Kündigung eines Rahmenvertrages
Wirkung einer Vertragskündigung
Klärungsfähigkeit sonstigen Rechts
Einseitige Willenserklärung
Gründe:
I
Die Kläger zu 2) und 3) betreiben in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), der Klägerin zu 1), einen
privaten Pflegedienst, der Leistungen der häuslichen Krankenpflege für Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung im
Land Berlin erbringt. Die Klägerin zu 1) nahm die im Rahmenvertrag nach §
132a Abs
2 SGB V für einzelne Leistungserbringer vorgesehene Möglichkeit des Beitritts zu diesem Vertrag wahr. Der Rahmenvertrag war für den
Einzugsbereich des Landes Berlin zwischen verschiedenen Verbänden der Leistungserbringer und den Verbänden der Krankenkassen
geschlossen worden.
Die Beklagte ist eine gesetzliche Krankenkasse, die dem Verband der Angestellten Krankenkassen eV (VdAK), Landesvertretung
Berlin (heute: VdeK), angehört. Dieser war auf Seiten der Krankenkassen am Abschluss des Rahmenvertrages beteiligt und kündigte
diesen zum 31.12.2000. Die Kündigung ging zwar dem Arbeitgeber- und Berufsverband privater Pflege e.V. (ABVP) zu, der auf
Seiten der Leistungserbringer am Abschluss des Rahmenvertrages beteiligt war und von dem sich die Klägerin zu 1) vertreten
ließ, nicht aber dieser selbst. Für die Zeit ab 1.1.2001 bot der VdAK allen bisherigen Leistungserbringern den Abschluss eines
neuen Vertrages mit Entgeltvereinbarungen an, die nur noch 87 % der im Rahmenvertrag ursprünglich vereinbarten Entgelte vorsahen.
Die Klägerin zu 1) lehnte den Abschluss dieses Vertrages ab, erbrachte aber weiterhin auch Leistungen für die Versicherten
der Beklagten. Die Beklagte vergütete diese Leistungen mit 87 % der im Rahmenvertrag vereinbarten Vergütung. Mit der Klage
machen die Kläger die Vergütungsdifferenz zu der im Rahmenvertrag vorgesehenen Vergütung für die erbrachten Leistungen gegenüber
Versicherten der Beklagten in den Jahren 2002 und 2003 in Höhe von restlichen 1498,68 Euro nebst Zinsen geltend. Sie sind
der Auffassung, die Beklagte habe ihre Leistungen weiterhin entsprechend der Vergütungsvereinbarung im Rahmenvertrag zu vergüten,
da das mit ihren durch den Beitritt zustande gekommene Vertragsverhältnis nicht gekündigt worden sei. Der VdAK habe den Rahmenvertrag
lediglich gegenüber ihrem Berufsverband gekündigt.
Klage und Berufung sind erfolglos geblieben (Gerichtsbescheid des SG Berlin vom 16.12.2011 und Urteil des LSG Berlin-Brandenburg
vom 20.10.2014). Das LSG hat ausgeführt, durch die wirksame Kündigung des Rahmenvertrages habe auch der Beitritt der Klägerin
zu 1) zu diesem Vertrag seine Wirksamkeit verloren. Dies ergebe sich aus § 20 Abs 1 Satz 1 des Rahmenvertrages. Einer Kündigung
gegenüber der Klägerin zu 1) habe es nicht bedurft. Nur dies habe der Absicht und dem Interesse der vertragsschließenden Parteien
des Rahmenvertrages entsprochen. Es sei auch kein neuer Vertrag zustande gekommen, und ein sich gegebenenfalls aus bereicherungsrechtlichen
Grundsätzen ergebender Vergütungsanspruch sei durch die von der Beklagten bereits erbrachten Zahlungen ausgeglichen.
Mit den Beschwerden wenden sich die Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG und berufen sich auf das
Vorliegen von grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG).
II
Die Nichtzulassungsbeschwerden sind unbegründet, soweit sie nicht bereits unzulässig sind, weil der Rechtssache die geltend
gemachte grundsätzliche Bedeutung nicht zukommt.
1. Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) erfordert eine Rechtsfrage, der eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt, und die klärungsbedürftig sowie
im zu entscheidenden Fall klärungsfähig, dh entscheidungserheblich ist (vgl hierzu ausführlich Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Aufl 2014, §
160 RdNr 7 ff mwN). Eine Rechtsfrage ist bereits von Gesetzes wegen (§
162 SGG) nicht klärungsfähig, wenn sie nicht revisibles Recht betrifft. Nach §
162 SGG kann die Revision nur darauf gestützt werden, dass das angefochtene Urteil auf der Verletzung einer Vorschrift des Bundesrechts
oder einer sonstigen im Bezirk des Berufungsgerichts geltenden Vorschrift beruht, deren Geltungsbereich sich über den Bezirk
des Berufungsgerichts hinaus erstreckt.
Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt.
Die Kläger halten folgende Fragen für grundsätzlich bedeutsam:
"Können Rahmenverträge zwischen Verbänden der Krankenkassen und Verbänden der Leistungserbringer Vertragsverhältnisse zwischen
Krankenkassen und Leistungserbringern im Sinne von §
132a Abs.
2 SGB V begründen?
Endet mit Kündigung eines Rahmenvertrages zwischen Verbänden der Krankenkassen und Verbänden der Leistungserbringer auch zwingend
das Einzelvertragsverhältnis zwischen Krankenkasse und Leistungserbringer (Versorgungsvertrag) und damit die Leistungserbringungs-
und Abrechnungsbefugnis des einzelnen ambulanten Pflegedienstes?
Schließt das Schriftlichkeits- und Begründungserfordernis bei Kündigung öffentlich-rechtlicher Verträge (§ 59 Abs. 2 SGB X) das Erfordernis der Schriftlichkeit und Begründung der Beendigung des Vertragsverhältnisses gegenüber dem konkreten Leistungserbringer
nach Beitritt zu einem Rahmenvertrag ein?
Ist die Kündigung des Rahmenvertrages wegen Nichteinhaltung der Begründungsfrist unwirksam?
Ist der Abschluss eines Versorgungsvertrages (§
132 a Abs.
2 SGB V) aufgrund des Schriftlichkeitserfordernisses der Beendigung/Kündigung (§ 59 SGB X) insoweit bedingungs-/befristungsfeindlich als dass lediglich Bedingungen bzw. Befristungen wirksam vereinbart werden können,
von denen der Leistungserbringer zwingend Kenntnis erlangt (z.B. Vereinbarung eines Enddatums)?
Wird unter Beachtung von § 57 SGB X eine Kündigung eines Rahmenvertrages gem. §
132 a Abs.
2 SGB V gegenüber dem Berufsverband des Leistungserbringers als Rahmenvertragspartner erst mit schriftlicher Zustimmung des Leistungserbringers
wirksam, da mit der Kündigung in die Rechte Dritter eingegriffen wird?
Wirkt ein Rahmenvertrag mit seinen Bedingungen auch nach Kündigung gegenüber einem vertragsschließenden Verband im Einzelvertragsverhältnis
ähnlich der Fortgeltung eines gekündigten Tarifvertrages fort?"
Diesen Rechtsfragen kommt keine grundsätzliche Bedeutung iS des §
160 Abs
2 Nr
1 SGG zu.
a) Die 1. Frage, ob Rahmenverträge zwischen Verbänden der Krankenkassen und Verbänden der Leistungserbringer Vertragsverhältnisse
zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern iS von §
132a Abs
2 SGB V begründen können, ist nicht entscheidungserheblich. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass ein Vertragsverhältnis
zwischen den Beteiligten nicht unmittelbar durch den Rahmenvertrag begründet wurde, sondern erst durch den Beitritt der Klägerin
zu 1). Durch die wirksame Kündigung des Rahmenvertrages sei dennoch auch das Einzelvertragsverhältnis zur Klägerin zu 1) wirksam
beendet worden. Im Streit ist daher nicht das Zustandekommen des Vertragsverhältnisses zwischen den Beteiligten, sondern die
Frage der wirksamen Beendigung. Wäre das Vertragsverhältnis zwischen der Klägerin zu 1) und der Beklagten nicht wirksam begründet
worden, würde der geltend gemachte Zahlungsanspruch schon deshalb nicht bestehen.
b) Die Fragen 2 und 7 sind nicht klärungsfähig. Die Frage, welche Wirkungen ein Rahmenvertrag bzw dessen Kündigung im Hinblick
auf die Vertragsverhältnisse zu einzelnen Leistungserbringern entfaltet, lässt sich nicht allgemein und grundsätzlich für
Rahmenverträge beantworten; die Antwort kann sich immer nur aus den einzelnen Bestimmungen des Rahmenvertrages (und ggf der
Einzelverträge) und deren Auslegung ergeben. Der Bundesgesetzgeber hat insoweit keine Vorgaben gemacht. Das Berufungsgericht
hat aus diesem Grunde sowohl seine Erwägungen zum Zustandekommen des Einzelvertrages zwischen der Klägerin zu 1) und der Beklagten
über den Beitritt als auch zur Beendigung dieses Einzelvertragsverhältnisses allein auf eine Auslegung des Rahmenvertrages
gestützt. Es hat dabei insbesondere auf § 3 des Rahmenvertrages für den Beitritt und auf § 20 Abs 1 Satz 1 des Rahmenvertrages
im Hinblick auf die Wirkung der Kündigung Bezug genommen und diese Regelungen im Gesamtkontext sowie unter Berücksichtigung
von Absicht und Interesse der vertragsschließenden Parteien des Rahmenvertrages ausgelegt.
Die Auslegung des Rahmenvertrages durch das LSG ist nach §
162 SGG für das Revisionsgericht bindend, denn die Vereinbarung gehört als nur im Bezirk des Berufungsgerichts geltendes Regelungswerk
zum Bereich des revisionsgerichtlich grundsätzlich nicht überprüfbaren Landesrechts (vgl hierzu BSG SozR 3-2500 § 19 Nr 2). Auf eine fehlerhafte Auslegung dieses Rahmenvertrages kann die Revision daher nicht gestützt werden. Klärungsfähig
im Revisionsverfahren sind lediglich auf Bundesrecht bezogene Rechtsfragen und Fragen sonstigen Rechts nur dann, wenn dieses
sich über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus erstreckt oder wenn übereinstimmende Regelungen in mehreren Bundesländern
bestehen. Durch die vom Berufungsgericht gewonnene Auslegung des für das Land Berlin vereinbarten Rahmenvertrages wird Bundesrecht
nicht verletzt.
c) Auch der von den Klägern geltend gemachte Klärungsbedarf zu den Fragen 3, 4, 5 und 6 verleiht der Sache keine grundsätzliche
Bedeutung. Die Kläger beziehen sich hierbei zwar auf bundesrechtliche Vorschriften des SGB X zum öffentlich-rechtlichen Vertrag (§ 57 und § 59 Abs 2 SGB X), jedoch sind die bezüglich dieser Vorschriften aufgeführten Fragen nicht klärungsbedürftig.
Bei der Kündigung des Rahmenvertrages ist das Schriftformerfordernis nach § 59 Abs 2 SGB X eingehalten worden, das grundsätzlich für alle öffentlich-rechtlichen Verträge gilt, die dem SGB X unterliegen, sofern nicht durch Rechtsvorschrift eine andere Form vorgeschrieben ist. Die vom Berufungsgericht vorgenommene
Auslegung des § 20 Abs 1 Satz 1 des Rahmenvertrages, wonach aufgrund der wirksamen Kündigung des Rahmenvertrages durch den
VdAK auch der Beitritt zum Rahmenvertrag für die Leistungserbringer seine Wirksamkeit verloren hat und eine Kündigung gegenüber
dem einzelnen Leistungserbringer nicht mehr erforderlich war, verstößt nicht gegen das bundesrechtlich normierte Schriftformerfordernis
nach § 59 Abs 2 SGB X. Dieses dient in erster Linie der Rechtssicherheit. Schriftform bedeutet aber nicht, dass die Kündigung der Vertragspartei
persönlich schriftlich zugehen muss. So reicht im Falle der Stellvertretung eine schriftliche Kündigung gegenüber dem Vertreter.
Die Rechtssicherheit wird dadurch nicht beeinträchtigt. Gleiches gilt für den Rahmenvertrag in der vom Berufungsgericht angenommenen
Auslegung. Danach hat sich die Klägerin zu 1) durch ihren Beitritt damit einverstanden erklärt, dass eine (schriftliche) Kündigung
des Rahmenvertrages gegenüber dem ABVP gemäß § 20 Abs 1 Satz 1 des Rahmenvertrages ausreicht, um auch das Vertragsverhältnis
der beigetretenen Leistungserbringer wirksam zu beenden. Diese Auslegung ist nicht zu beanstanden.
Die Begründung einer Kündigung ist gesetzlich nicht zwingend vorgeschrieben. § 59 Abs 2 Satz 2 SGB X normiert für die Kündigung keine Begründungspflicht, sondern enthält lediglich eine Soll-Vorschrift, deren Nichteinhaltung
die Kündigung nicht unwirksam macht (vgl Engelmann in Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 59 RdNr 14).
Ebenso wenig wie aus dem Schriftformerfordernis zu schließen ist, dass die schriftliche Kündigung dem Leistungserbringer persönlich
zugehen muss, sind bundesrechtliche Vorschriften ersichtlich, aus denen sich ergeben könnte, dass der Leistungserbringer zwingend
persönlich Kenntnis vom Eintritt einer vertraglich vereinbarten Bedingung, Befristung oder Kündigung erlangen muss. Soweit
er sich vertraglich auf eine Bedingung oder Befristung einlässt, muss er dafür Sorge tragen, vom Eintritt der Bedingung oder
Befristung Kenntnis zu erlangen.
§ 57 Abs 1 SGB X, wonach ein öffentlich-rechtlicher Vertrag, der in Rechte eines Dritten eingreift, erst wirksam wird, wenn der Dritte schriftlich
zustimmt, gilt nur für den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages, nicht für die Kündigung. Eine Kündigung ist eine
einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung. Würde die Wirksamkeit der Kündigung des Rahmenvertrages an die Zustimmung
des Leistungserbringers gebunden, würde das einseitige Kündigungsrecht des Krankenkassenverbandes praktisch aufgehoben. Die
Kündigung unterscheidet sich durch ihre Einseitigkeit gerade vom Aufhebungsvertrag.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
197a Abs
1 Satz 1 Teilsatz 3
SGG iVm §
154 Abs
1 und
2 VwGO.
3. Die Entscheidung zur Festsetzung des Streitwertes und seiner Höhe beruht auf §
197a Abs
1 Satz 1 Teilsatz 1
SGG iVm § 63 Abs 2, § 47, § 52 Abs 3 GKG.