Anspruch auf Ausstattung mit einem Rollstuhlrückhaltesystem durch die Krankenkasse für Fahrten zu einer Werkstatt für behinderte
Menschen
Gründe:
I
Streitig ist, ob die beklagte Krankenkasse den Elektrorollstuhl des Klägers mit einem sog Kraftknoten zum sicheren Behindertentransport
für Fahrten zum Schulbesuch auszustatten hat.
Der 1990 geborene und bei der Beklagten versicherte Kläger besucht eine Schule für geistig und körperlich behinderte Kinder
mit angeschlossenem Internat. An den Wochenenden wohnt er bei seinen Eltern. Er ist krankheitsbedingt auf die Benutzung eines
Elektrorollstuhls angewiesen, mit dem ihn die Beklagte versorgt hat. Darin sitzt er auch bei den in Behindertentransportwagen
durchgeführten Fahrten von und zur Schule, weil er behinderungsbedingt nicht aus eigener Kraft sitzen kann und deshalb auf
den Halt des Rollstuhls und dessen besondere Sitzschale angewiesen ist. Für solche Transporte sieht die DIN-Norm 75078-2 seit
1999 Drei-Punkt-Gurte sowie besondere Sicherheitsvorkehrungen für die Befestigung des Rollstuhls im Fahrzeug vor (Rollstuhlrückhaltesystem).
Ergänzend dazu ist die Ausrüstung des jeweiligen Rollstuhls mit einem Kraftknotensystem erforderlich. Das sind Verstärkungen
(Kraftknoten) am Rollstuhl, die über Gurte eine Befestigung am Fahrzeugboden erlauben und zugleich den Beckengurt zum Insassenschutz
aufnehmen. Dadurch soll ein der Rollstuhlkonstruktion optimal angepasster Punkt für die Ableitung der bei einem Unfall auftretenden
Kräfte genutzt werden, um der DIN-Norm entsprechend die "Rückhaltekräfte des Personenrückhaltesystems in das Rollstuhlrückhaltesystem
einzuleiten." Hierzu sind Anbauteile erforderlich, die auch nachrüstbar sind.
Der Antrag des Klägers auf Nachrüstung seines Rollstuhls mit Kraftknoten ist erfolglos geblieben. Die Beklagte ist der Auffassung,
dass die Ausstattung mit Kraftknoten der behindertengerechten Zusatzausstattung eines Kraftfahrzeugs zuzurechnen sei, wofür
die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht zuständig sei (Verweis
auf BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 29). Zudem müsse für die Transportsicherheit derjenige aufkommen, der den Transport durchführt
(Bescheid vom 23.6.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.12.2005).
Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Nachrüstung seines Rollstuhls mit Kraftknoten im Wert von 511,87 Euro netto. Das Sozialgericht
(SG) hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt (Urteil vom 10.7.2007), das Landessozialgericht (LSG) deren Berufung zurückgewiesen
(Urteil vom 21.2.2008): Der Kläger habe einen krankenversicherungsrechtlichen Anspruch auf Ausstattung seines Elektrorollstuhls
mit Kraftknoten. Gleiche ein Hilfsmittel - hier der Elektrorollstuhl - die indirekten Folgen einer Behinderung aus, müsse
die GKV hierfür aufkommen, soweit ein Grundbedürfnis des täglichen Lebens betroffen sei. Dazu rechne der Schulbesuch im Rahmen
der allgemeinen Schulpflicht. Um diesen zu gewährleisten, biete die Ausstattung des Rollstuhls mit Kraftknoten einen signifikanten
Sicherheitsvorteil. Solange der Behinderungsausgleich nicht vollständig im Sinne des Gleichziehens mit einem gesunden Menschen
erreicht sei, könne die Versorgung mit einem fortschrittlicheren Hilfsmittel nicht mit der Begründung abgelehnt werden, der
bisher erreichte Versorgungsstandard sei ausreichend (Verweis auf BSGE 93, 183 = SozR 4-2500 § 33 Nr 8).
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung von §§
27 Abs
1 Satz 2 Nr
3,
33 Abs
1 Satz 1 und Satz 4
SGB V. Bei Einschränkungen der Bewegungsfähigkeit habe die GKV nur für einen Basisausgleich aufzukommen, soweit ein Grundbedürfnis
des täglichen Lebens betroffen sei. Hierzu gehöre bei Kindern und Jugendlichen auch die Gewährleistung der Schulfähigkeit
und die Möglichkeit zum Erwerb einer elementaren Schulausbildung im Rahmen der allgemeinen oder der Sonderschulpflicht. Dieses
Grundbedürfnis sei hier indes nicht betroffen; es handele sich nicht um einen zusätzlich erforderlichen Gegenstand zur Erlernung
des lebensnotwendigen Schul-Grundwissens, sondern um eine reine Transportvorrichtung. Das Kraftknotensystem diene vor allem
der Erleichterung des Behindertentransports; zudem sei die generelle Notwendigkeit dieses Systems zu bezweifeln. Die DIN-Norm
75078-2 beschreibe nur den optimalen Stand der Technik; daneben seien jedoch andere Standards nicht ausgeschlossen, solange
sie den Anforderungen des § 35a Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) genügten. Ohne eine verbindliche Pflicht zur Nachrüstung eines Rollstuhls mit Kraftknoten bestehe keine entsprechende Leistungspflicht
der GKV.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 21.2.2008 und des Sozialgerichts Koblenz vom 10.7.2007 zu ändern
und die Klage abzuweisen.
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Zutreffend hat das LSG entschieden, dass die Beklagte den Rollstuhl des Klägers
mit einem Kraftknotensystem auszustatten hat. Versicherte, die zur Erfüllung ihrer Schulpflicht gesundheitsbedingt nur im
Rollstuhl sitzend an der Schülerbeförderung teilnehmen können, haben aus Gründen der Sicherheit im Straßenverkehr bei Fahrten
zum Schulbesuch Anspruch auf Versorgung mit einem Kraftknotensystem durch die Krankenkasse.
1. Von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrensmängel stehen einer Sachentscheidung nicht entgegen. Insbesondere war die
Berufung auch ohne Zulassung im Urteil des SG statthaft, weil der im Zeitpunkt der Einlegung der Berufung maßgebliche Beschwerdewert von 500 Euro erreicht ist (§
144 Abs
1 Satz 1 Nr
1 SGG, hier in der mit Wirkung zum 1.1.2002 in Kraft getretenen Fassung des Art 22 Nr 1 Buchst a des 4. Euro-Einführungsgesetzes
vom 21.12.2000, BGBl I S 1983).
2. Rechtsgrundlage des geltend gemachten Anspruchs ist §
33 Abs
1 SGB V in der seit dem 1.4.2007 geltenden Fassung des Art 1 Nr 17 des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz vom
26.3.2007, BGBl I 378). Nach Satz 1 dieser Vorschrift haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken,
orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um ua eine Behinderung auszugleichen, soweit
die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach §
34 Abs
4 SGB V ausgeschlossen sind. Dieser Anspruch umfasst nach §
33 Abs
1 Satz 4
SGB V ua auch die notwendige Änderung eines Hilfsmittels.
3. "Notwendige Änderung" iS von §
33 Abs
1 Satz 4
SGB V ist auch die Anpassung eines Hilfsmittels an den bei seinem bestimmungsgemäßen Gebrauch zu wahrenden Sicherheitsstandard.
Dem Anspruch des §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V genügt ein Hilfsmittel nur, soweit es hinreichend verkehrssicher ist; ansonsten ist sein Gebrauchsvorteil entwertet. Demgemäß
kann ein Versicherter nach §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V Hilfsmittel beanspruchen, die im Rahmen des wirtschaftlich Vertretbaren dem allgemein anerkannten Stand der Sicherheitstechnik
entsprechen und bei deren Gebrauch unvertretbare Gesundheitsrisiken nicht drohen. Ergänzend gewährt §
33 Abs
1 Satz 4
SGB V einen Anspruch auf Nachrüstung, soweit damit den Sicherheitsanforderungen Rechnung getragen werden kann. Insoweit gelten
die §§
2 Abs
1 Satz 3,
12 Abs
1 Satz 1
SGB V entsprechend. Danach haben Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse
zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen (§
2 Abs
1 Satz 3
SGB V) und müssen zudem ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; das Maß des Notwendigen dürfen sie nicht überschreiten
(§
12 Abs
1 Satz 1
SGB V). Hiernach besteht der geltend gemachte Anspruch, weil die Krankenkassen für eine sichere Rollstuhlbeschaffenheit auch zum
Zweck der Schülerbeförderung einzustehen haben (dazu 4), diese Beförderung beim Einsatz des Kraftknotensystems dem allgemein
anerkannten Stand der Technik entspricht (dazu 5) und den Versicherten die Teilhabe an diesem Sicherheitsvorteil auch aus
Kostengründen nicht zu versagen ist (dazu 6).
4. §
33 Abs
1 SGB V gewährt Anspruch auf Versorgung mit einem für die Zwecke der Schülerbeförderung hinreichend sicheren Rollstuhl, wenn der
Versicherte krankheitsbedingt nur im Rollstuhl sitzend transportiert werden kann. In diesem Fall hat die GKV entgegen der
Auffassung der Beklagten nicht nur für einen zur Fortbewegung im Nahbereich geeigneten Rollstuhl einzustehen (nachfolgend
a), sondern sie hat die Rollstuhlbeschaffenheit auch an den Anforderungen bei der Fahrzeugbeförderung auszurichten, wenn der
Fahrzeugtransport entweder zur Krankenbehandlung unerlässlich ist (nachfolgend b) oder dem Schulbesuch dient (nachfolgend
c).
a) Grundsätzlich erfüllt die Krankenkasse den Anspruch aus §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V allerdings schon mit der Zurverfügungstellung eines Rollstuhls, der die Erschließung des Nahbereichs um die Wohnung des Versicherten
erlaubt. Auch nach Inkrafttreten des
SGB IX (vgl hier §
31 Abs
1 Nr
3 SGB IX) hat die GKV nicht sämtliche direkten und indirekten Folgen einer Behinderung auszugleichen. Aufgabe der Krankenkassen ist
nach wie vor allein die medizinische Rehabilitation. Eine darüber hinausgehende berufliche oder soziale Rehabilitation bleibt
Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme. Beim Ausgleich direkter oder indirekter Folgen einer Behinderung ist ein Hilfsmittel
daher nur "erforderlich" iS von §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein Grundbedürfnis
des täglichen Lebens betrifft (stRspr, vgl zuletzt BSGE 93, 176 = SozR 4-2500 § 33 Nr 7, jeweils RdNr 12 - schwenkbarer Autositz bei Wachkomaversorgung; BSGE 91, 60 RdNr 9 = SozR 4-2500 § 33 Nr 3 RdNr 10 - Rollstuhl-Ladeboy; BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 31 S 185 - Rollstuhl-Bike; BSG SozR 3-2500
§ 33 Nr 32 S 191 - Therapie-Tandem). Das bezieht sich im Bereich der Mobilität auf den Bewegungsradius, den ein Gesunder üblicherweise
noch zu Fuß erreicht (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 29, 31, 32 sowie BSG SozR 3-1200 § 33 Nr 1; stRspr). Dazu ist der Versicherte
nach Möglichkeit zu befähigen, sich in der eigenen Wohnung zu bewegen und die Wohnung zu verlassen, um bei einem kurzen Spaziergang
"an die frische Luft zu kommen" oder um die - üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden - Stellen zu erreichen, an
denen Alltagsgeschäfte zu erledigen sind (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 31 - Rollstuhl-Bike). Dagegen hat er - von besonderen zusätzlichen
qualitativen Momenten abgesehen - grundsätzlich keinen Anspruch darauf, in Kombination von Auto und Rollstuhl den Radius der
selbstständigen Fortbewegung (erheblich) zu erweitern (BSGE 91, 60 RdNr 15 = SozR 4-2500 § 33 Nr 3 RdNr 16 - Rollstuhl-Ladeboy; ebenso BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 29 S 173 - schwenkbarer Autositz
und BSGE 98, 213 = SozR 4-2500 § 33 Nr 15, jeweils RdNr 10 - behinderungsgerechter PKW-Umbau). Dies gilt auch, wenn im Einzelfall die Stellen
der Alltagsgeschäfte nicht im Nahbereich liegen, dafür also längere Strecken zurückzulegen sind, die die Kräfte eines Rollstuhlfahrers
möglicherweise übersteigen. Besonderheiten des Wohnortes können für die Hilfsmitteleigenschaft nicht maßgeblich sein (BSG
SozR 3-2500 § 33 Nr 31 S 187 - Rollstuhl-Bike).
b) Anspruch auf Hilfe zur Mobilität über den Nahbereich hinaus kann ausnahmsweise zunächst dann bestehen, wenn die medizinische
Versorgung Anforderungen stellt, die regelmäßig im Nahbereich der Wohnung nicht erfüllbar sind. Davon ist aber nach der Rechtsprechung
des Senats in aller Regel nicht auszugehen. Denn das Bedürfnis, bei Krankheit oder Behinderung Ärzte und Therapeuten aufzusuchen,
wird regelmäßig durch die Erschließung des Nahbereichs ausreichend erfüllt; auch insoweit hat die Krankenkasse nicht für individuelle
Besonderheiten der Wohnsituation einzustehen (BSGE 98, 213 = BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 15, jeweils RdNr 14, 17 - behinderungsgerechter PKW-Umbau). Anders kann es sich dann verhalten,
wenn die Krankenbehandlung besondere Anforderungen stellt und dem ausnahmsweise durch einen PKW-Transport Rechnung zu tragen
ist (vgl BSGE 93, 176 = SozR 4-2500 § 33 Nr 7, jeweils RdNr 13 - schwenkbarer Autositz bei Wachkomaversorgung). Eine solche Ausnahmesituation kann
auch dann vorliegen, wenn einem Versicherten der Besuch bei Ärzten und Therapeuten nur im Rollstuhl sitzend möglich ist. Erfordert
eine Erkrankung eine besondere, im Nahbereich der Wohnung regelmäßig nicht verfügbare medizinische Versorgung, und ist deshalb
ein im Rollstuhl sitzender Transport erforderlich, hat die Krankenkasse für eine entsprechende Rollstuhlbeschaffenheit aufzukommen.
Der Rollstuhl gleicht dann nicht nur die fehlende Bewegungsfähigkeit aus, sondern ist zudem Ausgleich dafür, dass der Versicherte
nicht aus eigener Kraft in einem Fahrzeugsitz sitzen kann und deshalb auf die besondere Haltefunktion des Rollstuhls angewiesen
ist. Darin kann ein besonderes Krankheitsrisiko liegen, zu dessen Ausgleich die Versichertengemeinschaft nach §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V beizutragen hat. Denn die notwendige medizinische Versorgung ist grundlegende Voraussetzung, um die elementaren Bedürfnisse
des täglichen Lebens befriedigen zu können (BSGE 93, 176 = SozR 4-2500 § 33 Nr 7, jeweils RdNr 12 - schwenkbarer Autositz bei Wachkomaversorgung). Erfordert sie unabhängig von der
Wohnsituation des Versicherten Fahrzeugtransporte zum Arzt oder Therapeuten und dient der Rollstuhl dabei als Sitzfläche,
dann hat die Krankenkasse den Versicherten mit einem auch zu Transportzwecken geeigneten - sicheren - Rollstuhl zu versorgen.
Ob solche besonderen Voraussetzungen hier ausnahmsweise vorliegen, hat das LSG nicht ermittelt und kann im Ergebnis offen
bleiben, weil hier jedenfalls Zwecke der Schülerbeförderung den geltend gemachten Anspruch begründen. Deshalb besteht auch
kein Anlass, weitere Erwägungen zu den sonstigen Voraussetzungen eines solchen Anspruchs anzustellen (vgl hierzu Senatsbeschluss
vom 11.1.2006 - B 3 KR 44/05 B, recherchierbar bei juris).
c) Anspruch auf Hilfe zur Mobilität über den Nahbereich hinaus haben weiterhin Versicherte, die nur im Rollstuhl sitzend an
der Schülerbeförderung teilnehmen und anders der allgemeinen Schulpflicht nicht genügen können. Zutreffend hat das LSG dieses
erweiterte Mobilitätsinteresse als ein in der Rechtsprechung des BSG seit langem anerkanntes Grundbedürfnis iS von §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V gewertet. Insoweit reicht die Verantwortung der GKV bei der Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit Mobilitätshilfen
über die Erschließung des Nahbereichs der Wohnung hinaus. Zu den Aufgaben der Krankenkassen gehört danach auch die Herstellung
und die Sicherung der Schulfähigkeit eines Schülers bzw der Erwerb einer elementaren Schulausbildung (BSGE 30, 151, 153; BSG SozR 2200 § 182 Nr 73; BSG SozR 2200 § 182b Nr 28; BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 22 S 126 und BSG SozR 3-2500 § 33 Nr
40 S 224). An diesem aus der historischen Entwicklung der Hilfsmittelversorgung in der GKV abgeleiteten Verständnis (zuletzt
eingehend dazu BSG SozR 4-2500 §
33 Nr 6 RdNr 13 mwN) hat das BSG auch unter Geltung des §
33 SGB V ab 1989 unverändert festgehalten (vgl BSG SozR 3-2500 §
33 Nr 22 S 126 und BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 40 S 224); hiervon abzuweichen besteht kein Anlass. Steht die Schulausbildung - wie
nach der unangegriffenen und auf das rheinland-pfälzische Landesrecht gestützten Feststellung des LSG hier - im Dienst der
Vermittlung von grundlegendem schulischem Allgemeinwissen an Schüler im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht oder der Sonderschulpflicht
(vgl dazu BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 6 RdNr 16) und kann der Versicherte an der erforderlichen Schülerbeförderung nur im Rollstuhl
sitzend teilnehmen, hat ihn die Krankenkasse deshalb mit einem zu Transportzwecken geeigneten Rollstuhl zu versorgen.
Die dazu erforderliche Sicherheitsausstattung fällt entgegen der Auffassung der Beklagten nicht in die vorrangige Leistungspflicht
eines anderen Trägers. Der Rollstuhl dient im konkreten Fall nicht nur als Ausgleich für die fehlende Bewegungsfähigkeit des
Versicherten, sondern auch für dessen krankheitsbedingte Einschränkungen beim Sitzen. Die notwendige Sicherheitsvorkehrung
(Kraftknoten) befindet sich aber unmittelbar am Hilfsmittel und nicht - wie das stationäre Rollstuhlrückhaltesystem - im Behindertentransportwagen.
Deshalb fällt die Pflicht zur sicherheitstechnischen Ausstattung des Rollstuhls in den Verantwortungsbereich des Trägers,
der den Versicherten bzw Leistungsbezieher mit dem Hilfsmittel zu versorgen hat und nicht - wie die Beklagte meint - in die
Zuständigkeit dessen, der für den Transport aufkommt.
5. Die Fahrzeugbeförderung im Rollstuhl mit einem Kraftknotensystem nach DIN 75078-2 entspricht dem allgemein anerkannten
Stand der Sicherheitstechnik.
a) Unmittelbare rechtliche Bindungswirkung hat die DIN-Norm 75078-2 allerdings nicht. DIN-Normen sind keine mit Drittwirkung
versehene Normen im Sinne demokratisch legitimierter hoheitlicher Rechtssetzung, sondern auf freiwillige Anwendung ausgerichtete
Regelwerke des "DIN - Deutsches Institut für Normung e.V." mit Empfehlungscharakter (BGHZ 139, 16, 19; 103, 338, 341 f; BGH VersR 1987, 783, 784; vgl auch BVerwGE 77, 285, 291). Dies schließt aber nicht aus, zur Feststellung des allgemein anerkannten Standes der Technik auch DIN-Normen heranzuziehen,
denn sie spiegeln den Stand der für die betroffenen Kreise geltenden anerkannten Regeln der Technik wieder und bieten deshalb
einen besonderen Anhalt dafür, was nach der Verkehrsauffassung zu beachten ist (vgl BGHZ 103, 338, 342; BGH NJW 2004, 1449, 1450; BVerwGE 77, 285, 291; BVerwG NVwZ 1991, 881, 883). DIN-Normen kann daher der nach der Verkehrsauffassung maßgebende Sicherheitsstandard entnommen werden, solange sich
nicht in einem objektivierbaren Verfahren ergibt, dass dies der fachlichen Überprüfung nicht standhält (vgl BVerwG NVwZ-RR
1997, 214, 215).
b) Hiernach genügt die Beförderung im Rollstuhl sitzender Personen in Fahrzeugen dem Stand der aktuellen Sicherheitstechnik
nur, wenn dabei ein Kraftknotensystem nach DIN verwandt wird. Diese Sicherheitsausrüstung sieht die DIN-Norm 75078-2 seit
1999 vor. Dass ein vergleichbarer Sicherheitsstandard ohne entsprechende Verstärkungen und Kraftableitungen am Rollstuhl erreichbar
ist, hat das LSG nicht festgestellt und ist auch von der Beklagten nicht substantiiert aufgezeigt worden. Im Gegenteil ergibt
sich - wie das LSG unangegriffen und damit für den Senat bindend (§
163 SGG) erkannt hat - aus den Auskünften der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), dass das Kraftknotensystem erforderlich ist,
um Sicherheitsdefizite beim Transport behinderter Menschen zu minimieren, soweit sie auf eine im Rollstuhl sitzende Beförderung
angewiesen sind. Es verringert die Gefahr der Fehlbedienung bei der Sicherung des Rollstuhls und der Insassen, verhindert
bei einem Aufprall den sog Submarine-Effekt (Durchtauchen unter dem Gurt hindurch) und den sog Klappmesser-Effekt (Aufschlagen
des Oberkörpers auf den Knien) und optimiert den Kraftfluss im Rollstuhl, so dass die Sicherheit beim Behindertentransport
deutlich erhöht wird. Behinderte ohne entsprechende Verstärkungen am Rollstuhl sind erheblichen Sicherheitsrisiken ausgesetzt,
die sich mit dem Kraftknotensystem nachhaltig verringern lassen.
6. Gegen die Nachrüstung des Rollstuhls des Klägers sprechen auch keine Kostengesichtspunkte. Muss ein Versicherter im Rollstuhl
sitzend in einem Kraftfahrzeug befördert werden, ist es ihm nicht zuzumuten, aus wirtschaftlichen Gründen auf die Sicherheitsvorteile
der Ausstattung nach DIN 75078-2 zu verzichten.
a) Allerdings beschränkt sich die Leistungspflicht der Krankenkasse bei mehreren Alternativen grundsätzlich auf die kostengünstigste
Hilfsmittelversorgung. Nach §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V besteht kein Anspruch auf eine Optimalversorgung, sondern nur auf ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Hilfsmittel
(§
12 Abs
1 SGB V). Deshalb besteht kein Anspruch auf ein teures Hilfsmittel, soweit die kostengünstigere Versorgung für den angestrebten Nachteilsausgleich
funktionell ebenfalls geeignet ist (vgl BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 26 S 153; stRspr); andernfalls sind die Mehrkosten gemäß §
33 Abs
1 Satz 5
SGB V von dem Versicherten selbst zu tragen. Andererseits hat die Krankenkasse nach ständiger Rechtsprechung des BSG für jede Verbesserung
einzustehen, die einen wesentlichen Gebrauchsvorteil gegenüber einer evtl kostengünstigeren Alternative bietet. Bei Hilfsmitteln
zum unmittelbaren Ersatz ausgefallener Körperfunktionen - unmittelbarer Behinderungsausgleich - insbesondere durch Prothesen
gilt das für grundsätzlich jede Innovation, die dem Versicherten nach ärztlicher Einschätzung in seinem Alltagsleben deutliche
Gebrauchsvorteile bietet (vgl BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 44 S 249 - C-Leg I; BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 45 S 255 - Damenperücke;
BSGE 93, 183 = SozR 4-2500 § 33 Nr 8, jeweils RdNr 4 - C-Leg II). Entsprechendes gilt aber auch beim mittelbaren Behinderungsausgleich,
wenn sich der Gebrauchsvorteil eines Hilfsmittels - wie hier bei einem Rollstuhl - im gesamten Lebensbereich auswirkt und
damit ein Grundbedürfnis des täglichen Lebens betroffen ist (vgl BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 44 S 248 f - C-Leg I). Ausgenommen
von der Leistungspflicht der GKV sind hingegen solche Verbesserungen, die nur einen Ausgleich auf beruflicher oder gesellschaftlicher
Ebene sowie im Freizeitbereich betreffen (vgl BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 34 S 200 - Mikroportanlage). Darüber hinaus hat die
Krankenkasse allgemein nicht für solche Innovationen aufzukommen, die nicht die Funktionalität betreffen, sondern in erster
Linie die Bequemlichkeit und den Komfort bei der Nutzung des Hilfsmittels (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 44 S 249; BSGE 93, 183 = SozR 4-2500 § 33 Nr 8, jeweils RdNr 15). Schließlich können die Grenzen der Leistungspflicht berührt sein, wenn einer geringfügigen
Verbesserung des Gebrauchsnutzens ein als unverhältnismäßig einzuschätzender Mehraufwand gegenübersteht (vgl BSG SozR 3-2500
§ 33 Nr 26 S 153 und Nr 44 S 250, jeweils mwN).
b) Unter Berücksichtigung der vorstehenden Grundsätze kann der Kläger nicht darauf verwiesen werden, ggf mit eigenen Mitteln
selbst für den verbesserten Sicherheitsstandard durch das Kraftknotensystem zu sorgen. Die Verankerung des Rollstuhls mittels
Kraftknoten im PKW-Rückhaltesystem bietet entgegen der Auffassung der Beklagten eine deutlich größere Sicherheit und damit
einen wesentlichen Gebrauchsvorteil. Denn nach dem gegenwärtigen Stand der Sicherheitstechnik erlaubt nur dieses System eine
- annähernde - Angleichung an den Sicherheitsstandard, der für nicht behinderte Menschen im Straßenverkehr zwingend vorgeschrieben
ist. Danach müssen die Sitze ua von Personenkraftwagen und Kraftomnibussen mindestens mit Dreipunkt-Sicherheitsgurten ausgestattet
sein (§ 35a Abs 3 StVZO iVm Anhang I der Richtlinie 76/115/EWG des Rates vom 18.12.1975 idF der Richtlinie 96/38/EG der Kommission vom 17.6.1996
[EWGRL], ABl EWG vom 26.7.1996, L 187, 95) und über Sitzverankerungen verfügen, die einem definierten Belastungstest ohne
Defekt standhalten können (§ 35a Abs 2 StVZO iVm Ziffer 3.2.5 des Anhangs II der Richtlinie 74/408/EWG des Rates vom 22.7.1974 idF der Richtlinie 96/37/EG der Kommission
vom 17.6.1996, ABl EWG vom 25.7.1996 L 186, 28). Ein vergleichbares Maß an Sicherheit im Straßenverkehr bieten die herkömmlichen
Befestigungen von Rollstühlen in Verbindung mit einem nur einfachen Beckengurtsystem nicht, wie das LSG - wiederum unwidersprochen
- aus den Stellungnahmen der BASt geschlossen hat.
c) Dass die DIN-Norm 75078-2 nicht unmittelbar verbindlich ist, steht dem nicht entgegen. Zu Unrecht nimmt die Beklagte an,
dass sie nur für Sicherheitsstandards aufzukommen hat, die gesetzlich ausdrücklich vorgeschrieben sind. Dabei kann offen bleiben,
welche Anforderungen bei der Beförderung im Rollstuhl sitzender Personen straßenverkehrsrechtlich gelten. Selbst wenn die
durch § 35a StVZO in Bezug genommenen EWGRL 76/115 und 74/408 keine speziellen Vorgaben für den Transport im Rollstuhl treffen, bedeutet dies
nicht, dass insoweit keine Obhutspflichten bestünden. Vielmehr gilt auch hier der Grundsatz, dass der Umfang der Verkehrssicherungspflicht
ungeachtet gesetzlicher Vorgaben jedenfalls nach dem Maß bestimmt wird, das ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen
Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren, und die ihm den Umständen
nach zuzumuten sind (stRspr des BGH, vgl BGH NJW 1984, 801, 802; BGH NJW 1987, 372, 373; BGH NJW 2001, 2019, 2020; BGH NJW-RR 2002, 525, 526; BGH NJW-RR 2003, 1459, 1460; BGH NJW 2007, 1683, 1684, RdNr 14 f jeweils mwN). Dass die Anforderungen der DIN-Norm 75078-2 darüber hinausreichen und Sicherheitsstandards
begründen würden, die bei umsichtiger, mit den Ergebnissen der Studien zu den Gefahren des Fahrzeugtransports in Rollstühlen
vertrauter Betrachtung unangemessen vorsichtig erscheinen, kann nach den Feststellungen des LSG zu den Sicherheitsrisiken
der herkömmlichen Befestigung von Rollstühlen in Fahrzeugen nicht angenommen werden.
7. Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.