Entschädigungsanspruch nach § 18 Abs. 3b S. 1 SGB XI
Materiell-rechtliche Rechtsauffassung des LSG
Bezeichnung eines Verfahrensfehlers
Gründe:
I
Der Kläger begehrt als Sohn, Alleinerbe und Rechtsnachfolger der am 2.11.2013 verstorbenen Versicherten J. S. von der beklagten
Krankenkasse für die Zeit vom 1.1.2013 bis zum 2.11.2013 eine Entschädigung in Höhe von 70 Euro pro Woche wegen Fristüberschreitung
bei der Bearbeitung und Bescheidung eines Antrages vom 13.11.2012. Der Antrag war gerichtet auf Durchführung eines Überprüfungsverfahrens
(§ 44 SGB X) zur Ablehnung eines Antrages vom 27.10.2010 auf Zuerkennung eines Persönlichen Budgets nach §
17 Abs
2 SGB IX, mit dem die seit dem 1.1.2011 der Pflegestufe I zugeordnete (Bescheid der Pflegekasse bei der AOK PLUS vom 5.7.2011) Versicherte
ihre benötigte Hilfe teilweise finanzieren wollte (Bescheid der Beklagten vom 21.12.2010, Widerspruchsbescheid vom 14.4.2011).
Die Versicherte begründete den Antrag mit der Zunahme ihres Hilfebedarfs aufgrund der Folgen eines Unfalls vom 31.7.2012 und
wünschte eine Neubegutachtung ihrer Pflegebedürftigkeit durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK). Die
Beklagte lehnte eine Bescheidung des Antrages vom 13.11.2012 ab, weil sie die Durchführung eines Überprüfungsverfahrens (§
44 SGB X) bei laufendem Klageverfahren zu dem Ausgangsbescheid (Rechtsstreit S 8 KR 125/11 SG Leipzig) für unzulässig hielt (Schreiben vom 14.12.2012).
Mit ihrer am 8.3.2013 erhobenen Klage hat die Versicherte die Feststellung eines Entschädigungsanspruchs nach der zum 1.1.2013
in Kraft getretenen Regelung des §
18 Abs
3b Satz 1
SGB XI begehrt: "Erteilt die Pflegekasse den schriftlichen Bescheid über den Antrag nicht innerhalb von fünf Wochen nach Eingang
des Antrags oder wird eine der in Absatz 3 genannten verkürzten Begutachtungsfristen nicht eingehalten, hat die Pflegekasse
nach Fristablauf für jede begonnene Woche der Fristüberschreitung unverzüglich 70 Euro an den Antragsteller zu zahlen." Nach
dem Tod der Versicherten ist der jetzige Kläger in den Rechtsstreit eingetreten und hat die zunächst unbefristet erhobene
Feststellungsklage auf die Zeit vom 1.1.2013 bis zum 2.11.2013 begrenzt. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 12.8.2014), weil sie "unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt unzulässig" sei; hilfsweise
hat das SG auf die fehlende Passivlegitimation der Beklagten hingewiesen. Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Beschluss
vom 14.1.2015, §
153 Abs
4 Satz 1
SGG) und dabei auf die Unzulässigkeit der Feststellungsklage (§
55 SGG) gegenüber der Leistungsklage (§
54 Abs
5 SGG) abgestellt. Eine Umdeutung des Feststellungsantrages des - anwaltlich vertretenen - Klägers in einen Leistungsantrag sei
unter den gegebenen Umständen nicht in Betracht gekommen.
Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des LSG vom 14.1.2015; er
beruft sich auf Verfahrensfehler (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG).
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie nicht in der durch die §§
160 Abs
2,
160a Abs
2 Satz 3
SGG normierten Form begründet worden ist. Sie ist deshalb ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§
160a Abs
4 Satz 1, §
169 SGG). Der Kläger beruft sich zwar auf einen gesetzlichen Zulassungsgrund; dieser ist jedoch nicht so dargelegt, wie §
160a Abs
2 Satz 3
SGG es verlangt.
1. Ein Verfahrensfehler (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG) ist nur dann formgerecht bezeichnet, wenn die ihn begründenden Tatsachen im Einzelnen angegeben sind und - in sich verständlich
- den behaupteten Verfahrensfehler ergeben; außerdem muss dargelegt werden, dass und weshalb die angefochtene Entscheidung
darauf beruhen kann (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
a) Der Kläger rügt, die Vorsitzende des zuständigen LSG-Senats (bzw der Berichterstatter, §
155 Abs
1 SGG) habe die Pflicht verletzt, darauf hinzuwirken, dass ein sachdienlicher Antrag im Berufungsverfahren gestellt wird (§
153 Abs
1 iVm §
106 Abs
1 SGG). Wenn - wie geschehen - das Begehren auf Feststellung einer Entschädigungspflicht der Beklagten nach §
18 Abs
3b Satz 1
SGB XI wegen Subsidiarität der Feststellungsklage gegenüber der entsprechenden Leistungsklage für unzulässig erachtet wird, hätte
er, der Kläger, erwarten können, einen Hinweis des Gerichts zu erhalten, er möge statt des Feststellungsantrages, wie er auch
schon vor dem SG gestellt worden war, nunmehr einen Leistungsantrag stellen, was nach §
99 Abs
3 Nr
2 SGG nicht als Klageänderung anzusehen gewesen wäre. Auf dieser Verletzung der gerichtlichen Hinweispflicht beruhe die Entscheidung
des LSG, die Berufung als zwar zulässig, aber in der Sache - wegen Unzulässigkeit der Klage - als unbegründet anzusehen.
b) Mit diesen Ausführungen wird ein zur Zulassung der Revision führender Verfahrensfehler des LSG (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG) nicht hinreichend dargelegt.
aa) Bei der Prüfung, ob ein Verfahrensmangel vorliegt, ist stets von der materiell-rechtlichen Rechtsauffassung des LSG auszugehen
(Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Aufl 2014, §
160 RdNr 16b mwN). Das LSG hat im Einzelnen erläutert, weshalb es den geltend gemachten Entschädigungsanspruch nach §
18 Abs
3b Satz 1
SGB XI als eindeutig in Form einer Feststellungsklage verfolgt erachtet hat und eine Umdeutung des in erster Instanz ausdrücklich
so gestellten und in der zweiten Instanz unverändert weiterverfolgten Feststellungsantrages in einen Leistungsantrag jedenfalls
bei anwaltlicher Vertretung grundsätzlich nicht in Betracht gekommen sei. Dabei hat das LSG berücksichtigt, dass schon das
SG die Feststellungsklage ua wegen Subsidiarität als unzulässig angesehen hat, ohne dass dies den Kläger - trotz anwaltlicher
Vertretung - veranlasst hat, seinen Entschädigungsanspruch nunmehr in Form einer Leistungsklage geltend zu machen. Weshalb
das LSG angesichts dieser Umstände gehalten gewesen sein soll, einen Übergang von der Feststellungsklage zur Leistungsklage
anzuregen, wird nicht plausibel dargelegt. Zudem hat der Kläger den Entschädigungsanspruch zwar auf einen bestimmten Zeitraum
beschränkt (1.1. bis 2.11.2013), aber nicht beziffert, wie es bei einer Leistungsklage, die einen Zahlungsanspruch für einen
abgeschlossenen Zeitraum betrifft, erforderlich gewesen wäre (BSGE 83, 254 = SozR 3-2500 § 37 Nr 1).
bb) Selbst bei Unterstellung der hinreichenden Darlegung einer Verletzung der Hinweispflicht des LSG (§
153 Abs
1 iVm §
106 Abs
1 SGG) fehlt es an der Darlegung, dass die Abweisung der Klage auf dem Verfahrensfehler beruht. Schon das SG hat ausgeführt, ein Entschädigungsanspruch nach §
18 Abs
3b Satz 1
SGB XI könne sich nicht gegen eine Krankenkasse richten; der Anspruch betreffe nur pflegeversicherungsrechtliche Leistungen und
könne sich daher nur gegen eine Pflegekasse, nicht aber gegen eine Krankenkasse richten, der insoweit die Passivlegitimation
fehle (vgl auch Hinweisschreiben des Berichterstatters des erkennenden Senats vom 31.3.2015). Der Kläger legt nicht dar, auf
welche Weise die hier verklagte Krankenkasse als zuständiger Leistungsträger für die teilhaberechtliche Leistung des Persönlichen
Budgets (§
17 Abs
2 SGB IX) Schuldner des Entschädigungsanspruchs nach §
18 Abs
3b Satz 1
SGB XI geworden sein könnte, obgleich diese Vorschrift nur auf pflegeversicherungsrechtliche Leistungsanträge anwendbar ist und
im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung und des Teilhaberechts (
SGB V,
SGB IX) eine entsprechende Vorschrift nicht vorhanden ist.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a Abs
1 Satz 1 Teilsatz 3
SGG iVm §
154 Abs
1 und
2 VwGO. Der Kläger kann als Alleinerbe und Rechtsnachfolger der Versicherten nicht die kostenrechtlichen Vorteile eines Versicherten
(§
183 Satz 1
SGG) in Anspruch nehmen, weil er nach Feststellung des LSG mit der Versicherten, seiner Mutter, zwar in einem großen Mehrfamilienhaus,
dort aber nicht in einem gemeinsamen Haushalt gelebt hat. Außerdem betrifft der Entschädigungsanspruch nach §
18 Abs
3b Satz 1
SGB XI keine "laufenden Geldleistungen" iS des §
56 Abs
1 Satz 1
SGB I. Der Kläger ist daher nicht Sonderrechtsnachfolger der verstorbenen Versicherten geworden (§
56 SGB I). Das Kostenprivileg des §
183 Satz 2
SGG kommt dem Kläger daher nur für den von der Versicherten eingeleiteten ersten Rechtszug zugute.
3. Die Festsetzung des Streitwerts für das Berufungsverfahren und das Beschwerdeverfahren auf jeweils 3010 Euro beruht auf
§ 63 Abs 2 und 3, § 52 Abs 1 und 3 sowie § 47 Abs 3 GKG.
Der Entschädigungsanspruch nach §
18 Abs
3b Satz 1
SGB XI betrifft die Zeit vom 1.1.2013 bis zum 2.11.2013 und damit 43 ganze Wochen sowie zusätzlich eine angebrochene Woche. Da die
Entschädigung von wöchentlich 70 Euro nach dem Gesetz für "jede begonnene Woche" zu zahlen ist, belief sich der Zahlungsanspruch
rechnerisch auf 3080 Euro (44 Wochen zu je 70 Euro). Beantragt hat der Kläger jedoch nur die Feststellung eines Anspruchs
auf Zahlung von "70 Euro für jede Woche", womit nach dem allgemeinen Sprachgebrauch nur vollendete Wochen gemeint sind. Damit
belief sich der Zahlungsanspruch rein rechnerisch auf nur 3010 Euro (43 Wochen zu je 70 Euro). Dieser Betrag ist für die Festsetzung
des Streitwerts maßgebend. Eine tagesgenaue Abrechnung des Entschädigungsanspruchs, wie vom LSG vorgenommen (43,59 Wochen
x 70 Euro = 3051,30 Euro), ist nach dem Gesetz nicht vorgesehen und kann deshalb auch nicht für den Streitwert herangezogen
werden.
Eine Reduzierung des Streitwerts mit Blick darauf, dass statt der tatsächlichen Leistung nur die Feststellung des Zahlungsanspruchs
beantragt worden ist, kommt nicht in Betracht, weil Anspruchsgegner eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ist (§
4 Abs
1 SGB V) und dort erwartet werden kann, dass auch einem Feststellungsurteil trotz fehlender Vollstreckungsmöglichkeit Folge geleistet
wird (vgl Hartmann, Kostengesetze, 45. Aufl 2015, § 52 GKG RdNr 15; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, § 55 RdNr 19c).