Krankengeldanspruch
Anhörungsmitteilung
Begründungspflicht
Beweisanregung
Gründe:
I
Der Kläger begehrt von der beklagten Krankenkasse die Gewährung von Krankengeld (Krg) nach §
44 SGB V für die Zeit vom 1.4.2008 bis zum 31.12.2009.
Der 1949 geborene Kläger war ab 1975 als Steinbrucharbeiter versicherungspflichtig beschäftigt. Wegen seines Gesundheitszustandes
(Radikulopathie, chronisches Schmerzsyndrom, chronisches Lumbalsyndrom, Pneumokoniose) gab er die Tätigkeit zum 21.12.2007
auf. Die Quarzstaublungenerkrankung war bereits 2006 als Berufskrankheit anerkannt worden (Bescheid der Steinbruchs-Berufsgenossenschaft
vom 10.1.2006). Zum 1.4.2008 wurde er von seinem Arbeitgeber "ausgesteuert und arbeitslos gemeldet". Das Arbeitsverhältnis
endete aber erst am 31.12.2009 (Vergleichsbeschluss des Arbeitsgerichts Freiburg vom 30.9.2009). Der Kläger erhielt zunächst
Krg (26.12.2007 bis 15.2.2008) in Höhe von zuletzt 44,91 Euro pro Tag. Anschließend bezog er Arbeitslosengeld (Alg, 16.2.
bis 1.3.2008) sowie Zahlungen des Arbeitgebers wegen Resturlaubs und restlicher Überstunden (2.3. bis 21.4.2008). In der Folgezeit
gewährte die Bundesagentur für Arbeit wieder Alg (22.4.2008 bis 31.12.2009) mit einem täglichen Leistungsbetrag von 38,23
Euro.
Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers vom 23.4.2010 auf Gewährung von Krg für die Zeit ab 1.4.2008 ab, weil der Hausarzt
immer nur befristete Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausgestellt habe, und zwar zuletzt am 15.2.2008 mit Wirkung bis zum
1.3.2008. Für die Folgezeit habe der Arzt die Arbeitsunfähigkeit (AU) nicht mehr festgestellt. Die Bescheinigung des Hausarztes
vom 18.6.2010, der Kläger sei ab 1.4.2008 durchgehend arbeitsunfähig gewesen, ersetze nicht die tatsächliche ärztliche Feststellung
der AU, die zu Beginn dieses Zeitraums hätte getroffen werden müssen (Bescheid der Beklagten vom 18.5.2010, Widerspruchsbescheid
vom 21.10.2010).
Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 30.7.2013). Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Beschluss vom 26.9.2014):
Es fehle an der ärztlichen Feststellung der AU für den streitigen Zeitraum (§
46 SGB V), weil die letzte Feststellung bis zum 1.3.2008 befristet gewesen sei und die nachgeholte ärztliche AU-Feststellung vom 18.6.2010
die erforderliche zeitnahe Bescheinigung der AU, die bis zum 31.3.2008 hätte ausgestellt werden müssen, nicht ersetzen könne.
Die im Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 14.2.2008 vertretene Auffassung, dass der Kläger
dauerhaft arbeitsunfähig für die letzte Tätigkeit als Steinmetz mit entsprechender Staubexposition sei, ersetze ebenfalls
nicht die tatsächliche ärztliche Feststellung der AU für die Zeit ab 1.4.2008. Wegen der fehlenden ärztlichen Feststellung
habe der Kläger die AU der Beklagten auch nicht melden können (§
49 Abs
1 Nr
5 SGB V). Das Attest vom 18.6.2010 könne auch insoweit keine Rückwirkung entfalten. Da wegen der fehlenden ärztlichen Feststellung
der AU ein Anspruch auf Krg ab 1.4.2008 ausgeschlossen sei, könne es offenbleiben, ob der Anspruch auch wegen der Regelung
des §
11 Abs
5 SGB V nicht habe entstehen können; danach bestehe keine Leistungspflicht der Krankenkassen, wenn Leistungen als Folge eines Arbeitsunfalls
oder einer Berufskrankheit im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung zu erbringen sind. Letzteres sei hier in Betracht
zu ziehen, weil nach der Behauptung des Klägers die AU auf der als Berufskrankheit anerkannten Erkrankung beruhe. Entgegen
stehe allerdings die Einschätzung der Berufsgenossenschaft (BG), die anerkannte Berufskrankheit sei nicht ursächlich für die
am 21.12.2007 eingetretene AU gewesen, weil die beim Kläger vorliegenden silikotischen Lungenveränderungen keine Rückwirkung
auf Atmung und Kreislauf zeigten (Schreiben der BG an die Beklagte vom 13.3.2008).
Dem nach §
153 Abs
4 SGG allein von den Berufsrichtern getroffenen Beschluss des LSG vom 26.9.2014 über die einstimmige Zurückweisung der Berufung
ging der Hinweis der Berichterstatterin vom 2.9.2014 voraus, der Senat beabsichtigte für den Fall der Fortsetzung des Verfahrens
über die Berufung des Klägers gemäß §
153 Abs
4 SGG im Beschlusswege zu entscheiden. Die Berufung sei nach Prüfung der Sach- und Rechtslage voraussichtlich unbegründet, und
zwar sowohl wegen des Anspruchsausschlusses nach §
11 Abs
5 SGB V als auch wegen der nicht festgestellten und nicht gemeldeten AU (§
46 Abs
1 Nr
2, §
49 Abs
1 Nr
5 SGB V). Dies ist auch im Einzelnen ausgeführt worden. Der Kläger erhielt Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 25.9.2014. Daraufhin
hat der Kläger auf das Urteil des SG Lübeck vom 5.10.2010 (S 1 KR 639/08 - Juris, Leitsätze in NZS 2011, 262) hingewiesen und vorgetragen, für einen Versicherten entfalle die Obliegenheit, die AU ärztlich feststellen zu lassen und
der Krankenkasse laufend zu melden, wenn er - wie hier - erfahren habe, dass er die bisherige Beschäftigung nicht mehr ausüben
könne. Ein Verstoß gegen die Mitwirkungsobliegenheiten nach den §§
46 und
49 SGB V sei bei dieser Sachlage ausgeschlossen. Es sei daher beabsichtigt, das Berufungsverfahren fortzusetzen (Schriftsatz vom 5.9.2014).
Daraufhin hat die Berichterstatterin mit Verfügung vom 8.9.2014 mitgeteilt, der Senat halte an der angekündigten Vorgehensweise
fest. Die Berufung ist sodann mit Beschluss vom 26.9.2014 nach §
153 Abs
4 SGG zurückgewiesen worden.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Beschluss richtet sich die Beschwerde des Klägers vom 24.10.2014. Der Kläger
rügt einen Verfahrensfehler (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG). Er meint, das LSG sei verpflichtet gewesen, in der Verfügung vom 8.9.2014 auf seinen Vortrag vom 5.9.2014 einzugehen, die
Rechtsauffassung zu diesem Vortrag mitzuteilen und ihn erneut unter Fristsetzung anzuhören, wenn daran festgehalten werde,
im Beschlusswege nach §
153 Abs
4 SGG zu entscheiden. Das sei nicht geschehen. Die verfahrensfehlerhaft unterbliebene Anhörung in der Verfügung vom 8.9.2014 führe
zu einem absoluten Revisionsgrund (§
202 SGG iVm §
547 Nr 1
ZPO), sodass Ausführungen zur Entscheidungserheblichkeit des Verfahrensfehlers entbehrlich seien.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unbegründet. Der gerügte Verfahrensfehler liegt nicht vor.
Zu Recht hat der Kläger die erste Anhörungsmitteilung des LSG vom 2.9.2014 nicht beanstandet. Das LSG hat die Gründe dargestellt,
weshalb die Berufung als unbegründet angesehen werde, und ausgeführt, es sei beabsichtigt, nach §
153 Abs
4 SGG im Beschlusswege zu entscheiden, falls die Berufung nicht zurückgenommen werde, und Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum
25.9.2014 gegeben. Damit lag eine verfahrensfehlerfreie erste Anhörung vor (BSG SozR 3-1500 §
153 Nr 8 und 9; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Aufl 2014, §
153 RdNr 19), die auch - wie hier - von der Berichterstatterin unterschrieben werden durfte (Keller, aaO, § 153 RdNr 20).
Auch die Verfügung vom 8.9.2014 ist wirksam. Entgegen der Auffassung des Klägers handelt es sich dabei um eine zweite Anhörungsmitteilung.
Der dem LSG vorgeworfene Verfahrensfehler liegt nicht vor. Das LSG hat den Vortrag des Klägers vom 5.9.2014 zur Kenntnis genommen
und durch seine Mitteilung, an der mit Verfügung vom 2.9.2014 angekündigten Verfahrensweise festhalten zu wollen, zu erkennen
gegeben, dass es der Rechtauffassung des Klägers über die Entbehrlichkeit der ärztlichen Feststellung der AU und der Entbehrlichkeit
der Meldung der AU gegenüber der Krankenkasse nicht folgen wolle und nach wie vor die Zurückweisung der Berufung im Beschlusswege
nach §
153 Abs
4 SGG vorgesehen sei. Zugleich wurde auf die erste Anhörungsmitteilung auch insoweit Bezug genommen, als der Kläger Gelegenheit
hatte, bis zum 25.9.2014 weiter vorzutragen, wovon er jedoch keinen Gebrauch gemacht hat. Damit hat das LSG alles für eine
wirksame erneute Anhörung verfahrensrechtlich Erforderliche getan (BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 10 RdNr 7). Die Gründe, weshalb das Gericht zu der Ansicht gekommen ist, die Berufung sei auch in Ansehung des neuen Vortrags
des Klägers vom 5.9.2014 als unbegründet zu bewerten, mussten nicht im Einzelnen mitgeteilt werden (Keller, aaO, § 153 RdNr
19 mwN). In der Rechtsprechung ist lediglich dann eine Begründungspflicht angenommen worden, wenn ein Kläger aufgrund eines
Anhörungsschreibens nach §
153 Abs
4 Satz 2
SGG die Einholung eines weiteren Gutachtens anregt und das LSG dieser Anregung nicht folgen will. Eine Entscheidung durch Beschluss
ohne vorherigen Hinweis an den Kläger, dass und weshalb der Anregung nicht gefolgt werde, verstößt regelmäßig gegen die Grundsätze
des rechtlichen Gehörs (§
62 SGG Art
103 Abs
1 GG) und des fairen Verfahrens, weil dem Kläger die Möglichkeit gegeben werden muss, ggf einen ordnungsgemäßen Beweisantrag zu
stellen (BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 1 RdNr 7). Eine solche Situation lag hier nicht vor.
Da eine zweite Anhörungsmitteilung erfolgt ist, brauchte nicht entschieden zu werden, ob ein solches Vorgehen des LSG angesichts
des Vortrags des Klägers vom 5.9.2014 überhaupt verfahrensrechtlich geboten war. Eine nochmalige Anhörung ist grundsätzlich
nur dann nötig, wenn sich die Prozesssituation nach der ersten Anhörungsmitteilung wesentlich geändert hat (BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 11 RdNr 13; Keller, aaO, § 153 RdNr 20). Die Umstände, die den Kläger veranlasst hatten, seinen Hausarzt ab März 2008 nicht um neue AU-Bescheinigungen zu
bitten, obwohl er ständig bei ihm in Behandlung war, waren dem LSG aus den Akten aber bereits vorher bekannt, nämlich die
übereinstimmenden Einschätzungen seines Hausarztes und des MDK, dass er aus gesundheitlichen Gründen niemals auf seinen alten
Arbeitsplatz als Steinbrucharbeiter zurückkehren durfte.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.