die C-Leg-Prothese
sei notwendig, um die Behinderung des Klägers infolge der Oberschenkelamputation auszugleichen, denn sie erfülle ein Grundbedürfnis,
weil der Einsatz der Beine zum Gehen, Laufen und Stehen jederzeit und überall erforderlich sei. Das C-Leg-System diene auch
nicht in erster Linie der Bequemlichkeit und dem Komfort bei der Nutzung des Hilfsmittels; mit seinem Einsatz seien vielmehr
Gebrauchsvorteile verbunden, die allgemein die Grundbedürfnisse eines Menschen beträfen. Diese Vorteile würden sich gerade
im Alltagsleben des Klägers positiv auswirken und nicht nur Randbereiche davon betreffen - unabhängig davon, dass er hiervon
auch bei seiner Berufsausübung profitiere. Zudem sei der Kläger auf Grund seiner körperlichen und intellektuellen Fähigkeiten
geeignet, die Gebrauchsvorteile des C-Leg-Systems optimal zu nutzen. Schließlich verstoße die Versorgung mit einer C-Leg-Prothese
trotz der erheblichen Mehrkosten gegenüber einem herkömmlichen Modell auch nicht gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot, da in
Fällen der vorliegenden Art grundsätzlich keine Kosten-Nutzen-Erwägung anzustellen sei und die Mehrkosten allenfalls dann
beachtlich sein könnten, wenn die zusätzlichen Gebrauchsvorteile im Alltagsleben des Versicherten im Vergleich zu seinem bisher
als ausreichend angesehenen Versorgungsstandard als unverhältnismäßig hoch einzuschätzen wären; dies sei hier jedoch nicht
der Fall.
Mit der Revision rügt die Beklagte, dass sich aus den vom SG eingeholten Sachverständigengutachten keine medizinische Notwendigkeit für eine Versorgung des Klägers mit einer C-Leg-Prothese
ergebe. Die angeblichen Gebrauchsvorteile des C-Leg-Systems im Alltagsleben seien hypothetisch und wissenschaftlich nicht
belegt. Seinen Beruf verrichte der Kläger ohne spezifische Anforderungen an die Beine. Da die Kinder des Klägers im Wesentlichen
durch seine Ehefrau betreut würden, sei ein Gebrauchsvorteil im Familienalltag allenfalls nach Feierabend, an den Wochenenden
und im Urlaub anzunehmen. Von einer wesentlichen Verbesserung des Bewegungsablaufs könne ebenfalls nicht ausgegangen werden.
Deshalb sei vorliegend eine Kosten-Nutzen-Abwägung anzustellen, die zu dem Ergebnis führe, dass die geringen Vorteile der
C-Leg-Prothese die erheblichen Mehrkosten nicht rechtfertigen könnten. Ergänzend bezieht sich die Beklagte auf die Ergebnisse
eines Gutachtens vom 18. Juni 2004 zur Bewertung des C-Leg-Kniegelenksystems der Firma B. , welches von einer gemeinsamen
Arbeitsgruppe des MDK und des Medizinischen Dienstes der Spitzenverbände (MDS) erarbeitet worden ist.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 6. November 2003 und den Gerichtsbescheid des SG Aachen vom 12. Dezember 2002 aufzuheben
und die Klage abzuweisen.
Der Kläger ist im Termin zur mündlichen Verhandlung persönlich erschienen, aber nicht durch einen vor dem Bundessozialgericht
(BSG) zugelassenen Prozessbevollmächtigten vertreten gewesen.
II
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Das LSG hat wie die Vorinstanz zu Recht entschieden, dass der Kläger einen
Anspruch auf Versorgung mit einer mikroprozessorgesteuerten Oberschenkelprothese besaß, die Beklagte demnach die Kosten der
von ihm selbstbeschafften C-Leg-Prothese nebst Zubehör in Höhe von 27.918,14 EUR zu erstatten hat.
Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch ist §
13 Abs
3 Satz 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (
SGB V) idF des Art 5 Nr 7 iVm Art 67 des Gesetzes vom 19. Juni 2001 (BGBl I S 1046). Dort heißt es: "Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht
rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte
Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig
war". Eine entsprechende Erstattungsregelung enthält nunmehr auch §
15 Abs
1 Sätze 3 und 4 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB IX), auf die §
13 Abs
3 Satz 2
SGB V für den Fall der medizinischen Rehabilitation ausdrücklich verweist. Die Voraussetzungen beider Anspruchsgrundlagen sind
vorliegend erfüllt, denn die beklagte Krankenkasse hat die ihr obliegende Sachleistung "C-Leg-Prothese" zu Unrecht abgelehnt.
Versicherte haben nach §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V idF des Art 5 Nr 9 iVm Art 67 des Gesetzes vom 19. Juni 2001 (BGBl I S 1046) Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen
und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden
Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände
des täglichen Lebens anzusehen oder nach §
34 Abs
4 SGB V ausgeschlossen sind. Wie in allen anderen Bereichen der Leistungsgewährung der gesetzlichen Krankenversicherung auch, müssen
die Leistungen nach §
33 SGB V ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die
nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken
und die Krankenkasse nicht bewilligen (§
12 Abs
1 SGB V).
Die Beklagte zieht nicht in Zweifel, dass der Kläger wegen seiner Oberschenkelamputation einen Anspruch nach §
33 SGB V auf Ausstattung mit einer Beinprothese hat, weil dies zum Ausgleich der Behinderung erforderlich ist. Sie hat ihn seit dem
Verkehrsunfall im Jahre 1984 fortlaufend mit Prothesen und zuletzt noch im März 2003 mit einer neuen Oberschenkelprothese
mit mechanisch-hydraulischem Kniegelenk versorgt (Kosten: 10.927,11 EUR), weil die alte Prothese unbrauchbar geworden war.
Mit dieser Neuversorgung ist aber dem Anspruch des Klägers auf den erforderlichen und nach dem Stand der Medizintechnik möglichen
Behinderungsausgleich (§
2 Abs
1 Satz 3
SGB V) nicht Rechnung getragen worden. Solange ein Ausgleich der Behinderung im Sinne des Gleichziehens mit einem gesunden Menschen
nicht vollständig erreicht ist, kann die Versorgung mit einem fortschrittlichen Hilfsmittel nicht mit der Begründung abgelehnt
werden, der bisher erreichte Versorgungsstandard sei ausreichend (vgl auch das zur Veröffentlichung in SozR vorgesehene Urteil
des Senats vom 16. September 2004 - B 3 KR 20/04 R -).
Das LSG hat in Übereinstimmung mit dem SG festgestellt, dass die C-Leg-Prothese des Herstellers B. wegen der Steuerung durch Mikroprozessortechnik deutliche Gebrauchsvorteile
gegenüber den bisher üblichen, allein mechanisch gesteuerten Prothesen aufweist. Die Tatsacheninstanzen haben sich dabei auf
zwei vom SG eingeholte orthopädische Fachgutachten gestützt, die C-Leg-Prothesen als richtungsweisend für die Zukunft einschätzen und
deren Vorteile vor allem in der Ermöglichung eines fast natürlichen und weniger kräftezehrenden Gangbildes sowie in einer
erheblichen Reduzierung der Sturzgefahr sehen. Die Sachverständigen haben dabei in den Akten der Beklagten befindliche Stellungnahmen
des MDK sowie vom SG zum Gesundheitszustand des Klägers eingeholte Krankenberichte zu Grunde gelegt und zudem Firmenprospekte der Firma B.
sowie eine wissenschaftliche Abhandlung der - aus der österreichischen Niederlassung des Herstellers stammenden - Autoren
Dietl, Kaitan, Pawlik und Ferrara zum C-Leg-System (Orthopädietechnik 3/98, S 197 ff) ausgewertet.
Soweit die Beklagte dagegen einwendet, die allgemeinen Gebrauchsvorteile der C-Leg-Prothese gegenüber einer herkömmlichen
Prothese seien nur hypothetisch und nicht belegt, wendet sie sich gegen die Beweiswürdigung des LSG (§
128 Sozialgerichtsgesetz >SGG<). Die Beweiswürdigung der Tatsachengerichte kann aber im Revisionsverfahren nur mit der Darlegung von Rechtsverletzungen
angegriffen werden (§
162 SGG), nämlich in der Weise, dass die Tatsacheninstanz die Grenzen einer vertretbaren Beweiswürdigung überschritten habe, indem
sie etwa gegen allgemeine Beweisgrundsätze oder Denkgesetze verstoßen oder einen unzutreffenden Beweismaßstab zu Grunde gelegt
habe (vgl dazu Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 3. Aufl 2002, IX RdNr 333 f mwN). Die Revision
macht solches nicht ausdrücklich geltend. Lediglich im Zusammenhang lässt sich ihren Ausführungen entnehmen, dass sie mit
der Beanstandung der tatrichterlichen Beweiswürdigung auch die Verwendung eines ungeeigneten Beweismittels und die Verkennung
der Beweisanforderungen geltend machen will, nämlich des Nachweises der Gebrauchsvorteile der C-Leg-Prothese allein durch
einzelne Sachverständigengutachten und nicht anhand der Evidenz auf Grund aussagekräftiger klinischer Studien.
Ein solcher Beweismaßstab gilt in der gesetzlichen Krankenversicherung allerdings bei der Beurteilung der Wirksamkeit von
Untersuchungs- und Behandlungsmethoden sowie von Arzneimitteln. Nach §
135 Abs
1 SGB V (in der ab 1. Januar 2004 durch das Gesundheitsmodernisierungsgesetz - GMG - vom 14. November 2003 - BGBl I 2190 - gültigen
Fassung) dürfen neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen
nur erbracht werden, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss in Richtlinien Empfehlungen abgegeben hat über die Anerkennung des
diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit
nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der jeweiligen Therapierichtung. Die Überprüfung des Nutzens
einer Methode erfolgt dabei insbesondere auf der Basis von Studien zum Nachweis der Wirksamkeit möglichst der Evidenzklasse
1 (§
7 Abs
7 der Richtlinie zur Bewertung ärztlicher Untersuchungs- und Behandlungsmethoden gemäß §
135 Abs
1 SGB V >BUB-Richtlinie< idF der Bekanntmachung vom 1. Dezember 2003 - BAnz 2004 Nr 57 S 5678). Arzneimittel dürfen nur abgegeben
werden, wenn sie zugelassen sind (§ 21 Arzneimittelgesetz >AMG<). Die Zulassung setzt nach § 22 AMG voraus, dass die Ergebnisse klinischer Studien vorgelegt werden oder zumindest auf das Ergebnis bekannter klinischer Studien
Bezug genommen wird.
Für das In-Verkehr-Bringen von Hilfsmitteln bestehen derartige Zulassungsvoraussetzungen indes nicht. Die meisten Hilfsmittel
sind allerdings Medizinprodukte im Sinne des Medizinproduktegesetzes (MPG) und dürfen deshalb nur in den Verkehr gebracht und in Betrieb genommen werden, wenn sie mit einer CE-Kennzeichnung versehen
sind. Voraussetzung für diese Kennzeichnung ist, dass die grundlegenden Anforderungen nach § 7 MPG erfüllt sind und ein für das jeweilige Hilfsmittel vorgeschriebenes Konformitätsbewertungsverfahren durchgeführt worden ist.
Diese Voraussetzungen sind bei dem hier streitigen Hilfsmittel erfüllt (vgl das zur Veröffentlichung in SozR vorgesehene Urteil
des Senats vom 16. September 2004 - B 3 KR 20/04 R -). Damit ist davon auszugehen, dass das Hilfsmittel grundsätzlich geeignet ist, den medizinischen Zweck zu erfüllen, den
es nach den Angaben des Herstellers besitzen soll, und dass es die erforderliche Qualität besitzt, die erforderlich ist, um
die Sicherheit seines Benutzers zu gewährleisten (vgl § 1 MPG). Diese Voraussetzung für die Hilfsmittelversorgung ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus §
33 SGB V; sie folgt aber aus den Anforderungen, die das Gesetz in §
139 Abs
2 SGB V für die Aufnahme eines Hilfsmittels in das Hilfsmittelverzeichnis stellt, wobei diese Aufnahme selbst für den Anspruch des
Versicherten nicht maßgebend ist. Mit der CE-Kennzeichnung ist das Hilfsmittel im Sinne der Produktsicherheit und Zwecktauglichkeit
auch im krankenversicherungsrechtlichen Sinne funktionstauglich, ohne dass dies von den Krankenkassen oder Gerichten noch
eigenständig zu prüfen wäre; der CE-Kennzeichnung kommt insoweit eine Tatbestandswirkung zu (so auch Zuck, NZS 2003, 417, 418, der zutreffend darauf hinweist, dass trotz der unterschiedlichen Terminologie von MPG und
SGB V inhaltlich teilweise Deckungsgleichheit besteht; zur Tatbestandswirkung berufsrechtlicher Entscheidungen bei der Zulassung
von Leistungserbringern vgl BSG SozR 3-2500 § 126 Nr 1).
Auch das Verfahrenshandbuch der Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Krankenkassen und Pflegekassen, herausgegeben
vom IKK-Bundesverband 2003, geht davon aus, dass in einem Verfahren zur Aufnahme eines Medizinproduktes in das Hilfsmittelverzeichnis
nach §
139 Abs
2 SGB V die Funktionstauglichkeit und Qualität gegenüber den Krankenkassen nicht mehr nachgewiesen werden müssen, wenn die erforderlichen
Prüfungen zur CE-Zertifizierung durchgeführt worden sind und die entsprechenden Prüfberichte sowie technischen Dokumentationen
vorgelegt werden (aaO S 65).
Soweit §
139 Abs
2 SGB V für Hilfsmittel darüber hinaus den Nachweis eines therapeutischen Nutzens verlangt, bedeutet dies nicht, dass für Hilfsmittel
jeglicher Art auch die Ergebnisse klinischer Prüfungen vorgelegt werden müssen. Das hängt vielmehr in erster Linie davon ab,
ob es sich um ein Hilfsmittel handelt, welches diagnostischen oder therapeutischen Zwecken im engeren Sinne dient, oder ob
es sich um ein Hilfsmittel zum bloßen Behinderungsausgleich handelt (vgl dazu Zuck, aaO S 419, der allerdings nicht so differenziert,
sondern auf die Zumutbarkeit der Beibringung von Studienergebnissen abstellt). Im letzteren Fall ist der Nachweis eines therapeutischen
Nutzens, der über die Funktionstauglichkeit zum Ausgleich der Behinderung hinausgeht, schon von der Zielrichtung des Hilfsmittels
nicht geboten und in der Regel auch nicht möglich (so ebenfalls zutreffend das Verfahrenshandbuch der Arbeitsgemeinschaft
der Spitzenverbände, S 64). Der erkennende Senat hat in einem Verfahren, das die Aufnahme eines medizinischen Geräts in das
Hilfsmittelverzeichnis betraf, nur aus dem Grunde den Nachweis des therapeutischen Nutzens nach dem Maßstab der Richtlinien
des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen für die Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden verlangt,
weil der Hersteller geltend gemacht hatte, die der Anwendung des Gerätes zu Grunde liegende Methode sei für die Behandlung
bestimmter Erkrankungen wirksam und müsse auf Grund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse entgegen einer früheren Bewertung
vom Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen nunmehr anerkannt werden (Urteil vom 31. August 2000 - B 3 KR 21/99 R -, BSGE 87, 105 = SozR 3-2500 § 139 Nr 1). Auch nach dem MPG sind klinische Prüfungen zum Nachweis der vom Hersteller vorgegebenen Leistungen, der Sicherheit und der Unbedenklichkeit
nur vorgeschrieben, sofern es sich um implantierbare Medizinprodukte oder um solche der Klasse III handelt (vgl §§ 19 ff MPG; dazu Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 5. Aufl 2003, S 762). Die hier streitigen Prothesen fallen nicht darunter, weil sie
allein dem Behinderungsausgleich dienen und mit ihrer Benutzung keine unbekannten gesundheitlichen Gefahren verbunden sind.
Eine therapeutische Wirkung im engeren Sinne wird nicht erwartet. Zum Nachweis der vom Hersteller der neuartigen mikroprozessorgesteuerten
Prothese im Vergleich zu den herkömmlichen, mechanisch gesteuerten Prothesen beigemessenen Vorzüge der erhöhten Standsicherheit,
der Verbesserung des Gangbildes durch einen nahezu physiologischen Bewegungsablauf sowie der Verbesserung des Gehens auf Treppen
und unebenem Gelände durfte sich das LSG auf die im erstinstanzlichen Verfahren gehörten Gutachter, ihr ärztliches Erfahrungswissen
und die von ihnen ausgewertete Fachliteratur stützten. Weiter gehender klinischer Prüfungen bedurfte es dazu entgegen der
Auffassung der Revision nicht.
Soweit die Revision geltend macht, es fehle an hinreichenden Erkenntnissen hinsichtlich der Nachhaltigkeit der Versorgung
mit dieser Art von Prothesen und damit an dem von §
139 Abs
2 SGB V ebenfalls geforderten Nachweis der Qualität, sind ihre Einwendungen ebenfalls unbegründet. Sie hat diese Einwendungen nicht
näher substantiiert. Da die hier streitige C-Leg-Versorgung sich von der bisher üblichen prothetischen Versorgung im Wesentlichen
durch die elektronische Steuerung unterscheidet, könnten sich Bedenken hinsichtlich der nachhaltigen Funktionstauglichkeit
nur auf ein Versagen dieser neuartigen Technik stützen. Die Beklagte macht aber weder geltend, dass diese Technik noch nicht
ausgereift sei, noch dass sie in der praktischen Anwendung Probleme aufwerfe. Bei einer inzwischen nahezu zehnjährigen Erfahrung
in der Versorgung von Beinamputierten mit dieser Art von Prothesen, insbesondere durch die Unfallversicherungsträger, hätten
derartige, die Wirtschaftlichkeit der Versorgung in Frage stellende Probleme bereits aufgetreten sein müssen. Da aus der Sicht
des LSG dafür keine Anhaltspunkte bestanden und auch von der Beklagten nicht im Rahmen einer Sachaufklärungsrüge (§
103 SGG) aufgezeigt worden sind, ist davon auszugehen, dass Qualität und Haltbarkeit der Prothesen nicht zu beanstanden sind. Der
Kläger weist im Übrigen zutreffend darauf hin, dass den Bedenken hinsichtlich der Haltbarkeit des C-Leg-Gelenks, die sich
aus bislang noch unzureichendem Erfahrungswissen ergeben könnten, dadurch Rechnung getragen wird, dass der Hersteller bei
regelmäßiger Wartung der Prothese eine fünfjährige Garantiezeit einräumt. Dadurch wird das Kostenrisiko einer etwaigen verkürzten
Haltbarkeit im Vergleich zu einer herkömmlichen Prothesenversorgung weitgehend vom Hersteller übernommen.
Auch die übrigen Angriffe der Revision gegen die Beweiswürdigung des LSG schlagen nicht durch.
Das von der Beklagten im Revisionsverfahren mit Schriftsatz vom 15. Juli 2004 eingereichte Gutachten des MDS zum "Kniegelenksystem
des Herstellers B. bei Oberschenkelamputation" kann nicht im Revisionsverfahren berücksichtigt werden, weil es vom 18. Juni
2004 datiert und erst nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist (§
164 Abs
2 Satz 1
SGG) eingereicht worden ist; neues Tatsachenvorbringen ist in der Revisionsinstanz ohnehin in der Regel nicht zulässig (§
163 SGG). Im Übrigen führt aber die Beklagte auch nach wie vor nicht aus, mit welchen Ausführungen dieses Gutachten die Feststellungen
der Tatsacheninstanzen zur allgemeinen Funktionstauglichkeit der C-Leg-Versorgung in Frage stellt. Soweit das Gutachten in
der zusammenfassenden Bewertung nach Durchsicht der vorhandenen Literatur Studien der höchsten Evidenz vermisst, kann auf
die obigen Ausführungen zur Entbehrlichkeit derartiger Studien verwiesen werden.
Zu Unrecht wendet die Revision des Weiteren ein, der Kläger könne die allgemeinen Gebrauchsvorteile des C-Leg-Systems nur
in eingeschränktem Maße nutzen, sodass die mit dieser Art der Versorgung verbundenen erheblichen Mehrkosten unverhältnismäßig
seien. Das LSG hat festgestellt, dass der Kläger von seinen körperlichen und geistigen Voraussetzungen her in der Lage ist,
die Gebrauchsvorteile dieser Prothese voll zu nutzen. Er nutzt sie auch tatsächlich in seinem Alltag in erheblichem Maße im
Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit und in seiner Freizeit. Bei der intensiven Nutzung der Prothese profitiert er zum einen
in besonderem Maße von der Standphasensicherung, durch die die Sturzgefahr deutlich gemindert wird; zum anderen kann durch
die Verbesserung der Schwungphaseneinleitung und die Steuerung der Schwungphase ein symmetrisches Gangbild erreicht werden,
wodurch ein sicheres Gehen bei alternierendem Treppengang und auf abschüssigem oder unebenem Gelände ermöglicht wird. Dies
sind Gebrauchsvorteile, die sich "im Alltag" auswirken, nämlich bei allen Aktivitäten, die ein Gehen, Laufen oder Stehen erfordern.
Soweit die Revision demgegenüber die Auffassung vertritt, der Kläger übe eine normale Tätigkeit ohne spezifische Anforderungen
an die Funktion der Beine aus, werde bei der Erziehung und Betreuung seiner Kinder wesentlich von der Ehefrau entlastet und
wohne nicht auf unebenem Gelände, stellt sie ihre eigene Sichtweise lediglich gegen diejenige der Tatsacheninstanzen, lässt
aber keine Rechtsfehler erkennen, wie etwa einen Verstoß gegen allgemeine Denkgesetze oder Erfahrungssätze. Allerdings ist
die Annahme, durch das physiologische Gangbild werde auf Dauer auch einer Schädigung der Gelenke und der Wirbelsäule besser
vorgebeugt als mit einer herkömmlichen Prothese, zunächst nur plausibel, nicht aber als belegt anzusehen; dafür bedürfte es
in der Tat längerer Erfahrungen in der Praxis, möglicherweise auch klinischer Studien. Diese Annahme wäre deshalb allein noch
kein ausreichender Grund, die Versorgung mit einer C-Leg-Prothese an Stelle einer herkömmlichen Prothese zu rechtfertigen.
Weil es darauf aber nicht entscheidend ankommt, kann offen bleiben, ob dieselbe Schonung des Skelettsystems auch durch den
Einbau von Dämpfungselementen in herkömmliche Prothesen zu erreichen wäre, wie die Beklagte geltend macht. Denn die verfahrensfehlerfrei
festgestellten anderen Gebrauchsvorteile des C-Leg-Systems reichen bereits aus, um den Anspruch des Klägers zu begründen.
Auf Grund der festgestellten Tatsachen ist die Einschätzung des LSG, dass die mit der C-Leg-Versorgung für den Kläger verbundenen
Vorteile gegenüber der bisherigen Versorgung erheblich sind, revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden. Der erkennende Senat
hat in seiner Entscheidung vom 6. Juni 2002 (- B 3 KR 68/01 R -, SozR 3-2500 § 33 Nr 44), in der die von der Tatsacheninstanz festgestellten allgemeinen Gebrauchsvorteile nicht angegriffen
und deshalb für den Senat bindend festgestellt waren, ausgeführt, dass die Gebrauchsvorteile dann wesentlich sind, wenn sie
sich allgemein im Alltagsleben auswirken und sich nicht auf einen bloß besseren Komfort im Gebrauch oder eine bessere Optik
beschränken. In dem damals entschiedenen Fall wurde der wesentliche Gebrauchsvorteil darin gesehen, dass die betroffene Versicherte
bei der Beaufsichtigung ihrer kleinen Kinder von der Verringerung der Sturzgefahr besonders profitierte. Dass dies nicht nur
ein Lebensbereich am Rande, sondern ein solcher von zentraler Bedeutung ist, hat der Senat auch unter Hinweis auf die besondere
Erwähnung der Belange behinderter Mütter und Väter bei der Erfüllung ihres Erziehungsauftrages in §
9 Abs
1 SGB IX betont. Diesen Ausführungen kann aber keineswegs entnommen werden, dass nur behinderte Mütter oder Väter zur Erfüllung ihres
Erziehungsauftrags Anspruch auf eine C-Leg-Versorgung haben, oder dass es zumindest ein Lebensbereich sein müsse, der in ähnlicher
Weise vom Gesetz besonders hervorgehoben werde. Dies hat das LSG zutreffend erkannt und schon die Gebrauchsvorteile im normalen
Alltag des Klägers als erheblich gewertet. Die abweichende Einschätzung der Revision, die Gebrauchsvorteile des C-Leg seien
vorliegend nicht so erheblich, weil sie sich im Wesentlichen auf den Freizeitbereich beschränkten und ein konventionelles
Kniegelenk selbst für Sportarten wie Volleyball mit kurzen schnellen Bewegungen geeignet sei, beruht allein auf einer abweichenden
Tatsachenwürdigung, die Rechtsfehler des LSG aber nicht erkennen lässt und deshalb revisionsrechtlich nicht beachtlich ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.