Krankenversicherung
Divergenzrüge
Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen
Entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze
Formgerechte Darlegung einer Divergenz
1. Zur Darlegung des Zulassungsgrundes einer Abweichung des angefochtenen Urteils von einer Entscheidung eines der in §
160 Abs.
2 Nr.
2 SGG genannten obersten Bundesgerichte ist es erforderlich, die abweichende Entscheidung genau zu bezeichnen und darzulegen, dass
das LSG einen tragenden Rechtssatz in Abweichung von einem anderen tragenden Rechtssatz aufgestellt hat, den eines der genannten
Gerichte entwickelt oder angewandt hat, und dass die Entscheidung des LSG auf dieser Divergenz beruht.
2. Hierzu ist es notwendig, den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweichenden Rechtssatz des LSG herauszuarbeiten
und die Unvereinbarkeit mit einem Rechtssatz des BSG aufzuzeigen.
3. Eine Abweichung liegt indes nicht schon dann vor, wenn das LSG einen Rechtssatz nicht beachtet oder unrichtig angewandt
hat, sondern erst dann, wenn das LSG diesem Rechtssatz widersprochen, also einen anderen Rechtssatz aufgestellt und angewandt
hat.
4. Denn nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet
die Zulassung der Revision wegen Divergenz.
Gründe:
I
Die beklagte Krankenkasse ist vom SG verurteilt worden, an den klagenden Inhaber einer Apotheke 7368,79 Euro nebst Zinsen zu zahlen, weil die Beklagte einen entsprechenden
Vergütungsanspruch des Klägers zu Unrecht retaxiert habe. Die dagegen erhobene Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben.
Das LSG hat ausgeführt, der Zahlungsanspruch des Klägers für die Belieferung eines Versicherten der Beklagten mit Oxybutynin
0,1 %, G. Instillationssets 10 ml (10 mg) in der Zeit von November 2008 bis Dezember 2009 sei nicht durch Aufrechnung mit
einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch erloschen. Als Pendant zur Lieferberechtigung und -verpflichtung des Klägers
ergebe sich der Vergütungsanspruch aus §
129 SGB V iVm den zwischen den Beteiligten geltenden vertraglichen Regelungen und werde durch die vertragsärztliche Verordnung konkretisiert.
Der Kläger habe durch die Abgabe von Oxybutynin Instillationssets weder gegen die Regelungen des Arzneimittelliefervertrages
(ALV) - insbesondere nicht gegen die in § 4 ALV geregelten Abgabebestimmungen - noch gegen Europäisches Arzneimittelrecht, das Arzneimittelgesetz (AMG) oder untergesetzliches Arzneimittelrecht verstoßen. Zwar handele es sich nach einem Schreiben der Freien und Hansestadt
Hamburg als der für die Überwachung nach dem AMG zuständigen Landesbehörde bei den Oxybutynin Instillationssets um Fertigarzneimittel, die seit der Änderung des AMG mit Wirkung vom 6.9.2005 erstmals der Zulassung nach § 21 AMG bedürften; die Verkehrsfähigkeit dieser Fertigarzneimittel ergebe sich jedoch aus der Übergangsvorschrift des § 141 Abs 4 AMG - worüber die Freie und Hansestadt Hamburg den Hersteller (Inhaber der G. Apotheke) ebenfalls mit dem Schreiben vom 17.11.2009
informiert habe. Denn der Hersteller habe beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfARM) bis zum 1.9.2008
einen Antrag auf Zulassung des Fertigarzneimittels gestellt. Auch sei das Fertigarzneimittel in der sog Lauer-Taxe als verkehrsfähig
gelistet gewesen. Die Lauer-Taxe enthalte alle in Deutschland verkehrsfähigen und damit grundsätzlich zugelassenen Fertigarzneimittel
und sei Grundlage der Vergütung der Apotheker für die von ihnen an Versicherte abgegebenen Arzneimittel. Es komme nicht darauf
an, ob das Fertigarzneimittel ohne Weiteres zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verordnungsfähig gewesen
sei, denn die Rechtsbeziehung der Beklagten zu ihren Versicherten wirke sich auf den Vergütungsanspruch des Klägers nicht
unmittelbar aus (Urteil vom 30.5.2017).
Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG hat die Beklagte Beschwerde beim BSG eingelegt. Sie beruft sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie auf eine Abweichung von der Rechtsprechung
des BSG (§
160 Abs
2 Nr
1 und
2 SGG).
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil die Beklagte die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen
Bedeutung und der Abweichung von der Rechtsprechung des BSG nicht formgerecht dargetan hat (§
160a Abs
2 S 3
SGG). Die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß §
160a Abs
4 S 1 Halbs 2 iVm §
169 S 2 und 3
SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
1. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache iS des §
160 Abs
2 Nr
1 SGG nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung
des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren
Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufzeigen, welche Fragen sich stellen, dass diese
noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts
erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine solche Klärung erwarten lässt (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 17 und § 160a Nr 7, 11, 13, 31, 39, 59, 65).
Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss ein Beschwerdeführer mithin eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit,
ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von
ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Diesen Anforderungen wird die vorliegende Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Die Beklagte hält für grundsätzlich bedeutsam die Frage:
"Ist die Krankenkasse berechtigt, die Vergütung einer Apotheke für die Abgabe eines Arzneimittels, dessen Qualität, Wirksamkeit
und Unbedenklichkeit nicht in einem Zulassungsverfahren festgestellt worden sind und das sich lediglich aufgrund der Übergangsregelung
des § 141 Abs. 4 AMG im Verkehr befindet, in voller Höhe zu retaxieren?"
Die Beklagte hat die Klärungsbedürftigkeit dieser Frage - unabhängig davon, dass es sich bei der Regelung des § 141 Abs 4 AMG um inzwischen ausgelaufenes Recht handeln dürfte - nicht hinreichend dargelegt. Selbst wenn sich eine Beantwortung der aufgeworfenen
Rechtsfrage nicht ohne Weiteres der bisher ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung entnehmen lassen sollte, fehlen jedoch
jegliche Darlegungen dazu, dass sich die Antwort nicht bereits ohne Weiteres aus den einschlägigen Vorschriften - hier insbesondere
dem ALV - ergibt (zur fehlenden Klärungsbedürftigkeit, wenn sich die Antwort auf die Rechtsfrage ohne Weiteres aus den Rechtsvorschriften
ergibt, vgl zB BSG SozR 4-1500 §
160a Nr 7; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl 2017, §
160 RdNr 8a mwN).
Solche Darlegungen wären hier aber jedenfalls erforderlich gewesen. Denn das Berufungsgericht hat auf S 9 ff des Urteils ausdrücklich
ausgeführt, dass der Kläger nicht gegen Abgabebestimmungen des ALV und auch nicht gegen Europäisches Arzneimittelrecht, das
AMG oder untergesetzliches Arzneimittelrecht verstoßen habe. Insoweit wären von der Beklagten als Beschwerdeführerin etwa folgende
Regelungen in den Blick zu nehmen gewesen: Nach § 4 Abs 5 S 1 Halbs 2 ALV ist die in der vertragsärztlichen Verordnung angegebene
Ersatzkasse zur Zahlung verpflichtet. Lediglich die in § 4 Abs 5 S 2 Nr 1 bis 8 ALV im Einzelnen aufgeführten Verordnungen
dürfen nicht zu Lasten der Ersatzkassen beliefert werden, es sei denn, sie sind bei bestimmten Indikationsstellungen verordnungs-
und erstattungsfähig. Nach § 4 Abs 5 S 3 ALV gilt S 2 nur, wenn das verordnete Produkt zum Zeitpunkt der Belieferung der Verordnung
in der Lauer-Taxe als ein nach den Ziffern 1 bis 7 nicht abgabefähiges Produkt gekennzeichnet ist. Im Übrigen sind die Apotheken
nicht zur Überprüfung der Verordnungsfähigkeit des verordneten Medikaments verpflichtet (§ 4 Abs 5 S 4 ALV).
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten enthält keinerlei Darlegungen zu diesen oder anderen, stattdessen von ihr als
einschlägig angesehenen Vorschriften. Die von ihr aufgeworfene Frage zur Retaxierung eines Vergütungsanspruchs setzt aber
notwendig eine Auseinandersetzung mit den einschlägigen - revisiblen - Regelungen zum Vergütungsanspruch voraus. Die bloße
pauschale Behauptung, eine Antwort auf die Rechtsfrage ergebe sich weder aus dem Gesetz noch aus dem für Apotheken geltenden
Leistungserbringerrecht, dem Rahmenvertrag nach §
129 Abs
2 SGB V und dem ALV, wird den Darlegungsanforderungen an die Klärungsbedürfigkeit der Rechtsfrage nicht gerecht.
2. Zur Darlegung des Zulassungsgrundes einer Abweichung des angefochtenen Urteils von einer Entscheidung eines der in §
160 Abs
2 Nr
2 SGG genannten obersten Bundesgerichte ist es erforderlich, die abweichende Entscheidung genau zu bezeichnen und darzulegen, dass
das LSG einen tragenden Rechtssatz in Abweichung von einem anderen tragenden Rechtssatz aufgestellt hat, den eines der genannten
Gerichte entwickelt oder angewandt hat, und dass die Entscheidung des LSG auf dieser Divergenz beruht. Hierzu ist es notwendig,
den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweichenden Rechtssatz des LSG herauszuarbeiten und die Unvereinbarkeit mit
einem Rechtssatz des BSG aufzuzeigen. Eine Abweichung liegt indes nicht schon dann vor, wenn das LSG einen Rechtssatz nicht beachtet oder unrichtig
angewandt hat, sondern erst dann, wenn das LSG diesem Rechtssatz widersprochen, also einen anderen Rechtssatz aufgestellt
und angewandt hat. Denn nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen
begründet die Zulassung der Revision wegen Divergenz (stRspr vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 21, 29 und 67).
Diesen Anforderungen entspricht die Beschwerdebegründung nicht. Vielmehr geht die Beklagte selbst davon aus, dass in den bisher
vom BSG entschiedenen Fällen jeweils allein der Sachleistungsanspruch des Versicherten gegen die Krankenkasse nach §
31 SGB V im Streit gestanden habe, während Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits der Vergütungsanspruch eines Apothekers für die
Abgabe eines nicht zugelassenen Fertigarzneimittels sei (vgl S 5 der Beschwerdebegründung).
Es werden in der Beschwerdebegründung auch keine divergierenden Rechtssätze herausgearbeitet und gegenübergestellt. Insbesondere
fehlt die Darlegung eines vom LSG aufgestellten abstrakten Rechtssatzes. Es wird lediglich ausgeführt, das LSG weiche von
einem Rechtssatz des BSG ab, "indem es die Beklagte zur Zahlung verpflichtet für das nicht zugelassene und nur nach der Übergangsvorschrift des §
141 Abs 4 AMG verkehrsfähige Fertigarzneimittel Oxybutynin 0,1 % G. Instillationsset." Darin liegt weder ein abstrakter Rechtssatz noch
wird damit eine Unvereinbarkeit mit der Rechtsprechung des BSG dargelegt. Die Beklagte bringt insoweit lediglich ihre Auffassung zum Ausdruck, das LSG habe die Rechtsprechung des BSG, nach der ein Anspruch auf Versorgung mit einem Arzneimittel mehr voraussetze, als die bloße Verkehrsfähigkeit des Arzneimittels
nach dem Arzneimittelrecht, nicht hinreichend beachtet oder unrichtig angewandt. Die Berufungsentscheidung stützt sich aber
insoweit gerade - unterstützend - auf die Rechtsprechung des BSG, soweit dort ausgeführt wird, dass die Verkehrsfähigkeit des Fertigarzneimittels nicht ohne Weiteres zur Verordnungsfähigkeit
zulasten der GKV führe. Es hält dies allerdings wegen der Einhaltung der Voraussetzungen des Vergütungsanspruchs nach den
einschlägigen Vorschriften - insbesondere denen des ALV - für unbeachtlich. Eine Auseinandersetzung damit enthält die Beschwerdebegründung
nicht.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus §
197a Abs
1 S 1 Teils 1
SGG iVm § 63 Abs 2, § 52 Abs 1 und 2, § 47 Abs 1 GKG.