Versorgung mit Arzneimitteln in der gesetzlichen Krankenversicherung; Rabatte der pharmazeutischen Unternehmer; Patentfreiheit
im Sinne von § 130a Abs. 3b S. 1 SGB V
Gründe:
I
Zwischen der klagenden pharmazeutischen Unternehmerin und dem beklagten Spitzenverband Bund der Krankenkassen ist umstritten,
ob die unter dem Handelsnamen Plavix angebotenen Arzneimittel (Plavix 75 mg Filmtabletten und Plavix 300 mg Filmtabletten),
die die chemische Verbindung (Wirksubstanz) Clopidogrel als Hydrogensulfat enthalten, in ihren jeweiligen Handelsformen der
Generikaabschlagspflicht nach §
130a Abs
3b SGB V unterliegen.
Plavix ist seit dem 15.7.1998 zur Prävention atherothrombotischer Ereignisse bei erwachsenen Patienten mit Herzinfarkt oder
Schlaganfall bzw mit akutem Koronarsyndrom zugelassen. Clopidogrel ist ein Plättchenaggregationshemmer, der dazu beiträgt,
die Bildung von Blutgerinnseln zu verhindern. Dadurch wird die Gefahr eines weiteren Herzinfarkts oder Schlaganfalls verringert.
Inhaber der arzneimittelrechtlichen Zulassung ist die Firma Sanofi Pharma Bristol-Meyers Squibb SNC in Frankreich. Die zum
Konzern Sanofi-Aventis gehörende klagende Gesellschaft besitzt die Vertriebsrechte für Deutschland als "pharmazeutischer Unternehmer"
iS des § 4 Abs 18 Arzneimittelgesetz (AMG). Sie bringt Plavix eigenverantwortlich und auf eigene Rechnung in den Verkehr und führt auch den Herstellerabschlag nach
§
130a Abs
1 SGB V ab.
Aufgrund der Patentanmeldung vom 16.2.1988 erhielt Sanofi-Aventis vom Europäischen Patentamt am 26.4.1995 das Europäische
Patent EP 0 281 459 (vgl Patentblatt vom 30.11.1995). Vom Deutschen Patentamt ist das Patent unter DE 38 53 643.9 veröffentlicht
worden. Das Grundpatent lautet: "Rechtsdrehendes Enantiomer von alpha-(4,5,6,7-Tetrahydrothieno(3,2-cpyrid-5-yl)-(2-chlorphenyl)methylacetat,
Verfahren zu seiner Herstellung und dieses enthaltende pharmazeutische Zubereitungen". Das Erzeugnis wird bezeichnet als "Clopidogrel-Hydrogensulfat".
Das Patent betrifft vier Patentansprüche: 1. Hydrogensulfat des rechtsdrehenden Isomeren des alpha-(4,5,6,7-Tetrahydrothieno(3,2-c)pyrid-5-yl)-(2-chlor-phenyl)-essigsäuremethylesters.
2. Verfahren zur Herstellung der Verbindung nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass man den racemischen alpha-(4,5,6,7-Tetrahydro-thieno(3,2-c)pyrid-5-yl)-(2-chlor-phenyl)-essigsäuremethylester
mit linksdrehender 10-Camphersulfonsäure in Aceton in das Salz überführt, aufeinanderfolgende Umkristallisationen des Salzes
in Aceton bewirkt, bis man ein Produkt mit konstantem Drehwert erhält und dann das rechtsdrehende Isomere mit einer Base aus
seinem Salz freisetzt und sein Salz mit Schwefelsäure bildet. 3. Pharmazeutische Zubereitung, dadurch gekennzeichnet, dass
sie als Wirkstoff eine Verbindung nach Anspruch 1 enthält. 4. Zubereitung nach Anspruch 3, dadurch gekennzeichnet, dass jede
Einheitsdosis 0,001 bis 0,100 g des Wirkstoffs enthält.
Mit Ablauf der maximalen Patentlaufzeit von 20 Jahren (16.2.2008) erhielt Sanofi-Aventis vom Deutschen Patent- und Markenamt
(DE 198 75 053.6) ein in der Schutzwirkung inhaltsgleiches ergänzendes Schutzzertifikat nach § 16a Patentgesetz (PatG), das bis zum 16.8.2013 galt. Rechtsgrundlage für ergänzende Schutzzertifikate nach § 16a PatG ist die Verordnung (EG) Nr 1768/92.
Nachdem das Europäische Patent abgelaufen war, brachten konkurrierende Pharmaunternehmen ab Juli 2009 weitere Clopidogrel-Präparate
auf den Markt, ua "Clopidogrel ratiopharm GmbH 75 mg Filmtabletten" und "Clopidogrel-CT 75 mg Filmtabletten", bei denen Clopidogrel
aber nicht, wie bei Plavix, als Hydrogensulfat, sondern als Besilat aufbereitet wird. Hydrogensulfat und Besilat sind Salze,
die bei der Einnahme der Tabletten aufgelöst werden und Clopidogrel freisetzen. Wegen des auf Clopidogrel-Hydrogensulfat und
nicht allgemein auf Clopidogrel lautenden Grundpatents wurde der Vertrieb der Clopidogrel-Besilat enthaltenden Arzneimittel
als dem ergänzenden Schutzzertifikat nicht widersprechend angesehen. Die Zulassung der Clopidogrel-Besilat enthaltenden Arzneimittel
erfolgte nach § 24b Abs 2 AMG durch Bezugnahme auf das Referenzarzneimittel Plavix.
Der Beklagte sieht Plavix und die Clopidogrel-Besilat enthaltenden Präparate als patentfreie, wirkstoffgleiche Arzneimittel
an; dies ergibt sich auch aus dem von ihm im Jahre 2008 erstellten "Leitfaden zur Definition des Generikaabschlages nach §
130a Abs
3b SGB V". Die Klägerin meint dagegen, das ergänzende Schutzzertifikat stehe der Anwendung des §
130a Abs
3b SGB V entgegen, weil Plavix in diesem Sinn nicht patentfrei sei; denn die Vorschrift setzte das Fehlen jeglichen Patentschutzes
voraus (so auch Sandrock/Stallberg, PharmR 2007, 498). Im Übrigen sei der Wirkstoff "Clopidogrel-Hydrogensulfat" geschützt;
ein anderes Arzneimittel mit genau diesem Wirkstoff gebe es am Markt nicht. Daran ändere die Zulassung für andere Arzneimittel
auf der Basis von Clopidogrel nichts.
Das SG hat antragsgemäß "festgestellt, dass die Arzneimittel Plavix 75 mg Filmtabletten und Plavix 300 mg Filmtabletten in ihren
jeweiligen Handelsformen nicht der Generikaabschlagspflicht nach §
130a Abs
3b Satz 1
SGB V unterfallen, solange das ergänzende Schutzzertifikat DE 198 75 053.6 wirksam ist" (Urteil vom 21.11.2012): Der Begriff "patentfrei"
sei weit auszulegen und dürfe nicht auf Wirkstoffpatente beschränkt werden. Dies sei auch verfassungsrechtlich geboten, weil
die Generikaabschlagspflicht einen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit der pharmazeutischen Unternehmer darstelle (Art
12 GG). Die Sprungrevision ist vom SG nachträglich zugelassen worden (Beschluss vom 27.2.2013).
Mit der Revision rügt der Beklagte die Verletzung des §
130a Abs
3b SGB V. Wortlaut, Sinn und Zweck der Regelung sowie die Gesetzesbegründung sprächen für die Auslegung des Tatbestandsmerkmals "patentfrei"
als "wirkstoffpatentfrei". Er sehe auch Clopidogrel und nicht das im Europäischen Patent und im ergänzenden Schutzzertifikat
genannte Erzeugnis "Clopidogrel-Hydrogensulfat" als eigentlichen Wirkstoff an. Da Clopidogrel-Hydrogensulfat und Clopidogrel-Besilat
auf dem gleichen Wirkstoff beruhten, seien die entsprechenden Arzneimittel auch als "wirkstoffgleich" einzustufen.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des SG Berlin vom 21. November 2012 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision der Beklagten hat im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Zurückverweisung des Rechtsmittels
zur erneuten Verhandlung und Entscheidung (§
170 Abs
2 Satz 2 und Abs
4 SGG) Erfolg.
Ob das Arzneimittel Plavix der Regelung über den Generikaabschlag in §
130a Abs
3b SGB V unterfällt, vermag der Senat auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des SG nicht abschließend - positiv oder negativ - zu beurteilen. Die Entscheidung hängt davon ab, ob es sich bei dem als Hydrogensulfat
aufbereiteten Clopidogrel um denselben Wirkstoff handelt wie bei dem als Besilat aufbereiteten Clopidogrel. Wenn nur Clopidogrel
der Wirkstoff im Sinne der maßgeblichen Vorschriften des
SGB V ist und die Aufbereitung als Hydrogensulfat oder als Besilat für den Wirkstoffbegriff (§
130a Abs
3b Satz 1, §
129 Abs
1 Satz 1
SGB V) ohne Bedeutung ist, unterliegt Plavix dem Generikaabschlag nach §
130a Abs
3b Satz 1
SGB V. Für die "Patentfreiheit" im Sinne dieser Vorschrift kommt es entgegen der Auffassung des SG allein auf das Wirkstoffpatent an.
A. Die auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtenden Sachurteilsvoraussetzungen liegen vor.
Die Feststellungsklage nach §
55 Abs
1 Nr
1 SGG ist zulässig. Die Frage, ob Plavix dem Generikaabschlag nach §
130a Abs
3b Satz 1
SGB V unterliegt, betrifft ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis zwischen den Beteiligten. Der Gesetzgeber hat ein besonderes
Verfahren für die praktische Abwicklung des den pharmazeutischen Unternehmern auferlegten Abschlags nach §
130a Abs
1 SGB V (Herstellerabschlag) vorgesehen. Dieses Verfahren gilt über die Verweisung in §
130a Abs
3b Satz 4
SGB V auf Abs
3a Satz 7 bis 10 (idF des Gesetzes zur Änderung krankenversicherungsrechtlicher und anderer Vorschriften vom 24.7.2010, BGBl
I 983, in Kraft ab 30.7.2010; bis dahin § 130a Abs 3a Satz 5 bis 8) auch für die praktische Abwicklung des den generikaerzeugenden
Unternehmern auferlegten Generikaabschlags. Nach §
130a Abs
1 Satz 1
SGB V erhalten die Krankenkassen den Herstellerabschlag von den Apothekern. Die pharmazeutischen Unternehmer müssen den Apothekern
diesen Aufwand ersetzen (§
130a Abs
1 Satz 3
SGB V). In der Praxis wird der Herstellerabschlag über die Apothekenrechenzentren abgewickelt, über die fast alle niedergelassenen
Apotheker abrechnen. Der Apotheker reicht seine taxierten Rezepte bei seinem Apothekenrechenzentrum ein. Auf den Rezepten
ist insbesondere die sog Pharmazentralnummer (PZN) als maschinenlesbares Kennzeichen aufgetragen (vgl §
300 Abs
3 Nr
1 iVm Abs
1 Nr
1 SGB V). Die PZN ist das Kennzeichen, das die Arzneimittelpackungen eindeutig identifiziert. Die Apothekenrechenzentren wandeln
die Rezeptdaten in eine elektronische Form um und übermitteln diese an die Krankenkassen (§
300 Abs
2 Satz 3
SGB V). Die Krankenkassen überweisen sodann innerhalb von 10 Tagen an das Apothekenrechenzentrum die abgerechneten Rezeptbeträge
abzüglich der gesetzlichen Abschläge nach §
130 SGB V (Apothekenrabatt) und §
130a SGB V (Herstellerabschlag und Generikaabschlag). Das Apothekenrechenzentrum fordert Ersatz für die "verauslagten" Abschläge nach
§
130a SGB V für alle von ihm vertretenen Apotheken bei den jeweiligen pharmazeutischen Unternehmern an und leitet die Beträge an die
einzelnen Apotheken weiter. Über diesen Weg erhält sodann die Apotheke den vollen Rezeptbetrag (abzüglich des Apothekenrabattes
nach §
130 SGB V) und der pharmazeutische Unternehmer erbringt auf diese Art und Weise den Herstellerabschlag und ggf den Generikaabschlag.
Eine unmittelbare Leistungsbeziehung zwischen den Krankenkassen und den pharmazeutischen Unternehmern besteht daher bei der
Abwicklung der Abschläge nach §
130a SGB V nicht. Vielmehr erfolgt die Abwicklung in den beiden Leistungsbeziehungen Krankenkasse-Apotheker und Apotheker-pharmazeutischer
Unternehmer. Nachteil dieser gesetzlichen Konstruktion ist, dass es zwischen pharmazeutischen Unternehmen und Krankenkassen
keine direkte Ebene gibt, auf welcher der Streit über das Bestehen einer Abschlagspflicht nach §
130a SGB V ausgetragen werden kann (vgl Schneider in jurisPK-
SGB V, 2. Aufl 2012, §
130a RdNr 27).
Dieses Abrechnungssystem kann nur funktionieren, wenn zu den einzelnen PZNn die richtigen Daten hinterlegt sind. Grundlage
sind die von dem pharmazeutischen Unternehmen an die IFA GmbH übermittelten Stammdaten (vgl §
131 Abs
4 SGB V), die dann letztlich über mehrere Verarbeitungsschritte in der "Lauer-Taxe" ausgewiesen werden. Auch wenn §
131 Abs
4 SGB V mehrfach den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) als bedeutende Organisation in dem Abrechnungswesen erwähnt, werden alle maßgeblichen
Schritte faktisch durch den in §
131 Abs
4 Satz 1
SGB V ebenfalls genannten Beklagten durchgeführt. Die hervorgehobene Funktion des Beklagten in diesem Datenverkehr spiegelt insbesondere
§
130a Abs
3a Satz 10
SGB V wieder, der vorsieht, dass der Beklagte "das Nähere" (zu den Abschlägen und deren Abwicklung) regelt. Der Beklagte übernimmt
daher für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) die Aufgabe, alle relevanten Verfahrensregelungen für den Generikaabschlag
zu treffen und auch über Einstufungsfragen zu entscheiden. Dabei dient der von ihm erstellte "Leitfaden" mit den Teilen A
(Erläuterungen zur Zulassung von Generika), B (Kriterien zur Abschlagspflicht) und C (Verfahrensabsprachen zur Produktkennzeichnung)
ua der Beschreibung von Ausnahmen, unter denen patentfreie und wirkstoffgleiche Arzneimittel nicht der Generikaabschlagspflicht
nach §
130a Abs
3b SGB V unterfallen sollten.
Da der Beklagte bei seiner Tätigkeit entscheidend von den durch die pharmazeutische Industrie übermittelten Daten abhängig
war, hat er diese in der Folgezeit überprüft und zu diesem Zwecke Fehlerkontrollverfahren (vgl Schreiben des Beklagten vom
8.12.2008 und 8.2.2010) durchgeführt. Im Zuge des Verfahrens richtete der Beklagte ein Rundschreiben vom 20.5.2010 an alle
Krankenkassen, dem eine Liste derjenigen pharmazeutischen Unternehmer und Präparate beigefügt war, die aus seiner Sicht nach
wie vor zu Unrecht Schutzkennzeichen in Anspruch nahmen, sich also auf Ausnahmen von der Generikaabschlagspflicht beriefen.
In der Liste war auch das Arzneimittel Plavix aufgeführt. Die Ergebnisse des Fehlerkontrollverfahrens zu Plavix sind Ursache
des vorliegenden Rechtsstreits.
Infolge der Maßnahmen des Beklagten zur Ausgestaltung der zum 1.4.2006 eingeführten Generikaabschlagspflicht, die sich auf
die Preisfestsetzung und die Einkunftsmöglichkeiten der Klägerin auswirken, besteht zwischen ihr und dem Beklagten ein öffentlich-rechtliches
Rechtsverhältnis (§
69 Abs
1 SGB V), das eine dem Feststellungsinteresse unterliegende Rechtsfrage aufwirft, die mit vorliegendem Rechtsstreit abschließend
geklärt werden kann. Daher ist es unerheblich, dass das ergänzende Schutzzertifikat nur bis zum 16.8.2013 wirksam war und
auch nicht mehr verlängert werden konnte. Das Feststellungsinteresse besteht fort, weil im Falle des Erfolgs der Klage alle
bis zum 16.8.2013 durchgeführten Generikaabschläge für Plavix rückabgewickelt werden müssten.
B. Streitgegenstand der Klage ist die Generikaabschlagspflicht von Plavix in der Zeit bis zum 16.8.2013. Die Klägerin hat
in der Klageschrift vom 2.8.2010 ausdrücklich die Feststellung begehrt, dass Plavix nicht der Generikaabschlagspflicht unterliege,
"solange das ergänzende Schutzzertifikat DE 198 75 053 wirksam ist", und in der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 21.11.2012 auch einen entsprechenden Antrag gestellt. Im Revisionsverfahren begehrt die Klägerin die Zurückweisung der
Revision des Beklagten gegen das der Feststellungsklage stattgebende Urteil des SG vom 21.11.2012. Da das ergänzende Schutzzertifikat am 16.8.2013 endgültig abgelaufen ist, beschränkt sich die begehrte Feststellung
auf die Zeit bis zum 16.8.2013.
Nicht zum Streitgegenstand der Klage gehört somit die Generikaabschlagspflicht von Plavix für die Zeit ab 17.8.2013. Obwohl
Plavix seit diesem Zeitpunkt nicht mehr patentrechtlich geschützt ist, würde dieses Arzneimittel aber dennoch nicht der Generikaabschlagspflicht
unterliegen, wenn nicht Clopidogrel selbst, sondern Clopidogrel-Hydrogensulfat einerseits und Clopidogrel-Besilat andererseits
der eigentliche Wirkstoff iS des §
130a Abs
3b Satz 1
SGB V ist, es insoweit also an der "Wirkstoffgleichheit" der Arzneimittel fehlt und derzeit auch kein anderes auf Basis von Clopidogrel-Hydrogensulfat
hergestelltes und vertriebenes Arzneimittel außer Plavix auf dem Markt gibt, wie die Klägerin vorgetragen hat. Ob diese Behauptung
zutrifft, braucht aber nicht geklärt zu werden, weil die begehrte Feststellung auf die Zeit bis zum 16.8.2013 beschränkt ist.
C. Ob die Arzneimittel Plavix 75 mg Filmtabletten und Plavix 300 mg Filmtabletten in ihren jeweiligen Handelsformen bis zum
16.8.2013 der Generikaabschlagspflicht nach §
130a Abs
3b Satz 1
SGB V nicht unterlegen haben, wie die Klägerin meint, bedarf weiterer Ermittlungen. Erst dann kann über die Feststellungsklage
abschließend entschieden werden.
1. Nach §
130a Abs
3b Satz 1
SGB V erhalten die Krankenkassen für patentfreie, wirkstoffgleiche Arzneimittel ab dem 1.4.2006 einen Abschlag von 10 % des Abgabepreises
des pharmazeutischen Unternehmers ohne Mehrwertsteuer (Generikaabschlag). Die Regelung wurde eingeführt durch Art 1 Nr 7b
des Gesetzes zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit der Arzneimittelversorgung (AVWG) vom 26.4.2006 (BGBl I, S 984).
Neben dem Abschlag für patentfreie, wirkstoffgleiche Arzneimittel nach §
130a Abs
3b SGB V wird zudem für alle von §
130a Abs
1 Satz 5 und 6
SGB V erfassten Fertigarzneimittel der Herstellerabschlag erhoben. Dieser betrug nach §
130a Abs
1 Satz 1
SGB V 6 % des Abgabepreises des pharmazeutischen Unternehmers bis zum 31.7.2010 und nach §
130a Abs
1a Satz 1
SGB V 16 % des Abgabepreises im Zeitraum vom 1.8.2010 bis zum 31.12.2013. Anschließend galt zunächst wieder ein Herstellerabschlag
von 6 %, der sodann durch das Vierzehnte Gesetz zur Änderung des
Fünften Buches Sozialgesetzbuch vom 27.3.2014 (BGBl I 261) mit Wirkung ab 1.4.2014 auf 7 % erhöht worden ist.
Nach §
130a Abs
1a Satz 2
SGB V galt der erhöhte Herstellerabschlag von 16 % allerdings nicht für die patentfreien, wirkstoffgleichen Arzneimittel nach §
130b Abs
3b Satz 1
SGB V. Damit waren die Abschläge für patentfreie, wirkstoffgleiche Arzneimittel und die sonstigen von § 130a Abs 1 erfassten Fertigarzneimittel
- abgesehen von möglichen Ausnahmen nach §
130a Abs
1a Satz 4 bis 8, Abs
3 oder Abs
3b Satz 2 bis 6
SGB V - in der Zeit vom 1.8.2010 bis zum 31.12.2013 mit 16 % grundsätzlich der Höhe nach identisch.
2. Plavix unterliegt in der hier fraglichen Zeit bis zum 16.8.2013 dem Generikaabschlag, wenn es "patentfrei" iS des §
130a Abs
3b SGB V war und zumindest ein weiteres Arzneimittel mit demselben Wirkstoff ("wirkstoffgleich") auf dem Markt angeboten wurde.
Der Leitfaden des Beklagten trifft dazu im Teil B (Kriterien zur Abschlagspflicht) folgende Regelung: "Für die Patentfreiheit
ist ausschließlich das Wirkstoffpatent relevant. Nur ein Wirkstoffpatent führt zur Abschlagsbefreiung, Formulierungs-, Verfahrens-,
Verwendungs- und andere Patente sind in diesem Zusammenhang unbeachtlich. Grundpatent und ergänzendes Schutzzertifikat erfassen
im Regelfall alle Erzeugnisformen des Wirkstoffes und nicht nur ein spezifisches Derivat. Daher sind nach Ablauf des Wirkstoffpatentes
bzw des ergänzenden Schutzzertifikates im Regelfall auch alle verschiedenen Erzeugnisformen wie Salze oder Ester eines bestimmten
Wirkstoffs patentfrei". Die Gleichsetzung des Begriffs "patentfrei" mit "wirkstoffpatentfrei" entspricht entgegen der Auffassung
der Klägerin dem Gesetz und ist daher rechtmäßig.
Der Leitfaden unterliegt insoweit der gerichtlichen Kontrolle. Der Beklagte ist nämlich nicht ermächtigt, die Tatbestandsmerkmale
"patentfrei" und "wirkstoffgleich" selbstständig und mit normativer Kraft auszulegen. Die dem Beklagten durch §
130a Abs
3b Satz 4 iVm §
130a Abs
3a Satz 10
SGB V eingeräumte Befugnis, "das Nähere" zu regeln, bezieht sich vor allem auf Abrechnungsfragen (§
130a Abs
3b Satz 8 und 9
SGB V). Die Regelungsbefugnis des Beklagten betrifft somit nicht die materiellen Voraussetzungen der Abschlagspflicht, die der
Gesetzgeber vorgegeben hat, sondern nur die zur praktischen Umsetzung und Handhabung der Generikaabschlagspflicht erforderlichen
Bestimmungen. Bezüglich der materiellen Voraussetzungen der Abschlagspflicht kann der Beklagte lediglich die gesetzlichen
Vorgaben nachzeichnen, der für jede Normsetzung kennzeichnende Gestaltungsspielraum des Normgebers kommt ihm bei der Auslegung
der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale nicht zu.
3. Dem SG ist zuzustimmen, dass der Wortlaut des §
130a Abs
3b SGB V nicht eindeutig ist, soweit es um den Begriff "patentfrei" geht. Die Vorschrift definiert den Begriff der Patentfreiheit
nicht. Im Gesetz ist einerseits von "patentfreien Arzneimitteln" (§
130a Abs
3b SGB V) und andererseits von "patentgeschützten Wirkstoffen" (§
35 Abs
1 und
1a SGB V) die Rede. Diese unterschiedliche Wortwahl innerhalb des
SGB V zwingt aber nicht zu dem Schluss, dass der Patentbegriff in §
130a Abs
3b SGB V weiter gefasst werden sollte als der in §
35 Abs
1 SGB V angesprochene allein wirkstoffbezogene Patentschutz. So wird zB in §
35 Abs
1a SGB V sogar innerhalb eines Satzes (Satz 1) einmal von Arzneimitteln "mit patentgeschützten Wirkstoffen" und sodann von Arzneimitteln,
die "unter Patentschutz stehen" gesprochen, obwohl mit der zweiten Wendung ersichtlich kein umfassenderer Patentbegriff gemeint
ist. Es bleibt nach dem Wortlaut letztlich offen, ob bei §
130a Abs
3b SGB V nicht nur die wirkstoffbezogenen, sondern alle erzeugnisbezogenen Patente zu berücksichtigten sind.
4. Die systematische und die entstehungsgeschichtliche Auslegung der Norm sowie die hinreichend dokumentierte Regelungsabsicht
des Gesetzgebers führen jedoch zu dem Ergebnis, dass in §
130a Abs
3b Satz 1
SGB V auf die Patentfreiheit des Wirkstoffs abgestellt wird. Das System der Versorgung der Versicherten mit Arzneimitteln ist zentral
auf die Wirkstoffe dieser Arzneimittel bezogen: Ärzte können Wirkstoffe verordnen (§
129 Abs
1 Satz 1 Nr
1a SGB V). Für die Zuordnung von Arzneimitteln zu den Festbetragsgruppen sind die jeweiligen Wirkstoffe maßgeblich (§
35 Abs
1 und Abs
1a SGB V), und zur Sicherung der Wirtschaftlichkeit der Versorgung können auf der Grundlage des §
106 Abs
3 und
3b SGB V Wirkstoffvereinbarungen abgeschlossen werden, die dann nach §
106 Abs
3b Satz 6
SGB V die Richtgrößenprüfung ersetzen. Deshalb liegt es nahe, für die Abgrenzung von patentgeschützten Arzneimitteln und Generika
allein auf den Patentschutz für den jeweiligen Wirkstoff abzustellen. Ein etwaiger Patentschutz für andere Bestandteile des
jeweiligen Arzneimittels hat für diese Abgrenzung keine Bedeutung.
a) Pharmazeutische Unternehmer können Arzneimittel in unterschiedlicher Weise durch Patente schützen lassen. Dabei steht in
der öffentlichen Wahrnehmung und hinsichtlich der wirtschaftlichen Bedeutung das Wirkstoffpatent im Vordergrund. Als Unterfall
eines Erzeugnispatents iS des § 9 Abs 1 Satz 2 Nr 1 PatG schützt dieses Patent die Erfindung bzw Entwicklung eines neuartigen Wirkstoffs. Solange dieser Patentschutz besteht, dürfen
Dritte ohne die Erlaubnis des Patentinhabers den Wirkstoff nicht herstellen, anbieten oder in den Verkehr bringen ("absoluter
Stoffschutz").
Wenn in Fachkreisen über den anstehenden Patentablauf, also die Patentfreiheit eines Arzneimittels, diskutiert wird, handelt
es sich regelmäßig um ein solches Wirkstoffpatent. Sobald dieser (ggf durch ein ergänzendes Schutzzertifikat nach § 16a PatG verlängerte) Patentschutz erlischt, sind konkurrierende pharmazeutische Unternehmer grundsätzlich berechtigt, eigene Produkte
mit demselben Wirkstoff (Generika) in Verkehr zu bringen. Das Entstehen eines generikafähigen Marktes kann der Patentinhaber
also nur solange verhindern, wie er anderen pharmazeutischen Unternehmern wegen der Laufzeit eines Wirkstoffpatents oder eines
entsprechenden ergänzenden Schutzzertifikats untersagen kann, den geschützten Wirkstoff zur Herstellung von Nachahmerprodukten
zu benutzen (vgl Rehmann, Arzneimittelgesetz, 4. Aufl 2014, § 24b, RdNr 17 ff).
Neben dem Wirkstoff können aber zahlreiche weitere Eigenschaften eines Arzneimittels durch flankierende Patente geschützt
sein: So kann beispielsweise ein Patent auf das Verfahren vorliegen, mit dem der Wirkstoff hergestellt wird (Verfahrenspatent
iS des § 9 Abs 1 Satz 2 Nr 2 PatG). In diesem Fall dürfen konkurrierende pharmazeutische Unternehmer den Wirkstoff herstellen und in Verkehr bringen, solange
sie dabei nicht das geschützte Herstellungsverfahren verwenden. Zudem bestehen häufig "Formulierungspatente", welche die Rezeptur,
also die genaue Zusammensetzung eines Arzneimittels schützen. Es kann etwa ein bestimmtes Verhältnis von Wirkstoff und Hilfsstoffen
patentiert werden, wenn es sich hierbei um eine schutzfähige Erfindung handelt. Daneben können aber etwa auch allein der Hilfsstoff
eines Arzneimittels, die spezielle Beschichtung einer Tablette, die den Wirkstoffkern länger haltbar macht, oder ein besonders
kindersicherer Verschluss der Arzneimittelpackung Gegenstand eines Erzeugnis- oder Verfahrenspatents sein.
Ob ein pharmazeutischer Unternehmer mit seinem Generikum in Konkurrenz zu dem Originalanbieter und dessen Referenzarzneimittel
treten kann, also ein generikafähiger Markt entsteht, hängt aber regelmäßig allein vom Ablauf des Wirkstoffpatents ab. Nach
diesem Zeitpunkt kann der Originalanbieter das Entstehen eines generikafähigen Marktes nicht mehr verhindern. Existieren für
die Referenzarzneimittel außer dem Wirkstoffpatent noch weitere Patente, die über die Laufzeit des Wirkstoffpatentes hinaus
gelten, müssen die wirkstoffgleichen Präparate lediglich in einer Weise in Verkehr gebracht werden, die diese flankierenden
Patente nicht verletzt. Die "Anpassung" generischer Arzneimittel in einer solchen Weise ist gängige Praxis. Generika sind
regelmäßig keine exakten Kopien des Referenzarzneimittels, sondern unterscheiden sich von diesen oft geringfügig, gerade um
die Verletzung flankierender Patente zu verhindern. Dennoch kann bereits mit dem Ablauf des Wirkstoffpatents ein generikafähiger
Markt mit (mindestens zwei) wirkstoffgleichen Arzneimitteln mit unterschiedlichen Warenzeichen entstehen.
b) Für die Auslegung des Tatbestandsmerkmals "patentfrei" als "wirkstoffpatentfrei" spricht neben dem Sprachgebrauch in Fachkreisen
auch die Entstehungsgeschichte des §
130a Abs
3b SGB V.
Ziel des AVWG war es ua, den weiteren Anstieg der Arzneimittelausgaben der GKV zu stoppen und die Krankenkassen insoweit finanzwirksam
zu entlasten (vgl den Gesetzentwurf zum AVWG, BT-Drucks 16/194, S 1 f). Bezogen auf die patentfreien, wirkstoffgleichen Arzneimittel
hatte der Gesetzgeber Einsparpotenziale insoweit erkannt, als diese bis dahin von den pharmazeutischen Unternehmern unter
Gewährung erheblicher Naturalrabatte an die Apotheken abgegeben worden sind. Mit Art 2 des AVWG wurde daher zum einen durch
eine Änderung von § 7 Heilmittelwerbegesetz die Möglichkeit der Gewährung von Naturalrabatten an Apotheken ausgeschlossen
(vgl BT-Drucks 16/194, S 11). Parallel zu diesem Verbot wurde durch Art 1 Nr
7b AVWG die Regelung des §
130a Abs 3b
SGB V eingefügt und wie folgt begründet (BT-Drucks 16/194, S 10 f): "Für die Arzneimittel im generikafähigen Markt erhalten die
Krankenkassen von den pharmazeutischen Unternehmern einen Abschlag in Höhe 10 vom Hundert des Herstellerabgabepreises ohne
Mehrwertsteuer als Folgeregelung zu dem Verbot von Zuwendungen insbesondere von Naturalrabatten. [...] Zur Gewährleistung
der Gleichbehandlung aller Arzneimittel im generikafähigen Markt gilt der Abschlag sowohl für die Generika als auch für ihre
patentfreien Referenzarzneimittel. Das bisherige Volumen der Rabatte für patentfreie Arzneimittel im generikafähigen Markt
wird damit an die Krankenkassen weitergegeben. Dem Abschlag unterliegen alle patentfreien, wirkstoffgleichen Arzneimittel,
für die es mindestens zwei wirkstoffgleiche Arzneimittel mit unterschiedlichen Warenzeichen gibt. In der Regel sind dies die
patentfreien Arzneimittel in den Festbetragsgruppen nach § 35. Die Spitzenverbände der Krankenkassen können im Rahmen ihrer
Befugnis, das Nähere zu regeln, auch weitere patentfreie und wirkstoffgleiche Arzneimittel ohne Festbetrag benennen, für welche
der Abschlag gilt. In vielen, jedoch nicht in allen Fällen, können die Arzneimittel im generikafähigen Markt auch dadurch
bestimmt werden, dass sie aufgrund von bestimmten Zulassungsvorschriften für Generika im Markt sind."
Diese Gesetzesbegründung liefert keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Begriff "patentfreie Arzneimittel" in einem weiten Sinne
zu verstehen ist und auch nicht wirkstoffbezogene Patente umfassen soll. Aus der Begründung ergibt sich vielmehr, dass der
Abschlag nach §
130a Abs
3b Satz 1
SGB V zur Gewährleistung einer Gleichbehandlung für alle Arzneimittel im generikafähigen Markt gilt, dh "sowohl für die Generika
als auch für ihre patentfreien Referenzarzneimittel". Wenn also die Abschlagspflicht nach §
130a Abs
3b SGB V für sämtliche Arzneimittel im generikafähigen Markt gilt, verdeutlicht dies, dass sich das Tatbestandsmerkmal "patentfrei"
allein auf den Wirkstoff und nicht auf weitere Eigenschaften eines Arzneimittels beziehen kann.
c) Dass es dem Gesetzgeber mit dem Begriff "patentfreie Arzneimittel" nur auf eine Abgrenzung von Arzneimitteln mit patentgeschützten
Wirkstoffen und solchen mit patentfreien Wirkstoffen ankommt, ergibt sich auch aus der Begründung des Gesetzes zur Änderung
krankenversicherungsrechtlicher und anderer Vorschriften vom 24.7.2010 (BGBl I 983). Mit Art 1 dieses Gesetzes wurde ua §
130a SGB V - wie bereits erwähnt - so gefasst, dass der Herstellerabschlag für die nicht unter die Regelung des §
130a Abs
3b Satz 1
SGB V fallenden Arzneimittel vom 1.8.2010 bis zum 31.12.2013 16 % des Abgabepreises des pharmazeutischen Unternehmers beträgt.
Die Begründung des Ausschusses für Gesundheit für diese Gesetzesänderung lautet (BT-Drucks 17/2170, S 36 f): "Der Herstellerabschlag
wird vom 1. August 2010 bis zum 31. Dezember 2013 für alle verschreibungspflichtigen Arzneimittel, die zu Lasten der gesetzlichen
Krankenversicherung abgegeben werden und für die kein Festbetrag gilt, von 6 auf 16 Prozent erhöht. [...] Patentfreie, wirkstoffgleiche
Arzneimittel nach Absatz 3b Satz 1 sind von dem erhöhten Abschlag ausgenommen. Damit wird verhindert, dass sich die Abschläge
nach den Absätzen 1, 1a und 3b im Einzelfall auf insgesamt 26 Prozent summieren können und eine unzumutbare Belastung darstellen.
Gleichzeitig wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die Preisentwicklung für Arzneimittel im generikafähigen Markt im Gegensatz
zu den Preisen für patentgeschützte Arzneimittel in den vergangenen Jahren rückläufig ist und dieses Marktsegment nicht für
die überproportionale Ausgabenentwicklung im Arzneimittelbereich verantwortlich zeichnet. Schließlich bestehen inzwischen
flächendeckend für eine große Anzahl von Wirkstoffen Vereinbarungen nach Absatz 8 für Generika, die ebenfalls zu einer Entlastung
der gesetzlichen Krankenversicherung beitragen."
Die Bundesregierung hat also in der Begründung zur Neufassung des §
130a SGB V im Jahre 2010 ganz selbstverständlich mehrfach "Patentfreiheit" mit "Wirkstoffpatentfreiheit" gleichgesetzt und die Arzneimittel
im generikafähigen Markt denen mit Patentschutz gegenübergestellt. Dies belegt hinreichend deutlich, was der Gesetzgeber gewollt
hat, und diese Absicht kann angesichts des nicht eindeutigen Wortlautes der Norm auch im Anwendungsbereich des Art
12 Abs
1 GG bei der Gesetzesauslegung berücksichtigt werden.
d) Auch verschiedene andere Regelungen des
SGB V zur Arzneimittelversorgung bestätigen die Richtigkeit der dargestellten Auslegung. Flankierende Arzneimittelpatente, die
sich nicht auf den Wirkstoff des Arzneimittels beziehen, finden dort regelmäßig keine Berücksichtigung.
Ungeachtet teilweise unterschiedlicher (patentgeschützter) Eigenschaften mehrerer (wirkstoffgleicher) Arzneimittel besteht
nach §
129 Abs
1 Satz 1 Nr
1 und Satz 2
SGB V iVm dem Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung nach §
129 Abs
2 SGB V eine Verpflichtung der Apotheken zur Abgabe eines preisgünstigen Arzneimittels, wenn der verordnende Arzt ein Arzneimittel
nur unter seiner Wirkstoffbezeichnung verordnet oder die Ersetzung des Arzneimittels durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel
nicht ausgeschlossen hat. Ob etwa im Fall des §
129 Abs
1 Satz 1 Nr
1b SGB V das verordnete Arzneimittel durch ein reines Formulierungs- oder Verfahrenspatent geschützt ist, spielt dabei keine Rolle.
Auch die im Zusammenhang mit der Substitution von Arzneimitteln nach §
129 Abs
1 SGB V besonders bedeutsamen Rabattvereinbarungen nach §
130a Abs
8 SGB V (vgl §
129 Abs
1 Satz 3
SGB V) setzen den durch einen Ablauf von Wirkstoffpatenten ermöglichten generikafähigen Markt voraus. Dementsprechend hat auch
die Klägerin für ihr Arzneimittel Plavix während der Geltungsdauer ihres ergänzenden Schutzzertifikats Rabattverträge nach
§
130a Abs
8 SGB V geschlossen (vgl die Kasseninformation 10/08 der GWQ Serviceplus AG: "Neue Rabattverträge mit Originalherstellern").
e) Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Generikaabschlagspflicht sind nicht begründet. Das BVerfG hat in seinem Beschluss
vom 28.4.2007 (1 BvR 866/07 - NZS 2008, 34) die Abschlagspflicht als - grundsätzlich gerechtfertigten - Eingriff in die Berufsfreiheit der pharmazeutischen Unternehmen
qualifiziert. Die Festlegung eines zwangsweise zu gewährenden Preisabschlags zugunsten der GKV bei Generika greife zwar in
die Berufsfreiheit (Art
12 Abs
1 GG) der betroffenen pharmazeutischen Unternehmen ein, sei jedoch durch einen vernünftigen Grund des Gemeinwohls gerechtfertigt,
weil der Abschlag dem Ziel der Sicherung der finanziellen Stabilität der GKV diene und für die betroffenen Unternehmen nicht
unzumutbar sei (BVerfGE 114, 196, 244 ff = SozR 4-2500 § 266 Nr 9 RdNr 129 ff).
5. Neben der "Wirkstoffpatentfreiheit" muss nach der Regelung des §
130a Abs
3b SGB V auch das zusätzliche Tatbestandsmerkmal der "Wirkstoffgleichheit" des Arzneimittels erfüllt sein, um ein Arzneimittel der
Generikaabschlagspflicht zu unterwerfen. Dabei ist hervorzuheben, dass die "Wirkstoffgleichheit" von der "Wirkungsgleichheit"
bzw der "Wirkgleichheit" zu unterscheiden ist. Erfasst werden nur Arzneimittel mit demselben Wirkstoff (vgl zur entsprechenden
Festbetrags-Gruppenbildung §
35 Abs
1 Satz 2 Nr
1 SGB V), nicht aber Arzneimittel mit pharmakologischtherapeutisch vergleichbaren Wirkstoffen, insbesondere chemisch verwandten Stoffen
(§
35 Abs
1 Satz 2 Nr
2 SGB V), und auch nicht Arzneimittel mit therapeutisch vergleichbarer Wirkung, insbesondere Arzneimittelkombinationen (§
35 Abs
1 Satz 2 Nr
3 SGB V). Arzneimittel mit denselben Wirkstoffen sind grundsätzlich über ihre chemische Identität festzustellen. Arzneimittel mit
pharmakologisch-therapeutisch vergleichbaren Wirkstoffen enthalten demgegenüber keine identischen, sondern lediglich verwandte
Stoffe (vgl Beck in jurisPK-
SGB V, 2. Aufl 2012, §
35 RdNr 27). Die so abzugrenzende "Wirkstoffgleichheit" der konkurrierenden Arzneimittel kennzeichnet den generikafähigen Markt.
Was ein "Wirkstoff" ist, ergibt sich aus § 4 Abs 19 des Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln (AMG - idF der Bekanntmachung vom 12.12.2005, BGBl 3394): "Wirkstoffe sind Stoffe, die dazu bestimmt sind, bei der Herstellung
von Arzneimitteln als arzneilich wirksame Bestandteile verwendet zu werden oder bei ihrer Verwendung in der Arzneimittelherstellung
zu arzneilich wirksamen Bestandteilen der Arzneimittel zu werden."
Bei der Auslegung des Begriffs "wirkstoffgleich" iS des §
130a Abs
3b SGB V ist aber zusätzlich die Regelung des § 24b Abs 2 Satz 1 und 2 AMG zu beachten: "Die Zulassung als Generikum nach Absatz 1 erfordert, dass das betreffende Arzneimittel die gleiche Zusammensetzung
der Wirkstoffe nach Art und Menge und die gleiche Darreichungsform wie das Referenzarzneimittel aufweist und die Bioäquivalenz
durch Bioverfügbarkeitsstudien nachgewiesen wurde. Die verschiedenen Salze, Ester, Ether, Isomere, Mischungen von Isomeren,
Komplexe oder Derivate eines Wirkstoffes gelten als ein und derselbe Wirkstoff, es sei denn, ihre Eigenschaften unterscheiden
sich erheblich hinsichtlich der Unbedenklichkeit oder der Wirksamkeit."
Nach dieser Vorschrift ist zu entscheiden, ob aus pharmakologischer Sicht Clopidogrel und Clopidogrel-Hydrogensulfat (als
Salz) denselben Wirkstoff darstellen (so bei Anwendbarkeit des Regelfalls) oder als verschiedene Wirkstoffe zu gelten haben
(so bei Anwendbarkeit der Ausnahmeregelung des § 24b Abs 2 Satz 2 AMG). In gleicher Weise muss diese Frage bezüglich Clopidogrel und Clopidogrel-Besilat entschieden werden. Gleiches gilt sodann
für die wirtstoffrechtliche Differenzierung zwischen Clopidogrel-Hydrogensulfat auf der einen Seite und Clopidogrel-Besilat
auf der anderen Seite.
6. Zu der nach alledem entscheidungserheblichen Frage der Wirkstoffidentität von Clopidogrel und Clopidogrel-Hydrogensulfat
sowie Clopidogrel-Besilat hat das SG - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder Rechtsausführungen gemacht noch Feststellungen getroffen. Obwohl der
Senat der Auffassung zuneigt, dass insoweit allein auf den "Grundwirkstoff", also Clopidogrel, und nicht auf die jeweiligen
Zubereitungen abzustellen ist, erscheint es untunlich iS des §
170 Abs
2 Satz 2
SGG, im derzeitigen Stadium des Verfahrens über die Klage abschließend zu entscheiden. Bei der Entscheidung über die Wirkstoffidentität
generell und bezogen auf Plavix speziell sind rechtliche Wertungen und tatsächliche Feststellungen - zB auch zur evtl nur
durch einen Sachverständigen zu klärenden Unterscheidung Clopidogrel-Hydrogensulfat und Clopidogrel-Besilat sowie zum genauen
Inhalt des Patents und der arzneimittelrechtlichen Zulassung für Plavix - eng miteinander verbunden. Das SG hat sich damit nicht befasst, und im bisherigen Verfahren hat die Auslegung des §
130a Abs
3b SGB V im Vordergrund gestanden. Zur umfassenden Gewährung gerichtlichen Rechtsschutzes erscheint es geboten, den Beteiligten dazu
eine Tatsacheninstanz zu eröffnen, weil dem Senat die Klärung tatsächlicher Umstände nicht möglich ist. Der Senat macht allein
deshalb von der Möglichkeit der Zurückverweisung an das LSG Gebrauch (§
170 Abs
4 SGG), weil das seit August 2010 anhängige Verfahren auf diese Weise schneller als bei einer Zurückverweisung an das SG abgeschlossen werden kann.
D. Das LSG wird im Zuge der erneuten Verhandlung und Entscheidung über die Klage auch über die Kosten des Revisionsverfahrens
zu entscheiden haben.
E. Die Festsetzung des Streitwerts für das Revisionsverfahren folgt aus §
197a Abs
1 Satz 1 Teilsatz 1
SGG iVm § 63 Abs 2, § 52 Abs 1 und 4, § 47 Abs 1 und 2 GKG. Sie entspricht der Streitwertfestsetzung des SG.