Nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts einer Krankenkasse
Versorgung mit einem Elektrorollstuhl
Verletzung rechtlichen Gehörs
Bezugnahme auf die erstinstanzliche Entscheidung
Gründe:
I
Streitig ist die nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts der beklagten Krankenkasse.
Die 1939 geborene Klägerin ist wegen mehrfacher körperlicher Funktionseinschränkungen (GdB 100, Merkzeichen B, G und aG; Pflegestufe
I) stark gehbehindert und deshalb ständig auf einen Elektrorollstuhl angewiesen. Aufgrund einer ärztlichen Verordnung vom
4.11.2009 bewilligte die Beklagte die Versorgung der Klägerin mit einem Elektrorollstuhl (Bescheid vom 22.2.2010). Die beigeladene
Orthopädietechnik-GmbH richtete einen aus dem Jahr 2003 stammenden gebrauchten Elektrorollstuhl aus dem Hilfsmittelbestand
der Beklagten zum Wiedereinsatz her. Die Klägerin verweigerte am 7.6.2010 jedoch die Abnahme, weil es sich um ein ungepflegtes,
rostiges und eigentlich zur Verschrottung vorgesehenes Fahrzeug gehandelt habe, das für sie auch deshalb ungeeignet sei, weil
es ihren Bedürfnissen nicht entspreche und nicht jene Ausstattung aufweise, die sie benötige (Sitzpolster, Kopfstütze, verstellbare
Rückenlehne). Sie wünsche die Versorgung mit einem Elektrorollstuhl, der so ausgestattet sei wie das Modell, das sie am 25.11.2009
erprobt habe. Darüber hinaus lehne sie jede weitere Zusammenarbeit mit der Beigeladenen ab, weil das Vertrauensverhältnis
nicht mehr bestehe. Den angebotenen Rollstuhl werde sie auch dann nicht akzeptieren, wenn er entsprechend dem Kostenvoranschlag
der Beigeladenen vom 16.6.2010 mit Kopfstütze, Kontur-Rücken und Kontursitz nachgerüstet würde.
Die Beklagte lehnte die Versorgung mit einem neuen Elektrorollstuhl ab, weil das angebotene Fahrzeug zwar gebraucht, aber
technisch und optisch einwandfrei sei und deshalb dem Wirtschaftlichkeitsgebot entspreche (Bescheid vom 17.1.2011, Widerspruchsbescheid
vom 6.4.2011).
Das SG hat die Klage auf Versorgung mit einem "den Bestimmungen des Medizinproduktegesetzes und den VDE-Richtlinien" entsprechenden Elektrorollstuhl abgewiesen (Urteil vom 6.10.2011). Während des Berufungsverfahrens
hat die Beklagte die Klägerin aufgrund einer erweiterten ärztlichen Verordnung vom 5.8.2011 mit einem (ebenfalls gebrauchten
und wieder aufgearbeiteten) Elektrorollstuhl in beantragter Zusatzausstattung versorgt (Bescheid vom 23.4.2012). Daraufhin
ist die Klägerin von der erhobenen Anfechtungs- und Leistungsklage (§
54 Abs
4 SGG) auf die Fortsetzungsfeststellungsklage (§
131 Abs
1 Satz 3
SGG) übergegangen. Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 30.4.2014) und sich dabei im Wesentlichen auf die Gründe
des SG-Urteils bezogen (§
153 Abs
2 SGG). Die Leistungsklage sei unbegründet gewesen, weil die seinerzeit angebotene Versorgung mit dem gebrauchten Elektrorollstuhl
sowohl der ärztlichen Verordnung vom 4.11.2009 als auch dem Wirtschaftlichkeitsgebot entsprochen habe (§
33 Abs
1 Satz 1, §
12 Abs
1 SGB V). Dem Sachleistungsanspruch sei die Beklagte mit dem zur Abnahme bereitgestellten Fahrzeug vollumfänglich nachgekommen; das
Angebot der Beklagten zur Nachrüstung bei entsprechender ergänzender Verordnung sei ohne Grund ausgeschlagen worden.
Die im Berufungsverfahren wegen verzögerter Leistungsbewilligung zusätzlich erhobene Klage auf Zahlung von 7000 Euro (700
x 10 Euro) hat das LSG zuständigkeitshalber an das Landgericht München verwiesen (Beschluss vom 30.4.2014).
Mit der Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG. Sie stützt das Rechtsmittel
auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) sowie auf Verfahrensfehler (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG).
II
Es kann offenbleiben, ob die Klägerin die geltend gemachten Revisionszulassungsgründe formgerecht vorgetragen hat (§
160a Abs
2 Satz 3
SGG). Auf jeden Fall ist die Beschwerde unbegründet.
1. Der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 160 Abs 2 Nr 1SGG).
Die Klägerin hat dazu sinngemäß folgende Rechtsfrage formuliert: Hat ein Versicherter gegen den zuständigen Leistungsträger
einen Anspruch auf die Versorgung durch einen bestimmten Hilfsmittellieferanten? Damit bezieht sich die Klägerin auf die Regelung
des §
33 Abs
6 Satz 1
SGB V, wonach die Versicherten alle Leistungserbringer in Anspruch nehmen können, die Vertragspartner ihrer Krankenkasse sind.
Sie hatte das Vertrauen in die Seriosität und Zuverlässigkeit der Beigeladenen verloren, nachdem diese einen aus ihrer Sicht
verschrottungsreifen und technisch unsicheren alten Rollstuhl wieder aufgearbeitet hatte, der zudem von dem bei der Erprobung
vorgestellten Modell, das ihren Bedürfnissen entsprach, abgewichen sei.
Es fehlt jedoch an der Klärungsbedürftigkeit und Entscheidungserheblichkeit dieser Rechtsfrage. Die Klägerin berücksichtigt
nicht den Streitgegenstand des vorliegenden Rechtsstreits. Es kommt lediglich darauf an, ob die Beklagte mit dem von der Beigeladenen
gemäß der Verordnung vom 4.11.2009 aufbereiteten Elektrorollstuhl den mit Bewilligungsbescheid vom 22.2.2010 zuerkannten Sachleistungsanspruch
der Klägerin (§
33 Abs
1 Satz 1, §
2 Abs
2 Satz 1
SGB V) ordnungsgemäß erfüllt hätte. Dies war nach Auffassung vom SG und LSG der Fall. Die Nachrüstung mit besonderem Zubehör hätte einer ergänzenden ärztlichen Verordnung bedurft, weil die
Verordnung vom 4.11.2009 nur einen Elektrorollstuhl ohne weiteres Zubehör ausgewiesen habe. Auf dieses Angebot sei die Klägerin
nicht eingegangen.
Mit der Klage vom 13.5.2011 auf Verurteilung der Beklagten zur Lieferung eines den Bestimmungen des Medizinproduktegesetzes sowie den VDE-Richtlinien entsprechenden Elektrorollstuhls hat die Klägerin lediglich einen aus ihrer Sicht weitergehenden
Sachleistungsanspruch geltend gemacht, ohne dass es dabei auf die Person des Leistungserbringers angekommen wäre. Weder der
Sachleistungsanspruch noch die Klage war auf eine Anspruchserfüllung durch die Beklagte unter Ausschluss der Beigeladenen
gerichtet. Das Wahlrecht des Versicherten nach §
33 Abs
6 Satz 1
SGB V war also weder formal noch inhaltlich Streitgegenstand.
Zu Recht bemängelt die Klägerin allerdings, dass die Beklagte und das SG davon ausgegangen sind, sie verlange einen fabrikneuen Rollstuhl. Die Klägerin begehrte lediglich einen Rollstuhl in der
Ausführung, wie sie ihn erprobt hatte. Von einem Neufahrzeug war nicht die Rede. Dies ist bestätigt worden durch die Annahme
des mit Bescheid vom 23.4.2012 bewilligten Rollstuhls, bei dem es sich ebenfalls um ein Exemplar im Wiedereinsatz handelt.
Dieses Missverständnis der Beklagten und des SG hatte allerdings keinen entscheidungserheblichen Einfluss.
2. Soweit die Klägerin rügt, das LSG habe durch die weitreichende Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe des LSG-Urteils nach
§
153 Abs
2 SGG ihren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art
103 Abs
1 GG, §
62 SGG, Art 6 Abs 1 Europäische Menschenrechtskonvention) verletzt und dadurch einen Verfahrensfehler begangen (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG), führt die Beschwerde ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision. Für den Fall, dass das LSG die vom SG gewählte Begründung für die Entscheidung teilt und im Berufungsverfahren keine neuen rechtlichen Aspekte und kein neuer Sachvortrag
unterbreitet werden, sieht §
153 Abs
2 SGG die Möglichkeit der - vollständigen oder teilweisen - Bezugnahme auf die erstinstanzliche Entscheidung ausdrücklich vor.
Auch der Vorwurf, weder SG noch LSG seien auf den Vortrag zur Notwendigkeit der Zusatzausstattung mit Kopfstütze, Sitzpolster und verstellbarer Rückenlehne
eingegangen und dadurch sei der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden, ist nicht berechtigt. Das SG hat dazu ausgeführt, das während des Erörterungstermins geforderte Zubehör hätte einer zusätzlichen medizinischen Begründung
in Form einer erweiterten ärztlichen Verordnung bedurft, die aber trotz mehrfacher Aufforderung nicht vorgelegt worden sei.
Auch hierauf hat sich das LSG bezogen (§
153 Abs
2 SGG). Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Rechtsansicht zutrifft, das Vorbringen der Klägerin ist jedenfalls berücksichtigt
worden.
Unabhängig davon ist festzuhalten, dass die Beigeladene schon von sich aus eine aus ihrer Einschätzung notwendige Zusatzausstattung
angeboten hatte (vgl ergänzenden Kostenvoranschlag vom 16.6.2010), aber die Umsetzung des Angebots gescheitert ist, weil die
Klägerin jede weitere Zusammenarbeit mit der Beigeladenen abgelehnt hatte, obwohl nach den Feststellungen vom SG und LSG dafür objektiv kein Grund vorhanden war.
3. Ferner hat die Klägerin gerügt, ein Verfahrensfehler des LSG liege in der Verletzung des Grundsatzes der Amtsermittlung
(§
103 SGG). Es sei versäumt worden, von Amts wegen aufzuklären, ob der angebotene Rollstuhl ihren Bedürfnissen in vollem Umfang entsprochen
habe. Die Beschwerde ist vom Gesetzgeber insoweit nur begrenzt zugelassen, weil sie auf eine Verletzung des §
103 SGG nur gestützt werden kann, wenn geltend gemacht wird, das LSG sei einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt
(§
160 Abs
2 Nr
3 SGG). Einen solchen Beweisantrag hat die - anwaltlich vertretene - Klägerin weder vor dem SG noch vor dem LSG gestellt.
4. Soweit die Klägerin die - vom LSG übernommene - Beweiswürdigung des SG angreift, der Rollstuhl sei optisch und technisch in einem einwandfreien Zustand gewesen und habe der Verordnung vom 4.11.2009
entsprochen, könnten etwaige Fehler bei der Beweiswürdigung (§
128 Abs
1 Satz 1
SGG) ohnehin nicht zur Zulassung der Revision führen.
. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.