Kostenerstattungsanspruch wegen einer zu Unrecht verweigerten Sachleistung, Bezahlung von Krankenfahrten
Gründe:
I
Die Beteiligten streiten um die Erstattung der Kosten für einen schwenkbaren Autositz.
Die Kläger sind die Eltern und Rechtsnachfolger der im Januar 1981 geborenen und am 1. März 2002 verstorbenen Miriam F.
, die bei der beklagten Krankenkasse versichert war. Die an einer schweren Autoimmunerkrankung leidende Tochter der
Kläger befand sich nach einem Atemstillstand von November 1998 bis zu ihrem Tode im Wachkoma und erhielt Leistungen nach der
Pflegestufe III unter Berücksichtigung der Härtefallregelung. Die Beklagte versorgte sie ua mit einem Rollstuhl mit elektrischer
Schiebehilfe (Viamobil für drinnen und draußen), einer angepassten Sitzschale und zahlreichen weiteren Hilfsmitteln.
Im März 2001 beantragten die Kläger für ihre Tochter die Versorgung mit einem schwenkbaren Autositz, fügten einen Kostenvoranschlag
über 15.069,56 DM bei und gaben ergänzend an, im April oder Mai werde ein neues Fahrzeug ausgeliefert, in das der Autositz
zeitnah eingebaut werden solle. Mit Bescheid vom 11. April 2001 lehnte die Beklagte diesen Antrag mit der Begründung ab, das
Autofahren gehöre nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht zu den elementaren Grundbedürfnissen;
deshalb könne ein schwenkbarer Autositz auch nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) finanziert werden.
Hiergegen legten die Kläger für ihre Tochter Widerspruch ein und wiesen darauf hin, dass es sich bei dem neuen Fahrzeug nicht
um die Anschaffung eines Luxusartikels handele, sondern um ein dringend gebotenes Fortbewegungsmittel, welches nach den Bedürfnissen
ihrer Tochter umgerüstet werden müsse, um ihr den Besuch im Klinikum sowie bei außerhalb stattfindenden Therapiemaßnahmen
zu ermöglichen. Den Widerspruch wies die Beklagte unter Wiederholung ihrer Rechtsauffassung mit Widerspruchsbescheid vom 14.
Februar 2002 zurück.
Die Eltern haben als Rechtsnachfolger der Versicherten Klage erhoben, mit der sie zunächst die Erstattung der Kosten für einen
im September 2001 selbstbeschafften Autoschwenksitz in Höhe von 9.028,61 _ verlangten. Das für den Transport der Tochter eingesetzte
Fahrzeug ist nach deren Tod veräußert worden. Der Autositz befindet sich noch im Besitz der Kläger, das drehbare Untergestell
konnten sie jedoch zum Preis von 1.789,52 _ an den Lieferanten zurückgeben.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen, das Landessozialgericht (LSG) die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen (Urteil des SG vom 31. Oktober 2002 und des LSG vom 11. September 2003). Die Beklagte habe die begehrte Leistung zu Recht abgelehnt; den
Klägern stehe deshalb kein Erstattungsanspruch wegen der Selbstbeschaffung des Autoschwenksitzes zu. Das Hilfsmittel sei nicht
erforderlich gewesen, um eine Behinderung der Versicherten auszugleichen (§ 33 Abs 1 Satz 1, 3. Alternative Sozialgesetzbuch
Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung >SGB V<); sie habe den Autoschwenksitz nicht zu ihrer Lebensbetätigung im Rahmen
der allgemeinen Grundbedürfnisse benötigt. Weder das Autofahren selbst noch die hierdurch eröffnete Möglichkeit, Ärzte und
Therapeuten aufzusuchen, gehörten zu den Grundbedürfnissen. Das Hilfsmittel sei auch nicht erforderlich gewesen, um den Erfolg
der Krankenbehandlung zu sichern (§
33 Abs
1 Satz 1, 1. Alternative
SGB V). Schon der Wortlaut dieser Vorschrift stelle eindeutig auf den "Erfolg", nicht aber auf die "Ermöglichung der Krankenbehandlung"
ab. Zudem schließe §
60 SGB V, der die Verpflichtung der GKV zur Übernahme von Fahrtkosten in bestimmten Fällen regele, die Gewährung von Hilfsmitteln
aus, die allein dazu dienten, die Wege zu den Leistungserbringern zurücklegen zu können. Entgegen der Behauptung der Kläger
könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Transport ihrer Tochter ausschließlich mit dem eigenen PKW und dem streitbefangenen
Autoschwenksitz hätte erfolgen können. Der Transport von Wachkoma-Patienten durch professionelle Krankentransporteure sei
möglich und zumutbar gewesen; erforderlichenfalls hätte ein Elternteil die Versicherte begleiten können.
Die Kläger haben Revision eingelegt und rügen die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das LSG habe verkannt, dass
zu den Grundbedürfnissen iS von §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V die Möglichkeit gehöre, Ärzte und Therapeuten aufzusuchen. Auf Grund der multiplen Erkrankungen ihrer Tochter seien die durchgeführten
Therapien zwingend erforderlich gewesen, um eine Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes zu verhindern. Die Interpretation
des LSG sei mit dem Benachteiligungsverbot des Art
3 Abs
3 Satz 2
Grundgesetz (
GG) unvereinbar. Die Leistungspflicht der Beklagten ergebe sich auch aus §
55 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (
SGB IX), denn der in §
55 Abs
2 Nr
1 SGB IX verwandte Begriff der "anderen Hilfsmittel" sei weit auszulegen. Zudem werde §
33 Abs
1 SGB V auch nicht durch die Regelung des §
60 SGB V verdrängt: Soweit die dort vorgesehenen Möglichkeiten zur Wahrnehmung von Therapieangeboten nicht ausreichend seien, müsse
§
33 SGB V bürgerfreundlich und gemäß den Leitvorstellungen der sozialen Rechte ausgelegt werden. Schließlich habe das LSG §
103 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) verletzt, weil es den Sachverhalt nicht von Amts wegen vollständig aufgeklärt habe. Das LSG habe in der angefochtenen Entscheidung
nur Vermutungen angestellt, dass der Transport der Versicherten auch auf andere Weise als mit dem elterlichen Fahrzeug möglich
gewesen wäre. In mehreren Schriftsätzen und zuletzt noch in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG sei jedoch ausführlich
dargelegt worden, weshalb die Versicherte auf das elterliche Fahrzeug angewiesen gewesen sei; hierzu gefertigtes Bild- und
Videomaterial habe das Berufungsgericht zurückgewiesen.
Die Kläger beantragen,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 11. September 2003 und des Sozialgerichts Duisburg vom 31. Oktober
2002 sowie den Bescheid der Beklagten vom 11. April 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Februar 2002 aufzuheben
und die Beklagte zu verurteilen, ihnen die Kosten für einen schwenkbaren Autositz in Höhe von 7.239,09 _ zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie verteidigt die Entscheidung des LSG und weist im Übrigen darauf hin, dass das LSG nicht gegen die Amtsermittlungspflicht
verstoßen habe, sondern lediglich Beweisanregungen der Kläger nicht gefolgt sei.
II
Die Revision der Kläger ist begründet. Die Beklagte und die Vorinstanzen haben den Erstattungsanspruch der Kläger in Höhe
von 7.239,09 _ zu Unrecht abgelehnt. Die Beklagte wäre zur Gewährung der Sachleistung "schwenkbarer Autositz" an die verstorbene
Versicherte verpflichtet gewesen; da diese Sachleistung zu Unrecht nicht erbracht worden ist, steht den Klägern als Rechtsnachfolgern
ihrer Tochter für die selbstbeschaffte Leistung ein Kostenerstattungsanspruch zu (§
13 Abs
3 SGB V).
1. Die Kläger sind aktiv legitimiert. Sie sind nach den Feststellungen des LSG Alleinerben ihrer verstorbenen Tochter. Eine
Sonderrechtsnachfolge gemäß §
56 Abs
1 Satz 1 Nr
3 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil (
SGB I) kommt nicht in Betracht, da es nicht um fällige Ansprüche auf laufende Geldleistungen geht, sondern um einen einmaligen
Zahlungsanspruch an Stelle eines gegenstandslos gewordenen Sachleistungsanspruchs.
2. Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch ist §
13 Abs
3 Satz 1
SGB V idF des Art 5 Nr 7 iVm Art 67 des Gesetzes vom 19. Juni 2001 (BGBl I S 1046). Dort heißt es: "Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht
rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte
Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig
war". Eine entsprechende Erstattungsregelung enthält nunmehr auch §
15 Abs
1 Sätze 3 und 4
SGB IX, auf die §
13 Abs
3 Satz 2
SGB V für den Fall der medizinischen Rehabilitation ausdrücklich verweist. Die Voraussetzungen beider Anspruchsgrundlagen sind
vorliegend erfüllt, obwohl lediglich die Tochter der Kläger bei der Beklagten versichert gewesen ist und die Kläger den schwenkbaren
Autositz für ihre Tochter erworben haben, also ihnen und nicht der Versicherten die streitbefangenen Kosten konkret entstanden
sind. Grundsätzlich ist §
13 Abs
3 Satz 1
SGB V zwar eng auszulegen, denn die GKV wird vom Sach- und Dienstleistungsprinzip (§
2 Abs
2 Satz 1
SGB V) bestimmt; das Recht auf Kostenerstattung stellt demgegenüber die Ausnahme dar, wie sich schon aus der Formulierung des §
13 Abs
1 SGB V "darf ... nur erstatten, soweit ..." ergibt. Gleichwohl war die Versicherte hier berechtigt, den Aufwand ihrer Eltern wie
eigene Aufwendungen geltend zu machen, da diese im Rahmen ihrer familiären Fürsorge gehandelt haben. Für die Annahme eines
rechtlichen Fürsorge- und Beistandsverhältnisses fehlt es zwar an tatsächlichen Feststellungen des LSG, ebenso wie zum Rechtsgrund
des Versicherungsverhältnisses. Doch selbst wenn bei Volljährigen wie der verstorbenen Tochter der Kläger kein rechtlich begründetes
Fürsorge- und Beistandsverhältnis nachgewiesen ist, darf dem Versicherten nicht entgegengehalten werden, dass nicht er selbst,
sondern die Eltern in Erfüllung einer moralischen Verpflichtung aus dem Familienbund das von der GKV verweigerte Hilfsmittel
beschafft haben. Dies ist vorliegend der Fall.
Diese Ausdehnung des Erstattungsanspruchs bei einer "Schadensverlagerung" auf besonders eng mit dem oder der Versicherten
verbundene Familienmitglieder ist auch unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte des §
13 SGB V geboten, und zwar unabhängig davon, ob hier die Versicherung als Familienversicherung nach §
10 SGB V bestanden hat oder nicht. Nach der Rechtslage vor Inkrafttreten des
SGB V war Anspruchsberechtigter im Rahmen der Familienversicherung immer nur das Mitglied, also der Stammversicherte; nur ihm konnten
auch Erstattungsansprüche zustehen. Durch das Gesundheitsreformgesetz vom 20. Dezember 1988 (BGBl I S 2477) wurde in §
10 SGB V die Familienversicherung neu geregelt und den mitversicherten Familienangehörigen ein eigener Versicherungsanspruch eingeräumt
- die Angehörigen sollten nunmehr eigene Ansprüche haben und den Versicherten gleichgestellte Mitglieder der GKV werden (BR-Drucks
200/88 S 161). Gleichzeitig fand der bislang nur durch die Rechtsprechung des BSG begründete Erstattungsanspruch in §
13 SGB V seine legislatorische Verfestigung (BR-Drucks 200/88 S 164). Als "Versicherte" können jetzt die Familienversicherten auch
Erstattungsansprüche geltend machen, ohne - wie früher - auf den Stammversicherten angewiesen zu sein. Diese Ausgestaltung
der Familienversicherung mit eigenem Versichertenstatus darf aber nicht dazu führen, dass Erstattungsansprüche nur noch und
ausschließlich von dem betroffenen Familienmitglied geltend gemacht werden können, soweit es eigene Aufwendungen gehabt hat.
Dies hätte zur Folge, dass Erstattungsansprüche gänzlich ausgeschlossen wären, wenn familienhafte Bande bestehen und das von
der GKV zu Unrecht verweigerte Hilfsmittel von den Eltern oder einem anderen nahen Familienangehörigen beschafft worden ist.
Mit der Rechtsänderung sollte eine Besserstellung der Rechtsstellung der Familienversicherten einhergehen, nicht aber gleichzeitig
eine Benachteiligung des Familienverbunds eintreten. Aber auch ganz unabhängig davon, ob im vorliegenden Fall das Versicherungsverhältnis
als Familienversicherung oder auf sonstige Weise begründet war, darf es dem Erstattungsanspruch eines Versicherten nicht entgegen
gehalten werden, dass nicht er selbst, sondern Familienangehörige die Aufwendungen getragen haben. Denn die Solidargemeinschaft
erwartet zwar, dass Familienangehörige in bestimmtem und zumutbarem Rahmen mit unentgeltlichen Leistungen eintreten (vgl §
37 Abs
3 SGB V), verlangt aber keine entschädigungslosen Vermögensopfer, wenn sie an Stelle der Krankenkasse für den Versicherten eintreten.
3. Die beklagte Krankenkasse hat die ihr obliegende Sachleistung "schwenkbarer Autositz" zu Unrecht abgelehnt. Versicherte
haben nach §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V in der Fassung des Art 5 Nr 9 iVm Art 67 des Gesetzes vom 19. Juni 2001 (BGBl I S 1046) Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen
und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern (1. Alternative),
einer drohenden Behinderung vorzubeugen (2. Alternative) oder eine Behinderung auszugleichen (3. Alternative), soweit die
Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach §
34 Abs
4 SGB V ausgeschlossen sind. Wie in allen anderen Bereichen der Leistungsgewährung der GKV auch, müssen die Leistungen nach §
33 SGB V ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die
nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken
und die Krankenkasse nicht bewilligen (§
12 Abs
1 SGB V).
a) Die Beklagte war allerdings nicht verpflichtet, den schwenkbaren Autositz "zur Sicherung des Erfolges der Krankenbehandlung"
(§
33 Abs
1 Satz 1, 1. Alternative
SGB V) zu bewilligen. Diese Alternative scheidet zwar nicht schon deshalb aus, weil die Vorschrift über die Erstattung von Fahrkosten
(§
60 SGB V) - wie das LSG gemeint hat - eine abschließende Regelung über solche Leistungen enthielte, die im Zusammenhang mit Fahrten
oder Transporten zu den Leistungserbringern erforderlich werden. Für eine solche Interpretation bestehen keine Anhaltspunkte,
denn beide Vorschriften dienen unterschiedlichen Zielen: Mit der Hilfsmittelversorgung nach §
33 SGB V wird der Zweck verfolgt, Versicherte mit den notwendigen sächlichen Mitteln auszustatten, die zur Bekämpfung einer Krankheit
oder zum Ausgleich von Behinderungsfolgen erforderlich sind (Höfler in Kasseler Kommentar - Band 1, Stand: 1. März 2004, §
33 SGB V RdNr 2). Mit der Gewährung von Fahrkosten sollen andere notwendige - medizinische - Leistungen der GKV erst ermöglicht werden
(Akzessorietät - vgl BSGE 47, 79, 82 = SozR 2200 § 194 Nr 3 S 6; BSGE 83, 285 = SozR 3-2500 § 60 Nr 3). Die Fahrkostenerstattung ebnet also den Weg für die Versicherten zur Inanspruchnahme der in §
11 Abs
1 SGB V genannten prioritären Leistungsarten in der GKV. Die gesetzliche Verpflichtung zur Übernahme von Fahrkosten kann deshalb
als bloß ergänzende Leistung den Anspruch auf Gewährung eines Hilfsmittels zur Erleichterung des Transports zur Behandlung
bei Ärzten und Therapeuten nicht ausschließen.
Zutreffend hat das LSG jedoch darauf hingewiesen, dass die 1. Alternative des §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V lediglich solche Gegenstände betrifft, die auf Grund ihrer Hilfsmitteleigenschaft spezifisch im Rahmen der ärztlich verantworteten
Krankenbehandlung eingesetzt werden, um zu ihrem Erfolg beizutragen. Es entspricht der Intention des §
33 SGB V und auch dessen Vorgängerregelung in § 182b
Reichsversicherungsordnung (
RVO - vgl dazu BT-Drucks 11/2237 S 174), unter dem Begriff "Hilfsmittel, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern" alle
sächlichen Mittel zu verstehen, die der Krankenbehandlung dienen. Der Wortlaut des §
33 Abs
1 Satz 1, 1. Alternative
SGB V, der auf die Sicherung eines Erfolgs der Krankenbehandlung abstellt, bedarf insoweit einer Erweiterung. Es reicht aus, wenn
mit dem Hilfsmittel ein therapeutischer Erfolg angestrebt wird; er muss nicht bereits vorliegen und nur noch zu sichern sein.
Der Wortlaut ist nur verständlich vor der historischen Entwicklung und Funktion der Vorschrift, die Hilfsmittel von den Heilmitteln
abzugrenzen, die früher ebenfalls sächlicher Natur sein konnten. Dies ist nach der nunmehr gültigen Abgrenzung von Heilmitteln
gegenüber Hilfsmitteln (vgl dazu BSGE 88, 204 = SozR 3-2500 § 33 Nr 41) nicht mehr erforderlich, weil jetzt alle sächlichen Mittel, die therapeutischen Zwecken dienen,
Hilfsmittel und nicht Heilmittel sind. Eine noch weiter gehende Ausdehnung der unter diese Alternative fallenden Hilfsmittel
auch auf solche, die eine ärztliche Behandlung erst ermöglichen, ist aber nicht geboten. Insoweit geht es bereits um die Frage
eines Behinderungsausgleichs, der von der 3. Alternative des §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V erfasst wird.
b) Nach §
33 Abs
1 Satz 1, 3. Alternative
SGB V bestand ein Anspruch auf das begehrte Hilfsmittel, weil es erforderlich war, um das Gebot eines möglichst weit gehenden Behinderungsausgleichs
zu erfüllen. Gegenstand des Behinderungsausgleichs sind zunächst solche Hilfsmittel, die auf den Ausgleich der Behinderung
selbst gerichtet sind, also zum unmittelbaren Ersatz der ausgefallenen Funktionen dienen (BSGE 37, 138, 141 = SozR 2200 § 187 Nr 1; BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 18 S 88 und Nr
20 S 106). Der in §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V genannte Zweck des Behinderungsausgleichs umfasst jedoch auch solche Hilfsmittel, die die direkten und indirekten Folgen
der Behinderung ausgleichen. Ein Hilfsmittel ist von der GKV immer dann zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung
im täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein Grundbedürfnis betrifft. Nach der ständigen Rechtsprechung (vgl BSGE
91, 60, 63 = SozR 4-2500 §
33 Nr 3 S 20 mwN; vgl auch Höfler aaO §
33 SGB V RdNr 11 ff mit zahlr Nachw aus der Rspr) gehören zu den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens das Gehen, Stehen, Greifen,
Sehen, Hören, Nahrungsaufnehmen, Ausscheiden, (elementare) Körperpflegen, selbstständige Wohnen sowie Erschließen eines gewissen
körperlichen und geistigen Freiraums. Hierzu zählt aber auch das Bedürfnis, bei Krankheit oder Behinderung Ärzte und Therapeuten
aufzusuchen. Denn die notwendige medizinische Versorgung ist grundlegende Voraussetzung, um die elementaren Bedürfnisse des
täglichen Lebens befriedigen zu können.
Die Tochter der Kläger war als Wachkomapatientin erheblich behindert und litt zudem unter multiplen Erkrankungen. Diese Behinderungen
schränkten sie in ihrer Lebensbetätigung der allgemeinen Grundbedürfnisse ein (vgl BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 19 S 97 und Nr
25 S 141). Sie konnte - wie das LSG festgestellt hat und wie es im Falle einer Wachkomapatientin auch ohne weiteres einleuchtet
- weder gehen noch ein Fahrzeug besteigen; selbst die eigenständige Benutzung des von der Beklagten zur Verfügung gestellten
Viamobils war ihr vollständig unmöglich. Hinsichtlich des Grundbedürfnisses des "Erschließens eines gewissen körperlichen
Freiraums" hat der 8. Senat des BSG bereits entschieden, dass ein schwenkbarer Autositz ein Hilfsmittel iS des § 182b
RVO (heute: §
33 SGB V) ist, wenn einem Versicherten dadurch ermöglicht wird, einen PKW zu benutzen und damit die Unfähigkeit auszugleichen, zu
gehen und ein Fortbewegungsmittel zu besteigen (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 3 S 3). Ergänzend hat der 8. Senat allerdings angefügt,
es müsse in jedem Einzelfall gesondert festgestellt werden, ob ein Versicherter dieses Hilfsmittel zur Befriedigung seines
körperlichen Freiraums trotz des Vorhandenseins von der Beklagten bereits zur Verfügung gestellter Leistungen tatsächlich
benötige. Dieser Rechtsprechung schließt sich der erkennende Senat an. Ein schwenkbarer Autositz kann grundsätzlich als Hilfsmittel
geeignet sein, weil er behinderungsbedingte Beeinträchtigungen eines Versicherten ausgleichen kann. Dies gilt sowohl für das
Grundbedürfnis des Erschließens eines gewissen körperlichen Freiraums als auch für das Bedürfnis, bei Krankheit oder Behinderung
Ärzte und Therapeuten aufzusuchen. Diese Wertung steht nicht im Widerspruch zu früheren Entscheidungen des Senats. Mit Urteil
vom 6. August 1998 (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 29 S 171) hat der Senat zwar entschieden, dass die behindertengerechte Ausstattung
eines Kraftfahrzeuges nicht als Hilfsmittel der GKV zu leisten ist. Mit weiterem Urteil vom 26. März 2003 (BSGE 91, 60 = SozR 4-2500 § 33 Nr 3 S 17) hat er bekräftigt, dass die Verpflichtung der Krankenkassen, Versicherte zum Ausgleich einer
Behinderung mit Hilfsmitteln zu versorgen, auch nach Inkrafttreten des
SGB IX nicht die Ausrüstung eines PKW mit einer Ladevorrichtung (Rollstuhl-Ladeboy) umfasst, die es einem gehbehinderten Menschen
ermöglichen soll, seinen Rollstuhl mit dem PKW zu transportieren. In beiden Fällen ging es aber nur darum, mit dem Hilfsmittel
selbstständig größere Strecken als allein mittels des Rollstuhls zurückzulegen und damit den eigenen Aktionsradius zu erweitern.
Hier steht indes im Vordergrund, dass das Hilfsmittel dazu dient, bei Krankheit oder Behinderung Ärzte und Therapeuten aufsuchen
zu können. Soweit der Senat mit Urteil vom 11. April 2002 (SozR 3-3300 § 40 Nr 9 S 43) Ausführungen zur Anschaffung eines
schwenkbaren Autositzes gemacht hat, sind diese hier schon deshalb nicht einschlägig, weil sie sich mit der Leistungsverpflichtung
in der privaten Pflegeversicherung befassen und nicht mit der GKV.
Zwar hat die Rechtsprechung das jeweils in Betracht kommende Grundbedürfnis nach Fortbewegung bislang immer nur im Sinne eines
Basisausgleichs der Behinderung selbst und nicht im Sinne des vollständigen Gleichziehens mit den letztlich unbegrenzten Möglichkeiten
des Gesunden verstanden. Im vorliegenden Fall ist diese Einschränkung jedoch ohne Bedeutung, weil die Versicherte als Wachkomapatientin
mit multiplen Behinderungen einen eigenen körperlichen Freiraum überhaupt nicht mehr wahrnehmen konnte und die Fortbewegung
ausschließlich dem Besuch bei Ärzten und Therapeuten dienen sollte. Der Weg dorthin wurde für die Versicherte durch die Benutzung
des PKW erheblich erleichtert, weil ihr - wie vom LSG festgestellt und in der Revision nicht angegriffen - durch den Transport
im vertrauten Fahrzeug und in Gegenwart der Eltern Angstzustände genommen und zusätzliche spastische Anfälle vermieden wurden.
Der schwenkbare Sitz ermöglichte es ihr unter Hilfestellung des Vaters, das Fahrzeug zu besteigen und dort sicher transportiert
zu werden.
c) Das begehrte Hilfsmittel war auch erforderlich in dem Sinne, dass kein kostengünstigeres und zumindest gleichgeeignetes
Hilfsmittel zur Verfügung stand. Zum einen sind keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass die Kläger ein preiswerteres Modell
zum Einbau in den PKW hätten erwerben können. Das LSG hat insoweit zwar keine eigenen Feststellungen getroffen, brauchte sich
hierzu aber auch nicht veranlasst zu fühlen, weil die beklagte Krankenkasse zu diesem Punkt ebenfalls keinerlei Einwendungen
erhoben hat. Es ist auch nicht ersichtlich, dass im vorliegenden Fall eine zumindest gleichwertige Alternative hätte gewählt
werden können. Das von der Beklagten zur Verfügung gestellte Viamobil war zwar mit elektrischer Schiebehilfe ausgestattet
und zur Benutzung für drinnen und draußen vorgesehen; es eignet sich jedoch nur zum Zurücklegen kurzer Wege und in der Regel
nicht für Fahrten zur Behandlung bei Ärzten und Therapeuten. Der Hinweis des LSG schließlich, die Fahrten zu und von den Ärzten
und Therapeuten hätten auch durch professionelle Krankentransporteure durchgeführt werden können, lässt eine Würdigung der
besonderen Umstände der schwerstbehinderten Versicherten und der mit der Organisation und Durchführung solcher Krankenfahrten
verbundenen Schwierigkeiten nicht erkennen; er zeigt jedenfalls keine preiswertere Alternative auf. Zur Frage der Kosten hat
das LSG keine eigenen Feststellungen getroffen, obwohl die Kläger schon im Widerspruchsverfahren vorgetragen hatten, dass
der Transport ihrer Tochter mit einem Taxi, welches den Rollstuhl aufnehmen könne, pro Fahrt ca 120 DM (= 61,38 _) kosten
würde. Gleichwohl brauchte der Senat den Rechtsstreit nicht zur weiteren Aufklärung dieses Punktes an das LSG zurückzuverweisen.
Es ist offenkundig und bedarf keines weiteren Beweises, dass der mehrmals wöchentlich durchzuführende Transport der Versicherten
zu Ärzten und Therapeuten und zurück jeweils mindestens den oa Betrag von 120 DM gekostet hätte, denn es wäre ein professioneller
Krankentransport mit einer fachlichen Betreuung (§
60 Abs
2 Satz 2 Nr
3 SGB V, vgl dazu auch die abgestufte Verordnungsfähigkeit von Krankentransporten und Krankenfahrten in den §§ 6 und 7 der Krankentransport-Richtlinien
vom 22. Januar 2004 - BAnz Nr 18 vom 28. Januar 2004) erforderlich gewesen, der wegen des notwendigen Aufwands und der höheren
Personalkosten deutlich teurer wäre als ein Transport von Rollstuhlfahrern mittels Taxi. Eine überschlägige Berechnung der
Kosten für die mehrmals wöchentlich durchzuführenden Krankentransporte der Tochter der Kläger ergibt, dass spätestens nach
einem Jahr die geltend gemachten Kosten des schwenkbaren Autositzes erreicht worden wären. Die Fahrten mit professionellen
Krankentransporteuren wären im Ergebnis also schon nach verhältnismäßig kurzer Zeit teurer gewesen als der schwenkbare Autositz.
Dem steht nicht entgegen, dass die Versicherte den Sitz nur ca sechs Monate nutzen konnte, denn ihr baldiger Tod war zum Zeitpunkt
der Anschaffung des Sitzes nicht vorhersehbar. Maßgebend ist aber die Erforderlichkeit der Anschaffung zu diesem Zeitpunkt,
weil damit der Erstattungsanspruch entstanden ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.