Erforderlichkeit der Ausstattung des Rollstuhls eines querschnittsgelähmten Jugendlichen mit einem Rollstuhl-Bike
Gründe:
I
Die Beteiligten streiten um die Versorgung des Klägers mit einem Hilfsmittel.
Der jetzt 14jährige, unterhalb des 10. Brustwirbels querschnittgelähmte Kläger, der bei der beklagten Krankenkasse familienversichert
ist, begehrt von der Beklagten die Ausstattung mit einer mechanischen Zugvorrichtung für seinen Rollstuhl (sog Handbike-Zusatzgerät
oder auch Rollstuhl-Bike genannt). Dieses Zusatzgerät wird über ein Kupplungsgestänge mit dem Rollstuhl so verbunden, daß
der Benutzer des Rollstuhls diesen statt über die Greifreifen mittels einer Handkurbel fortbewegen kann.
Der Kläger lebt mit seinen drei Schwestern im Alter von 10, 8 und 6 Jahren im Haushalt seiner Mutter, die für ihn Pflegegeld
erhält. Seit Juli 1987 ist er von der Beklagten mit einem handbetriebenen Rollstuhl für drinnen und draußen mit Zubehör, einem
Oberschenkelstützapparat, einem Monova-Kinder-Rollator sowie einem Oberschenkelstützapparat mit Beckenteil versorgt. Die Beklagte
hatte ihn außerdem mit einem handbetriebenen Dreirad ausgestattet. Im Februar 1995 beantragte der Kläger die Versorgung mit
einem "Rollstuhl-Bike", das ihm der behandelnde Arzt verordnet hatte. Nach dem vom Kläger vorgelegten Kostenvoranschlag sollte
ein entsprechendes Gerät des Lieferanten Firma Handbike-T einschließlich des erforderlichen Zubehörs zum Anbau an den
Rollstuhl 5.080 DM incl Mehrwertsteuer kosten. Die Beklagte lehnte den Antrag mit der Begründung ab, daß ein solches Hilfsmittel
nach der Rechtsverordnung vom 13. Dezember 1989 über den Ausschluß der Heil- und Hilfsmittel von umstrittenem therapeutischen
Nutzen von der Leistungspflicht der Krankenkassen ausgeschlossen sei. Im übrigen seien die Sicherheitsvorkehrungen sowie die
Einhaltung der Höchstgeschwindigkeit von 6 km/h nicht geklärt. Der hiergegen gerichtete Widerspruch blieb erfolglos. Die Beklagte
machte im Widerspruchsbescheid vom 12. Juli 1995 zusätzlich geltend, daß das Rollstuhl-Bike nicht erforderlich sei, weil es
zur Lebensbetätigung im Rahmen der allgemeinen Grundbedürfnisse des Klägers nicht benötigt werde. Der Kläger sei mit dem handbetriebenen
Rollstuhl ausreichend und zweckmäßig versorgt.
Die hiergegen gerichtete Klage blieb erfolglos (Urteil des Sozialgerichts [SG] Reutlingen vom 25. Juni 1996). Auf die Berufung
des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg die Beklagte verurteilt, den Kläger mit dem begehrten Rollstuhl-Bike
zu versorgen (Urteil vom 24. Januar 1997). Der Kläger benötige dieses Hilfsmittel zur Lebensbetätigung im Rahmen der allgemeinen
Grundbedürfnisse. Hierzu gehöre auch ein körperlicher und geistiger Freiraum, der die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben
umfasse. Durch die Verwendung der Worte "im Einzelfall erforderlich sind" in §
33 Abs
1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) habe der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, daß die konkrete Situation des Versicherten in seinem Lebensumfeld zu berücksichtigen
sei. Deshalb sei auch das in der Entwicklungsphase des Klägers erhöhte Mobilitätsbedürfnis als Grundbedürfnis anzusehen.
Mit der vom Bundessozialgericht (BSG) zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des §
33 Abs
1
SGB V. Die Ausstattung mit einem "Rollstuhl-Bike" sei nicht erforderlich, um dem Kläger eine Lebensbetätigung im Rahmen der allgemeinen
Grundbedürfnisse zu ermöglichen. Zwar gehöre zu den allgemeinen Grundbedürfnissen auch die Gewährleistung eines gewissen körperlichen
und geistigen Freiraums, der die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben umfasse. Dies werde aber bereits durch den handbetriebenen
Rollstuhl sichergestellt. Ein darüber hinausgehendes Mobilitätsbedürfnis sei nicht als Grundbedürfnis anzusehen. Deshalb bestehe
der Anspruch auch nicht im Hinblick darauf, daß der Kläger mit seinem handbetriebenen Rollstuhl keine gemeinsame Radtour mit
seinen drei kleineren Schwestern unternehmen könne.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 24. Januar 1997 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das
Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 25. Juni 1996 zurückzuweisen..
Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§
124 Abs
2
Sozialgerichtsgesetz [SGG]) erklärt.
II
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.
1. Das LSG hat die Beklagte zu Recht verurteilt, den Kläger mit einer mechanischen Zugvorrichtung für seinen Rollstuhl zu
versorgen. Es verstößt nicht gegen die auch im sozialgerichtlichen Verfahren geltende Prozeßvoraussetzung eines bestimmten
Klageantrages (BSGE 60, 87, 90 = SozR 1200 § 53 Nr 6), daß der Kläger in den Vorinstanzen lediglich allgemein beantragt hat, ihm einen Handbike-Zusatz
für seinen Rollstuhl zur Verfügung zu stellen. Der Antrag ist iS der Verurteilung zur Verschaffung einer Sachleistung zu verstehen.
Diesem Erfordernis genügt der gestellte Klageantrag, obgleich er offen läßt, welcher Gerätetyp begehrt wird und ob das Gerät
übereignet oder nur leihweise zur Verfügung gestellt werden soll. Die KK hat im angefochtenen Bescheid ihre Leistungspflicht
wegen fehlender Erforderlichkeit bzw wegen der Zuordnung des begehrten Gerätes zu den Hilfsmitteln von umstrittenem therapeutischen
Nutzen verneint. Der Senat hat bereits in anderem Zusammenhang entschieden, daß eine Klage auf eine nur allgemein umschriebene
Leistung zulässig ist, wenn die Entscheidung über die Art der Gewährung (Leihe oder Übereignung) und auch die Spezifizierung
der geschuldeten Leistung im Zusammenwirken der Behörde mit dem Leistungsempfänger erfolgt (SozR 3-2500 § 33 Nr 16). Dies
gilt zumindest dann, wenn kein Anhaltspunkt dafür vorliegt, daß die Beteiligten im Falle einer Verurteilung der Behörde über
die Auswahl streiten werden, wie dies hier der Fall ist. Dem steht auch nicht entgegen, daß damit ungewiß bleibt, ob die Beklagte
ihrer Sachleistungspflicht im Wege der Übereignung oder im Wege der leihweisen Überlassung nachkommt. Hiervon unberührt bleibt
die Belastung des Klägers mit einem Eigenanteil, weil das Hilfsmittel die Anschaffung eines allgemeinen Gebrauchsgutes ersetzt,
worauf im einzelnen noch einzugehen ist.
2. Das LSG hat im angefochtenen Urteil bereits zutreffend klargestellt, daß sich die Beklagte im ablehnenden Bescheid zu Unrecht
darauf berufen hat, ihre Leistungspflicht werde durch die auf der Grundlage von §
34 Abs
4
SGB V erlassene Rechtsverordnung über Hilfsmittel von geringem therapeutischen Nutzen oder geringem Abgabepreis in der gesetzlichen
Krankenversicherung vom 13. Dezember 1989 (BGBl I 2237) ausgeschlossen. Das vom Kläger begehrte Zusatzgerät ist in dieser
Verordnung nicht aufgeführt.
3. Das Rollstuhl-Bike ist nicht auf Grund der Regelungen des Hilfsmittelverzeichnisses aus der Leistungspflicht der gesetzlichen
Krankenversicherung ausgeschlossen. In dem nach §
128
SGB V von den Spitzenverbänden der Krankenkassen erstellten Hilfsmittelverzeichnis sind handbetriebene Zugvorrichtungen für Rollstühle
allerdings nicht aufgeführt. Die aktuelle Fassung der einschlägigen Produktgruppe 22 (Bekanntmachung vom 5. Februar 1996,
BAnz Nr 79a, S 33 ff) erwähnt lediglich Dreiräder für Kinder mit Handkurbelantrieb, behindertengerechtes Zubehör für handelsübliche
Fahrräder sowie ein elektrisches Rollstuhl-Zuggerät (Nachtrag zum Hilfsmittelverzeichnis, Bekanntmachung vom 6. August 1996,
BAnz 1996 Nr 191a). Das BSG hat wiederholt deutlich gemacht, daß das Hilfsmittelverzeichnis nicht die Aufgabe hat, abschließend
(als Positivliste) darüber zu befinden, welche Hilfsmittel der Versicherte im Rahmen der Krankenbehandlung (§
27 Abs
1 Satz 2 Nr
3
SGB V) beanspruchen kann, sondern für die Gerichte nur eine unverbindliche Auslegungshilfe darstellt (BSG vom 23. August 1995,
SozR 3-2500 § 33 Nr 16 S 72 - Lese-Sprechgerät; BSG vom 17. Januar 1996, SozR 3-2500 § 33 Nr 20 S 108 - Luftreinigungsgerät;
zuletzt BSG vom 29. September 1997, 8 RKn 27/96, zur Veröffentlichung vorgesehen - Tandem-Therapiefahrrad). Eine den Anspruch des Versicherten ausschließende Wirkung kommt
der fehlenden Aufnahme eines Hilfsmittels in das Hilfsmittelverzeichnis auch nicht deshalb zu, weil nach Nr 8 der Richtlinien
des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von Heilmitteln und Hilfsmitteln in der kassenärztlichen
und vertragsärztlichen Versorgung (Heil- und HilfsmittelRL) in der Fassung vom 17. Juni 1992, zuletzt geändert am 4. Mai 1996
(BAnz S 5188), Hilfsmittel zu Lasten der Krankenkassen nur verordnet werden dürfen, sofern sie im Hilfsmittelverzeichnis aufgeführt
sind. Die darin ausgesprochene Bindung der Ärzte an das nach §
128
SGB V allein von den Spitzenverbänden der KKn erstellte Hilfsmittelverzeichnis ist nicht von der Ermächtigungsgrundlage in §
92 Abs
1 Nr
6
SGB V gedeckt. Danach sollen die Bundesausschüsse Richtlinien ua über die Verordnung von Hilfsmitteln beschließen. Nr 8 der Heil-
und HilfsmittelRL enthält aber keine eigenständige Regelung der Verordnungsfähigkeit von Hilfsmitteln durch die Bundesausschüsse,
sondern nur eine Übernahme der Hilfsmittelverzeichnisse der Spitzenverbände der KKn iS einer dynamischen Verweisung. Wäre
dies für den Leistunganspruch des Versicherten verbindlich, liefe es darauf hinaus, daß die KKn letztlich über den Umfang
ihrer gesetzlichen Leistungspflicht selbst entscheiden könnten. Eine gesetzliche Ermächtigung dazu ist nicht erkennbar; auf
die verfassungsrechtliche Problematik einer solchen Ermächtigung braucht hier nicht eingegangen zu werden. Selbst wenn Nr
8 der Heil- und HilfsmittelRL die Ärzte an das Hilfsmittelverzeichnis bände (vgl jedoch BSG vom 5. Mai 1988, BSGE 63, 163 ff zu Nr 21h der ArzneimittelRL), hätte dies nicht zwangsläufig auch für den Leistungsanspruch des Versicherten gegen den
Krankenversicherungsträger zu gelten. Denn die ärztliche Verordnung ist nicht Voraussetzung für die Versorgung mit einem Hilfsmittel,
der Arztvorbehalt des §
15 Abs
1 Satz 2
SGB V gilt insoweit nicht (s §
15 Abs
3
SGB V; Noftz in: Hauck/Haines,
SGB V, §
15 RdNr 17aE, BSG Urteil vom 29. September 1997, 8 RKn 27/96).
4. Der Anspruch des Klägers auf Versorgung mit einer mechanischen Zugvorrichtung für seinen Rollstuhl ergibt sich nicht bereits
aus der nach den Feststellungen des LSG vorliegenden vertragsärztlichen Verordnung (s Urteil des 8. Senats des BSG vom 29.
September 1997, 8 RKn 27/96 mwN). Dies folgt zum einen daraus, daß nach §
12 Abs
1 Satz 2
SGB V die Krankenkassen unwirtschaftliche Leistungen nicht bewilligen dürfen und nach §
275 Abs
3 Nr
3
SGB V die Krankenkassen vor Bewilligung eines Hilfsmittels in geeigneten Fällen durch den Medizinischen Dienst prüfen lassen können,
ob das Hilfsmittel erforderlich ist. Hiermit steht zum anderen in Einklang, daß nach den die Verordnungstätigkeit regelnden
Bundesmantelverträgen (§ 30 Abs 8 Satz 1 Bundesmantelvertrag-Ärzte [BMV-Ä], Stand: 1. Januar 1996; ebenso § 16 Abs 8 Satz
1 Bundesmantelvertrag-Ärzte/Ersatzkassen [EKV-Ä], Stand: 1. Januar 1996) die Abgabe von Hilfsmitteln einer Genehmigung durch
die Krankenkasse bedarf, soweit in ihren Bestimmungen nichts anderes vorgesehen ist, was hier der Fall ist.
5. Versicherte haben im Rahmen der Krankenbehandlung (vgl §
27 Abs
1 Satz 2 Nr
3
SGB V) ua Anspruch auf Hilfsmittel, die im Einzelfall erforderlich sind, um eine Behinderung auszugleichen, soweit es sich nicht
um Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens handelt (§
33 Abs
1 Satz 1
SGB V). Das Handbike-Zusatzgerät ist kein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Darunter fallen Gegenstände, die allgemein
im täglichen Leben verwendet werden (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 5; SozR 2200 § 182b Nr 6). Geräte, die für die speziellen Bedürfnisse
kranker oder behinderter Menschen entwickelt und hergestellt worden sind und von diesem Personenkreis ausschließlich oder
ganz überwiegend benutzt werden, sind grundsätzlich nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen.
Dies gilt selbst dann, wenn sie millionenfach verbreitet sind (zB Brillen, Hörgeräte); denn Bewertungsmaßstab ist insoweit
der Gebrauch eines Geräts durch Menschen, die nicht an der betreffenden Krankheit oder Behinderung leiden. Die Frage, ob ein
Mittel als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens einzustufen ist, stellt sich für einen Gegenstand, der von
der Konzeption her vorwiegend für Kranke oder Behinderte gedacht ist, erst dann, wenn er in nennenswertem Umfang auch von
insoweit nicht betroffenen Menschen benutzt wird (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 19). Das Handbike-Zusatzgerät kann bauartbedingt
nur in der Kombination mit einem Rollstuhl genutzt werden. Es kommt damit für Gesunde nicht in Betracht. Daß ein solches Gerät
in der Kombination mit dem Rollstuhl für den Behinderten die Funktion eines Fahrrads ersetzt, wie es von Gesunden benutzt
wird, hat nur insoweit Bedeutung, als es um die Tragung eines Eigenanteils durch den Versicherten geht.
6. Das Handbike-Zusatzgerät ist für den Kläger erforderlich iS des §
33
SGB V. Ein Hilfsmittel ist nach der Rechtsprechung (BSG SozR 3-2500 §
33 Nr 3 und 5) erforderlich, wenn sein Einsatz zur Lebensbetätigung im Rahmen der allgemeinen Grundbedürfnisse benötigt wird.
Zu den allgemeinen Grundbedürfnissen ist dabei auch ein gewisser körperlicher und geistiger Freiraum zu rechnen, der die Teilnahme
am gesellschaftlichen Leben umfaßt (BSGE 66, 245, 246 = SozR 3-2500 § 33 Nr 1; vgl auch SozR 2200 § 182b Nrn 12, 29, 33, 34 und 37). Hilfsmittel, die dazu dienen, lediglich die Folgen und Auswirkungen der Behinderung in den verschiedenen
Lebensbereichen, insbesondere auf beruflichem und wirtschaftlichem Gebiet sowie im Bereich der Freizeitgestaltung, zu beseitigen
oder zu mildern, müssen die gesetzlichen KKn nicht zur Verfügung stellen (BSGE 50, 77, 78 = SozR 2200 § 182b Nr. 17). Der Begriff der Erforderlichkeit im krankenversicherungsrechtlichen Sinne ist, worauf der
Senat bereits hingewiesen hat (SozR 3-2500 § 33 Nr 7) inhaltlich enger als iS des § 13
Bundesversorgungsgesetz (BVG) und iS des § 40
Bundessozialhilfegesetz (BSHG) iVm §§ 9 und 10 Eingliederungshilfe-VO (EinglHilfe-VO). Das Versorgungsrecht und das Sozialhilferecht gleichen - im Gegensatz zum KV-Recht
- auch die Nachteile aus, die aufgrund einer Behinderung in einzelnen Lebensbereichen auftreten (BSG SozR 2200 § 182b Nr 30).
Die durch das Handbike-Zusatzgerät erweiterte Nutzungsmöglichkeit des Rollstuhls kann bei dem jugendlichen Kläger nicht nur
dem Bereich der Freizeitgestaltung, der in früheren Entscheidungen (vgl BSG SozR 2200 § 182b Nrn 30, 34; SozR 3-2500 § 33 Nr 3) häufig auch mit dem in diesem Zusammenhang mißverständlichen Begriff "privater Bereich" bezeichnet
worden ist, zugeordnet werden. Der Kläger benötigt das Zusatzgerät vielmehr umfassend zur Integration in den Kreis etwa gleichaltriger
Kinder und Jugendlicher, wozu auch seine jüngeren, nicht behinderten Geschwister zählen. §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V verlangt die Erforderlichkeit des Hilfsmittels "im Einzelfall"; dh es ist auf die individuellen Verhältnisse des Betroffenen
abzustellen. Dies entspricht auch der ständigen Rechtsprechung zu § 182b
Reichsversicherungsordnung -
RVO - (BSG SozR 2200 § 182b Nrn 30 und 37) sowie zu §
33
SGB V (BSG SozR 3-2500 §
33 Nr 7 und 17 [Einzelfallprüfung bei der Erforderlichkeit eines Telefaxgerätes]). Die Zuordnung bestimmter Betätigungen zu
den Grundbedürfnissen hängt u.a. auch vom Lebensalter des Betroffenen ab. Für den jugendlichen Kläger geht es nicht allein
darum, mit Hilfe des Zusatzgerätes den Radius zu erweitern, den er dann mit seinem Rollstuhl zurücklegen kann, ohne auf die
Hilfe Dritter angewiesen zu sein. Maßgebend ist vielmehr, daß der Kläger aufgrund seiner Behinderung nicht oder allenfalls
nur sehr eingeschränkt am üblichen Leben seiner Altersgruppe teilnehmen kann, wodurch ihm die Isolation droht. Die Vermeidung
einer Isolation durch Teilnahme am gesellschaftlichen Leben und Kommunikation hat die Rechtsprechung des BSG älteren und behinderten
Menschen stets als ein elementares Bedürfnis angesehen, das die Eintrittspflicht der gesetzlichen KV rechtfertigt (BSG Urteil
vom 24. Januar 1990 - 3/8 RK 16/87; vom 22. Mai 1984 - 8 RK 45/83 = SozR 2200 § 182b Nr 30; Urteil vom 3. November 1993 - 1 RK 42/92 = SozR 3-2500 § 33 Nr 5). Bei Kindern ist insbesondere die Teilnahme am allgemeinen Schulunterricht vom erkennenden Senat
als Grundbedürfnis anerkannt worden, das zur Ermöglichung der Kommunikation die Ausstattung mit einem Computer (vgl Urteil
vom 6. Februar 1997 - 3 RK 1/96 = SozR 3-2500 § 33 Nr 22) und zur Teilnahme am Schulsport die Ausstattung mit einer Sportbrille rechtfertigen kann (Urteil
vom 22. Juli 1981 - 3 RK 56/80 = SozR 2200 § 182 Nr 73). Nach den Feststellungen des LSG fördert das Zusatzgerät die Integration des Klägers im Kreise Gleichaltriger;
es verschafft ihm Möglichkeiten, die denjenigen nahekommen, die andere Jugendliche mit Hilfe eines Fahrrades realisieren können.
Bei Kindern und Jugendlichen zählt auch die Möglichkeit, spielen bzw allgemein an der üblichen Lebensgestaltung Gleichaltriger
teilnehmen zu können, als Bestandteil des sozialen Lernprozesses ebenso wie der Schulbesuch zu den Grundbedürfnissen, weil
in diesem Lebensabschnitt davon entscheidend abhängt, ob gesellschaftliche Kontakte aufgebaut und aufrechterhalten werden
können. Das LSG hat deshalb insoweit zu Recht auf die besonderen Grundbedürfnisse des Klägers als eines Jugendlichen in der
Entwicklungsphase abgestellt. §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V läßt eine auf alle Versicherten mit identischen Funktionsdefiziten bezogene Prüfung der Erforderlichkeit der Hilfsmittelversorgung
ohne Berücksichtigung individueller Bedürfnisse nicht zu. Mit dem an sich zutreffenden Einwand, die Hilfsmittelversorgung
iR des §
33
SGB V sei auf die elementare Lebensführung im Rahmen der Grundbedürfnisse beschränkt, verkennt die Beklagte, daß die entwicklungsbedingt
notwendige Integration des Klägers im Kreise Gleichaltriger hier ein Grundbedürfnis und mit einfacheren Hilfsmitteln, etwa
dem zur Verfügung gestellten Rollstuhl mit Handreifenantrieb, nicht zu decken ist.
Von daher spielt die Tatsache, daß das Zusatzgerät gegenüber dem normalen Handbetrieb des Rollstuhls die Zurücklegung größerer
Strecken ermöglicht, bei dem jugendlichen Kläger nur eine untergeordnete Rolle. Maßgebend kann dagegen auch nicht sein, daß
das Zusatzgerät auch zur Stärkung der Muskulatur beiträgt, worauf das LSG abgestellt hat. Dieses Ziel läßt sich durch weniger
aufwendige Geräte oder durch entsprechende krankengymnastische Übungen mit geringerem Aufwand erreichen. Der Senat kann es
weiterhin offenlassen, ob auch bei einem erwachsenen Versicherten, der seinen Rollstuhl im üblichen Umfang mit den Händen
bewegen kann, der anstelle eines Fahrrades durch ein Rollstuhl-Zusatzgerät zu erzielende größere Bewegungsfreiraum noch zu
den Grundbedürfnissen zählt. Der Auffassung der Spitzenverbände der KKn, wonach die Versorgung mit einer Fahrrad-Rollstuhl-Kombination
dann nicht als notwendig anzusehen ist, wenn aus medizinischen Gründen lediglich ein Selbstfahrerrollstuhl erforderlich ist
und dieser mit eigener Kraft im üblichen Umfang bewegt werden kann (Die Leistungen 1989, 297), kann bei Kindern und Jugendlichen
in dieser Allgemeinheit nicht beigepflichtet werden.
Da es sich um die Erfüllung von Grundbedürfnissen handelt, kommt es nicht darauf an, ob das Hilfsmittel unmittelbar am Körper
des Behinderten ausgleichend wirkt oder ob der Ausgleich auf andere Weise erzielt wird (BSG SozR 2200 § 182b Nr 12). Die Hilfsmitteleigenschaft
hängt auch nicht davon ab, ob die ausgefallene Funktion - hier das Gehen und schnellere Laufen - als solche ersetzt wird.
Es genügt, daß ein Mittel Ersatz- oder Ergänzungsfunktionen wahrnimmt (BSGE 50, 77, 78 = SozR 2200 § 182b Nr 17; SozR 2200 § 182b Nrn 25 und 26). Weiter ist nicht erforderlich, daß das Hilfsmittel einen Funktionsausfall
vollkommen ausgleicht; es genügt, wenn es schon wie hier in Teilbereichen dem Ausgleich körperlicher Defizite dient.
7. Die Ausrüstung des Klägers mit diesem Gerät entspricht auch dem Gebot der Wirtschaftlichkeit, dem in der gesetzlichen KV
die Versorgung mit Hilfsmitteln genügen muß (§
12 Abs
1
SGB V). Ein weniger aufwendiges Hilfsmittel steht unter Beachtung der Behinderung und der Lebenssituation des Klägers nicht zur
Verfügung. Ausgehend von den Tatsachenfeststellungen des LSG müssen die Gebrauchsvorteile des Handbike-Zusatzgeräts für den
Kläger zudem als nicht unwesentlich eingestuft werden (zur Bedeutung der Kosten-Nutzen-Relation bei Hilfsmitteln vgl im einzelnen
BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 4). Nach den von der Beklagten nicht mit Revisionsrügen angegriffenen Feststellungen des LSG ist auch
sichergestellt, daß der Kläger das Hilfsmittel nutzen kann.
8. Die Beklagte ist allerdings nicht gehindert, vom Kläger einen Eigenanteil zu verlangen. Unter dem Gesichtspunkt ersparter
Aufwendungen kann vom Versicherten eine Eigenbeteiligung dann verlangt werden, wenn anzunehmen ist, daß er ohne die Behinderung
einen allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens angeschafft hätte. Das ist bei Gegenständen der Fall, die jeder
Mensch oder jedenfalls die große Mehrzahl aller Menschen besitzt (BSGE 42, 229 = SozR 2200 § 182b Nr 2 - orthopädische Schuhe als Ersatz für normale Schuhe -, BSGE 77, 209 = SozR 3-2500 § 33 Nr 19 - Telefaxgerät als Ersatz für Standardtelefon -, BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 5 - Schreibtelefon als
Ersatz für Standardtelefon -, BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 15 - antiallergenes Bettzeug als Ersatz für normale Kissen- und Matratzenbezüge),
oder wenn davon auszugehen ist, daß ein Hilfsmittel, das zusätzlich in einer völlig anderen, behinderungsunabhängigen, dem
alltäglichen Gebrauch zuzurechnenden Weise genutzt werden kann, auch mit hoher Wahrscheinlichkeit so genutzt werden wird (BSG
SozR 3-2500 § 33 Nr 16 - Lese-Sprechgerät mit PC-Funktion). Das Handbike-Zusatzgerät soll nach den Angaben des Klägers Funktionen
erfüllen, für die ein nichtbehinderter Jugendlicher ein Fahrrad benutzt, das heutzutage nahezu jeder Jugendliche besitzt.
Die Beklagte kann daher bei einer Übereignung des beantragten Zusatzgerätes die durchschnittlichen Anschaffungskosten eines
handelsüblichen Markenfahrrads als Eigenanteil des Klägers verlangen, wobei der Senat davon ausgeht, daß diese zur Zeit bei
700 DM liegen. Entschließt sich die Beklagte, das Gerät auf Dauer nur leihweise zur Verfügung zu stellen, kann aus den Anschaffungskosten
für ein handelsübliches Fahrrad ein laufendes Nutzungsentgelt berechnet und vom Versicherten für die Dauer der Nutzung abverlangt
werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193
SGG.