Übernahme der Kosten für ein Rollstuhlrückhaltesystem zum Transport zur Schule durch die gesetzliche Krankenversicherung;
Erstattungsanspruch des Sozialhilfeträgers
Gründe:
I
Streitig ist die Erstattung von Aufwendungen für die Ausstattung eines Rollstuhls mit einem sog Kraftknotensystem.
Der 1994 geborene, bei der beklagten Krankenkasse versicherte Schüler J. K. (im Folgenden: Versicherter) leidet an Spina bifida
und spastischer Tetraparese und ist deshalb auf die Benutzung eines von der Beklagten zur Verfügung gestellten Rollstuhls
angewiesen. Darin sitzt er auch bei den von der Klägerin finanzierten und in Behindertentransportwagen durchgeführten Fahrten
von und zur Schule, weil er behinderungsbedingt aus eigener Kraft nicht sitzen kann und der Rollstuhl mit einer besonderen
Sitzschale ausgestattet ist.
Für Transporte im Rollstuhl sitzender Personen sieht die DIN-Norm 75078-2 seit 1999 den Gebrauch von Drei-Punkt-Gurten sowie
besondere Sicherheitsvorkehrungen für die Befestigung des Rollstuhls im Fahrzeug vor (Rollstuhlrückhaltesystem). Ergänzend
dazu ist die Ausrüstung der Rollstühle mit einem Kraftknotensystem erforderlich. Dafür sind Verstärkungen (Kraftknoten) am
Rollstuhl anzubringen, die über Gurte eine Befestigung am Fahrzeugboden erlauben und zugleich den Beckengurt zum Insassenschutz
aufnehmen. Dadurch soll ein der Rollstuhlkonstruktion angepasster optimaler Punkt für die Ableitung der bei einem Unfall auftretenden
Kräfte genutzt werden, um der DIN-Norm entsprechend die "Rückhaltekräfte des Personenrückhaltesystems in das Rollstuhlrückhaltesystem"
einzuleiten. Hierzu sind Anbauteile erforderlich, die auch nachgerüstet werden können.
Der Versicherte beantragte Anfang 2004 die Ausstattung seines Rollstuhls mit einem Kraftknotensystem bei der beklagten Krankenkasse.
Diese leitete den Antrag an den klagenden Sozialhilfeträger weiter, weil es sich um eine Leistung zur Teilhabe an der Gemeinschaft
handele. Die Klägerin gewährte dem Versicherten antragsgemäß die begehrte Leistung und verlangt von der Beklagten nunmehr
die Erstattung der dafür aufgewendeten Kosten in Höhe von 486,70 Euro. Klage (Urteil des Sozialgerichts [SG] vom 15.11.2006)
und Berufung (Urteil des Landessozialgerichts [LSG] vom 24.4.2008) sind ohne Erfolg geblieben: Ein Erstattungsanspruch sei
nicht gegeben, weil die Beklagte für die Ausstattung mit einem Kraftknotensystem nicht zuständig sei. Es handele sich um ein
dem mittelbaren Behinderungsausgleich dienendes Hilfsmittel, das von der Krankenkasse nur zu gewähren sei, wenn es der Befriedigung
eines Grundbedürfnisses im gesamten täglichen Leben diene. Dies sei hier nicht der Fall, denn die Beförderung eines Versicherten
zur Schule betreffe nur einen Teilbereich des Grundbedürfnisses "Mobilität". Dem stehe auch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
(BSG) zu den Leistungsansprüchen von behinderten Kindern und Jugendlichen im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung
(GKV) nicht entgegen, denn die Schülerbeförderung falle nach Landesrecht allein in die Zuständigkeit der Landkreise und kreisfreien
Städte.
Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. Der Schulbesuch zähle zu den
Grundbedürfnissen des täglichen Lebens. Die dafür erforderlichen Hilfsmittel seien von der GKV zu gewähren, auch wenn sie
nur dem mittelbaren Behinderungsausgleich dienten. Der Versicherte sei behinderungsbedingt auf den Schultransport im Rollstuhl
angewiesen; für dessen sichere Durchführung müsse am Rollstuhl ein Kraftknotensystem vorhanden sein. Da dieses am Rollstuhl
und nicht am Fahrzeug anzubringen sei, habe dafür die Beklagte aufzukommen.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 24.4.2008 und des Sozialgerichts Hannover vom 15.11.2006 zu
ändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr die Aufwendungen für das Kraftknotensystem am Rollstuhl des Versicherten J. K.
in Höhe von 486,70 Euro nebst 4 % Zinsen aus 486 Euro seit dem 1.2.2005 zu erstatten.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision der Klägerin ist zulässig (dazu 1) und begründet. Zu Unrecht hat das LSG entschieden, dass der geltend gemachte
Erstattungsanspruch nicht besteht. Nach §
14 Abs
4 Satz 1
SGB IX hat die Klägerin - grundsätzlich - Anspruch auf Erstattung der Kosten, die sie als zweitangegangener Rehabilitationsträger
für eine in die Zuständigkeit der Beklagten fallende Rehabilitationsleistung erbracht hat (dazu 2). Die Ausstattung eines
Rollstuhls mit einem sog Kraftknotensystem zum sicheren Behindertentransport obliegt nicht dem Sozialhilfeträger, sondern
ist Aufgabe der GKV, wenn ein Versicherter nur im Rollstuhl sitzend an der Schülerbeförderung teilnehmen und anders der allgemeinen
Schulpflicht nicht genügen kann (dazu 3). Dies ist nach den nicht mit durchgreifenden Revisionsrügen angegriffenen und damit
für den Senat bindenden (§
163 SGG) Feststellungen des LSG hier der Fall (dazu 4).
1. Von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrensmängel stehen einer Sachentscheidung nicht entgegen. Insbesondere war die
Berufung kraft Zulassung im Urteil des SG zulässig, obwohl der Wert des Beschwerdegegenstandes unter 5.000 Euro geblieben ist und sie keine wiederkehrende oder laufende
Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (§
144 Abs
1 Satz 1 Nr
2 SGG, hier in der mit Wirkung zum 1.1.2002 in Kraft getretenen Fassung des Art 22 Nr 1 Buchst b des 4. Euro-Einführungsgesetzes
vom 21.12.2000, BGBl I S 1983).
2. Rechtsgrundlage des Erstattungsanspruchs ist §
14 Abs
4 Satz 1
SGB IX. Dort heißt es: "Wird nach Bewilligung der Leistung durch einen Rehabilitationsträger nach Abs 1 Satz 2 bis 4 festgestellt,
dass ein anderer Rehabilitationsträger für die Leistung zuständig ist, erstattet dieser dem Rehabilitationsträger, der die
Leistung erbracht hat, dessen Aufwendungen nach den für diesen geltenden Rechtsvorschriften." Wie das BSG bereits entschieden
hat, besteht damit ein den allgemeinen Erstattungsansprüchen nach dem SGB X vorgehender Anspruch auf Erstattung der Kosten, die der zweitangegangene Rehabilitationsträger für eine in die Zuständigkeit
eines anderen Rehabilitationsträgers fallende Maßnahme aufgewendet hat (vgl BSGE 98, 267, 272 und 277, 279). Die Vorschrift begründet einen Ausgleich dafür, dass der zweitangegangene Rehabilitationsträger - hier
die Klägerin - nach dem Regelungskonzept des §
14 SGB IX im Interesse der raschen Zuständigkeitsklärung nach Weiterleitung eines Antrags auf eine Leistung zur Teilhabe durch den
erstangegangenen Träger - hier die Beklagte - an ihn im Verhältnis zum Versicherten bzw Leistungsbezieher abschließend zu
entscheiden und bei Vorliegen eines entsprechenden Rehabilitationsbedarfs die erforderlichen Rehabilitationsleistungen (spätestens
nach drei Wochen) selbst dann zu erbringen hat, wenn er der Meinung ist, hierfür als Rehabilitationsträger iS von §
6 Abs
1 SGB IX nicht zuständig zu sein. Die in §
14 Abs
2 Satz 1 und
3 SGB IX geregelte Zuständigkeitszuweisung erstreckt sich im Außenverhältnis zum Versicherten auf alle Rechtsgrundlagen, die überhaupt
in dieser Bedarfssituation für Rehabilitationsträger vorgesehen sind. Im Verhältnis zum behinderten Menschen ist dadurch eine
eigene gesetzliche Verpflichtung des zweitangegangenen Trägers begründet, die - vergleichbar der Regelung des § 107 SGB X - einen endgültigen Rechtsgrund für das "Behaltendürfen" der Leistung in diesem Rechtsverhältnis bildet. Im Verhältnis der
Rehabilitationsträger untereinander ist indes eine Lastenverschiebung ohne Ausgleich nicht bezweckt. Vielmehr soll die Zuständigkeit
der einzelnen Zweige der sozialen Sicherheit für Rehabilitationsleistungen grundsätzlich unberührt bleiben. In diesem Verhältnis
räumt §
14 Abs
4 SGB IX dem "zweitangegangenen Träger" deshalb einen spezialgesetzlichen Erstattungsanspruch gegen den materiell-rechtlich originär
zuständigen Rehabilitationsträger ein, der den allgemeinen Erstattungsansprüchen nach dem SGB X vorgeht und begründet ist, soweit der Versicherte von diesem die gewährte Maßnahme hätte beanspruchen können (vgl zum Ganzen
BSGE 93, 283 = SozR 4-3250 § 14 Nr 1, jeweils RdNr 6 ff sowie BSGE 98, 267, 272 und 277, 279).
3. Die Krankenkasse hat den Rollstuhl eines Versicherten mit einem Kraftknotensystem nach DIN 75078-2 zu versorgen, wenn der
Versicherte nur im Rollstuhl sitzend an der Schülerbeförderung teilnehmen und anders der allgemeinen Schulpflicht nicht genügen
kann.
a) Rechtsgrundlage eines gegen die beklagte Krankenkasse gerichteten Anspruchs ist §
33 Abs
1 SGB V in der seit dem 1.4.2007 geltenden Fassung des Art 1 Nr 17 des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz vom
26.3.2007, BGBl I 378). Nach Satz 1 dieser Vorschrift haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken,
orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um ua eine Behinderung auszugleichen, soweit
die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach §
34 Abs
4 SGB V ausgeschlossen sind. Dieser Anspruch umfasst nach §
33 Abs
1 Satz 4
SGB V ua auch die notwendige Änderung eines Hilfsmittels.
b) "Notwendige Änderung" iS von §
33 Abs
1 Satz 4
SGB V ist auch die Anpassung eines Hilfsmittels an den bei seinem bestimmungsgemäßen Gebrauch zu wahrenden Sicherheitsstandard.
Dem Anspruch des §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V genügt ein Hilfsmittel nur, soweit es hinreichend verkehrssicher ist; ansonsten ist sein Gebrauchsvorteil entwertet. Demgemäß
kann ein Versicherter nach §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V Hilfsmittel beanspruchen, die im Rahmen des wirtschaftlich Vertretbaren dem allgemein anerkannten Stand der Sicherheitstechnik
entsprechen und bei deren Gebrauch unvertretbare Gesundheitsrisiken nicht drohen. Ergänzend gewährt §
33 Abs
1 Satz 4
SGB V einen Anspruch auf Nachrüstung, soweit damit den Sicherheitsanforderungen Rechnung getragen werden kann. Insoweit gelten
die §§
2 Abs
1 Satz 3,
12 Abs
1 Satz 1
SGB V entsprechend. Danach haben Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse
zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen (§
2 Abs
1 Satz 3
SGB V) und müssen zudem ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; das Maß des Notwendigen dürfen sie nicht überschreiten
(§
12 Abs
1 Satz 1
SGB V). Hiernach besteht der geltend gemachte Anspruch, weil die Krankenkassen für eine sichere Rollstuhlbeschaffenheit auch zum
Zweck der Schülerbeförderung einzustehen haben (dazu c), diese Beförderung beim Einsatz des Kraftknotensystems dem allgemein
anerkannten Stand der Technik entspricht (dazu d) und dem Versicherten die Teilhabe an diesem Sicherheitsvorteil auch aus
Kostengründen nicht zu versagen ist (dazu e).
c) §
33 Abs
1 SGB V gewährt Anspruch auf Versorgung mit einem für die Zwecke der Schülerbeförderung hinreichend sicheren Rollstuhl, wenn der
Versicherte krankheitsbedingt nur im Rollstuhl sitzend transportiert werden kann. In diesem Fall hat die GKV entgegen der
Auffassung der Beklagten nicht nur für einen zur Fortbewegung im Nahbereich geeigneten Rollstuhl einzustehen (nachfolgend
aa), sondern sie hat die Rollstuhlbeschaffenheit auch an den Anforderungen bei der Fahrzeugbeförderung auszurichten, wenn
der Fahrzeugtransport entweder zur Krankenbehandlung unerlässlich ist (nachfolgend bb) oder dem Schulbesuch dient (nachfolgend
cc).
aa) Grundsätzlich erfüllt die Krankenkasse den Anspruch aus §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V allerdings schon mit der Zurverfügungstellung eines Rollstuhls, der die Erschließung des Nahbereichs um die Wohnung des Versicherten
erlaubt. Auch nach Inkrafttreten des
SGB IX (vgl hier §
31 Abs
1 Nr
3 SGB IX) hat die GKV nicht sämtliche direkten und indirekten Folgen einer Behinderung auszugleichen. Aufgabe der Krankenkassen ist
nach wie vor allein die medizinische Rehabilitation. Eine darüber hinausgehende berufliche oder soziale Rehabilitation bleibt
Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme. Beim Ausgleich direkter oder indirekter Folgen einer Behinderung ist ein Hilfsmittel
daher nur "erforderlich" iS von §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein Grundbedürfnis
des täglichen Lebens betrifft (vgl zuletzt BSGE 93, 176 = SozR 4-2500 § 33 Nr 7, jeweils RdNr 12 - schwenkbarer Autositz bei Wachkomaversorgung; BSGE 91, 60 RdNr 9 = SozR 4-2500 § 33 Nr 3 RdNr 10 - Rollstuhl-Ladeboy; BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 31 S 185 - Rollstuhl-Bike; BSG SozR 3-2500
§ 33 Nr 32 S 191 - Therapie-Tandem; stRspr). Das bezieht sich im Bereich der Mobilität auf den Bewegungsradius, den ein Gesunder
üblicherweise noch zu Fuß erreicht (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 29, 31, 32 sowie BSG SozR 3-1200 § 33 Nr 1; stRspr). Dazu ist
der Versicherte nach Möglichkeit zu befähigen, sich in der eigenen Wohnung zu bewegen und die Wohnung zu verlassen, um bei
einem kurzen Spaziergang "an die frische Luft zu kommen" oder um die - üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden -
Stellen zu erreichen, an denen Alltagsgeschäfte zu erledigen sind (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 31 - Rollstuhl-Bike). Dagegen hat
er - von besonderen zusätzlichen qualitativen Momenten abgesehen - grundsätzlich keinen Anspruch darauf, in Kombination von
Auto und Rollstuhl den Radius der selbstständigen Fortbewegung (erheblich) zu erweitern (BSGE 91, 60 RdNr 15 = SozR 4-2500 § 33 Nr 3 RdNr 16 - Rollstuhl-Ladeboy; ebenso BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 29 S 173 - schwenkbarer Autositz
und BSGE 98, 213 = SozR 4-2500 § 33 Nr 15, jeweils RdNr 10 - behinderungsgerechter PKW-Umbau). Dies gilt auch, wenn im Einzelfall die Stellen
der Alltagsgeschäfte nicht im Nahbereich liegen, dafür also längere Strecken zurückzulegen sind, die die Kräfte eines Rollstuhlfahrers
möglicherweise übersteigen. Besonderheiten des Wohnortes können für die Hilfsmitteleigenschaft nicht maßgeblich sein (BSG
SozR 3-2500 § 33 Nr 31 S 187 - Rollstuhl-Bike).
bb) Anspruch auf Hilfe zur Mobilität über den Nahbereich hinaus kann ausnahmsweise zunächst dann bestehen, wenn die medizinische
Versorgung Anforderungen stellt, die regelmäßig im Nahbereich der Wohnung nicht erfüllbar sind. Davon ist aber nach der Rechtsprechung
des Senats in aller Regel nicht auszugehen. Denn das Bedürfnis, bei Krankheit oder Behinderung Ärzte und Therapeuten aufzusuchen,
wird regelmäßig durch die Erschließung des Nahbereichs ausreichend erfüllt; auch insoweit hat die Krankenkasse nicht für individuelle
Besonderheiten der Wohnsituation einzustehen (BSGE 98, 213 = SozR 4-2500 § 33 Nr 15, jeweils RdNr 14, 17 - behinderungsgerechter PKW-Umbau). Anders kann es sich dann verhalten, wenn
die Krankenbehandlung besondere Anforderungen stellt und dem ausnahmsweise durch einen PKW-Transport Rechnung zu tragen ist
(vgl BSGE 93, 176 = SozR 4-2500 § 33 Nr 7, jeweils RdNr 13 - schwenkbarer Autositz bei Wachkomaversorgung). Eine solche Ausnahmesituation kann
auch dann vorliegen, wenn einem Versicherten der Besuch bei Ärzten und Therapeuten nur im Rollstuhl sitzend möglich ist. Erfordert
eine Erkrankung eine besondere, im Nahbereich der Wohnung regelmäßig nicht verfügbare medizinische Versorgung, und ist deshalb
ein im Rollstuhl sitzender Transport erforderlich, hat die Krankenkasse für eine entsprechende Rollstuhlbeschaffenheit aufzukommen
(vgl dazu die Parallelentscheidung vom 20.11.2008 - B 3 KN 4/07 KR R -, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4 vorgesehen).
Ob solche besonderen Voraussetzungen hier ausnahmsweise vorliegen, hat das LSG nicht ermittelt und kann im Ergebnis offenbleiben,
weil jedenfalls Zwecke der Schülerbeförderung den geltend gemachten Erstattungsanspruch begründen.
cc) Anspruch auf Hilfe zur Mobilität über den Nahbereich hinaus haben weiterhin Versicherte, die nur im Rollstuhl sitzend
an der Schülerbeförderung teilnehmen und anders der allgemeinen Schulpflicht nicht genügen können (vgl dazu die Parallelentscheidung
vom 20.11.2008 - B 3 KR 6/08 R -, zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen). Zutreffend hat das LSG dieses erweiterte Mobilitätsinteresse als ein in der
Rechtsprechung des BSG seit langem anerkanntes Grundbedürfnis iS von §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V gewertet. Insoweit reicht die Verantwortung der GKV bei der Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit Mobilitätshilfen
über die Erschließung des Nahbereichs der Wohnung hinaus. Zu den Aufgaben der Krankenkassen gehört danach auch die Herstellung
und die Sicherung der Schulfähigkeit eines Schülers bzw der Erwerb einer elementaren Schulausbildung (BSGE 30, 151, 153; BSG SozR 2200 § 182 Nr 73; BSG SozR 2200 § 182b Nr 28; BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 22 S 126 und BSG SozR 3-2500 § 33 Nr
40 S 224). An diesem aus der historischen Entwicklung der Hilfsmittelversorgung in der GKV abgeleiteten Verständnis (zuletzt
eingehend dazu BSG SozR 4-2500 §
33 Nr 6 RdNr 13 mwN) hat das BSG auch unter Geltung des §
33 SGB V ab 1989 unverändert festgehalten (vgl BSG SozR 3-2500 §
33 Nr 22 S 126 und BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 40 S 224); hiervon abzuweichen besteht kein Anlass. Steht die Schulausbildung im
Dienst der Vermittlung von grundlegendem schulischem Allgemeinwissen an Schüler im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht oder
der Sonderschulpflicht (vgl dazu BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 6 RdNr 16) und kann der Versicherte an der erforderlichen Schülerbeförderung
nur im Rollstuhl sitzend teilnehmen, hat ihn die Krankenkasse deshalb mit einem zu Transportzwecken geeigneten Rollstuhl zu
versorgen.
Die dazu erforderliche Sicherheitsausstattung fällt entgegen der Auffassung der Beklagten nicht in die vorrangige Leistungspflicht
der Klägerin. Der Rollstuhl dient im konkreten Fall nicht nur als Ausgleich für die fehlende Bewegungsfähigkeit des Versicherten,
sondern auch für dessen krankheitsbedingte Einschränkungen beim Sitzen. Die notwendige Sicherheitsvorkehrung (Kraftknoten)
befindet sich aber unmittelbar am Hilfsmittel und nicht - wie das stationäre Rollstuhlrückhaltesystem - im Behindertentransportwagen.
Deshalb fällt die Pflicht zur sicherheitstechnischen Ausstattung des Rollstuhls in den Verantwortungsbereich des Trägers,
der den Versicherten bzw Leistungsbezieher mit dem Hilfsmittel zu versorgen hat und nicht - wie die Beklagte meint - in die
Zuständigkeit dessen, der für den Transport aufkommt.
d) Die Fahrzeugbeförderung im Rollstuhl mit einem Kraftknotensystem nach DIN 75078-2 entspricht dem allgemein anerkannten
Stand der Sicherheitstechnik.
aa) Unmittelbare rechtliche Bindungswirkung hat die DIN-Norm 75078-2 allerdings nicht. DIN-Normen sind keine mit Drittwirkung
versehene Normen im Sinne demokratisch legitimierter hoheitlicher Rechtssetzung, sondern auf freiwillige Anwendung ausgerichtete
Regelwerke des "DIN - Deutsches Institut für Normung e.V." mit Empfehlungscharakter (BGHZ 139, 16, 19; 103, 338, 341 f; BGH VersR 1987, 783, 784; vgl auch BVerwGE 77, 285, 291). Dies schließt aber nicht aus, zur Feststellung des allgemein anerkannten Standes der Technik auch DIN-Normen heranzuziehen,
denn sie spiegeln den Stand der für die betroffenen Kreise geltenden anerkannten Regeln der Technik wieder und bieten deshalb
einen besonderen Anhalt dafür, was nach der Verkehrsauffassung zu beachten ist (vgl BGHZ 103, 338, 342; BGH NJW 2004, 1449, 1450; BVerwGE 77, 285, 291; BVerwG NVwZ 1991, 881, 883). DIN-Normen kann daher der nach der Verkehrsauffassung maßgebende Sicherheitsstandard entnommen werden, solange sich
nicht in einem objektivierbaren Verfahren ergibt, dass dies der fachlichen Überprüfung nicht standhält (vgl BVerwG NVwZ-RR
1997, 214, 215).
bb) Hiernach genügt die Beförderung im Rollstuhl sitzender Personen in Fahrzeugen dem Stand der aktuellen Sicherheitstechnik
nur, wenn dabei ein Kraftknotensystem nach DIN verwandt wird. Diese Sicherheitsausrüstung sieht die DIN-Norm 75078-2 seit
1999 vor. Dass ein vergleichbarer Sicherheitsstandard ohne entsprechende Verstärkungen und Kraftableitungen am Rollstuhl erreichbar
ist, hat das LSG nicht festgestellt und ist auch von der Beklagten nicht substantiiert aufgezeigt worden. Im Gegenteil ergibt
sich aus den Auskünften der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), dass das Kraftknotensystem erforderlich ist, um Sicherheitsdefizite
beim Transport behinderter Menschen zu minimieren, soweit sie auf eine im Rollstuhl sitzende Beförderung angewiesen sind.
Es verringert die Gefahr der Fehlbedienung bei der Sicherung des Rollstuhls und der Insassen, verhindert bei einem Aufprall
den sog Submarine-Effekt (Durchtauchen unter dem Gurt hindurch) und den sog Klappmesser-Effekt (Aufschlagen des Oberkörpers
auf den Knien) und optimiert den Kraftfluss im Rollstuhl, so dass die Sicherheit beim Behindertentransport deutlich erhöht
wird. Behinderte ohne entsprechende Verstärkungen am Rollstuhl sind erheblichen Sicherheitsrisiken ausgesetzt, die sich mit
dem Kraftknotensystem nachhaltig verringern lassen. Denn die Befestigung des Rollstuhls ohne Kraftknoten birgt zum einen die
Gefahr schwerer Bauchverletzungen wegen des unzureichenden Verlaufs des Beckengurts und zum anderen das Risiko schwerer Kopfverletzungen
wegen ungünstiger Rückhaltung des Oberkörpers. Zudem drohen weitere Sicherheitsrisiken, weil Fehlbedienungen wegen Unkenntnis
der optimalen Befestigungspunkte schwere Verletzungen nach sich ziehen können. Daraus folgt, dass auf das Kraftknotensystem
bei einer Rollstuhlnutzung als Sitzersatz in Kraftfahrzeugen ohne erhebliche Sicherheitseinbuße nicht verzichtet werden kann
und die Anforderungen der DIN 75078-2 bei objektiver Überprüfung nicht als überspannt anzusehen sind.
e) Gegen die Zuständigkeit der GKV zur Nachrüstung des Rollstuhls des Versicherten sprechen auch keine Kostengesichtspunkte.
Muss ein Versicherter im Rollstuhl sitzend in einem Kraftfahrzeug befördert werden, ist es ihm nicht zuzumuten, aus wirtschaftlichen
Gründen auf die Sicherheitsvorteile der Ausstattung nach DIN 75078-2 zu verzichten.
aa) Allerdings beschränkt sich die Leistungspflicht der Krankenkasse bei mehreren Alternativen grundsätzlich auf die kostengünstigste
Hilfsmittelversorgung. Nach §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V besteht kein Anspruch auf eine Optimalversorgung, sondern nur auf ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Hilfsmittel
(§
12 Abs
1 SGB V). Deshalb besteht kein Anspruch auf ein teures Hilfsmittel, soweit die kostengünstigere Versorgung für den angestrebten Nachteilsausgleich
funktionell ebenfalls geeignet ist (vgl BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 26 S 153; stRspr); andernfalls sind die Mehrkosten gemäß §
33 Abs
1 Satz 5
SGB V von dem Versicherten selbst zu tragen. Andererseits hat die Krankenkasse nach ständiger Rechtsprechung des BSG für jede Verbesserung
einzustehen, die einen wesentlichen Gebrauchsvorteil gegenüber einer evtl kostengünstigeren Alternative bietet. Bei Hilfsmitteln
zum unmittelbaren Ersatz ausgefallener Körperfunktionen - unmittelbarer Behinderungsausgleich - insbesondere durch Prothesen
gilt das für grundsätzlich jede Innovation, die dem Versicherten nach ärztlicher Einschätzung in seinem Alltagsleben deutliche
Gebrauchsvorteile bietet (vgl BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 44 S 249 - C-Leg I; BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 45 S 255 - Damenperücke;
BSGE 93, 183 = SozR 4-2500 § 33 Nr 8, jeweils RdNr 4 - C-Leg II). Entsprechendes gilt aber auch beim mittelbaren Behinderungsausgleich,
wenn sich der Gebrauchsvorteil eines Hilfsmittels - wie hier bei einem Rollstuhl - im gesamten Lebensbereich auswirkt und
damit ein Grundbedürfnis des täglichen Lebens betroffen ist (vgl BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 44 S 248 f - C-Leg I). Ausgenommen
von der Leistungspflicht der GKV sind hingegen solche Verbesserungen, die nur einen Ausgleich auf beruflicher oder gesellschaftlicher
Ebene sowie im Freizeitbereich betreffen (vgl BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 34 S 200 - Mikroportanlage). Darüber hinaus hat die
Krankenkasse allgemein nicht für solche Innovationen aufzukommen, die nicht die Funktionalität betreffen, sondern in erster
Linie die Bequemlichkeit und den Komfort bei der Nutzung des Hilfsmittels (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 44 S 249; BSGE 93, 183 = SozR 4-2500 § 33 Nr 8, jeweils RdNr 15). Schließlich können die Grenzen der Leistungspflicht berührt sein, wenn einer geringfügigen
Verbesserung des Gebrauchsnutzens ein als unverhältnismäßig einzuschätzender Mehraufwand gegenübersteht (vgl BSG SozR 3-2500
§ 33 Nr 26 S 153 und Nr 44 S 250, jeweils mwN). All diese Ausnahmen treffen hier jedoch nicht zu.
bb) Der Versicherte kann durch die GKV auch nicht darauf verwiesen werden, ggf mit eigenen Mitteln selbst für den verbesserten
Sicherheitsstandard durch das Kraftknotensystem zu sorgen. Die Verankerung des Rollstuhls mittels Kraftknoten im PKW-Rückhaltesystem
bietet entgegen der Auffassung der Beklagten eine deutlich größere Sicherheit und damit einen wesentlichen Gebrauchsvorteil.
Denn nach dem gegenwärtigen Stand der Sicherheitstechnik erlaubt nur dieses System eine - annähernde - Angleichung an den
Sicherheitsstandard, der für nicht behinderte Menschen im Straßenverkehr zwingend vorgeschrieben ist. Danach müssen die Sitze
ua von Personenkraftwagen und Kraftomnibussen mindestens mit Dreipunkt-Sicherheitsgurten ausgestattet sein (§ 35a Abs 3 Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung [StVZO] iVm Anhang I der Richtlinie 76/115/EWG des Rates vom 18.12.1975 idF der Richtlinie 96/38/EG der Kommission vom 17.6.1996
[EWGRL], ABl EWG vom 26.7.1996, L 187, 95) und über Sitzverankerungen verfügen, die einem definierten Belastungstest ohne
Defekt standhalten können (§ 35a Abs 2 StVZO iVm Ziffer 3.2.5 des Anhangs II der Richtlinie 74/408/EWG des Rates vom 22.7.1974 idF der Richtlinie 96/37/EG der Kommission
vom 17.6.1996, ABl EWG vom 25.7.1996, L 186, 28). Ein vergleichbares Maß an Sicherheit im Straßenverkehr bieten die herkömmlichen
Befestigungen von Rollstühlen in Verbindung mit einem nur einfachen Beckengurtsystem nicht, wie sich unzweifelhaft aus den
Stellungnahmen der BASt ergibt.
4. Unter Berücksichtigung der vorstehenden Grundsätze war die GKV und damit die Beklagte für die Ausstattung des Rollstuhls
des Versicherten mit einem Kraftknotensystem zuständig. Nach den unangegriffenen und deshalb für den Senat bindenden (§
163 SGG) Feststellungen des LSG kann der Versicherte nur im Rollstuhl sitzend an der Schülerbeförderung teilnehmen. Ohne diese Beförderung
wäre auch die Erfüllung der allgemeinen Schulpflicht nicht möglich; das bedarf bei dem 1994 geborenen Kläger keiner Vertiefung.
Auch im Übrigen sind die Voraussetzungen der geltend gemachten Erstattung - deren Höhe die Beklagte nicht beanstandet hat
- gegeben.
Ebenfalls begründet ist der Zinsanspruch. Rechtsgrundlage dafür ist § 108 Abs 2 Satz 1 Nr 2 SGB X iVm §
44 Abs
3 Satz 1
SGB I. Hiernach haben die Sozialhilfeträger und die anderen in § 108 Abs 2 SGB X genannten Träger - und nur diese (vgl BSG SozR 4-2500 § 19 Nr 4 RdNr 29 mwN) - auf Antrag Anspruch auf Verzinsung eines Erstattungsanspruchs mit 4 vH für den Zeitraum nach Ablauf eines
Kalendermonats nach Eingang des vollständigen, den gesamten Erstattungszeitraum umfassenden Erstattungsantrages beim zuständigen
Erstattungsverpflichteten bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung (§ 108 Abs 2 Satz 1 Nr 2 SGB X). Verzinst werden aber nur volle Euro-Beträge (§
44 Abs
3 Satz 1
SGB I). Diese Vorschriften gelten für Erstattungsansprüche nach §
14 Abs
4 SGB IX entsprechend. Wie bereits dargelegt, begründet §
14 Abs
4 SGB IX einen spezialgesetzlichen Erstattungsanspruch, der den allgemeinen Erstattungsansprüchen nach dem SGB X vorgeht (BSGE 98, 267, 272 und 277, 279). Soweit dessen Regelungen nicht vorgreiflich sind, gelten deshalb im Erstattungsstreit zwischen den Rehabilitationsträgern
die allgemeinen Vorschriften des SGB X und damit auch die Zinsregelung des § 108 Abs 2 SGB X.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a SGG iVm §
154 Abs
2 Verwaltungsgerichtsordnung, die Entscheidung über den Streitwert auf § 52 Abs 1 und § 63 Abs 2 Satz 1 Gerichtskostengesetz.