Anspruch eines Mannes auf Perücke bei vollständigem Haarverlust als Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung; Anspruchsvoraussetzung
einer empfundenen Entstellung; Verfassungsmäßigkeit der Ungleichbehandlung gegenüber Frauen bei Kahlköpfigkeit
Gründe:
I
Streitig ist die Versorgung des Klägers mit einer Perücke als Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).
Der 1938 geborene Kläger leidet seit 1983 an vollständiger Haarlosigkeit des Kopfes (Alopecia totalis) sowie des gesamten
Körpers (Alopecia areata universalis). Hinzu kommt die Neigung zur Bildung von Weißflecken (Vitiligo) bei ohnehin hellem Hauttyp.
Die beklagte Krankenkasse hat ihn in der Vergangenheit wiederholt, zuletzt im Dezember 2006, mit Perücken versorgt. Seinen
Antrag vom 16.11.2011 auf erneute Versorgung mit einer - vertragsärztlich verordneten - Kunsthaarperücke lehnte die Beklagte
ab, weil Kahlköpfigkeit bei älteren Männern nicht als störende Auffälligkeit wahrgenommen werde und die Teilhabe am gesellschaftlichen
Leben deshalb auch ohne Perücke uneingeschränkt möglich sei (Bescheid der Beklagten vom 28.11.2011, Widerspruchsbescheid vom
8.3.2012).
Der Kläger hat sich die Kunsthaarperücke für 820 Euro auf eigene Kosten beschafft (Rechnung vom 17.12.2011). Er macht geltend,
der totale Haarverlust verursache einen hohen psychischen Leidensdruck, sodass er verschiedentlich schon psychotherapeutische
Hilfe benötigt habe. Ihm könne nicht zugemutet werden, in der Öffentlichkeit stets eine Kopfbedeckung zu tragen, um sich vor
den neugierigen Blicken der Mitmenschen zu schützen und der Gefahr von Sonnenbrand und der Entstehung von Hautkrebs vorzubeugen.
Frauen in gleicher Lage würden von den Krankenkassen ohne Weiteres mit Perücken ausgestattet. Mit Blick auf das Verbot der
Benachteiligung eines Menschen wegen seines Geschlechts (Art
3 Abs
3 Satz 1
GG) könne Männern daher die Versorgung mit einer Perücke bei krankheitsbedingtem Haarverlust nicht verwehrt werden.
Das SG hat die - auf Sachleistung gerichtete - Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 23.7.2013). Das LSG hat die Berufung des Klägers
zurückgewiesen (Urteil vom 20.2.2014): Weder der Verlust des Kopfhaares noch die Weißfleckenkrankheit entfalte beim Kläger
eine entstellende Wirkung, sodass seiner Teilnahme am gesellschaftlichen Leben objektiv keine krankheitsbedingten Hindernisse
entgegenstünden. Ein effektiver Schutz vor Sonnenbrand und Hautkrebs könne durch Kopfbedeckungen und Sonnenschutzcremes erlangt
werden. Die geltend gemachten psychischen Beeinträchtigungen begründeten ebenfalls keinen Anspruch auf Versorgung mit einer
Perücke, sondern allenfalls einen Anspruch auf Behandlung dieser Störung mit den Mitteln der Psychiatrie oder Psychotherapie.
Auf das geschlechtsspezifische Benachteiligungsverbot könne sich der Kläger nicht berufen, weil der teilweise oder vollständige
Verlust der Kopfbehaarung bei Männern als natürliche Erscheinung allgemein akzeptiert werde, während dieser Verlust bei Frauen
äußerst selten vorkomme, daher bei ihnen regelmäßig entstellend wirke und der Zustand so zu einem ernsthaften Außenseiterproblem
werden könne.
Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts (§
33 Abs
1 Satz 1
SGB V, Art
3 Abs
3 Satz 1
GG). Die Ungleichbehandlung gegenüber Frauen sei nicht gerechtfertigt, weil es keinen medizinischen Erfahrungssatz gebe, dass
der totale Haarverlust Männer psychisch weniger belaste als Frauen. Die Perücke sei auch deswegen zu leisten, weil generell
ein Anspruch auf eine deutliche Annäherung an das äußere Erscheinungsbild eines normalen, gesunden Mannes gleichen Alters
bestehe.
Der Kläger begehrt im Revisionsverfahren nunmehr die Erstattung der für den Kauf der Perücke aufgewandten Kosten und beantragt
demgemäß,
das Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 20.2.2014 und den Gerichtsbescheid des SG Speyer vom 23.7.2013 zu ändern, den Bescheid
der Beklagten vom 28.11.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8.3.2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen,
ihm 820 Euro zu zahlen.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil, hält den Kostenerstattungsanspruch für unbegründet und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision des Klägers ist zulässig, in der Sache aber unbegründet. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, den Kläger mit
einer Perücke zu versorgen bzw ihm die Kosten dafür zu erstatten, nachdem er sich das Hilfsmittel selbst beschafft hatte.
1. Die auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtenden Sachurteilsvoraussetzungen liegen vor. Es ist unschädlich,
dass für die vom SG und LSG entschiedene Klage auf Versorgung des Klägers mit einer neuen Kunsthaarperücke durch die Beklagte (Anfechtungs- und
Leistungsklage nach §
54 Abs
4 SGG) das Rechtsschutzinteresse gefehlt hat, weil es infolge der - dem SG und dem LSG nicht mitgeteilten - Anschaffung der Perücke durch den Kläger nicht mehr um die Erfüllung eines Sachleistungsanspruchs
gehen konnte. Der Übergang vom Sachleistungsanspruch (§
33 Abs
1 Satz 1 iVm §
2 Abs
2 Satz 1
SGB V) zum Kostenerstattungsanspruch, der wegen der schon am 17.12.2011 erfolgten Selbstbeschaffung des begehrten Hilfsmittels
bereits in der ersten und zweiten Instanz hätte den eigentlichen Streitgegenstand innerhalb des allgemeinen Klagebegehrens
auf "Kostenübernahme" für die Perücke bilden müssen, war sachgerecht und auch im Revisionsverfahren noch zulässig, weil eine
derartige Umstellung des Klageantrags bei gleich gebliebenem Klagegrund (auch) von §
99 Abs
3 Nr
2 SGG erfasst wird (vgl BSGE 99, 180 = SozR 4-2500 §
13 Nr 15 RdNr 10; Leitherer in MeyerLadewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Aufl 2014, §
99 RdNr
4a), also fiktiv nicht als Klageänderung iS des §
99 Abs
1 und
2 SGG gilt, und deshalb nicht gegen das prozessuale Verbot der Klageänderung im Revisionsverfahren (§
168 Satz 1
SGG) verstößt. Die Regelung des §
99 Abs
3 Nr
3 SGG, die ebenfalls auf den Übergang vom Sachleistungs- auf den Kostenerstattungsanspruch anwendbar ist (BSG SozR 4-1300 § 48 Nr 10 RdNr 12; Leitherer, aaO, RdNr 5), kann hingegen im vorliegenden Fall nicht zur prozessualen Zulässigkeit der Antragsumstellung
führen, weil diese Vorschrift auf Sachverhalte beschränkt ist, in denen - anders als hier - die Veränderung der anspruchsbegründenden
Umstände erst nach Eintritt der Rechtshängigkeit der Klage (§
94 SGG) eingetreten ist oder die schon zuvor eingetretene Änderung dem Kläger erst nach Rechtshängigkeit der Klage bekannt geworden
ist (Leitherer, aaO, RdNr 5 mwN).
2. Grundlage des Erstattungsanspruchs ist §
13 Abs
3 SGB V: "Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht
abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse
in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war". In Betracht kommt hier allein der Fall der unberechtigten
Ablehnung einer Leistung (2. Alternative). Dabei reicht es grundsätzlich aus, dass der Versicherte sich die begehrte Leistung
auf eigene Kosten beschafft hat, nachdem ihm die Krankenkasse die Entscheidung über die Ablehnung des Leistungsantrags bekannt
gegeben hat (Ablehnungsbescheid). Es ist in der Regel nicht erforderlich, dass der Versicherte mit der Selbstbeschaffung der
Leistung bis zur Entscheidung der Krankenkasse über den Widerspruch gegen die Leistungsablehnung wartet (BSG SozR 3-2500 § 13 Nr 11, 22; BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 37; stRspr). Daher steht dem Kostenerstattungsanspruch im vorliegenden Fall nicht bereits der Umstand entgegen, dass der
Kläger sich die begehrte Perücke zwar nach der Ablehnungsentscheidung vom 28.11.2011, aber noch vor der Entscheidung über
den Widerspruch gegen diesen Bescheid (Widerspruchsbescheid vom 8.3.2012) auf eigene Kosten beschafft hat (Rechnung vom 17.12.2011).
Die Selbstbeschaffung eines aus medizinischen bzw rehabilitativen Gründen erforderlichen Hilfsmittels durch den Versicherten
nach Ablehnung seines Leistungsantrags durch die Krankenkasse kann jedoch nur dann zu einem Kostenerstattungsanspruch führen,
wenn ihm ein entsprechender Sachleistungsanspruch (§
2 Abs
2 Satz 1
SGB V) zugestanden hätte. Das war hier nicht der Fall.
3. Rechtsgrundlage des ursprünglich geltend gemachten Sachleistungsanspruchs ist §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V in der ab 1.4.2007 geltenden Fassung von Art 1 Nr 17 GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) vom 26.3.2007 (BGBl I 378). Nach §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die
im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder
eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen
oder nach §
34 Abs
4 SGB V ausgeschlossen sind. Dabei besteht ein Anspruch auf Versorgung mit Blick auf die "Erforderlichkeit im Einzelfall" nur, soweit
das begehrte Hilfsmittel geeignet, ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich ist und das Maß des Notwendigen nicht überschreitet;
darüber hinausgehende Leistungen darf die Krankenkasse gemäß §
12 Abs
1 SGB V nicht bewilligen (vgl BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 11 - zweisitziges Elektrofahrzeug; BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 40 - Unterschenkel-Sportprothese; BSGE 107, 44 = SozR 4-2500 § 33 Nr 31 - Treppensteighilfe). Nicht entscheidend für den Versorgungsanspruch ist, ob das begehrte Hilfsmittel
im Hilfsmittelverzeichnis (§
139 SGB V) gelistet ist, denn es handelt sich bei diesem Verzeichnis nicht um eine abschließende Regelung im Sinne einer Positivliste
(BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 16, 20, 27; BSGE 99, 197 = SozR 4-2500 § 33 Nr 16, RdNr 20).
a) Der Hilfsmittelbegriff wird seit dem Inkrafttreten des
SGB IX (durch Art 1 des Gesetzes vom 19.6.2001, BGBl I 1046) zum 1.7.2001 für alle Träger von Leistungen der medizinischen Rehabilitation (§
6 Abs
1, §
5 Nr
1 SGB IX) durch §
31 Abs
1 SGB IX einheitlich definiert. Danach versteht der Gesetzeber unter dem Begriff Hilfsmittel die Körperersatzstücke sowie die orthopädischen
und anderen Hilfsmittel. Erfasst werden alle Hilfen, die von den Leistungsempfängern getragen oder mitgeführt oder bei einem
Wohnungswechsel mitgenommen werden können und unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls erforderlich sind, um (1.)
einer drohenden Behinderung vorzubeugen, (2.) den Erfolg einer Heilbehandlung zu sichern oder (3.) eine Behinderung bei der
Befriedigung von Grundbedürfnissen des täglichen Lebens auszugleichen, soweit sie nicht allgemeine Gebrauchsgegenstände des
täglichen Lebens sind. Da sich die Zuständigkeit und die Voraussetzungen für Leistungen zur Teilhabe gemäß §
7 Satz 2
SGB IX nach den für den jeweiligen Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetzen richten, ergibt sich der Rechtsanspruch der
Versicherten weiterhin aus §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V. Bei der Definition des Hilfsmittelbegriffs in der medizinischen Rehabilitation hat sich der Gesetzgeber an der Rechtsprechung
des BSG zum Hilfsmittelbegriff in der GKV orientiert. Eine Ausweitung der Leistungspflicht der GKV war bei der Hilfsmittelversorgung
aber mit der Einführung des
SGB IX nicht beabsichtigt (vgl auch BSGE 107, 44 = SozR 4-2500 §
33 Nr 31, RdNr 39). Als bewegliche Sachen erfüllen Perücken diesen Hilfsmittelbegriff, und zwar in der Ausprägung als Körperersatzstück,
weil die Vollperücke das nicht (mehr) vorhandene Haupthaar vollständig ersetzen soll.
b) Der Anspruch scheitert nicht an der Ausnahmeregelung des §
33 Abs
1 Satz 1 letzter Halbsatz
SGB V, wonach allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens von der Leistungspflicht der GKV ausgeschlossen sind. Dem vollständigen
Haarersatz dienende Vollperücken sind keine allgemeinen Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens, weil sie für die speziellen
Bedürfnisse an totalem Haarverlust leidender Menschen hergestellt und nur von diesem Personenkreis benutzt werden (vgl zum
Begriff des allgemeinen Gebrauchsgegenstands BSGE 84, 266 = SozR 3-2500 § 33 Nr 33). Andere Perücken und sonstige Haarteile, insbesondere Damenperücken, werden zwar vielfach auch
aus modischen Gründen verwandt, dann aber am vorhandenen Haupthaar befestigt und dienen als "Zweitfrisur". Als vollständiger
Haarersatz - wie hier - sind Perücken teilweise anders gearbeitet (zB andere Art der Befestigung) und dienen auch einer anderen
Zweckbestimmung, nämlich dem optischen Ausgleich des fehlenden natürlichen Haupthaares, und damit gerade nicht als "Zweitfrisur".
Perücken gehören auch nicht mehr, wie vor 300 Jahren, zur üblichen standesgemäßen Ausstattung gehobener gesellschaftlicher
Kreise.
c) Ein Anspruchsausschluss nach §
34 Abs
4 Satz 1
SGB V greift ebenfalls nicht ein. Nach dieser Vorschrift (idF durch das Zweite Gesetz zur Änderung des
Fünften Buches Sozialgesetzbuch vom 20.12.1991, BGBl I 2325) kann das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates Heil- und Hilfsmittel von geringem oder umstrittenem therapeutischen
Nutzen oder geringem Abgabepreis bestimmen, deren Kosten die Krankenkasse nicht übernimmt. In der auf Grund dieser Ermächtigung
erlassenen Verordnung über Hilfsmittel von geringem therapeutischen Nutzen oder geringem Abgabepreis in der gesetzlichen Krankenversicherung (KVHilfsmV) vom 13.12.1989 (BGBl I 2237), die in der Fassung durch die Verordnung vom 17.1.1995 (BGBl I 44) gilt, sind das
Kopfhaar vollständig ersetzende Perücken nicht erfasst.
d) Der Anspruch lässt sich nicht bereits aus der Verwaltungspraxis der Beklagten bis 2006 ableiten. Es gibt keinen "Grundbescheid",
mit dem die Beklagte grundsätzlich die regelmäßig wiederkehrende Versorgung des Klägers mit Perücken bewilligt hätte. In der
Vergangenheit hat die Beklagte ausdrücklich immer nur Einzelfallentscheidungen erlassen. Demgemäß ist, wie bei dem Ersatz
anderer Hilfsmittel (§
33 Abs
1 Satz 2
SGB V) auch, grundsätzlich stets erneut zu prüfen, ob das begehrte Hilfsmittel weiterhin notwendig, zweckmäßig und wirtschaftlich
ist (§
2 Abs
4, §
12 Abs
1 und §
33 Abs
1 SGB V; vgl auch BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 21 - Blindenführhund). Dabei stellt sich die vertragsärztliche Verordnung eines bestimmten Hilfsmittels (§
73 Abs
2 Satz 1 Nr
7 SGB V) rechtlich nur als ärztliche Empfehlung dar, bindet die Krankenkasse im Verhältnis zum Versicherten aber nicht, weil ihr
gemäß §
275 Abs
3 Nr
1 SGB V ein Prüfungsrecht zur Erforderlichkeit des Hilfsmittels zusteht (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 25 und 27, stRspr).
4. Die Leistungsablehnung durch die Beklagte ist rechtmäßig, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen des §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V für die Versorgung des Klägers mit einer Perücke nicht erfüllt sind; das Hilfsmittel dient weder der Sicherung des Erfolgs
der Krankenbehandlung noch dem Ausgleich einer Behinderung. Die Variante "Abwendung einer drohenden Behinderung" kommt nach
der Sachlage ohnehin nicht in Betracht.
a) Nach §
27 Abs
1 Satz 1
SGB V haben Versicherte nur dann Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen,
ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Zum Anspruch auf Krankenbehandlung gehört auch die
Versorgung mit Hilfsmitteln (§
27 Abs
1 Satz 2 Nr
3 SGB V).
aa) Unter einer Krankheit iS des §
27 Abs
1 Satz 1
SGB V wird allgemein ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand verstanden,
der ärztlicher Heilbehandlung bedarf oder - zugleich oder allein - den Betroffenen arbeitsunfähig macht (BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14, RdNr 10; BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 4; BSGE 85, 36, 38 = SozR 3-2500 § 27 Nr 11 S 38; BSGE 72, 96, 98 = SozR 3-2200 § 182 Nr 14 S 64; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 10; stRspr). Da aber nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit auch Krankheitswert zukommt, hat die Rechtsprechung
diese Grundvoraussetzung dahingehend präzisiert, dass eine Krankheit nur vorliegt, wenn der Versicherte in seinen Körperfunktionen
beeinträchtigt wird oder wenn die anatomische Abweichung entstellend wirkt (BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14, RdNr 11 zu Brustangleichungsoperationen; BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 6 zu kosmetischen Brustvergrößerungen; BSGE 93, 94, 102 = SozR 4-2500 § 13 Nr 4 S 29 zu Feuermalen der Haut; BSGE 82, 158, 163 f = SozR 3-2500 § 39 Nr 5 S 29 zu einer Hodenprothese; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 2 zur Dauerpigmentierung bei fehlenden Augenbrauen und Wimpern). Der Gesetzgeber selbst hat bewusst davon abgesehen, den
Begriff der Krankheit im Gesetz zu definieren, da sein Inhalt ständigen Änderungen unterliege. Stattdessen hat er in der Gesetzbegründung
Bezug genommen auf die herrschende Rechtsprechung und Praxis (Begründung des Entwurfs zum GRG, BT-Drucks 11/2237, S 170). Trotz der vom Gesetzgeber angenommenen ständigen Änderungen des Krankheitsbegriffs ist aber die
grundlegende Begriffsdefinition gleich geblieben. Die Anpassung an die fortschreitende medizinische Entwicklung erfolgt in
der Regel im Rahmen der einzelnen Begriffsmerkmale. Die Ausweitung der therapeutischen Möglichkeiten schlägt sich insbesondere
in dem Begriffsmerkmal der "Behandlungsbedürftigkeit" nieder (Fahlbusch in jurisPK-
SGB V, 2. Aufl 2012, §
27 RdNr 31 und
42 mwN).
Der krankenversicherungsrechtliche Krankheitsbegriff ist enger als der Krankheitsbegriff im allgemein-medizinischen Sinne,
der jede "Störung der Lebensvorgänge in Organen oder im gesamten Organismus mit der Folge von subjektiv empfundenen bzw objektiv
feststellbaren körperlichen, geistigen oder seelischen Veränderungen" bzw "eine definierbare Einheit typischer ätiologisch,
morphologisch, symptomatisch oder nosologisch beschreibbarer Erscheinungen, die als eine bestimmte Erkrankung verstanden werden"
umfasst. Bei dem medizinischen Krankheitsbegriff kommt es insbesondere auf Behandlungsbedürftigkeit bzw Arbeitsunfähigkeit
nicht an. Ebenfalls nicht maßgeblich für das Krankenversicherungsrecht ist der weite sozialpolitische Krankheitsbegriff der
Weltgesundheitsorganisation (WHO), die den Gegenbegriff der Gesundheit definiert als "Zustand völligen körperlichen, geistigen,
seelischen und sozialen Wohlempfindens" (Fahlbusch, aaO, § 27 RdNr 34).
bb) Den Krankheiten gleichgestellt sind in weitgehendem Umfang Behinderungen (vgl §
2 Abs
1 SGB IX, §
33 SGB V). Das Gesetz macht keinen prinzipiellen Unterschied zwischen Krankheiten im engeren Sinne, bei denen die Betonung auf dem
regelmäßig nur vorübergehenden Charakter einer als überwindbar angesehenen Gesundheitsbeeinträchtigung liegt, und Behinderungen,
die als weitgehend unabänderlich vor allem unter dem Gesichtspunkt des Ausgleichs für eine dauerhaft regelwidrige Körperfunktion
die Leistungspflicht begründen können (BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 2 RdNr 6). Die neuere, gemäß §
5 Nr
1, §
6 Abs
1 Nr
1 und §
31 SGB IX auch für das
SGB V und damit für die Krankenkassen geltende Definition des Begriffs der Behinderung findet sich nunmehr in §
2 Abs
1 SGB IX. Danach sind Menschen teilhaberechtlich behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit
mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre
Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (Satz 1). Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn die Beeinträchtigung
zu erwarten ist (Satz 2). Dabei entspricht der erste Teil der Definition der "Behinderung" iS des §
2 Abs
1 Satz 1
SGB IX, also die dauerhaft regelwidrige Körperfunktion bzw das Funktionsdefizit, dem herkömmlichen rein medizinischen Behinderungsbegriff,
während der zweite Teil der Definition, also die Teilhabebeeinträchtigung als Folge des Funktionsdefizits, die durch das
SGB IX erfolgte Erweiterung des herkömmlichen Behinderungsbegriffs darstellt (vgl dazu auch Löbner, Der gesetzliche Behinderungsbegriff
im Wandel der Zeit, Behindertenrecht 2015, 1).
b) Unter dem Gesichtspunkt des vollständigen Ausfalls des biologischen Prozesses "Neubildung und Wachstum der Haare" kann
der körperliche Zustand des Klägers schon deshalb nicht als behandlungsbedürftige Krankheit bewertet werden, weil die Haarlosigkeit
nicht zu einer Beeinträchtigung der Körperfunktionen führt und zudem weder die Perücke noch ein anderes Mittel der Krankenbehandlung
dem Kläger die verlorene Körperbehaarung, hier speziell das Kopfhaar, wieder zu beschaffen vermag. Der Versuch einer medikamentösen
Therapie ist nach Feststellung des LSG zwar unternommen, dann aber wegen Aussichtslosigkeit nicht fortgesetzt worden; Behandlungsmöglichkeiten
sind bei einer schon länger andauernden Alopecia areata universalis auch nicht ersichtlich (vgl zu den Therapiemöglichkeiten
bei den verschiedenen Alopecia-Formen Psychrembel, Klinisches Wörterbuch, 261. Aufl 2007, Stichworte Alopecia androgenetica
und Alopecia areata). Es fehlt deshalb am Merkmal der Behandlungsbedürftigkeit, das seinerseits die Behandlungsfähigkeit voraussetzt
(BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 2 RdNr 7).
c) Dennoch kann der Totalverlust der Haare im Einzelfall Krankheitswert haben und deshalb als Krankheit iS des §
27 Abs
1 Satz 1
SGB V gelten. Krankheitswert kann dem vollständigen Haarverlust unter dem Aspekt der entstellenden Wirkung zukommen. Dabei ist
nach dem Geschlecht sowie nach Ursache und Ausmaß des Haarverlustes zu differenzieren.
aa) Der übliche Schwund der Kopfbehaarung beim Mann, der von sich vergrößernden "Geheimratsecken" über die "hohe Stirn" und
die Teilglatze an der Tonsurstelle bis zur vollständigen Glatzenbildung geht (Alopecia androgenetica), die Wimpern, die Augenbrauen
und die Barthaare aber nicht erfasst, ist schon keine Krankheit und - als Dauerzustand - auch keine Behinderung. Es handelt
sich insoweit nicht um einen regelwidrigen Körperzustand, weil der teilweise bzw vollständige Haarverlust - altersabhängig
- die Mehrzahl aller Männer trifft (Alopecia senilis). Eine Differenzierung nach dem Alter ist - von Kindern und Jugendlichen
abgesehen - weder möglich noch erforderlich, weil vom Zurückweichen der Kopfbehaarung erwachsene Männer aller Altersstufen
in unterschiedlichem Ausmaß betroffen sind. Wenn das insbesondere bei jungen Männern mit starker Glatzenbildung (Alopecia
praematura) anders gesehen und insoweit von einer körperlichen Regelwidrigkeit ausgegangen würde, käme ihr kein Krankheitswert
zu; denn das fehlende Haupthaar beeinträchtigt die Körperfunktionen des Mannes nicht und wirkt auch nicht entstellend. Männer
ohne Haupthaar erregen für sich genommen, also ohne ein bestimmtes Erscheinungsbild (zB Kleidung, Tätowierungen), in der Öffentlichkeit
keine Aufmerksamkeit im Sinne von Anstarrung oder Stigmatisierung. Das wird in jüngerer Zeit auch dadurch bestätigt, dass
der haarlose Kopf vielfach mit Eigenschaften wie zB Energiegeladenheit und Sportlichkeit oder aber - zusammen mit einem prägnanten
Outfit - mit einem bestimmten politischen oder gesellschaftlichen Standpunkt in Verbindung gebracht wird. Deshalb greifen
auch Männer, die noch über Haupthaar oder einen Haarkranz verfügen, nicht selten zum Mittel der totalen Kopfrasur, um sich
so ein markantes Äußeres zu verschaffen, das dem Stil ihres Vorbilds oder ihrer Gruppe entspricht.
bb) In der Wahrnehmung des vollständig haarlosen Kopfes durch das Publikum liegt auch der Grund, weshalb der Anspruch nach
§
33 Abs
1 Satz 1
SGB V auf Versorgung mit einer Perücke bei Frauen bestehen kann (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 45). Der typische männliche Haarausfall ohne Beteiligung von Wimpern und Augenbrauen tritt aus biologischen Gründen bei
Frauen kaum auf, auch wenn bei diesen das Haarvolumen im Laufe des natürlichen Alterungsprozesses zurückgeht. Deshalb erregt
eine haarlose Frau auch dann, wenn sie nicht an dem Vollbild der Alopecia areata universalis leidet, immer noch Aufsehen,
und ihr Aussehen wird ggf als entstellend wahrgenommen, sodass der Verlust der Kopfbehaarung dort als Krankheit eingestuft
werden kann. Auch diese Bewertung wird dadurch bestätigt, dass bei Frauen - anders als bei Männern - die Glatze (Calvities)
nicht mit Energiegeladenheit, Sportlichkeit und/oder einem bestimmten Statement verbunden, sondern ganz verbreitet als "Defekt"
wahrgenommen wird. Die nach dem Geschlecht differenzierende Anwendung des §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V hinsichtlich der Versorgung mit Perücken nach Verlust des Haupthaares (ohne Beteiligung der Augenbrauen und Wimpern) stellt
vor diesem Hintergrund keine unzulässige Benachteiligung von Männern wegen des Geschlechts (Art
3 Abs
3 Satz 1
GG) dar (dazu näher 6.).
cc) Die Folgen des vollständigen Haarverlustes des Kopfes, der auch die Wimpern, die Augenbrauen und die Barthaare (Alopecia
totalis) erfasst, können demgegenüber je nach dem Alter des betroffenen Mannes und Aussehen des unbehaarten Kopfes entstellende
Wirkung (im Sinne einer störenden, Aufmerksamkeit bzw Neugier erregenden Auffälligkeit) haben. Es bedarf hier keiner exakten
Abgrenzung, bis zu welchem Lebensalter - etwa 30 Jahre - das Aussehen eines Mannes ganz ohne Haare ausgrenzende Wirkung haben
kann, weil der haarlose Kopf bei einem jungen Erwachsenen Blicke auf sich ziehen mag und dem Beobachter dann (erst) auffällt,
dass der Betroffene völlig haarlos ist.
d) Soweit der vollständigen Haarlosigkeit des Kopfes eine entstellende Wirkung zukommt, handelt es sich um einen Zustand körperlicher
Regelwidrigkeit mit Krankheitswert. Der Anspruch auf Ausstattung mit einer Perücke nach §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V beruht dann auf dem Tatbestand der Hilfsmittelversorgung zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung (1. Variante). Dies
gilt für vorübergehende Zustände mit potenziell entstellender Wirkung, wie sie zB bei der Kahlköpfigkeit von Krebspatienten
als Begleiterscheinung einer Chemotherapie auftreten können, ebenso wie für Dauerzustände mit potenziell entstellender Wirkung
wie zB bei der Alopecia areata universalis.
Demgemäß ist bei solchen Dauerzuständen eine genaue Abgrenzung zur 3. Variante des §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V, nämlich der Hilfsmittelversorgung zum Ausgleich einer Behinderung, entbehrlich. In seiner Entscheidung zum Anspruch einer
an Alopecia areata universalis leidenden Frau auf Versorgung mit einer Echthaarperücke hatte der erkennende Senat maßgeblich
auf den teilhaberechtlichen Behinderungsbegriff des §
2 Abs
1 SGB IX abgestellt (Urteil vom 23.7.2002 - B 3 KR 66/01 R - SozR 3-2500 § 33 Nr 45) und dabei den Krankheitswert der bei Frauen entstellenden Wirkung der Alopecia areata universalis
einer dauerhaften körperlichen Funktionsbeeinträchtigung gleichgestellt: Ein Mensch ist wegen seiner Kahlköpfigkeit teilhaberechtlich
behindert, wenn der körperliche Zustand entstellend wirkt und er deshalb ohne ausgleichende Maßnahmen an der uneingeschränkten
Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gehindert ist. Die Kahlköpfigkeit hat bei Frauen eine entstellende Wirkung, die zwar
nicht zum Verlust oder zur Störung einer motorischen oder geistigen Funktion führt, es einer Frau aber erschwert oder gar
unmöglich macht, sich frei und unbefangen unter den Mitmenschen zu bewegen; eine kahlköpfige Frau zieht "naturgemäß" ständig
alle Blicke auf sich und wird zum Objekt der Neugier. Dies hat in aller Regel zur Folge, dass sich die Betroffene aus dem
Leben in der Gemeinschaft zurückzieht und zu vereinsamen droht. Ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ist beeinträchtigt.
Deshalb haben unter Kahlköpfigkeit leidende Frauen regelmäßig einen Anspruch gegen ihre Krankenkasse auf Versorgung mit einer
Echthaarperücke (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 45).
Gerade bei älteren Männern kann in der Regel jedoch nicht von einer entstellenden Wirkung der Kahlköpfigkeit gesprochen werden,
und deshalb sind sie auch nicht an der uneingeschränkten Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gehindert. Dies gilt nach Feststellung
des LSG auch im Fall des Klägers, der bei der Beschaffung der Perücke im Jahr 2011 73 Jahre alt war. Die im Verwaltungsverfahren
eingesandten und vom LSG ausgewerteten Fotos, die im Januar 2012 angefertigt worden sind und sich in den - vom LSG zum Gegenstand
des Verfahrens gemachten - Verwaltungsakten befinden (Bl 13 VA), schließen die Annahme eines entstellenden Aussehens von vornherein
aus.
e) Im Übrigen spielt die - häufig als Begleiterscheinung der Alopecia areata universalis auftretende - Weißfleckenkrankheit
(Vitiligo) im vorliegenden Zusammenhang keine Rolle, weil ausweislich der in den Verwaltungsakten befindlichen Fotos der Kopf
des Klägers von dieser Krankheit nicht betroffen ist. Dies ergibt sich auch aus dem Neufeststellungsbescheid des Landesamtes
für Soziales, Jugend und Versorgung Rheinland-Pfalz zum schwerbehinderungsrechtlichen Status des Klägers vom 19.8.2014, wonach
Vitiligo (nur) am Oberkörper und an beiden Armen besteht.
5. Der Umstand, dass der Kläger den vollständigen Haarverlust offenbar als sein Äußeres entstellend empfindet und das Aussehen
für ihn eine psychische Belastung darstellt, kann nicht den Anspruch auf die Versorgung mit einer Perücke auslösen; denn es
kommt auf die Erforderlichkeit des Hilfsmittels zur Beseitigung einer objektiv eingetretenen entstellenden Wirkung an (BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 14). Selbst ein Zustand mit Krankheitswert würde die Krankenkasse lediglich zu medizinisch notwendigen Behandlungsmaßnahmen
verpflichten und nicht dazu, jede vom Versicherten gewünschte, von ihm für optimal gehaltene Maßnahme zur Heilung oder Linderung
des krankhaften Zustands zu gewähren. Daran hat auch das am 1.7.2001 in Kraft getretene
SGB IX nichts geändert, denn in Bezug auf die Zuständigkeit des Leistungsträgers und die Leistungsvoraussetzungen verweist §
7 Satz 2
SGB IX ausdrücklich auf die speziellen Leistungsgesetze, hier also das
SGB V (BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 2 RdNr 8). Danach sind die Ansprüche des Versicherten auf diejenigen Maßnahmen begrenzt, die nach objektiven Maßstäben
als ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich anzusehen sind und das Maß des Notwendigen nicht überschreiten (§
12 Abs
1 SGB V).
Da der Haarverlust des Klägers diesen nicht entstellt, handelt es sich - allenfalls - um eine bloße optische Unregelmäßigkeit,
deren Beseitigung bzw Kaschierung als kosmetische Maßnahme in die Eigenverantwortung des Betroffenen fällt. Einen Anspruch
gegen die Krankenkasse auf "Angleichung" an das Aussehen eines völlig gesunden Menschen gleichen Alters gibt es schon deshalb
nicht, weil bei Männern im Alter des Klägers vielfach teilweiser oder vollständiger Verlust des Kopfhaares festzustellen ist,
es also um einen natürlichen, keinerlei Aufmerksamkeit der Mitmenschen erregenden Zustand geht, und es sich bei gewünschter
Korrektur dieser Unregelmäßigkeit ohne Krankheitswert somit nur um eine kosmetische Maßnahme handelt. Die Kosten der Perücke
hat der Kläger daher selbst zu tragen.
6. Dieses Ergebnis verstößt nicht gegen das grundgesetzliche Verbot der Benachteiligung eines Menschen wegen seines Geschlechts
(Art
3 Abs
3 Satz 1
GG). Anknüpfungspunkt für die unterschiedliche Behandlung von Frauen und Männern bei der Versorgung mit Perücken im Fall des
vollständigen Haarverlustes bei Alopecia areata universalis ist ausschließlich die entstellende Wirkung der Kahlköpfigkeit
und deren Auswirkung auf die uneingeschränkte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft. Anspruchsgrund ist also nicht die Alopecia
areata universalis selbst, die bei Frauen und Männern gleichermaßen auftreten kann, sondern die daraus im Einzelfall resultierende
entstellende Wirkung der Kahlköpfigkeit. Die entstellende Wirkung tritt in den Augen der Mitmenschen aber naturgemäß (fast)
nur bei Frauen auf, die aus biologischen Gründen - anders als viele Männer - regelmäßig nicht von einem teilweisen oder vollständigen
Verlust des Kopfhaares betroffen sind. Teil- und Vollglatzen sind bei Männern mit zunehmendem Alter normal und werden von
den Mitmenschen auch als alltägliche natürliche Erscheinung ohne Korrekturbedarf empfunden, während Kahlköpfigkeit bei einer
Frau eine störende Auffälligkeit darstellt, die die neugierigen Blicke der Menschen auf sich zieht und Abhilfe erfordert,
damit sich die betroffene Frau unbefangen und frei in der Öffentlichkeit bewegen kann. In die "Außenseiterrolle" können aus
biologischen Gründen daher regelmäßig nur die betroffenen Frauen geraten. Der Versorgungsanspruch nach §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V knüpft hier also nicht unmittelbar an die Eigenschaft als Mann oder Frau an, stellt folglich keine direkte Ungleichbehandlung
dar, sondern es geht nur um die entstellende Wirkung der Kahlköpfigkeit und deren Folgen für die Teilhabe am Leben in der
Gesellschaft, die bei Frauen und Männern unterschiedlich ausfallen. Eine derartige indirekte Ungleichbehandlung ist zulässig,
wenn sie auf hinreichenden sachlichen Gründen beruht bzw wenn sie durch gewichtige objektive Gründe gerechtfertigt ist und
somit nichts mit einer Diskriminierung wegen der Eigenschaft als Frau oder Mann zu tun hat (BVerfGE 113, 1, 20; BAGE 83, 327, 337; Jarass/Pieroth,
GG, 13. Aufl 2014, Art
3 RdNr 86, 95, 96). Die Anknüpfung des Versorgungsanspruchs an die - objektiv vorhandene und nicht nur subjektiv so empfundene
- entstellende Wirkung der Kahlköpfigkeit und deren teilhaberechtlichen Auswirkungen ist ein solcher sachlicher Grund.
7. Mit dieser Entscheidung steht der Kläger als Versicherter der GKV möglicherweise schlechter da als ein Beamter in gleicher
Lage als Beihilfeberechtigter. Nach § 25 Abs 1 Satz 1 BBhV sind Aufwendungen für ärztlich verordnete Hilfsmittel, Geräte zur Selbstbehandlung und Selbstkontrolle sowie Körperersatzstücke
beihilfefähig, wenn sie im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung
vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen. Dabei sind Perücken nach Abschnitt 2 der Anlage 11 zu § 25 Abs 1 und 4 BBGV
bis zu einem Betrag von 512 Euro beihilfefähig, "wenn ein krankhafter entstellender Haarausfall (zB Alopecia areata), eine
erhebliche Verunstaltung (zB infolge Schädelverletzung) oder totaler oder weitgehender Haarausfall vorliegt". Die Beihilfe
wird danach in der angegebenen Höhe bei totalem oder weitgehendem Haarausfall grundsätzlich unabhängig von Alter und Geschlecht
gewährt. Das wird auf die Rechtsprechung des BVerwG aus dem Jahre 2002 (BVerwG Urteil vom 31.1.2002 - 2 C 1/01 - NJW 2002, 2045 = DVBl 2002, 1216 = Buchholz 237.0 § 101 BaWüLBG Nr 1) zurückzuführen sein, das eine Regelung in der Beihilfeverordnung für das Land Baden
Württemberg, nach der bei totalem oder sehr weitgehendem Haarausfall Beihilfe nur männlichen Personen bis zum 30. Lebensjahr
und weiblichen Personen gewährt wurde (§ 6 Abs 1 Nr 4 der Verordnung des Finanzministeriums des Landes Baden-Württemberg über
die Gewährung von Beihilfe in Geburts-, Krankheits-, Pflege- und Todesfällen [Beihilfeverordnung - BVO BW] vom 28.7.1995, GBl S 561), als unvereinbar mit dem Verbot der Benachteiligung eines Menschen wegen seines Geschlechts
(Art
3 Abs
3 Satz 1
GG) angesehen und die entsprechende Klausel der BVO BW als verfassungswidrig verworfen hatte (Art
100 GG).
Dies ist allerdings kein Grund, dem Kläger einen entsprechenden krankenversicherungsrechtlichen Anspruch zuzubilligen; denn
es existiert kein Gebot der leistungsrechtlichen Gleichbehandlung von Versicherten der GKV und beihilfeberechtigten Beamten
oder Versorgungsempfängern. Gerade in der vorliegenden Konstellation beruht die Differenzierung auf systembedingten Unterschieden
zwischen dem Leistungsrecht der GKV und dem Beihilferecht für Beamte. Denn während die vom BVerwG gerügte beihilferechtliche
Vorschrift einen Anspruch auf Beihilfe bei totalem oder sehr weitgehendem Haarausfall für Männer ab dem 30. Lebensjahr kategorisch
ausgeschlossen hatte, beruht die vorliegende Entscheidung des Senats auf einer wertenden Betrachtung der Entstellung. Der
Senat hat dargelegt, aus welchen sachlich-biologischen Gründen eine Entstellung durch Haarverlust bei Frauen eher in Betracht
kommt als bei Männern. Das geschlechtsspezifische Benachteiligungsverbot aus Art
3 Abs
3 Satz 1
GG wird dabei nicht verletzt. Ob dies bei einem generellen Leistungsausschluss durch eine beihilferechtliche Vorschrift ohne
Wertungsmöglichkeit im Einzelfall anders zu beurteilen ist, bedarf keiner Entscheidung durch den erkennenden Senat. Wenn der
beihilferechtliche Verordnungsgeber aufgrund dieser Entscheidung des BVerwG dann allen Beihilfeberechtigten ohne Unterscheidung
nach Alter oder Geschlecht Beihilfe zu Perücken und Toupets gewährt, zwingt dies nicht zu einer ebenso weiten Auslegung der
Vorschriften der GKV, in denen solche konkreten Vorgaben nicht enthalten sind.
8. Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.