Gerichtlicher Rechtsschutz bei Festbetragsfestsetzungen
Gründe:
I
Das klagende Unternehmen (Aktiengesellschaft) wendet sich als Arzneimittelhersteller gegen die Festbetragsfestsetzung gemäß
§
35 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) durch die beklagten Spitzenverbände der Krankenkassen (KKn) für den Wirkstoff "Nifedipin, Gruppe II (retardiert, incl SL)",
der zur Behandlung der akuten und chronischen Insuffizienz der Herzkranzgefäße und des Bluthochdrucks eingesetzt wird. Das
deutsche Basispatent (Stoffschutz) für Nifedipin ist 1985 abgelaufen. Der Wirkstoff wird als Tablette, in einer Lösung und
als Kapsel angeboten; es gibt ihn in schnell freisetzender, langsam (verzögert) freisetzender sowie gleichzeitig schnell und
langsam freisetzender Form (SL-Tabletten). Am 19. Juni 1989 setzten die Beklagten ua für diesen Wirkstoff Festbeträge fest,
die nach Angaben der Klägerin die damaligen Apothekenabgabepreise für ihre betroffenen Arzneimittel "Adalat retard" und "Adalat
SL" je nach Packungsgröße zwischen 3,20 DM und 8,80 DM unterschritten. Die Festsetzung wurde im Bundesarbeitsblatt (BArbBl
7/8/1989, S 50 f) mit dem Hinweis, die Festsetzung und ihre Begründung könne beim Bundesverband der Betriebskrankenkassen
(BKKn) eingesehen werden, und einer Rechtsbehelfsbelehrung veröffentlicht. Grundlage der Festbetragsfestsetzung war die entsprechende
Gruppenbildung durch den Bundesausschuss der Ärzte und KKn, den Rechtsvorgänger des jetzt beigeladenen Gemeinsamen Bundesausschusses,
der das vorgeschriebene Anhörungsverfahren durchgeführt hatte.
Gegen die Festbetragsfestsetzung hat die Klägerin am 11. August 1989 vor dem Sozialgericht (SG) Klage erhoben mit dem Antrag, die gemeinsame und einheitliche Festbetragsfestsetzung der Beklagten vom 19. Juni 1989 für
den Wirkstoff Nifedipin, Gruppe II (retardiert, incl SL) in allen Wirkstärken, Darreichungsformen und Packungsgrößen aufzuheben,
insbesondere soweit sich die Festbetragsfestsetzung auf 20 mg SL-Tabletten erstreckt. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 25. Februar 1991). Nach seiner Auffassung verstößt die angegriffene Festbetragsfestsetzung
nicht gegen einfaches Recht oder Verfassungsrecht und auch nicht gegen EG-Recht. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung
der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 7. Dezember 1993). Es hat die Klage bereits als unzulässig angesehen, weil die Klägerin
durch die Festbetragsfestsetzung als Arzneimittelhersteller nicht in rechtlich geschützten Positionen betroffen werde. Es
liege allenfalls eine Reflexwirkung vor, deren Hinnahme der Klägerin von der Rechtsordnung ohne Rechtsschutzmöglichkeit zugemutet
werde. Die Freiheit der Klägerin in ihrer Preisgestaltung für Arzneimittel werde durch die Festbetragsregelung nicht berührt.
Diese habe lediglich die Wirkung, dass die versicherten Patienten den über dem Festbetrag liegenden Mehrpreis selbst zahlen
müssen. In der Praxis sähen sich Arzneimittelhersteller zwar vielfach gezwungen, im Interesse ihrer Marktchancen die Preise
für ihre Präparate auf das Festbetragsniveau herabzusetzen. Entscheidend sei aber, dass ein rechtlicher Zwang zu einer solchen
Preisgestaltung nicht bestehe und deshalb eine Berufsausübungsregelung im Sinne einer Höchstpreisbestimmung nicht vorliege.
Die Klägerin hat mit ihrer Revision die Verletzung der §§
54 Abs
1 Satz 2 und Abs
2 Satz 1,
103, 128
Sozialgerichtsgesetz (
SGG), des §
35 Abs
1,
2,
3,
5 und
7 SGB V, der §§ 35 Abs 1 und 37 Abs 4 Satz 2 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X), des Art
12 Grundgesetz (
GG) iVm Art
3 GG, der Art
14 Abs
1 und Abs
3, 19 Abs
4, 20 Abs
3 und 103 Abs 3
GG sowie der Art
5 iVm Art
3 Buchst g (früher: f), 85, 86, 90 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EWGVtr) und schließlich einen
Verstoß gegen die gemeinschaftsrechtliche Richtlinie (EWGRL) 89/105 (sog Transparenzrichtlinie) gerügt. Für ihre Klagebefugnis
reiche es aus, dass die Festbetragsfestsetzung nach §
35 SGB V einen mittelbaren Eingriff in die Preisbildung auf dem Arzneimittelmarkt bedeute, weil sich Arzneimittelhersteller gezwungen
sähen, zur Wahrung ihrer Marktchancen ihre Preise auf die Höhe der Festbeträge abzusenken. Dies sei vom Gesetzgeber beabsichtigt
gewesen und auch weitgehend erreicht worden. Die Festbetragsfestsetzung verfälsche außerdem den Wettbewerb, soweit nicht vergleichbare
Arzneimittel in einer Gruppe zusammengefasst würden. Dies sei bei ihren betroffenen Arzneimitteln der Fall, weil diese trotz
desselben Wirkstoffes eine andere Art der Freisetzung der Wirkstoffe im Körper (Bioverfügbarkeit) aufwiesen als die in dieser
Gruppe ebenfalls enthaltenen Arzneimittel. Nach dem Gesetz seien die unterschiedlichen Bioverfügbarkeiten wirkstoffgleicher
Arzneimittel zu berücksichtigen, sofern sie für die Therapie bedeutsam seien. Insbesondere ihr Präparat Adalat SL weise die
einzigartige Besonderheit auf, dass es einen schnell wirkenden und einen verzögert wirkenden Anteil enthalte, was therapeutisch
von erheblicher Bedeutung sei. Die besondere Art der Zubereitung aus Wirkstoff und Hilfsstoffen (Galenik) von Adalat SL sei
sogar patentrechtlich geschützt. Die Festbetragsfestsetzung sei auch insoweit rechtswidrig, als dafür keine Begründung gegeben
worden sei. Damit verstoße sie sowohl gegen innerdeutsches Verwaltungsverfahrensrecht als auch gegen die EWGRL 89/105.
Der erkennende Senat hat mit Beschluss vom 14. Juni 1995 (3 RK 20/94) das Verfahren ausgesetzt und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu der Frage eingeholt, ob die im
Gesetz angeordnete Festsetzung der Festbeträge durch die Spitzenverbände der KKn in Form einer Allgemeinverfügung (Verwaltungsakt)
mit dem
GG vereinbar sei, oder ob stattdessen die Festsetzung von Festbeträgen in Form einer Rechtsverordnung durch dazu demokratisch
legitimierte Normgeber erfolgen müsse. Das BVerfG hat mit Urteil vom 17. Dezember 2002 (verbundene Rechtssachen 1 BvL 28/95, 29/95 und 30/95) die Verfassungsmäßigkeit der Regelung bejaht. Es hat eine Beeinträchtigung der Leistungserbringer in ihrer
Berufsfreiheit verneint, weil durch die Festbetragsfestsetzung nur die allgemeinen Rahmenbedingungen des Gesundheitsmarktes
verändert würden, deren Aufrechterhaltung für die Leistungserbringer nicht grundrechtlich geschützt sei. Die Festbetragsfestsetzung
berühre lediglich die Berufsausübungsfreiheit der Ärzte (Art
12 GG) und die Handlungsfreiheit der Versicherten (Art
2 Abs
1 GG). In dieser Hinsicht genügten die gesetzlichen Regelungen den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine Ermächtigung zum
Erlass einer Allgemeinverfügung.
Der erkennende Senat hat anschließend mit Beschluss vom 10. April 2003 das Revisionsverfahren erneut bis zur Entscheidung
des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in den verbundenen Rechtssachen C-264/01, C-306/01, C-354/01 und C-355/01 ausgesetzt, mit denen dem EuGH von anderen Gerichten Fragen zur Vereinbarkeit der deutschen Vorschriften zur Festbetragsfestsetzung
für Arzneimittel mit dem europäischen Wettbewerbsrecht vorgelegt worden waren. Der EuGH hat mit Urteil vom 16. März 2004 entschieden,
dass die Spitzenverbände der KKn nicht dem europäischen Wettbewerbsrecht unterliegen, soweit sie nach Maßgabe der deutschen
Vorschriften Festbeträge für Arzneimittel festsetzen, bis zu deren Erreichen die KKn die Kosten übernehmen.
Nach Wiederaufnahme des Verfahrens begehrt die Klägerin nunmehr die Feststellung, dass die seinerzeitige Festbetragsfestsetzung,
die durch nachfolgende Festbetragsfestsetzungen abgelöst worden ist, rechtswidrig gewesen ist. Sie vertritt weiterhin die
Auffassung, dass ihr eine Klagebefugnis zustehe, weil die Festbetragsfestsetzung sie in ihrem grundgesetzlich geschützten
Recht auf gleiche Wettbewerbsbedingungen verletzt habe und auch gegen die Vorgaben des §
35 SGB V verstoße, wozu das BVerfG keine Aussage getroffen habe. Sie halte auch ihre übrigen Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit
der Festbeträge aufrecht. An der Feststellung der Rechtswidrigkeit habe sie ein berechtigtes Interesse, weil Wiederholungsgefahr
bestehe und sie beabsichtige, im Hinblick auf die eingetretenen Verluste in Millionenhöhe Schadensersatz zu verlangen.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des LSG Nordrhein-Westfalen vom 7. Dezember 1993 und des SG Köln vom 25. Februar 1991 zu ändern und festzustellen,
dass die gemeinsame und einheitliche Festbetragsfestsetzung vom 19. Juni 1989 (BArbBl 7/8/1989 vom 14. Juli 1989, S 50 - 52)
für den Wirkstoff Nifedipin, Gruppe II (retardiert, incl SL) rechtswidrig war.
Die Beklagten und die Beigeladenen beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Sie halten die Festbetragsfestsetzung vom 19. Juni 1989 sowie die Regelung des §
35 SGB V für rechtmäßig, verteidigen die angefochtene Entscheidung und halten die nunmehr in eine Fortsetzungsfeststellungsklage geänderte
Klage mangels Klagebefugnis für unzulässig, jedenfalls aber für unbegründet.
II
Die Revision der Klägerin ist im Sinne der Zurückverweisung begründet. Das angefochtene Berufungsurteil verletzt Bundesrecht
und ist deshalb aufzuheben. Das LSG hat die Klage zu Unrecht mangels Klagebefugnis als unzulässig abgewiesen. Auch die sonstigen
von Amts wegen im Revisionsverfahren zu prüfenden Sachurteilsvoraussetzungen liegen vor. Da zur abschließenden Entscheidung
weitere Feststellungen zu treffen sind, ist der Rechtsstreit gemäß §
170 Abs
2 Satz 2
SGG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
1.a) Die ursprünglich auf die Aufhebung der Festbetragsfestsetzung vom 19. Juni 1989 gerichtete Klage war als Anfechtungsklage
iS des §
54 Abs
1 SGG zulässig. Die Festbetragsfestsetzung ist formal nicht als Rechtsnorm, sondern als Verwaltungsakt in Form der Allgemeinverfügung
(§ 31 Satz 2 SGB X) erlassen worden. Ein Vorverfahren war nicht erforderlich (§
35 Abs
7 Satz 3
SGB V).
b) Auch die nunmehr anhängige Fortsetzungsfeststellungsklage ist zulässig (§
131 Abs
1 Satz 3
SGG). Der Übergang zur Fortsetzungsfeststellungsklage gilt nicht als Klageänderung und ist daher nach allgemeiner Meinung auch
noch in der Revisionsinstanz zulässig (vgl Meyer-Ladewig,
SGG, 7. Aufl 2002, §
131 RdNr 8a mit Rechtsprechungsnachweisen). Der ursprüngliche Verwaltungsakt, die Festbetragsfestsetzung vom 19. Juni 1989, hat
sich durch die späteren Festbetragsfestsetzungen für den Wirkstoff Nifedipin wegen Zeitablaufs erledigt. Eine Erweiterung
des Klageantrages auf die Anfechtung der späteren Festsetzungen ist nicht erfolgt. Es kann dahinstehen, ob durch die späteren
Festbetragsfestsetzungen die Festbetragsfestsetzung vom 19. Juni 1989 geändert oder ersetzt worden ist. Dies würde nicht dazu
führen, dass die späteren Festsetzungen als Verwaltungsakte in Form der Allgemeinverfügung Gegenstand des Revisionsverfahrens
geworden wären. Nach §
171 Abs
2 SGG wird nämlich ein Verwaltungsakt, der während des Revisionsverfahrens einen vorangegangenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt,
entgegen der Vorschrift des §
96 SGG nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens, sondern er gilt als mit der Klage beim SG angefochten, es sei denn, dass der Kläger durch den neuen Verwaltungsakt klaglos gestellt oder dem Klagebegehren durch die
Entscheidung des Revisionsgerichts zum ersten Verwaltungsakt in vollem Umfang genügt wird. Die letzteren Ausnahmen besagen
nicht, dass die späteren Bescheide in das Revisionsverfahren einzubeziehen wären, sondern nur, dass die Fiktion der Rechtshängigkeit
der Klage beim SG entfällt (Meyer-Ladewig, aaO, §
171 RdNr 4; Lüdtke in
SGG-Handkommentar, 2003, §
171 RdNr 5).
Das Fortsetzungsfeststellungsinteresse der Klägerin ergibt sich einmal aus der Wiederholungsgefahr in Bezug auf die angegriffene
Festbetragsgruppenbildung sowie zum anderen aus dem glaubhaften Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit für einen
Schadenersatzanspruch wegen schuldhaft-rechtswidriger Festbetragsfestsetzung bzw für einen Entschädigungsanspruch wegen schuldlos-rechtswidriger
Festbetragsfestsetzung. Es reicht hier aus, dass - die Rechtswidrigkeit der Festbetragsfestsetzung unterstellt - der Erfolg
einer solchen zivilrechtlichen Klage nicht von vornherein ausgeschlossen erscheint (BSGE 8, 178, 183; BVerwG NVwZ 1992, 1092).
c) Soweit die Klägerin die Rechtmäßigkeit der vom Beigeladenen zu 1) vorgenommenen Gruppeneinteilung angreift, steht der Zulässigkeit
der Klage nicht entgegen, dass eine gesonderte Klage gegen die Gruppeneinteilung unzulässig ist (§
35 Abs
7 Satz 4
SGB V). Damit wird eine gerichtliche Überprüfung der Gruppeneinteilung nicht entgegen Art
19 Abs
4 GG ausgeschlossen, sondern in die spätere gerichtliche Kontrolle der gesamten Festbetragsfestsetzung für ein Arzneimittel einbezogen.
Im Rahmen einer Klage gegen die Festsetzung eines Festbetrages kann die Gruppenbildung in vollem Umfang zur Überprüfung gestellt
werden (BT-Drucks 11/3480 S 54).
d) Die Klägerin ist entgegen der Auffassung des LSG auch klagebefugt.
Dabei kann offen bleiben, ob die Regelung des §
35 Abs
7 SGB V Arzneimittelherstellern einfach-gesetzlich ohne weiteres ein Klagerecht einräumt oder ob diese Vorschrift einen Eingriff
in eine geschützte Rechtsposition des Herstellers voraussetzt. Ebenso braucht nicht entschieden zu werden, ob mit der Erwähnung
der juristischen Personen in der vergleichbaren (nur in den Jahren 2002 und 2003 geltenden) Vorschrift des §
35a Abs
7 Satz 2
SGB V nur oder jedenfalls auch Arzneimittelhersteller gemeint sein können, denen der Gesetzgeber damit ausdrücklich eine Klagebefugnis
zuerkannt hätte - was dann gleichsam reflexiv auch für die Auslegung von §
35 SGB V gelten müsste - oder ob damit die allgemeinen Voraussetzungen für Rechtsschutzbegehren bestätigt und nur um weitere Rechtsschutzvoraussetzungen
ergänzt worden sind. Dass der Gesetzgeber die Arzneimittelhersteller zumindest im Blickfeld gehabt hat, liegt im Hinblick
auf die Ausnahmevorschriften für patentgeschützte Wirkstoffe nahe, durch die ganz vorrangig Interessen der Arzneimittelhersteller
berücksichtigt worden sind.
Nach §
35 Abs
1 Satz 3 2. Halbsatz
SGB V sind Arzneimittel mit patentgeschützten Wirkstoffen grundsätzlich (vgl dazu auch die durch das Gesetz vom 14. November 2003,
BGBl I S 2190, geschaffene Ausnahmeregelung des §
35 Abs
1a SGB V) von der Festsetzung von Festbeträgen ausgenommen. Dies hilft der Klägerin aber nicht weiter. Das Patent auf den Wirkstoff
Nifedipin ist bereits 1985 ausgelaufen. Das von der Klägerin behauptete, von anderen Beteiligten aber in Zweifel gezogene
fortdauernde Patent auf die besondere Zubereitungsform (Galenik SL) schützt - sollte es tatsächlich noch bestehen - nicht
vor der Anwendung der Festbetragsregelung, weil sich dieses Patent nicht auf einen "Wirkstoff" bezöge. Nicht unmittelbar auf
einen Wirkstoff, sondern nur auf eine besondere Zubereitungsform eines Arzneimittels bezogene Patente sind im Rahmen des §
35 SGB V ohne Bedeutung.
Ob der Gesetzgeber darüber hinausgehend den Arzneimittelherstellern auch im Hinblick auf nicht patentgeschützte Arzneimittel
eine Klagebefugnis gegen eine gesetzeswidrige Festbetragsfestsetzung hat einräumen wollen, weil ihre wirtschaftlichen Interessen
in jedem Fall betroffen sind, ist zweifelhaft. Die Frage braucht deshalb nicht abschließend entschieden zu werden, weil der
einfache Gesetzgeber jedenfalls Rechtsschutz gegen Grundrechtsverletzungen nicht ausschließen durfte (vgl Art
19 Abs
4 GG), sodass §
35 SGB V in verfassungskonformer Auslegung die Anrufung der Gerichte durch Arzneimittelhersteller jedenfalls dann zulässt, wenn geltend
gemacht wird, dass die Festbetragsfestsetzung sie in Grundrechten verletze (ebenso für §
35a SGB V Urteil des Senats vom 24. November 2004 - B 3 KR 10/04 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). Dafür reicht es wie für jedes andere sozialgerichtliche Rechtsschutzbegehren
aus, dass die Rechtsverletzung generell möglich ist und im Einzelfall nachvollziehbar dargelegt wird (vgl Meyer-Ladewig, aaO,
Vor § 51 RdNr 16 f; § 54 RdNr 12 f). Das ist hier der Fall.
Die Klägerin macht geltend, durch die Festbetragsfestsetzung vom 19. Juni 1989 in ihrem Grundrecht aus Art
12 GG verletzt zu sein, indem die besondere Bioverfügbarkeit und große therapeutische Bedeutung der von ihr hergestellten Arzneimittel
Adalat retard und Adalat SL im Vergleich zu den in der Gruppe ebenfalls enthaltenen Arzneimittel mit dem gleichen Wirkstoff
Nifedipin zu Unrecht nicht im gebotenen Maße berücksichtigt und sie dadurch im Wettbewerb erheblich benachteiligt worden sei.
Diesem Vorbringen steht die Entscheidung des BVerfG vom 17. Dezember 2002 - 1 BvL 28/95, 29/95, 30/95 - (BVerfGE 106, 275 ff = SozR 3-2500 § 35 Nr 2 = NJW 2003, 1232) nicht entgegen. Das BVerfG hat in dieser Entscheidung die Grundrechtsbetroffenheit von Arzneimittelherstellern nur insofern
verneint, als der Gesetzgeber die Spitzenverbände der KKn zur Festsetzung von Festbeträgen für Arzneimittel ermächtigt habe.
Nur mit der Fragestellung, ob die den Spitzenverbänden der KKn in §
35 SGB V eingeräumte Befugnis, für Arzneimittel Festbeträge festzusetzen, mit dem
GG vereinbar sei, hatte der erkennende Senat die Sache dem BVerfG zur Entscheidung vorgelegt (BSG, Beschluss vom 14. Juni 1995
- 3 RK 20/94 - NZS 1995, 502). Mit der Durchführung der Festbetragsfestsetzung im Einzelnen und ihren Auswirkungen auf die Versicherten, die Ärzte und
die Arzneimittelhersteller hatte sich der vorlegende Senat nicht befasst. Das BVerfG hat ausdrücklich zu den damit verbundenen
verfassungsrechtlichen Fragen nicht Stellung genommen (vgl BVerfGE 106, 275, 296 = SozR 3-2500 § 35 Nr 2 = NJW 2003, 1232).
Damit steht für alle Verfassungsorgane, Gerichte und Behörden nach § 31 Abs 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) bindend fest, dass Festbetragsfestsetzungen als solche die Berufsfreiheit pharmazeutischer Unternehmen nicht verletzen,
weil sie lediglich die Rahmenbedingungen ihrer wirtschaftlichen Betätigung betreffen, auf deren unveränderte Beibehaltung
kein verfassungsrechtlich geschützter Anspruch besteht. Die Festbeträge als solche konkretisieren nur, was auch ohne sie schon
gilt, nämlich eine Beschränkung der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in Deutschland auf wirtschaftliche
Arzneimittel. Die Veröffentlichung der Festbeträge macht nur transparent, wo aus Wirtschaftlichkeitsgründen die Leistungspflicht
der GKV für die einzelnen Arzneimittel endet. Wird durch die Transparenzwirkung der Festbeträge auf das Marktverhalten eines
Arzneimittelherstellers Einfluss genommen, ist dies ein bloßer Reflex auf die Rechtsetzung, nicht aber ein Grundrechtseingriff.
Dies schließt aber nicht aus, dass staatliche Maßnahmen, die auf eine Veränderung des Verhaltens von Unternehmen im Wettbewerb
zielen oder den Wettbewerb der Unternehmen untereinander verfälschen, im Einzelfall die Berufsfreiheit beeinträchtigen können
(BVerfGE 86, 28, 37; BSGE 87, 95, 97 = SozR 3-2500 § 35 Nr 1; Jarass in Jarass/Pieroth
GG, 7. Aufl 2004, Art
12 RdNr 15). Die KKn und ihre Verbände sind nach dem deutschen Krankenversicherungssystem Teil der mittelbaren Staatsverwaltung;
ihre den Markt der Gesundheitsleistungen regelnden Maßnahmen sind damit "staatliche Maßnahmen" in diesem Sinne. Art
12 Abs
1 GG begründet ein Recht der Unternehmen auf Teilhabe am Wettbewerb, was zwar nicht vor der Zulassung von Konkurrenten, wohl aber
vor ungerechtfertigter staatlicher Begünstigung von Konkurrenten (BVerfGE 82, 209, 223) schützt. Von einem solchen Recht auf fairen Wettbewerb gehen auch die gesetzlichen Vorschriften zur Festbetragsfestsetzung
aus.
§
35 SGB V in der für die angefochtene Festbetragsfestsetzung vom 19. Juni 1989 maßgeblichen Fassung des Gesundheits-Reformgesetzes
(GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I S 2477) lautete, soweit hier von Interesse:
"(1) Der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen bestimmt in den Richtlinien nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6, für welche Gruppen
von Arzneimitteln Festbeträge festgesetzt werden können. In den Gruppen sollen Arzneimittel mit
1. denselben Wirkstoffen,
2. pharmakologisch-therapeutisch vergleichbaren Wirkstoffen, insbesondere mit chemisch verwandten
Stoffen,
3. pharmakologisch-therapeutisch vergleichbarer Wirkung, insbesondere Arzneimittelkombinationen,
zusammengefasst werden; unterschiedliche Bioverfügbarkeiten wirkstoffgleicher Arzneimittel sind zu berücksichtigen, sofern
sie für die Therapie bedeutsam sind. Die nach Satz 2 Nr 2 und 3 gebildeten Gruppen müssen gewährleisten, dass Therapiemöglichkeiten
nicht eingeschränkt werden und medizinisch notwendige Verordnungsalternativen zur Verfügung stehen; ausgenommen von diesen
Gruppen sind Arzneimittel mit patentgeschützten Wirkstoffen, deren Wirkungsweise neuartig ist und die eine therapeutische
Verbesserung, auch wegen geringerer Nebenwirkungen, bedeuten. Der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen ermittelt auch
die nach Absatz 3 notwendigen rechnerischen mittleren Tages- oder Einzeldosen oder anderen geeigneten Vergleichsgrößen.
(2) Sachverständigen der medizinischen und pharmazeutischen Wissenschaft und Praxis sowie der Arzneimittelhersteller und der
Berufsvertretungen der Apotheker ist vor der Entscheidung des Bundesausschusses Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben; bei
der Beurteilung von Arzneimitteln der besonderen Therapierichtungen sind auch Stellungnahmen von Sachverständigen dieser Therapierichtungen
einzuholen. Die Stellungnahmen sind in die Entscheidung einzubeziehen.
(3) Die Spitzenverbände der Krankenkassen setzen gemeinsam und einheitlich den jeweiligen Festbetrag auf der Grundlage von
rechnerischen mittleren Tages- oder Einzeldosen oder anderen geeigneten Vergleichsgrößen fest. Die Spitzenverbände der Krankenkassen
gemeinsam können einheitliche Festbeträge für Verbandmittel festsetzen. Für die Stellungnahmen der Sachverständigen gilt Absatz
2 entsprechend.
(4) ...
(5) Die Festbeträge sind so festzusetzen, dass sie im Allgemeinen eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche sowie
in der Qualität gesicherte Versorgung gewährleisten. Sie haben Wirtschaftlichkeitsreserven auszuschöpfen, sollen einen wirksamen
Preiswettbewerb auslösen und haben sich deshalb an möglichst preisgünstigen Versorgungsmöglichkeiten auszurichten. Bei der
Festsetzung von Festbeträgen für Arzneimittel ist grundsätzlich von den preisgünstigen Apothekenabgabepreisen in der Vergleichsgruppe
auszugehen; dabei ist sicherzustellen, dass eine für die Therapie hinreichende Arzneimittelauswahl möglich ist. Die Festbeträge
sind mindestens einmal im Jahr zu überprüfen; sie sind in geeigneten Zeitabständen an eine veränderte Marktlage anzupassen.
(6) ...
(7) ..."
Diese Vorschriften zielen zwar zunächst darauf ab, den Arzneimittelmarkt für den verordnenden Arzt und über diesen vermittelt
auch für den Versicherten transparent zu machen, indem die für bestimmte Indikationen zur Verfügung stehenden Arzneimittel
zusammengestellt und zugleich hinsichtlich Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit bewertet werden. Die Zusammenfassung von Arzneimitteln
in einer Gruppe besagt, dass sie dieselben Wirkstoffe, ähnliche Wirkstoffe mit vergleichbarer Wirkung oder auch andere Stoffe
(insbesondere Kombinationen), aber mit therapeutisch vergleichbarer Wirkung bei bestimmten Erkrankungen enthalten. Der Festbetrag
drückt aus, dass zu diesem Preis für die Behandlung der jeweiligen Erkrankungen mehrere gleichwertige Arzneimittel auf dem
Markt erhältlich sind, sodass der Versicherte unter Berücksichtigung eines therapeutischen Spielraums des Arztes und eigener
Präferenzen damit ausreichend versorgt ist. Bei medizinisch notwendigen Versorgungsalternativen hat eine Gruppenbildung oder
eine Gleichbewertung innerhalb der Gruppe zu unterbleiben, damit der Versicherte in jedem Fall ein für seine Erkrankung notwendiges
Medikament ohne Zuzahlung erhalten kann.
Die Bildung dreier Gruppen nach §
35 Abs
1 Satz 2 Nr
1 SGB V für den Wirkstoff Nifedipin, nämlich einer Gruppe für eine schnell freisetzende Zubereitung, einer weiteren Gruppe für eine
langsam (verzögert) freisetzende Zubereitung sowie einer dritten Gruppe für Lösungen, entspricht grundsätzlich der Vorgabe
des §
35 Abs
1 Satz 2, letzter Halbsatz
SGB V, wonach unterschiedliche Bioverfügbarkeiten wirkstoffgleicher Arzneimittel zu berücksichtigen sind, sofern sie für die Therapie
bedeutsam sind. Die gesonderte Gruppenbildung für Retard-Präparate bei den verschiedenen Wirkstoffen ist ein Musterbeispiel
für diese Regelung (vgl Hess in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Stand März 2004, §
35 SGB V RdNr 4 unter Hinweis auf AusBer-GRG BT-Drucks 11/3480 S 53 zu § 35).
Die Bildung dieser Gruppen wird vom Ansatz her von der Klägerin auch nicht angegriffen. Vielmehr wendet sie sich dagegen,
dass ihr Produkt Adalat SL trotz seiner besonderen Galenik (SL = schnell und langsam freisetzend), die zudem noch unter Patentschutz
stehe, der Gruppe mit retardiert freisetzender Zubereitung (Gruppe II) zugeordnet worden sei, obgleich es sich um ein Präparat
mit anderer Bioverfügbarkeit (SL statt L) und darauf beruhender besonderer therapeutischer Bedeutung handele. Die Einbeziehung
von Adalat SL in die Gruppe II (retardiert, incl SL) verletze das Grundrecht auf Wettbewerbsgleichheit (Art
3 Abs
1 iVm Art
12 GG), weil wesentlich Ungleiches in für sie wettbewerbsnachteiliger Weise gleich behandelt worden sei und es hierfür keinen rechtfertigenden
Grund gebe. Auch das Präparat Adalat retard sei zu Unrecht der Gruppe II zugeordnet worden, weil sich dessen Bioverfügbarkeit
von den Retard-Präparaten anderer Hersteller ebenfalls in therapeutisch bedeutsamer Weise unterscheide.
Ob diese Einwände begründet sind, vermag der Senat auf Grund der bisher getroffenen Feststellungen nicht zu entscheiden. §
35 Abs
1 Satz 2
SGB V schreibt für die Gruppenbildung (§
35 Abs
1 Satz 2 Nr
1 SGB V) die Berücksichtigung "unterschiedlicher Bioverfügbarkeiten wirkstoffgleicher Arzneimittel" dann vor, "sofern sie für die
Therapie bedeutsam sind". Bei der Bildung einer gemeinsamen Festbetragsgruppe (L und SL) für alle Retardformen des Wirkstoffs
Nifedipin (L) und die gleichzeitige Miteinbeziehung der Mischform (SL) hat sich der Bundesausschuss nach sachverständiger
Beratung von der Feststellung leiten lassen, dass keine klinischen Untersuchungen vorliegen, welche belegen können, dass Bioverfügbarkeiten
des Wirkstoffs, wie sie bei Adalat retard und Adalat SL zu verzeichnen sind, sich in einem therapeutisch bedeutsamen Maße
von anderen Retardformen des Nifedipins unterscheiden. Was er in diesem Zusammenhang unter dem Rechtsbegriff "für die Therapie
bedeutsam" versteht, hat der Bundesausschuss allerdings nicht verdeutlicht. Auch der Gesetzgeber hat dieses Tatbestandsmerkmal
bei der Formulierung des §
35 SGB V nicht näher konkretisiert. Den Gesetzesmaterialien sind keine Erläuterungen hierzu zu entnehmen. Dort heißt es lediglich,
die Verpflichtung zur Berücksichtigung der Bioverfügbarkeit bei der Gruppenbildung solle sich auf gezielte und für die Therapie
bedeutsame Differenzierungen in der Zubereitung von Arzneimitteln beschränken, die zu nachweisbar unterschiedlichen Bioverfügbarkeiten
führen (zB Retard-Präparate). Die Bioäquivalenz wirkstoffgleicher Arzneimittel, die insbesondere zwischen Originalpräparat
und Zweitherstellerprodukt bestehen könne, sei demgegenüber nicht Voraussetzung für Bildung von Festbetragsgruppen (AusBer-GRG BT-Drucks 11/3480 S 53 zu § 35).
Der erkennende Senat legt dieses Tatbestandsmerkmal nach dem Sachzusammenhang mit §
35 Abs
1 Satz 3
SGB V ("medizinisch notwendige Verordnungsalternativen") dahingehend aus, dass ein Arzneimittel wegen seiner im Vergleich zu anderen
wirkstoffgleichen Präparaten unterschiedlichen Bioverfügbarkeit dann "für die Therapie bedeutsam" ist, wenn es zur Behandlung
von Versicherten durch ein anderes wirkstoffgleiches Arzneimittel nicht gleichwertig ersetzt werden kann, es also für die
ärztliche Therapie bestimmter Erkrankungen generell oder auch nur in bestimmten, nicht seltenen Konstellationen unverzichtbar
ist.
Wird eine medizinisch notwendige Versorgungsalternative aber zu Unrecht infolge falscher pharmakologisch-therapeutischer Bewertung
als mit anderen Arzneimitteln gleichwertig eingestuft, bedeutet dies nicht nur eine Fehlinformation des Arztes und eine Benachteiligung
des Versicherten, der das für ihn geeignete Arzneimittel deshalb nicht oder nur unter Inkaufnahme einer Zuzahlung erhält;
es bedeutet auch eine Benachteiligung des betroffenen Arzneimittelherstellers im Wettbewerb, wenn die besonderen therapeutischen
Vorzüge seines Arzneimittels durch Gleichbewertung mit Konkurrenzprodukten verneint werden und dieses Arzneimittel als durch
andere gleichwertig ersetzbar erscheint. Er kann dann trotz Überlegenheit seines Arzneimittels auf dem Markt kaum einen höheren
Preis als die Konkurrenz durchsetzen, weil der verordnende Arzt den Versicherten auf seine Zuzahlungspflicht hinweisen muss
und dieser dazu nur ausnahmsweise bereit sein wird. Die Festbeträge sollen zwar einen "wirksamen" Preiswettbewerb auslösen;
darunter kann der Gesetzgeber aber nur einen "fairen" Wettbewerb unter unverfälschten Bedingungen gemeint haben. Der Gleichheitssatz
verbietet nicht nur die unterschiedliche Behandlung von Gleichem, sondern auch die Gleichbehandlung von sachlich Ungleichem.
Es läge demgemäß im vorliegenden Fall eine verfassungswidrige Gleichbehandlung vor, wenn es zutreffen sollte, dass die Arzneimittel
der Klägerin trotz des gleichen Wirkstoffs wegen der andersartigen Bioverfügbarkeit im Vergleich zu Konkurrenzprodukten anderer
Hersteller so unterschiedlich sind, dass sie durch diese praktisch nicht ersetzt werden können und damit therapeutisch unverzichtbar
sind. Das aus Art
3 Abs
1 GG iVm Art
12 GG abzuleitende Recht auf Wahrung der Wettbewerbsgleichheit gewährt der Klägerin deshalb im vorliegenden Fall die Klagebefugnis.
2.a) Eine abschließende Entscheidung in der Sache war dem erkennenden Senat nicht möglich. Die Klägerin kann sich zum Beweis
der therapeutischen Sonderstellung ihrer Arzneimittel - entgegen ihrer Auffassung - nicht schon darauf stützen, dass die vom
damaligen Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit berufene Transparenzkommisson in ihrer Transparenzliste
für das Indikationsgebiet Arterielle Hypertonie vom 6. Dezember 1990 (Bekanntmachung im Bundesanzeiger Nr 151a vom 15. August
1991) für SL-Präparate des Wirkstoffs Nifedipin eine neben den L-Präparaten stehende eigene Gruppe gebildet habe (vgl Nr 5.4.1.1
S 78 - 88 der Transparenzliste). Es handelt sich dabei nicht um eine an §
35 SGB V orientierte Gruppenbildung, sondern lediglich um eine auf § 39b des Arzneimittelgesetzes (AMG) in seiner 1990 geltenden alten Fassung basierende, als Entscheidungshilfe für den Arzt bei der Auswahl der am Markt befindlichen
Fertigarzneimittel konzipierte Übersicht, die der Überschaubarkeit des deutschen Arzneimittelmarktes in pharmakologisch-therapeutischer
und preislicher Hinsicht diente. Ihre Gliederung basiert zwar ebenfalls wie die Festbetragsgruppenbildung auf Gesichtspunkten
der Markttransparenz (vgl Einleitung der Transparenzliste vom 6. Dezember 1990 S 3), macht aber keine Aussage darüber, ob
die spezielle Bioverfügbarkeit eines Wirkstoffs therapeutisch bedeutsam ist oder nicht. Gleiches gilt auch für die Transparenzliste
für das Indikationsgebiet Koronare Herzkrankheit vom 25. Juli 1990 (Bundesanzeiger Nr 152a vom 16. August 1991), in der Adalat
SL ebenfalls von den Retard-Präparaten des Wirkstoffs Nifedipin unterschieden worden ist (vgl S 77).
b) Die Klage konnte auch nicht aus anderen Gründen Erfolg haben. Das die Zubereitung des Präparats Adalat SL betreffende Patent
- sollte es bestehen - würde zwar als vermögenswertes Recht der Eigentumsgarantie des Art
14 GG unterfallen; eine Verletzung dieses Grundrechts wäre aber nicht ersichtlich, weil das Patent selbst sowie dessen Nutzung
und Verwertung durch die Festbetragsfestsetzung für den Wirkstoff Nifedipin nicht berührt würde. Soweit die Klägerin der Auffassung
ist, die dem Patent vorausgegangenen Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen müssten in die Preisgestaltung einfließen können
und die Festbetragsfestsetzung hindere an einer solchen wirtschaftlichen Preisfestsetzung, geht es nicht um einen Eingriff
in das durch Art
14 GG geschützte Patentrecht. Das Patentrecht räumt ein ausschließliches Verwertungsrecht ein, begründet aber keinen Anspruch darauf,
dass die KKn das vom Patentinhaber hergestellte Arzneimittel abnehmen und den von ihm bestimmten Preis bezahlen. Vielmehr
handelt es sich dabei wiederum um den Einwand einer unzulässigen staatlichen Berufsausübungsregelung, der anhand des Grundrechts
der Berufsfreiheit nach Art
12 GG zu beurteilen ist. Dass dieses Grundrecht der Arzneimittelhersteller durch die Einführung der Möglichkeit einer Festbetragsfestsetzung
seitens der Spitzenverbände der KKn nicht verletzt wird, hat aber das BVerfG - wie erwähnt - durch sein Urteil vom 17. Dezember
2002 bereits bindend festgestellt.
c) Ein Verstoß der der Festbetragsfestsetzung zugrunde liegenden Regelung des §
35 SGB V gegen den Wettbewerb schützende Bestimmungen des EG-Vertrags scheidet ebenfalls aus, wie der EuGH festgestellt hat. Auf das
- den Beteiligten bekannte - Urteil vom 16. März 2004 - C-264/01, C-306/01, C-354/01, C-355/01 - wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.
d) Die angegriffene Festbetragsfestsetzung verstößt auch nicht gegen die §§ 35 und 37 SGB X. Die Klägerin macht zu Unrecht geltend, die Verwaltungsakte der Beklagten enthielten insbesondere keine Begründung dazu,
auf welchen wissenschaftlichen Tatsachen und Wertungen die der Festbetragsfestsetzung zu Grunde liegenden Gruppenbildungen
beruhen, und die Begründung sei ihr auch trotz mehrmaliger Beantragung von Akteneinsicht nicht zugänglich gemacht worden.
Zwar muss ein Verwaltungsakt im Falle seiner öffentlichen Bekanntgabe, die hier durch die Veröffentlichung der Festbetragsfestsetzungen
vom 19. Juni 1989 im BArbBl erfolgt ist, in der veröffentlichen Form keine Begründung enthalten (§ 37 Abs 4 Satz 1 SGB X); es ist nur anzugeben, wo der Verwaltungsakt und seine Begründung eingesehen werden können (§ 37 Abs 4 Satz 2 SGB X). Eine Begründung muss also in aller Regel vorhanden sein, und diese muss einem Betroffenen auch zugänglich gemacht werden.
Es ist schon zweifelhaft, ob die Arzneimittelhersteller im Hinblick auf die voranstehenden Ausführungen von der Festbetragsfestsetzung
allgemein "betroffen" sind. Dies kann aber dahinstehen, weil die Begründungspflicht nicht bei Allgemeinverfügungen gilt. Nach
der ausdrücklichen Ausnahmeregelung des § 35 Abs 2 Nr 5 SGB X bedarf eine öffentlich bekannt gegebene Allgemeinverfügung, um die es sich bei der Festbetragsfestsetzung nach §
35 SGB V handelt, keiner Begründung. Dies wäre hier auch wegen der unbestimmten Vielzahl der Hersteller und der von ihnen angebotenen
Arzneimittel mit den verschiedenen Wirkstärken, Darreichungsformen und Packungsgrößen praktisch kaum durchführbar. Erforderlich
ist lediglich, dass eine Allgemeinverfügung ohne weiteres aus sich heraus verständlich ist (von Wulffen/Engelmann, SGB X, 4. Aufl 2001, § 35 RdNr 15). Das ist bei der Festbetragsfestsetzung vom 19. Juni 1989 der Fall.
e) Eine Begründungspflicht lässt sich auch nicht aus der EWGRL 89/105 (Transparenzrichtlinie) vom 21. Dezember 1988 (Amtsblatt
L 040 vom 11. Februar 1989, S 8 bis 11) ableiten. Die EWGRL 89/105 betrifft - so ihr Titel - "die Transparenz von Maßnahmen
zur Regelung der Preisfestsetzung bei Arzneimitteln für den menschlichen Gebrauch und ihre Einbeziehung in die staatlichen
Krankenversicherungssysteme" in den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften und soll das Funktionieren des gemeinsamen
Marktes für Arzneimittel sicherstellen (Präambel, Absatz 4). Alle Betroffenen sollen überprüfen können, ob die den Arzneimittelmarkt
betreffenden Maßnahmen der Mitgliedstaaten zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen möglicherweise mengenmäßige Beschränkungen
für die Ein- oder Ausfuhr darstellen oder einen solchen Effekt haben (Präambel, Absatz 6). Die einzelnen Regelungen der Richtlinie
beziehen sich auf die Genehmigung von Abgabepreisen für Arzneimittel als Voraussetzung für deren Inverkehrbringen (Art 2),
auf die Genehmigungspflicht von Preiserhöhungen (Art 3), auf die Anordnung eines Preisstopps für Arzneimittel (Art 4), auf
die Kontrolle der Gewinne von Arzneimittel importierenden Personen (Art 5) sowie auf die Einführung von Positivlisten (Art
6) und Negativlisten (Art 7). Geregelt sind jeweils Grundsätze des einzuhaltenden Verwaltungsverfahrens einschließlich einer
Begründungspflicht für die einzelnen staatlichen Maßnahmen zur Herstellung der Transparenz.
Entgegen der Ansicht der Klägerin lässt sich aus der EWGRL 89/105 keine gemeinschaftsrechtliche Begründungspflicht für die
der Festbetragsfestsetzung vom 19. Juni 1989 zu Grunde liegenden Gruppenbildung sowie für die Festbeträge selbst ableiten.
Die Regelung des §
35 SGB V fällt nicht in deren Anwendungsbereich, weil den Arzneimittelherstellern keine Höchstpreise vorgeschrieben werden, die sie
bei der Bildung der Verkaufpreise (Apothekenabgabepreise) zu beachten haben (vgl Art 2, 3, 4 der RL). Auch die Regelung über
Negativlisten (Art 7 der RL) ist nicht einschlägig, weil durch die Festbeträge nicht die Abgabefähigkeit der preislich darüber
liegenden Medikamente zu Lasten der GKV insgesamt ausgeschlossen wird, sondern nur die von der GKV zu tragenden Kosten begrenzt
werden.
Die Anwendung der Transparenzrichtlinie kann auch nicht mit dem Urteil des EuGH vom 12. Juni 2003 - C-229/00 - begründet werden. Die drei in Finnland vorgesehenen Positivlisten mit Arzneimitteln, die von der finnischen GKV gegen unterschiedliche
Zuzahlungen der Versicherten zu bezahlen sind, hat der EuGH an Art 6 der RL gemessen, weil die Aufnahme der Arzneimittel in
die Liste davon abhängt, dass der Hersteller mit dem "Ausschuss für Arzneimittelpreise" einen Großhandelspreis vereinbart,
zu dessen Einhaltung er sich verpflichtet, er also in der Preisgestaltung rechtlich gebunden ist, was bei den deutschen Festbeträgen
gerade nicht der Fall ist. Der Abgabepreis wird durch Festbetragsfestsetzungen nach §
35 SGB V nicht im Sinne eines nicht zu überschreitenden Höchstpreises festgelegt. Ferner spricht auch nicht das Urteil des EuGH vom
27. November 2001 - C-424/99 - für die Anwendung der EWGRL 89/105. In dieser Entscheidung hat der EuGH die Regelung, nach der in Österreich die Kostenübernahme
für ein Arzneimittel grundsätzlich (aber nicht ausnahmslos) von dessen Aufnahme in ein vom Hauptverband der österreichischen
Sozialversicherungsträger herausgegebenes Verzeichnis abhängig ist, wobei die Hersteller im Gegenzug für die Aufnahme eines
Arzneimittels in das Verzeichnis in der Regel eine Preissenkung gewähren müssen, ebenfalls an Art 6 der RL gemessen und dabei
dieses österreichische Arzneimittelverzeichnis einer Positivliste gleichgestellt. Um eine so "erzwungene" Preissenkung geht
es im vorliegenden Fall nicht; die Festbetragsfestsetzung nach §
35 SGB V löst keinen rechtlichen Zwang zur Preissenkung aus und berührt die Verordnungsfähigkeit eines nicht auf das Festbetragsniveau
abgesenkten Arzneimittels zu Lasten der GKV nicht.
Auch eine sinngemäße Anwendung der EWGRL 89/105 scheidet aus. Ziel der RL ist die Sicherstellung von - auch gerichtlichen
- Überprüfungsmöglichkeiten für die Betroffenen durch Herstellung von Transparenz bei staatlichen Preisfestsetzungen im Arzneimittelmarkt.
Die Begründungspflicht für Entscheidungen besteht nur gegenüber bestimmten Antragstellern (Art 2 Nr 2, Art 3 Nr 2, Art 4 Abs
2, Art 6 Nr 2) oder setzt voraus, dass ein bestimmtes Arzneimittel oder eine Arzneimittelkategorie aus der Liste der erstattungsfähigen
Arzneimittel gestrichen werden (Art 6 Nr 5, Art 7 Nr 1), Maßnahmen also, bei denen eine einzelfall- oder gruppenbezogene Begründung
möglich und zumutbar ist. Das ist bei Festbetragsfestsetzungen für vergleichbare Wirkstoffe oder Wirkstoffkombinationen nicht
der Fall. Die fehlende Begründungspflicht für Allgemeinverfügungen nach § 35 Abs 2 Nr 5 SGB X ist europarechtskonform und schließt aus, dass die Klägerin, die von der Festbetragsfestsetzung allenfalls faktisch betroffen
ist, wegen bloßer Formfehler die Aufhebung der Festbetragsfestsetzung oder jetzt noch die Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit
verlangen kann.
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.