Pflegeversicherung
Verfahrensrüge
Substantiierung eines entscheidungserheblichen Mangels
Gründe:
I
Streitig sind Leistungen der Pflegeversicherung nach der Pflegestufe II für den Zeitraum vom 27.9.2011 bis 29.12.2015. Die
Beklagte gewährte der Klägerin - auch nach deren Widerspruch - in diesem Zeitraum lediglich Leistungen nach der Pflegestufe
I. Grundlage waren zwei Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Westfalen-Lippe (MDK), nach denen der
Hilfebedarf der Klägerin im Bereich der Grundpflege 46 Minuten bzw 59 Minuten täglich betrug. Im Klageverfahren hat das SG ein Sachverständigengutachten eingeholt, in dem der Pflegebedarf in der Grundpflege mit 85 Minuten täglich beurteilt wurde.
Der Sachverständige ist in einer ergänzend eingeholten Stellungnahme trotz von der Klägerin gegen seine Einschätzung erhobene
Einwände bei seiner Beurteilung geblieben. Darüber hinaus hat das SG auf Antrag der Klägerin ein Gutachten nach §
109 SGG von dem Orthopäden Dr. O unter Berücksichtigung eines fachinternistischen Gutachtens von Dr. Z eingeholt, die ebenfalls einen
Grundpflegebedarf von 85 Minuten täglich ermittelten und auch in einer ergänzenden Stellungnahme trotz weiterer vorgelegter
Arztbriefe bei ihrer Einschätzung blieben. Sodann hat das SG die Klage abgewiesen (Urteil vom 23.4.2015). Das Berufungsgericht hat ein weiteres Gutachten auf Antrag der Klägerin nach
§
109 SGG von dem Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Prof. Dr. Ol eingeholt, der im Bereich der Grundpflege einen Hilfebedarf
von 60 Minuten täglich festgestellt hat. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht hat die Klägerin ihren
Leistungsantrag auf die Zeit bis zum 29.12.2015 begrenzt. Dies geschah, nachdem der Beklagtenvertreter erklärt hatte, am 30.12.2015
sei ein Verschlimmerungsantrag gestellt worden, gegen dessen abschlägige Bescheidung ein Klageverfahren anhängig sei. Das
Berufungsgericht hat zur Begrenzung des Streitzeitraums auf die Vorschrift des §
96 SGG und im Hinblick auf die mögliche Verhängung von Verschuldenskosten auf §
192 SGG hingewiesen. Sodann hat es die Berufung zurückgewiesen und der Klägerin Verschuldenskosten in Höhe von 500 Euro auferlegt
(Urteil vom 8.6.2017). Zur Begründung hat es auf die nach seiner Ansicht zutreffenden Entscheidungsgründe des SG Bezug genommen. Dieses stütze sich wesentlich auf das von Amts wegen eingeholte Gutachten, welches im Wesentlichen sowohl
durch das Gutachten nach §
109 SGG der Dres. O und Z als auch durch das im Berufungsverfahren nach §
109 SGG eingeholte Gutachten von Prof. Dr. Ol bestätigt werde. Auch die übrigen beigezogenen und eingebrachten Unterlagen hätten
keinen Anlass für eine andere Beurteilung geboten.
Mit der Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG und beantragt zur Durchführung
des Beschwerdeverfahrens die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH).
II
1. Nach §
73a Abs
1 S 1
SGG iVm §§
114,
121 ZPO erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht,
nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung
hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Es kann offenbleiben, ob die Klägerin nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen in der Lage wäre, die Kosten
für die Inanspruchnahme eines Rechtsanwaltes ganz oder zumindest teilweise selbst aufzubringen. PKH kann ihr jedenfalls nicht
bewilligt werden, weil die von ihr bereits erhobene und begründete Nichtzulassungsbeschwerde für die sie PKH begehrt, keine
Aussicht auf Erfolg bietet.
2. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil die geltend gemachten Verfahrensmängel (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG) nicht formgerecht dargetan sind (§
160a Abs
2 S 3
SGG). Die Beschwerde ist deshalb ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§
160a Abs
4 S 1, §
169 SGG).
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von §
160 Abs
2 Nr
3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen für die Bezeichnung des Verfahrensmangels (§
160a Abs
2 S 3
SGG) die diesen (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich,
dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass
also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 2
SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§
109 und
128 Abs
1 S 1
SGG und auf eine Verletzung des §
103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt
ist.
a) Die Klägerin rügt zunächst einen "Verstoß gegen §
96 SGG" und trägt dazu vor:
"Das Landessozialgericht hat übersehen, dass strittig ist, ob die Klägerin am 30.12.2015 und auch am 8.11.2016 überhaupt Verschlimmerungsanträge
gestellt hat. Die Klägerin sagte im Verhandlungstermin, sie habe keine Anträge bei der Beklagten gestellt. Vom Bevollmächtigten
der Beklagten wurde nur ein von der Klägerin unterzeichneter Antrag vom 5.1.2016 vorgelegt, nicht einer vom 30.12.2015 und
auch kein Antrag vom 8.11.2016.
Das Landessozialgericht hätte hier die mündliche Verhandlung aussetzen und den strittigen Sachverhalt von Amts wegen weiter
aufklären oder aber bis zum Abschluss des Rechtsstreits vor dem Sozialgericht Detmold zum Aktenzeichen S 18 P 100/16 warten müssen."
Damit rügt die Klägerin im Kern keine Verletzung des §
96 SGG, sondern der Sache nach eine unzureichende Aufklärung des Sachverhalts. Darin liegt eine Rüge der Amtsermittlungspflicht
nach §
103 SGG. Nach dieser Vorschrift erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Auf
eine Verletzung des §
103 SGG kann ein Verfahrensmangel nach §
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 2
SGG jedoch nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt
ist.
Einen Beweisantrag nimmt die Klägerin in der Beschwerdebegründung nicht in Bezug. Die Klägerin war im Termin der mündlichen
Verhandlung anwaltlich vertreten. Ihre Prozessbevollmächtigte hat ausweislich des Sitzungsprotokolls in der mündlichen Verhandlung
keinen Beweisantrag gestellt und die Angaben des Beklagtenvertreters auch nicht weiter hinterfragt oder Akteneinsicht verlangt
oä.
Die besonderen gesetzlichen Anforderungen an die Darlegung eines auf die Verletzung von §
103 SGG gestützten Verfahrensmangels (§
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 2
SGG) dürfen nicht dadurch umgangen werden, dass es nach Ansicht der Beschwerdeführerin auf der Basis eines nicht hinreichend
von Amts wegen aufgeklärten Sachverhalts zur Verletzung weiterer Rechtsvorschriften kommt.
Nur am Rande sei deshalb darauf hingewiesen, dass die Beklagte schon mit Schriftsatz vom 13.7.2016 auf den Höherstufungsantrag
vom 30.12.2015 hingewiesen hat und dass das LSG mit Schreiben vom 15.5.2017 um die Übersendung der auf den Verschlimmerungsantrag
der Klägerin vom 30.12.2015 veranlassten MDK-Gutachten und der darauf ergangenen Bescheide gebeten hat. Darauf hat die Beklagte
mit Schriftsatz vom 16.5.2017 reagiert. Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin hatte noch bis kurz vor der mündlichen Verhandlung
am 8.6.2017 Einsicht in die Akten genommen.
b) Des Weiteren rügt die Klägerin die Verletzung ihres rechtlichen Gehörs unter verschiedenen Gesichtspunkten. Sie ist ua
der Ansicht, dass ihr Anspruch auf rechtliches Gehör dadurch verletzt worden sei, dass das LSG das Gutachten von Prof. Dr.
Ol verwertet habe, obwohl sie gegen diesen Strafanzeige gestellt und dies dem LSG sowohl schriftsätzlich am 17.5.2017 als
auch in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt habe.
Die Klägerin ist offenbar der Auffassung, das Berufungsgericht habe die Strafanzeige nicht zur Kenntnis genommen und daher
den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt. Die Anforderungen an die Darlegung eines Verfahrensmangels setzen
aber insbesondere auch Darlegungen zur Entscheidungserheblichkeit des gerügten Mangels voraus, dh es ist darzulegen, dass
und warum die Entscheidung des LSG auf dem Mangel beruhen kann.
In der Beschwerdebegründung hätte daher eine Vorschrift bezeichnet werden müssen, nach der die Verwertung des Gutachtens aufgrund
der Strafanzeige nicht hätte erfolgen dürfen. An Darlegungen dazu fehlt es.
Eine Strafanzeige, die beispielsweise erst nach der vollständigen Erstellung des Gutachtens erfolgt, schließt jedoch dessen
Verwertung im sozialgerichtlichen Verfahren nicht ohne Weiteres aus. Dies ergibt sich insbesondere aus §
406 Abs
1 und
2 ZPO, der gemäß §
118 Abs
1 S 1
SGG entsprechend anzuwenden ist. Nach §
406 Abs
1 S 1
ZPO kann ein Sachverständiger aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters berechtigten, abgelehnt werden. Der Ablehnungsantrag
ist jedoch nach §
406 Abs
2 ZPO bei dem Gericht oder Richter, von dem der Sachverständige ernannt ist, vor seiner Vernehmung zu stellen, spätestens jedoch
binnen zwei Wochen nach Verkündung oder Zustellung des Beschlusses über die Ernennung. Zu einem späteren Zeitpunkt ist die
Ablehnung nach §
406 Abs
2 S 2
ZPO nur zulässig, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass er ohne sein Verschulden verhindert war, den Ablehnungsgrund früher
geltend zu machen.
Es fehlt schon an der Darlegung eines beim Berufungsgericht gestellten Ablehnungsantrags gegen den Sachverständigen. Soweit
dieser darin liegen sollte, dass die Klägerin dem Berufungsgericht ihre Strafanzeige gegen den Sachverständigen mitteilte,
lassen sich den Ausführungen in der Beschwerdebegründung jedoch die Einhaltung der Fristen nach §
406 Abs
2 S 1
ZPO nicht entnehmen. Nach den in der Beschwerdebegründung angegebenen Daten ist naheliegend (dies ergibt sich allerdings nicht
eindeutig), dass die Klägerin den Strafantrag gegen den Sachverständigen erst nach der Gutachtenerstellung gestellt hat. Dann
wären die Fristen nach §
406 Abs
2 S 1
ZPO jedenfalls nicht eingehalten und die - zu jeder Zeit anwaltlich vertretene - Klägerin hätte nach §
406 Abs
2 S 2
ZPO schon gegenüber dem Berufungsgericht glaubhaft machen müssen, dass sie ohne Verschulden verhindert war, den Ablehnungsgrund
- dh also die Strafanzeige selbst bzw der dieser zugrunde liegenden Gründe - früher geltend zu machen. Auch hierzu fehlt es
an jeglichen Darlegungen in der Beschwerdebegründung.
Sonstige rechtliche Gründe, die gegen eine Verwertung des Gutachtens sprechen, sind ebenfalls nicht dargelegt (vgl im Übrigen
§
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 2 iVm §
128 Abs
1 S 1
SGG).
c) Weiterhin sieht die Klägerin eine Verletzung ihres rechtlichen Gehörs darin, dass das LSG ihre in der mündlichen Verhandlung
überreichten Unterlagen übergangen habe. Das Berufungsgericht habe in der Kürze der Zeit im Verhandlungstermin oder während
der Beratung nicht feststellen können, ob sich aus den von der Klägerin verfassten Schreiben tatsächlich keine neuen Sachaspekte
ergäben, wie das LSG dies im Urteil ausführe. Hier habe die Verhandlung nach Ansicht der Klägerin ausgesetzt werden müssen.
Auch mit diesem Vorbringen ist ein Verfahrensmangel nicht hinreichend dargelegt, da es auch diesbezüglich insbesondere an
Ausführungen dazu fehlt, dass und warum die Entscheidung des LSG auf diesem Mangel beruhen kann. Dazu hätte die Klägerin darlegen
müssen, dass die Möglichkeit bestand, dass tatsächlich aufgrund der von ihr verfassten Schreiben eine andere Entscheidung
hätte ergehen können. Dies ist weder dargelegt noch ersichtlich.
d) Eine weitere Verletzung des rechtlichen Gehörs sieht die Klägerin darin, dass das Berufungsgericht den Antrag auf Anhörung
einer Pflegefachkraft abgelehnt und stattdessen der Klägerin erklärt habe, sie müsse einen Arzt/eine Ärztin benennen.
Bei diesem Vorgang ging es allerdings um die Einholung eines Gutachtens nach §
109 SGG. Es handelt sich deshalb im Kern um eine Rüge der Verletzung des §
109 SGG. Das Berufungsgericht hat die Ablehnung, ein Gutachten einer Pflegefachkraft einzuholen, mit dem Wortlaut des §
109 SGG begründet. Es kann dahinstehen, ob dies inhaltlich gerechtfertigt ist. Denn nach §
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 2
SGG kann die Rüge eines Verfahrensmangels jedenfalls nicht auf die Verletzung von §
109 SGG gestützt werden. Aufgrund dieses ausdrücklichen gesetzlichen Ausschlusses kann eine Verletzung dieser Vorschrift auch nicht
über die Geltendmachung einer Gehörsverletzung gerügt werden. Eine andere Verfahrensvorschrift, die verletzt worden sein könnte,
wird in der Beschwerdebegründung nicht aufgeführt.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§
160a Abs
4 S 2 Halbs 2
SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von §
193 SGG.