Zahlung von Krankengeld
Gewährung von Krankengeld bei verspäteter Meldung
Anzeige fortdauernder Arbeitsunfähigkeit
Gründe:
I
Im Streit stand ursprünglich, ob der Kläger mit Anspruch auf Krankengeld (Krg) bei der Beklagten versichert war und für die
Zeit vom 23.10.2014 bis 31.8.2015 Anspruch auf Krg hat. Das SG hat - unter Aufhebung entgegenstehender Bescheide - ausgeführt, die Beklagte habe einen Bescheid über die Feststellung einer
freiwilligen Versicherung ab 1.7.2014 mit Anspruch auf Krg nicht wirksam zurückgenommen. Anspruch auf Krg habe der Kläger
allerdings nicht. Für die Zeit vom 23.10.2014 bis 31.10.2014 habe der Krg-Anspruch wegen verspäteter Meldung nach §
49 Abs
1 Nr
5 SGB V geruht und ab 1.11.2014 könne Krg nicht gezahlt werden, weil der Kläger seit diesem Tag nicht mehr selbstständig erwerbstätig
gewesen sei.
Auf die dagegen nur vom Kläger eingelegte Berufung hat das LSG die Beklagte zur Krg-Zahlung für die Zeit vom 13.11.2014 bis
31.8.2015 verurteilt und im Übrigen die Berufung zurückgewiesen. Es hat ua ausgeführt, dem Krg-Anspruch stehe nicht die erst
nach dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit (AU) erfolgte Einstellung der selbstständigen Erwerbstätigkeit ab 1.11.2014 entgegen.
Nur wenn die selbstständige Erwerbstätigkeit bereits vor Eintritt der AU eingestellt und kein regelmäßiges Arbeitseinkommen
mehr erzielt werde, könne kein Krg beansprucht werden. Der Krg-Anspruch des Klägers ab der 7. Woche der AU habe aber gemäß
§
49 Abs
1 Nr
5 SGB V wegen verspäteter Meldung vom 23.10.2014 bis (gemeint) 12.11.2014 geruht. Am 13.11.2014 sei der Beklagten die AU durch Vorlage
der ärztlichen Bescheinigung erstmals gemeldet worden. Der Anspruch stehe dem Kläger bis 31.8.2015 zu, weil bis dahin seine
AU - unter Berücksichtigung eines zeitweiligen Krankenhausaufenthaltes - lückenlos ärztlich bescheinigt worden sei. Die Frage
der Rechtzeitigkeit der Meldung der ärztlich attestierten AU-Zeiten ab 13.11.2014 bei der Beklagten hat das LSG nicht thematisiert
(Urteil vom 21.2.2018).
Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG richtet sich die nach dem Beschwerdevorbringen auf die Zeiträume vom
16.12.2014 bis 10.6.2015 und vom 16.6.2015 bis 31.8.2015 beschränkte Beschwerde der Beklagten (zur Beschränkung siehe S 5
der Beschwerdebegründung). Sie beruft sich neben einer Abweichung von der Rechtsprechung des BSG auf das Vorliegen von Verfahrensmängeln (§
160 Abs
2 Nr
2 und
3 SGG) und macht insbesondere eine Überraschungsentscheidung geltend, weil das LSG in der Berufungsentscheidung für den Zeitraum
ab 13.11.2014 die Ruhensvorschrift nach §
49 Abs
1 Nr
5 SGB V nicht mehr berücksichtigt habe.
II
Die zulässige Beschwerde der Beklagten führt zur teilweisen Aufhebung des angefochtenen Berufungsurteils und zur Zurückverweisung
der Sache an das LSG gemäß §
160a Abs
5 SGG, soweit die Krg-Zahlung für die Zeiträume vom 16.12.2014 bis 10.6.2015 und vom 16.6.2015 bis 31.8.2015 im Streit steht. Für
diesen Zeitraum hat die Beklagte einen Verfahrensmangel geltend gemacht, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann
(§
160 Abs
2 Nr
3 SGG). Der Senat macht von der Möglichkeit des §
160a Abs
5 SGG Gebrauch, wonach in solchen Fällen durch Beschluss das LSG-Urteil aufgehoben und eine Zurückverweisung an das Berufungsgericht
zur erneuten Verhandlung und Entscheidung erfolgen kann.
Die Beklagte rügt, dass das LSG in der Berufungsentscheidung das Ruhen des Krg-Anspruchs nach §
49 Abs
1 Nr
5 SGB V für den Zeitraum ab 13.11.2014 nicht thematisiert habe. Dies sei insbesondere deshalb überraschend, weil diese Ruhensvorschrift
dem Krg-Anspruch des Klägers nach dem Berufungsurteil bis zum 12.11.2014 entgegengestanden und daher stetig im Mittelpunkt
des Rechtsstreits gestanden habe. Nachdem der Kläger vom 22.11.2014 bis 15.12.2014 stationär behandelt worden sei, sei ihr
(der Beklagten) die weitere AU vom 16.12.2014 bis 15.6.2015 erst am 11.6.2015 gemeldet worden und weitere AU-Zeiten bis zum
31.8.2015 seien erst im Rahmen des sozialgerichtlichen Verfahrens am 12.7.2016 gemeldet worden. Dies ergebe sich aus den Ausführungen
im Widerspruchsbescheid und werde auch im Tatbestand des Berufungsurteils so wiedergegeben. Die Verurteilung zur durchgängigen
KrgZahlung für den Zeitraum vom 16.12.2014 bis 31.8.2015 sei daher überraschend. Letzteres trifft nach der Würdigung des Sach-
und Streitstandes durch den Senat zu.
Den Beteiligten ist vor jeder Entscheidung rechtliches Gehör zu gewähren (§
62 SGG). Der Grundsatz rechtlichen Gehörs verbietet sog Überraschungsentscheidungen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör soll ua
verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen
beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten. Er soll sicherstellen, dass ihr Vorbringen vom Gericht in seine Erwägungen
miteinbezogen wird (BVerfGE 22, 267, 274; BVerfGE 96, 205, 216 f). Art
103 Abs
1 GG gebietet zwar nicht, dass das Gericht vor seiner Entscheidung auf seine Rechtsauffassung hinweist (BVerfG vom 27.11.2008
- 2 BvR 1012/08 - Juris RdNr 6; BVerfGE 86, 133, 145 mwN). Auch aus §
62 SGG ergibt sich keine Pflicht des Prozessgerichts, vor einer Entscheidung die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise
leitenden Gesichtspunkte mit den Beteiligten zu erörtern, soweit sie bereits aus dem Verfahrensstand ersichtlich sind (vgl
BSG SozR 3-1500 § 112 Nr 2). Eine Überraschungsentscheidung liegt aber dann vor, wenn das Gericht seine Entscheidung auf einen bislang nicht erörterten
rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wende gibt, mit der auch ein gewissenhafter
Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verfahrensverlauf selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen
nicht rechnen musste (BSG SozR 4-2500 § 103 Nr 6 RdNr 17; BSG Beschluss vom 18.1.2011 - B 2 U 268/10 B - Juris RdNr 6). Das ist hier der Fall.
Für die Zeit ab 16.12.2014 ist im Berufungsurteil die Frage des Ruhens des Krg-Anspruchs nach §
49 Abs
1 Nr
5 SGB V nicht erörtert worden, obwohl nach den Ausführungen im Tatbestand des Berufungsurteils von verspäteten Meldungen der festgestellten
AU betreffend die Zeiträume vom 16.12.2014 bis 10.6.2015 und vom 16.6.2015 bis 31.8.2015 ausgegangen werden konnte, es sei
denn, das Berufungsgericht hätte sich diesbezüglich zu weiteren Ermittlungen gedrängt gefühlt.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG ist die Gewährung von Krg bei verspäteter Meldung auch dann ausgeschlossen, wenn die Leistungsvoraussetzungen im Übrigen
zweifelsfrei gegeben sind und den Versicherten keinerlei Verschulden an dem unterbliebenen oder nicht rechtzeitigen Zugang
der Meldung trifft (vgl zB BSGE 85, 271, 276 = SozR 3-2500 § 49 Nr 4 S 15 f; BSGE 111, 18 = SozR 4-2500 § 46 Nr 4, RdNr 18 mwN). Die AU muss der Krankenkasse vor jeder erneuten Inanspruchnahme des Krg auch dann
angezeigt werden, wenn sie seit ihrem Beginn ununterbrochen bestanden hat, aber wegen der Befristung der bisherigen Attestierung
der AU über die Weitergewährung des Krg neu zu befinden ist (stRspr, vgl nur BSGE 85, 271, 275 f = SozR 3-2500 § 49 Nr 4 S 15; BSGE 111, 18 = SozR 4-2500 § 46 Nr 4, RdNr 18). Auch dann muss der Versicherte die Fortdauer der AU grundsätzlich rechtzeitig vor Fristablauf
ärztlich feststellen lassen und seiner Krankenkasse melden, will er das Erlöschen oder das Ruhen des Leistungsanspruchs vermeiden
(vgl zum Ganzen zuletzt auch Urteil des Senats vom 25.10.2018 - B 3 KR 23/17 R - mwN, zur Veröffentlichung vorgesehen).
Vor diesem rechtlichen Hintergrund und auf der Grundlage der Feststellungen des LSG war es überraschend, dass das Berufungsgericht
die Frage des Ruhens des Krg-Anspruchs nach §
49 Abs
1 Nr
5 SGB V für die Zeit ab 16.12.2014 nicht erörtert und dem Rechtsstreit damit eine Wende gegeben hat, mit der ein gewissenhafter Prozessbeteiligter
nach dem bisherigen Verfahrensverlauf nicht rechnen musste. Denn wenn das Berufungsgericht von dem Vorbringen der Beklagten,
dass ihr die AU des Klägers nach seinem Krankenhausaufenthalt vom 16.12.2014 bis 15.6.2015 erst am 11.6.2015 und weitere AU-Zeiten
bis zum 31.8.2015 erst im Rahmen des sozialgerichtlichen Verfahrens am 12.7.2016 gemeldet worden seien, nicht überzeugt gewesen
wäre, hätte es hierzu entweder weiterer Ermittlungen bedurft oder das LSG hätte den Beteiligten zumindest rechtliches Gehör
gewähren müssen, um deren Vorbringen hierzu hinreichend berücksichtigen zu können. Einer solchen Gewährung rechtlichen Gehörs
hätte es auch dann bedurft, wenn das LSG in Abweichung von der oben dargestellten ständigen Rechtsprechung des BSG zur Erforderlichkeit zeitgerechter Meldungen jeder erneut festgestellten AU-Zeit entscheiden oder vom Vorliegen eines Ausnahmefalls
ausgehen wollte.
Die Gewährung rechtlichen Gehörs wird das Berufungsgericht im wieder eröffneten Berufungsverfahren nachzuholen haben.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung des LSG vorbehalten.