Abgrenzung Grundpflege und Behandlungspflege, Wahlrecht bei verrichtungsbezogenen Maßnahmen der Behandlungspflege
Gründe:
I
Die Klägerin begehrt von der beklagten Krankenkasse die Freistellung von den Kosten der häuslichen Krankenpflege für die Monate
November und Dezember 2002 in Höhe von 249,25 EUR.
Die 1983 geborene, bei der Beklagten versicherte Klägerin leidet an einer angeborenen Querschnittlähmung (spina bifida) mit
Blasen- und Mastdarmlähmung und weiteren Behinderungen. Von der zuständigen Pflegekasse erhält sie auf Grund eines Gutachtens
des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung in Bayern (MDK) vom 9. Juni 1995 seit April 1995 als Schwerstpflegebedürftige
Pflegegeld nach der Pflegestufe III. Bis September 2002 besuchte sie eine tagesstrukturierende Einrichtung (Pater-R
-Schule); seitdem arbeitet sie in einer anerkannten Werkstatt für behinderte Menschen in S . Zuhause
wird sie überwiegend von ihrer Mutter betreut.
Die Klägerin bedarf ua der Hilfe bei der Blasen- und Darmentleerung, wobei die Harnableitung mittels Einmalkathetern erfolgt.
Bis ins Jahr 2002 war dies fünfmal täglich erforderlich, wobei jeweils ein Zeitaufwand von 20 Minuten anfiel; seitdem reichen
vier Blasenkatheterisierungen pro Tag aus. Während des Schulbesuchs mussten jeweils zwei Katheterisierungen in der Schule
vorgenommen werden. Dies geschah durch Mitarbeiter eines Pflegedienstes des Bayerischen Roten Kreuzes; die Kosten trug die
Beklagte. Seit dem Wechsel in die Werkstatt für behinderte Menschen muss die Klägerin dort montags bis donnerstags noch einmal
täglich katheterisiert werden. Die Beklagte trug die Kosten des Pflegedienstes für die auch hier vertragsärztlich verordneten
Maßnahmen im Rahmen der häuslichen Krankenpflege nach §
37 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) bis Oktober 2002. Seitdem lehnt sie die Gewährung dieser Leistung ab. Der Pflegedienst erbringt die Pflegemaßnahme - nunmehr
im Auftrag der Klägerin - weiterhin; er hat seine Forderungen bis zum Abschluss dieses Rechtsstreits gestundet. Die offenen
Forderungen des Pflegedienstes für die Zeit bis zum 31. Dezember 2002 belaufen sich auf 249,25 EUR (149,55 EUR für November
2002 und 99,70 EUR für Dezember 2002).
Die Ablehnung der Leistung für die Zeit vom 27. Oktober 2002 bis zum 31. Dezember 2002 begründete die Beklagte mit dem Verbot
der Doppelleistung. Die Harnableitung mittels Einmalkathetern sei bereits bei der Bemessung des Pflegebedarfs sowie der Zuordnung
zu der Pflegestufe in der Pflegeversicherung zu berücksichtigen gewesen und dort auch mit täglich fünfmal 20 Minuten in Ansatz
gebracht worden; sie könne daher nicht zusätzlich als Sachleistung der Krankenversicherung beansprucht werden. Die Einmalkatheterisierung
falle als eine mit der Grundpflegemaßnahme "Blasenentleerung" untrennbar zusammenhängende Maßnahme der Behandlungspflege in
die Leistungspflicht der Pflegekassen (Bescheide vom 23. Oktober 2002 und 4. Februar 2003; Widerspruchsbescheid vom 27. Februar
2003). Auch für das erste Quartal 2003 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme ab (Bescheid vom 8. April 2003).
Das Sozialgericht (SG) hat diese Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die Klägerin von den Forderungen des Pflegedienstes für die
Zeit ab 27. Oktober 2002 freizustellen (Urteil vom 9. Oktober 2003). Das Landessozialgericht (LSG) hat den Streitgegenstand
schon erstinstanzlich als auf die Zeit bis zum 31. Dezember 2002 beschränkt angesehen und die Berufung der Beklagten insoweit
zurückgewiesen (Urteil vom 28. Oktober 2004). Es hat die Auffassung vertreten, für die Durchführung der Blasenkatheterisierung
in der Werkstatt für behinderte Menschen sei in jener Zeit die Beklagte nach §
37 Abs
2 SGB V zuständig gewesen. Es handele sich um eine Maßnahme der Behandlungspflege, die nach den Begutachtungs-Richtlinien (BRi) vom
21. März 1997 bei der Feststellung des Pflegebedarfs nach den §§
14 und
15 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB XI) und der Zuordnung zu den Pflegestufen nicht zu berücksichtigen sei. Entgegen der Ansicht der Beklagten und des Bundessozialgerichts
(BSG) im Urteil vom 22. August 2001 - B 3 P 23/00 R - scheide eine Gleichstellung dieser Behandlungsmaßnahme mit einer Grundpflegemaßnahme (§
14 Abs
4 Nr
1 bis
3 SGB XI) aus.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung materiellen Rechts (§
37 Abs
2 SGB V, §
14 SGB XI). Sie beruft sich auf die Neufassung der BRi vom 22. August 2001, wonach entsprechend der ständigen Rechtsprechung des BSG
alle Behandlungspflegemaßnahmen, die einen untrennbaren Bestandteil einer Grundpflegemaßnahme darstellen oder mit einer solchen
Maßnahme objektiv notwendig in einem unmittelbaren zeitlichen und sachlichen Zusammenhang durchzuführen sind, zur Grundpflege
zählen. Dazu gehöre auch die Blasenentleerung mittels Einmalkathetern (vgl die ausdrückliche Regelung in den BRi vom 22. August
2001, D 5.1.7.). Die Blasenkatheterisierung falle daher im vorliegenden Fall nicht in die Zuständigkeit der Krankenkasse,
sondern der Pflegekasse.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Bayerischen LSG vom 28. Oktober 2004 und des SG Regensburg vom 9. Oktober 2003 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen mit der Maßgabe, dass die Beklagte 249,25 EUR an das Bayerische Rote Kreuz, Kreisverband S
, zu zahlen hat.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
II
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben die Beklagte im Ergebnis zu Recht für verpflichtet
gehalten, die Klägerin von den noch offenen Forderungen des Pflegedienstes für die in der Werkstatt für behinderte Menschen
erbrachten Behandlungspflegemaßnahmen aus der Zeit vom 27. Oktober 2002 bis zum 31. Dezember 2002 freizustellen. Es geht dabei
um Forderungen von insgesamt 249,25 EUR. Diesen Betrag hat die Beklagte an das Bayerische Rote Kreuz, Kreisverband S
, zwecks Freistellung der Klägerin von den zivilrechtlich gegen sie gerichteten Forderungen zu zahlen.
1. Die auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtenden Sachurteilsvoraussetzungen liegen vor.
a) Das LSG hat zu Recht das Klagebegehren auf die Zeit bis zum 31. Dezember 2002 beschränkt angesehen und deshalb über die
Berufung der Beklagten auch nur bezüglich des Freistellungsanspruchs der Klägerin für diesen Zeitraum entschieden. Das SG hat verfahrensfehlerhaft auch über den Freistellungsanspruch der Klägerin für das erste Quartal 2003 entschieden. Die Voraussetzungen
für eine Einbeziehung des dieses Quartal betreffenden Bescheides der Beklagten vom 8. April 2003 lagen nicht vor. Da dieser
Bescheid die das vorausgegangene Quartal betreffenden Bescheide vom 23. Oktober 2002 und 4. Februar 2003 sowie den Widerspruchsbescheid
vom 27. Februar 2003 nicht geändert oder ersetzt, sondern nur eine Regelung für einen Folgezeitraum getroffen hat, schied
eine Einbeziehung nach §
96 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) aus. Die Einbeziehung eines Folgebescheides ohne Widerspruchsverfahren aus prozessökonomischen Gründen in Analogie zu §
96 SGG setzt voraus, dass der Kläger entweder durch entsprechende Antragstellung oder auf andere Weise klar zum Ausdruck bringt,
dass sich sein Klagebegehren auf den Folgebescheid erstreckt. Dies war hier jedoch nicht der Fall. Vielmehr hat die Klägerin
in ihrem Schriftsatz vom 6. Oktober 2003 betont, die Anfechtung der Leistungsablehnung beschränke sich im vorliegenden Verfahren
auf die Zeit bis zum 31. Dezember 2002. Die fehlerhafte Einbeziehung des Folgebescheides vom 8. April 2003 durch das SG hat das LSG zutreffend korrigiert, indem es in den Entscheidungsgründen auf die Beschränkung des Streitgegenstandes hingewiesen
und dies auch im Tenor zum Ausdruck gebracht hat. Dies entspricht der neueren Rechtsprechung des BSG zur Nichtanwendbarkeit
des §
96 SGG auf Folgebescheide bei häuslicher Krankenpflege (BSGE 90, 143, 144 = SozR 3-2500 § 37 Nr 5; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 8. Aufl 2005, §
96 RdNr 5a, 9a, 9b).
b) Das LSG hat die Berufung gegen das Urteil des SG zu Recht als zulässig angesehen. Ohne ausdrückliche Berufungszulassung durch das SG ist eine Berufung nach §
144 Abs
1 Satz 1 Nr
1 SGG zulässig, wenn bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft,
der Wert des Beschwerdegegenstandes 500 EUR übersteigt. Bei Unterschreitung dieses Mindestbetrages ist die Berufung nach §
144 Abs
1 Satz 2
SGG nur zulässig, wenn das Rechtsmittel wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft. Da es nach dem
Urteil des SG um einen Freistellungsanspruch wegen der Kosten für eine wiederkehrende Leistung für die Zeit vom 27. Oktober 2002 bis zum
31. März 2003 ging, also weniger als ein Jahr betroffen war, kam es auf den Wert des Beschwerdegegenstandes an. Dieser betraf
Freistellungsansprüche von rund 150 EUR im November 2002 und rund 100 EUR im Dezember 2002 (10 Pflegeeinsätze) sowie - verfahrensfehlerhaft
- von je rund 150 EUR im Januar, Februar und März 2003 (monatlich durchschnittlich 15 Pflegeeinsätze). Die vom LSG zutreffend
erkannte Beschränkung des Streitgegenstandes auf die Zeit bis zum 31. Dezember 2002 (Wert nur 249,25 EUR) ist für den Beschwerdegegenstand
unerheblich, weil es allein auf die nach dem angefochtenen Urteil zu bemessende Beschwer des Rechtsmittelführers ankommt.
Die Beklagte hat das erstinstanzliche Urteil insgesamt und damit in einem Umfang von rund 700 EUR angegriffen.
2. In der Sache konnte die Revision der Beklagten keinen Erfolg haben.
a) Anspruchsgrundlage ist §
13 Abs
3 Satz 1
SGB V, wonach Kosten in der entstandenen Höhe zu erstatten sind, die dadurch anfallen, dass die Krankenkasse eine unaufschiebbare
Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte (Variante 1) oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat (Variante 2) und sich
der Versicherte die notwendige Leistung deshalb selbst beschafft hat. Diese auf die Erstattung schon verauslagter Kosten zugeschnittene
Regelung (Kostenerstattungsanspruch) ist entsprechend auf die Freistellung des Versicherten von einer ihm gegenüber bestehenden,
aber - zB wie hier wegen Stundung - noch nicht erfüllten Forderung eines Leistungserbringers anzuwenden (BSGE 80, 181, 182 = SozR 3-2500 § 13 Nr 14; stRspr). Im vorliegenden Fall geht es wegen der täglich einmal an wöchentlich vier Arbeitstagen
vorzunehmenden, nicht aufschiebbaren Blasenkatheterisierung im November und Dezember 2002 um einen Freistellungsanspruch wegen
Selbstbeschaffung einer von der Beklagten nicht erbrachten, rechtzeitig beantragten unaufschiebbaren Leistung (Variante 1)
und zugleich um einen Freistellungsanspruch wegen einer zu Unrecht abgelehnten Leistung (Variante 2), weil der Ablehnungsbescheid
vom 23. Oktober 2002 rechtswidrig ist. Dass die Leistungen der Beklagten und nicht der Klägerin in Rechnung gestellt worden
sind (vgl Rechnungen vom 30. Juni 2005), ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Auftraggeberin war nach den nicht angegriffenen
und für den Senat daher bindenden (§
163 SGG) Feststellungen des LSG ab November 2002 die Klägerin und nicht mehr die Beklagte. Gegenteiliges wird von den Beteiligten
auch nicht behauptet.
b) Die Beklagte hätte die begehrte häusliche Krankenpflege in Form der vertragsärztlich verordneten Blasenkatheterisierung
am Arbeitsplatz als Sachleistung (§
37 Abs 2 iVm §
2 Abs
2 und §
27 Abs
1 Satz 2 Nr
4 SGB V) zur Verfügung stellen müssen. Die Pflegekasse war für diese Leistung nicht zuständig.
Nach §
37 Abs
2 Satz 1, 1. Halbsatz
SGB V erhalten Versicherte in ihrem Haushalt oder ihrer Familie als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn sie zur Sicherung
des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist (sog Behandlungssicherungspflege). Der krankenversicherungsrechtliche
Anspruch auf häusliche Krankenpflege in Form der Behandlungssicherungspflege besteht neben dem Anspruch auf Leistungen bei
häuslicher Pflege aus der sozialen Pflegeversicherung. Zur Behandlungspflege gehören alle Pflegemaßnahmen, die nur durch eine
bestimmte Krankheit verursacht werden, speziell auf den Krankheitszustand des Versicherten ausgerichtet sind und dazu beitragen,
die Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu verhindern oder zu lindern, wobei
diese Maßnahmen typischerweise nicht von einem Arzt, sondern von Vertretern medizinischer Hilfsberufe oder auch von Laien
erbracht werden (krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen, vgl BSGE 82, 27 = SozR 3-3300 § 14 Nr 2; BSGE 83, 254 = SozR 3-2500 § 37 Nr 1; BSGE 90, 143 = SozR 3-2500 § 37 Nr 5; BSG SozR 3-3300 § 14 Nr 3 und 11). Die vom Hausarzt verordnete Blasenkatheterisierung zählt zu den
im Rahmen der Behandlungspflege verordnungsfähigen Leistungen. Wenn in Nr 23 der Anlage der am 14. Mai 2000 in Kraft getretenen
Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen (jetzt: Gemeinsamer Bundesausschuss) über die Verordnung von
häuslicher Krankenpflege nach §
92 Abs
1 Satz 2 Nr
6 und Abs
7 Satz 1
SGB V vom 16. Februar 2000 (BAnz Nr 91 S 8878 vom 13. Mai 2000) nur von Dauerkathetern und vom Anlegen von Einmalkathetern zu Schulungszwecken
die Rede ist, ist dies für den Leistungsanspruch des Versicherten nicht maßgebend, weil diese Richtlinien den gesetzlichen
Anspruch auf die im Einzelfall notwendige wiederholte Verwendung von Einmalkathetern nicht ausschließen können (vgl Urteil
vom 17. März 2005 - B 3 KR 35/04 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). Die medizinische Notwendigkeit der Harnableitung mittels Einmalkathetern
sowie die Notwendigkeit ihrer Durchführung durch einen Pflegedienst stehen nach den bindenden Feststellungen des LSG außer
Zweifel. Dass die Maßnahme nicht im elterlichen Haushalt der Klägerin, sondern in der Werkstatt für behinderte Menschen, also
am Arbeitsplatz zu erbringen ist, steht dem Anspruch auf häusliche Krankenpflege ebenfalls nicht entgegen, weil §
37 Abs
2 SGB V auch die Versorgung eines Versicherten mit Behandlungspflege außerhalb der eigenen Wohnung umfasst, falls er in einem eigenen
Haushalt oder im Haushalt der Familie lebt. Dies hat der erkennende Senat bereits mehrfach entschieden (Urteil vom 21. November
2002 - B 3 KR 13/02 R - BSGE 90, 143, 148 = SozR 3-2500 §
37 Nr
5). Der Anspruch ist auch nicht nach §
37 Abs
3 SGB V ausgeschlossen. Nach den Feststellungen des LSG waren die Familienangehörigen der Klägerin, insbesondere ihre Mutter, nicht
in der Lage, die Pflegemaßnahme auch am Arbeitsplatz zu übernehmen.
Die Leistungspflicht der Beklagten nach §
37 Abs
2 SGB V entfällt auch nicht deshalb, weil die benötigte Maßnahme der Behandlungspflege in die Hilfeleistung bei einer Verrichtung
der Grundpflege nach §
14 Abs
4 SGB XI einzubeziehen und damit Gegenstand der Leistungspflicht der Pflegekasse wäre. Die Voraussetzungen hierfür lagen nicht vor.
Nach der Rechtsprechung des BSG können krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen zum Grundpflegebedarf nach §
14 Abs
4 SGB XI zählen, wenn eine solche Maßnahme entweder (a) untrennbarer Bestandteil einer Katalogverrichtung des §
14 Abs
4 SGB XI ist oder (b) mit einer solchen Verrichtung objektiv notwendig in einem unmittelbaren zeitlichen und sachlichen Zusammenhang
durchzuführen ist (BSGE 82, 27 = SozR 3-3300 § 14 Nr 2; BSGE 82, 276, 279 = SozR 3-3300 § 14 Nr 7; BSG SozR 3-3300 § 14 Nr 11 und 15). Eine solche Konstellation liegt hier vor. Die Harnableitung
mittels Eimalkathetern ist eine Maßnahme der Behandlungspflege, weil sie krankheitsspezifisch den Folgen der Blasenlähmung
und den daraus drohenden Komplikationen entgegenwirkt; zugleich ist sie Teil der Grundpflegeverrichtung "Blasenentleerung"
und kann deshalb bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit eines unter einer Blasenlähmung leidenden Versicherten berücksichtigt
werden. Die BRi vom 21. März 1997, die insoweit Gegenteiliges bestimmten, waren sachlich unrichtig und unbeachtlich. Die der
Rechtsprechung des erkennenden Senats folgende Änderung der BRi (Teil D 5.1.7.) durch die Neufassung vom 22. August 2001,
die nunmehr die Möglichkeit der Anrechnung der Zeiten der Harnableitung mittels Einmalkathetern bei der Bemessung des Pflegebedarfs
vorsehen, geben die Rechtslage zutreffend wieder.
Vor dem Hintergrund der am 1. Januar 2004 in Kraft getretenen Änderung des §
37 Abs
2 Satz 1
SGB V durch das GKV-Modernisierungsgesetz (GMG) vom 14. November 2003 (BGBl I S 2190) sind Behandlungspflegemaßnahmen, die untrennbarer
Bestandteil einer Verrichtung der Grundpflege sind oder mit dieser objektiv notwendig in einem unmittelbaren zeitlichen und
sachlichen Zusammenhang stehen, jedoch nur noch dann bei der Berechnung des Umfangs des Pflegebedarfs nach den §§
14 und
15 SGB XI und damit bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit und der Zuordnung zu einer der Pflegestufen zu berücksichtigen, wenn
der Antragsteller (der Pflegebedürftige) sich dafür entschieden hat, die Behandlungspflegemaßnahme in seinem Haushalt durch
eine nicht erwerbsmäßig tätige Pflegeperson (§
19 SGB XI), also durch Familienmitglieder, Nachbarn oder Freunde, und nicht durch einen Pflegedienst (§
71 Abs
1 SGB XI) erbringen zu lassen (selbst beschaffte Pflegehilfe). Hat der Pflegebedürftige dagegen die Inanspruchnahme eines Krankenpflegedienstes
(§
132a SGB V), also eine Sachleistung, für die Durchführung der Behandlungspflege gewählt, entfällt die Zuständigkeit der sozialen Pflegeversicherung
für diese Maßnahme; allein zuständig ist die gesetzliche Krankenversicherung (§
37 SGB V). Dies gilt für nicht abgeschlossene Fälle aus der Zeit vor dem 1. Januar 2004 auch dann, wenn der Versicherte professionelle
Hilfe bei einer bestimmten Maßnahme der häuslichen Krankenpflege gewählt hat und der Zeitaufwand für diese Hilfe bei der Berechnung
des Umfangs des Pflegebedarfs nach den §§
14 und
15 SGB XI außer Ansatz geblieben ist (vgl zu allem Urteile des erkennenden Senats vom 17. März 2005 - B 3 KR 8/04 R und B 3 KR 9/04 R -, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). Der Nichtberücksichtigung des Zeitaufwandes für die Behandlungspflegemaßnahme
in einem Pflegegutachten steht der Fall gleich, dass der Hilfebedarf für diese Maßnahme zwar vom MDK bei der Begutachtung
in Ansatz gebracht worden ist, dies aber nicht leistungsrechtlich ausschlaggebend gewesen ist. Diese Gleichstellung ist geboten,
weil auch bei einer derartigen Konstellation eine Doppelleistung von Krankenversicherung und Pflegeversicherung ausgeschlossen
ist.
Die Klägerin hat sich im September 2002 entschieden, die während des wochentäglichen Aufenthalts in der Werkstatt für behinderte
Menschen einmal täglich notwendige Pflegemaßnahme als Sachleistung in Anspruch zu nehmen. Der Sachleistungsanspruch nach §
37 Abs
2 SGB V wäre deshalb nur dann ausgeschlossen, wenn diese Maßnahme bereits beim Pflegebedarf berücksichtigt worden ist und zu einer
höheren Pflegestufe geführt hat. Dies ist schon deshalb nicht der Fall, weil die Klägerin letztmalig im Jahre 1995 vom MDK
wegen ihres Pflegebedarfs begutachtet worden ist. Die nach dem Wechsel von der Schule zur Werkstatt für behinderte Menschen
im September 2002 notwendige erneute Begutachtung des Pflegebedarfs (§
18 Abs
2 Satz 5
SGB XI) ist unterblieben.
Nicht nachvollziehbar ist die Einschätzung des MDK, die Begutachtung vom 9. Juni 1995 belege einen nicht änderbaren Dauerzustand
der Pflegebedürftigkeit der - damals knapp zwölf Jahre alten - Klägerin, so dass auf eine spätere Überprüfung des Pflegebedarfs
(§
18 Abs
2 Satz 5
SGB XI) verzichtet werden könne. Gerade bei Kindern und Jugendlichen kann sich in vielen Fällen der Pflegebedarf mit zunehmendem
Alter ändern. So kann er bei entwicklungsbedingten Fortschritten abnehmen, er kann aber auch im Einzelfall durch die Reduzierung
der Abzugswerte nach §
15 Abs
2 SGB XI (erhöhter Mehrbedarf gegenüber einem gleichaltrigen gesunden Kind) ansteigen. Außerdem können Änderungen im häuslichen, schulischen
oder beruflichen Umfeld Einfluss auf den Pflegebedarf haben. Deshalb hätte für die Beklagte Anlass bestanden, nach Kenntnis
vom Wechsel der Klägerin ins Berufsleben im September 2002 und der in der Werkstatt für behinderte Menschen - wie zuvor zweimal
täglich in der Schule, nunmehr aber nur noch einmal täglich - notwendigen Behandlungspflege durch einen Pflegedienst die Pflegekasse
zu unterrichten, damit dort die Frage einer neuen Begutachtung durch den MDK geprüft werden konnte.
Es kann offen bleiben, welche Rechtsfolgen hinsichtlich des bereits gezahlten Pflegegeldes zu ziehen wären, wenn eine erneute
Überprüfung des Pflegebedarfs ohne Einbeziehung der Katheterisierungsmaßnahmen auf der Arbeitsstelle zu dem Ergebnis käme,
dass schon im September 2002 der Pflegebedarf nicht mehr die Einstufung in die Pflegestufe III gerechtfertigt hat. Für die
Zukunft wäre die Pflegekasse jedenfalls nicht gehindert, hinsichtlich des Pflegegeldes einen Änderungsbescheid nach § 48 SGB X zu erteilen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.