Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde wegen Abweichung im sozialgerichtlichen Verfahren
Gründe:
I
Die Klägerin verfolgt als Sonderrechtsnachfolgerin und Alleinerbin des am 12. Februar 2005 verstorbenen Egon W
dessen Ansprüche auf höhere Pflegeleistungen weiter.
W erhielt von der Beklagten seit Mai 1996 Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe I. Seinen Antrag
auf Zuerkennung von Leistungen nach der Pflegestufe II lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 12. Februar 2002, Widerspruchsbescheid
vom 28. Juni 2002). Hiergegen hat W Klage erhoben. Das Sozialgericht (SG) hat zunächst von Amts wegen ein Gutachten des Dr. M vom 19. November 2002 und sodann auf Antrag des W gemäß
§
109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) ein weiteres Gutachten des Dr. Sch vom 26. Juni 2003 eingeholt; beide Sachverständige sind zu dem übereinstimmenden
Ergebnis gelangt, dass der bei W erforderliche Zeitaufwand für die Grundpflege und die hauswirtschaftliche Versorgung nur
Leistungen nach der Pflegestufe I rechtfertige. Daraufhin hat das SG die Klage abgewiesen (Urteil vom 5. November 2003). Das Landessozialgericht (LSG) hat auf Antrag des W gemäß §
109 SGG ein weiteres Gutachten des Dr. B vom 14. Dezember 2004 eingeholt, der als notwendigen Pflegebedarf des W im Bereich
Körperpflege, Ernährung und Mobilität sowie im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung jeweils drei Stunden festgestellt
hat. Mit Urteil vom 16. November 2006 hat das LSG die Berufung zurückgewiesen: Nach den Gutachten der Dres. M und
Sch habe der kalendertägliche Pflegeaufwand für W deutlich unter zwei Stunden gelegen. Auch nach dem Gutachten des
Dr. B könnten als Hilfebedarf in der Grundpflege höchstens 108 Minuten berücksichtigt werden. Soweit Dr. B
noch weitere bzw höhere Zeitwerte in Ansatz gebracht habe, widerspreche dies weitgehend den einschlägigen "Begutachtungs-Richtlinien"
(BRi) und lasse sich auch nicht mit den besonderen Umständen des Einzelfalles rechtfertigen, worauf die Beklagte unter Bezugnahme
auf die Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) zu Recht hingewiesen habe. Anhaltspunkte dafür,
dass sich der Gesundheitszustand des W in der Zeit nach der erstinstanzlichen Begutachtung bis zu seinem Tod gravierend verschlechtert
und dies zu einem deutlich erhöhten Pflegebedarf geführt habe, seien nicht ersichtlich; weiterer medizinischer Beweiserhebung
habe es deshalb nicht bedurft.
Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG, wobei sie das Vorliegen
von Divergenz sowie Verstöße gegen Vorschriften rügt, die das Verfahren vor dem Berufungsgericht betreffen (Verfahrensmängel).
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie nicht in der durch die §§
160 Abs
2,
160a Abs
2 SGG normierten Form begründet worden ist. Sie ist deshalb ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§§ 160a Abs
4 Satz 2,
169 Satz 1 bis 3
SGG).
1. Eine Divergenz des Berufungsurteils zur Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), des Gemeinsamen Senats der obersten
Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG) ist nicht formgerecht dargelegt worden. Dazu hätte dargetan werden müssen, dass das LSG einen tragenden Rechtssatz in Abweichung
von einem anderen Rechtssatz aufgestellt hat, den eines der vorgenannten Gerichte - hier das BSG - entwickelt und angewendet
hat, und dass die Entscheidung des LSG auf dieser Divergenz beruht. Hierzu ist es notwendig, den von der höchstrichterlichen
Rechtsprechung abweichenden Rechtssatz des LSG herauszuarbeiten und die Unvereinbarkeit mit einem Rechtssatz des BSG aufzuzeigen.
Eine Abweichung liegt indes nicht schon dann vor, wenn das LSG einen Rechtssatz nicht beachtet oder unrichtig angewandt hat,
sondern erst dann, wenn das LSG diesem Rechtssatz widersprochen, also einen anderen Rechtssatz aufgestellt und angewandt hat.
Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die
Zulassung der Revision wegen Divergenz (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 21, 29 und 67). Diesen Anforderungen wird das Beschwerdevorbringen nicht gerecht. Die Klägerin hat weder einen tragenden Rechtssatz
des LSG herausgearbeitet noch den konkreten Rechtssatz des BSG benannt, von dem das Berufungsgericht abgewichen sein soll;
sie bezeichnet noch nicht einmal eine divergierende Entscheidung des BSG mit Datum und Aktenzeichen oder Fundstelle. Ihr Vorwurf,
das LSG sei bei der Feststellung bestimmter Pflegezeiten von Entscheidungen des BSG abgewichen, bedeutet allenfalls eine unrichtige
Anwendung dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung, aber keine Divergenz iS von §
160 Abs
2 Nr
2 SGG.
2. Ein Verfahrensmangel (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG) ist nur dann formgerecht bezeichnet, wenn die ihn begründenden Tatsachen im Einzelnen angegeben sind und - in sich verständlich
- den behaupteten Verfahrensfehler ergeben; außerdem muss dargelegt werden, dass und warum die angefochtene Entscheidung darauf
beruhen kann (stRspr - so schon BSG SozR 1500 § 160a Nr 14; vgl auch Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens,
4. Aufl 2005, Kap IX RdNr 202 ff). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
a) Die von der Klägerin in den Vordergrund gestellte Rüge eines Verstoßes gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§
103 SGG), weil das LSG angesichts der unterschiedlichen Ergebnisse der drei Gutachten entweder eine ergänzende Stellungnahme der
Sachverständigen oder von Amts wegen ein weiteres Gutachten hätte einholen müssen, ist schon deshalb unzulässig, weil eine
Verletzung dieser Verfahrensnorm gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 SGG nur darauf gestützt werden kann, dass das LSG einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Die Antragstellung
am Schluss der mündlichen Verhandlung dient dazu, für die Beteiligten und das Gericht festzulegen, welche Sachanträge und
welche das Verfahren betreffende Anträge - noch - zur Entscheidung anstehen. Eine Prozesshandlung, die zur Eröffnung der Revisionsinstanz
führen soll, muss deshalb in verfahrensrechtlich vorgeschriebener Form im Protokoll oder zumindest im Urteilstatbestand des
LSG dokumentiert sein (BSG SozR 1500 § 160 Nr 64; Krasney/Udsching aaO Kap IX RdNr 130 und 208). Diese Voraussetzung ist vorliegend
nicht erfüllt. Die Klägerin legt nicht dar, dass sie nach Einholung der drei Gutachten einen weiteren Beweisantrag gestellt
hat. Zwar hat sie - wie sich indes nur aus den Gerichtsakten ergibt - mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 10.
Februar 2005 die Einholung ergänzender Stellungnahmen des Dr. B beantragt; sie hat jedoch keine Angaben dazu gemacht,
warum sie diesen Antrag im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem LSG - bei dem weder sie noch ihr Prozessbevollmächtigter
zugegen waren - nicht zumindest hilfsweise gestellt hat und aus welchen Umständen trotzdem zu schließen sein soll, dass dieser
- vorsorglich - angekündigte Beweisantrag weiterhin noch aufrechterhalten worden ist (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 12; Krasney/Udsching
aaO Kap IX RdNr 209 mwN).
b) Soweit die Klägerin rügt, dass das LSG sie nicht selbst als Zeugin gehört hat, fehlen ebenfalls jegliche Angaben dazu,
dass ein entsprechender Beweisantrag gestellt, dieser bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung aufrecht erhalten worden
und das LSG ihm ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
c) Soweit die Klägerin zudem - zusammengefasst - rügt, das LSG hätte angesichts der durchgeführten Beweisaufnahmen und der
dabei aufgetretenen Differenzen von sich aus weitere Sachaufklärung betreiben müssen, um sich zur sachgerechten Beurteilung
des Falles zusätzliche Erkenntnisse zu verschaffen, anstatt auf die Werte der BRi und die Ausführungen des MDK zurückzugreifen,
ist dies ebenfalls unzulässig. Dieses Vorbringen betrifft der Sache nach einerseits den Vorwurf unzureichender Sachaufklärung
(§
103 SGG), der - wie zu 2a) ausgeführt - revisionszulassungsrechtlich unbeachtlich ist, weil es an Darlegungen zur Übergehung von
Beweisanträgen mangelt, und andererseits die Überschreitung der Grenzen der freien richterlichen Beweiswürdigung (§
128 Abs
1 Satz 1
SGG). Auf eine Verletzung dieser Vorschrift kann eine Nichtzulassungsbeschwerde aber generell nicht gestützt werden, was ebenfalls
in §
160 Abs
2 Nr
3 SGG ausdrücklich geregelt ist.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§
183 Satz 2 und
193 SGG, da die Klägerin nicht zu dem in §
56 Erstes Buch Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - umschriebenen Personenkreis gehört und im Beschwerdeverfahren deshalb nicht
mehr von der Kostenprivilegierung des §
183 Satz 1
SGG erfasst wird. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 63 Abs 2, 52 Abs 3 und 47 Abs 1 Gerichtskostengesetz (GKG). Die Höhe des Streitwerts bemisst sich nach dem Unterschied des Pflegegeldes zwischen Pflegestufe I und Pflegestufe II für
einen Zeitraum von 29 Monaten (§ 42 Abs 3 GKG).