Ermittlung des Pflegebedarfs in der privaten Pflegeversicherung; Keine Verbindlichkeit der von einem privaten Unternehmen
in Auftrag gegebenen Gutachten von Sachverständigen für die Sozialgerichte
Gründe:
I
Im Revisionsverfahren ist noch ein Anspruch auf Pflegegeld nach der Pflegestufe II für die Zeit vom 1.8.2005 bis zum 30.11.2011
streitig.
Die 1947 geborene Klägerin ist bei dem beklagten privaten Krankenversicherungsunternehmen pflegeversichert und beantragte
im August 2005 Leistungen für die häusliche Pflege. Die Beklagte beauftragte die "Gesellschaft für medizinische Gutachten
MedicProof GmbH" (im Folgenden: MedicProof) mit der Erstellung eines Gutachtens. Die für die MedicProof tätige Ärztin K. ermittelte
am 8.10.2005 einen Pflegebedarf der Klägerin im Bereich der Grundpflege von 23 Minuten und im Bereich der hauswirtschaftlichen
Versorgung von 45 Minuten täglich. Auf dieser Grundlage lehnte die Beklagte Leistungen wegen Pflegebedürftigkeit ab, und die
Klägerin hat am 26.6.2006 Klage beim SG erhoben. Im laufenden Klageverfahren holte die Beklagte ein weiteres Gutachten ein, weil die Klägerin eine Verschlechterung
ihres Gesundheitszustandes geltend gemacht hat. Der für die MedicProof tätige Facharzt für Innere Medizin und Arbeitsmedizin
Dr. Z. stellte in einem Gutachten vom 11.7.2009 einen seit März 2009 bestehenden Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von
70 Minuten und im Bereich der Hauswirtschaft von 45 Minuten täglich fest. Die Beklagte gewährte der Klägerin daraufhin ab
1.4.2009 Pflegegeld nach der Pflegestufe I.
Das SG hat neben diversen Unterlagen und ärztlichen Stellungnahmen ein Gutachten von Dr. S., Facharzt für Allgemeinmedizin und physikalische
und rehabilitative Medizin vom 27.6.2011 eingeholt, nach welchem sich der Hilfebedarf der Klägerin seit dem Tag der Begutachtung
am 30.5.2011 im Bereich der Grundpflege auf 123 Minuten und im Bereich der Hauswirtschaft auf 60 Minuten täglich erhöht habe.
Für den Zeitraum davor sei jeweils den Gutachten der MedicProof zu folgen. Das SG hat - nach einer Zeugenvernehmung der Pflegeperson der Klägerin - die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung des für das Pflegegeld
jeweils vorgesehenen Betrages unter Abzug bereits gewährter Zahlungen verurteilt, und zwar für die Zeit vom 1.8.2005 bis zum
15.11.2008 entsprechend der Pflegestufe II und seit dem 16.11.2008 entsprechend der Pflegestufe III (Urteil vom 16.11.2011).
Es hielt die Gutachten der MedicProof für offensichtlich fehlerbehaftet und folgte weitgehend den Aussagen der Zeugin, die
ua ausgeführt hatte, die Klägerin gehe zweimal pro Woche zur Lymphdrainage und zweimal pro Woche zur ärztlich angeordneten
Physiotherapie (Massage) und müsse jede Woche einen Termin zur ärztlichen Untersuchung wahrnehmen.
Im Berufungsverfahren holte die Beklagte - wegen geltend gemachter weiterer Verschlechterungen - ein weiteres Gutachten der
MedicProof von dem Arzt H. vom 10.5.2012 ein, der einen grundpflegerischen Hilfebedarf der Klägerin von täglich 143 Minuten
und einen unveränderten hauswirtschaftlichen Hilfebedarf feststellte. Die Beklagte bewilligte schließlich im Wege eines Teilanerkenntnisses
Pflegegeld nach der Pflegestufe I auch für den Monat März 2009 sowie seit Dezember 2011 nach der Pflegestufe II.
Das Hessische LSG hat das Urteil des SG geändert und die Klage abgewiesen, soweit sie über das angenommene Anerkenntnis hinaus geht (Urteil vom 20.6.2013). Es hat
ausgeführt, es könne offenbleiben, ob der Rechtsprechung des BSG zu folgen sei, dass nach dem Versicherungsvertragsgesetz (VVG) die ärztlichen Feststellungen in den von privaten Pflegeversicherungsunternehmen eingeholten Gutachten grundsätzlich verbindlich
und nur im Falle einer offenbar von der wirklichen Sachlage erheblichen Abweichung unverbindlich seien. Die Voraussetzungen
für Pflegegeld nach höheren als den jeweils anerkannten Pflegestufen lägen auch unter Berücksichtigung des vom SG eingeholten Gutachtens nicht vor. Der darin für den Zeitraum nach dem 30.5.2011 angegebene Hilfebedarf von 123 Minuten täglich
sei jedenfalls auf unter 120 Minuten täglich zu korrigieren, da der Gutachter einen zu hohen Zeitbedarf für regelmäßige Arztbesuche
angesetzt habe.
Mit ihrer infolge der Zulassung auf die Gewährung von Pflegegeld nach der Pflegestufe II für die Zeit vom 1.8.2005 bis zum
30.11.2011 beschränkten Revision macht die Klägerin geltend, der Gesetzgeber habe die Versicherten der privaten Pflegeversicherung
denen der sozialen Pflegeversicherung im Hinblick auf Leistungsumfang, Versicherungsbedingungen und Rechtsschutz im Wesentlichen
gleichstellen wollen (§
23 Abs
6 Nr
1 SGB XI). Deshalb seien die Feststellungen der von der Beklagten beauftragten medizinischen Sachverständigen nicht verbindlich, und
das vom SG eingeholte Sachverständigengutachten sei verwertbar. Die Verbindlichkeit der Feststellungen der Sachverständigen sei in den
Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die private Pflegeversicherung - Bedingungsteil (MB/PPV) nicht vereinbart. Zudem
beruft sich die Klägerin auf offenbare erhebliche Abweichungen der in den Gutachten der MedicProof getroffenen Feststellungen
von der wirklichen Sachlage. Die Häufigkeit der Arztbesuche sei nicht thematisiert worden.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 20.6.2013 zu ändern und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen, soweit
sie über das Anerkenntnis hinausgeht.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Nach den Regelungen des VVG seien die Feststellungen in den von ihr eingeholten Sachverständigengutachten nur dann nicht verbindlich, wenn sie offenbar
von der wirklichen Sachlage erheblich abwichen. Die Durchführung eines Sachverständigenverfahrens sei nach den wirksamen MB/PPV
zwischen ihr und den Versicherten verbindlich vereinbart. Auch in der datenschutzrechtlichen Einwilligungs- und Schweigepflichtentbindungserklärung
des Versicherten sei eine Vereinbarung über die Durchführung des Sachverständigenverfahrens zu sehen. Für die Versicherten
ergebe sich daraus keine Benachteiligung, da bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit und der Zuordnung zu einer Pflegestufe
dieselben Maßstäbe angelegt würden, wie in der sozialen Pflegeversicherung. Sie sei auch selbst an die Feststellungen der
Gutachter gebunden und habe keine Möglichkeit, sich von einer Leistungszusage zu lösen, selbst wenn die Feststellungen erheblich
von der wirklichen Sachlage abwichen.
II
Die Revision der Klägerin scheitert weder bereits am Vorliegen der Sachurteilsvoraussetzungen (dazu 1.) noch an einer verspäteten
gerichtlichen Geltendmachung des Leistungsanspruchs (dazu 2.). Zur Beurteilung des Anspruchs der Klägerin auf Pflegegeld ist
das vom SG eingeholte Gutachten voll verwertbar. Der Senat hält nicht an der Auffassung fest, die Feststellungen in den von privaten
Versicherungsunternehmen eingeholten Gutachten seien für die Sozialgerichte verbindlich, solange und soweit sie nicht "offenbar
von der wirklichen Sachlage erheblich abweichen" (dazu 3.). Die Gutachten der MedicProof sind daneben grundsätzlich gleichwertig,
jeweils entsprechend ihrer Überzeugungskraft zu werten (dazu 4.). Auf dieser Grundlage ist die Revision für den Zeitraum vom
1.8.2005 bis zum 30.5.2011 unbegründet, weil der Klägerin für diese Zeit über die bereits anerkannten Leistungen nach der
Pflegestufe I kein weiteres Pflegegeld zusteht (dazu 5.). Für den Zeitraum vom 31.5.2011 bis zum 30.11.2011 ist die Revision
im Sinne einer Aufhebung und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG begründet, denn der Senat vermag auf der Grundlage
der Feststellungen des LSG nicht abschließend über einen Leistungsanspruch nach der Pflegestufe II für diesen Zeitraum zu
entscheiden (dazu 6.).
1. Die auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu prüfenden Sachurteilsvoraussetzungen liegen vor. Die Klage ist als isolierte
Leistungsklage (§
54 Abs
5 SGG) zulässig. Als privates Versicherungsunternehmen erlässt die Beklagte keine Verwaltungsakte, sodass es weder einer zusätzlichen
Anfechtungsklage bedurfte, noch der Durchführung eines Vorverfahrens oder der Einhaltung einer Klagefrist. Nach der endgültigen
Leistungsablehnung durch die Beklagte konnte Rechtsschutz nur durch Beschreitung des Klageweges erlangt werden (vgl BSG SozR 4-3300 § 23 Nr 2).
2. Der Leistungsanspruch ist nicht bereits wegen verspäteter gerichtlicher Geltendmachung ausgeschlossen. Nach § 12 Abs 3 VVG (in der bis zum 31.12.2007 geltenden Fassung der Verordnung zur Vereinheitlichung des Rechts der Vertragsversicherung vom
19.12.1939, RGBl 2443, 2444) ist der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Anspruch auf die Leistung
nicht innerhalb von sechs Monaten gerichtlich geltend gemacht wird. Diese Frist beginnt jedoch nach § 12 Abs 3 Satz 2 VVG (in der oben genannten Fassung) erst, nachdem der Versicherer dem Versicherungsnehmer gegenüber den erhobenen Anspruch unter
Angabe der mit dem Ablauf der Frist verbundenen Rechtsfolge schriftlich abgelehnt hat. Die Beklagte hat in keinem ihrer Schreiben
die mit dem Ablauf der Frist verbundenen Rechtsfolgen angegeben, sodass die Frist nicht in Gang gesetzt wurde. Gleiches gilt
nach § 17 Abs 2 MB/PPV in der zur Zeit der Klageerhebung geltenden Fassung (Stand 1.6.2005), weil auch danach die Frist erst
beginnt, nachdem der Versicherer den Anspruch unter Angabe der mit dem Ablauf der Frist verbundenen Rechtsfolgen schriftlich
abgelehnt hat.
3. Für die Beurteilung des Anspruchs auf Pflegegeld ist auch das vom SG eingeholte Gutachten uneingeschränkt zu berücksichtigen. Die Feststellungen, die die von der Beklagten beauftragten Gutachter
getroffen haben, sind für die Gerichte nicht verbindlich. § 64 Abs 1 Satz 1 VVG (in der bis zum 31.12.2007 geltenden Fassung des Gesetzes über den Versicherungsvertrag vom 30.5.1908, RGBl 263, 276 f) sowie der seit 1.1.2008 geltende, wortgleiche § 84 Abs 1 Satz 1 VVG (idF des Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 23.11.2007, BGBl I 2631), der im Folgenden allein aufgeführt
wird, ist auf private Pflegepflichtversicherungsverträge nicht anwendbar. Insoweit gibt der Senat seine bisherige anderslautende
Rechtsprechung (vgl BSG SozR 4-7690 § 64 Nr 1 = SozR 4-3300 § 23 Nr 3 = SozR 4-1500 § 103 Nr 3; BSGE 88, 262 = SozR 3-3300 § 23 Nr 5; BSGE 88, 268 = SozR 3-3300 § 23 Nr 6) ausdrücklich auf. Nach § 84 Abs 1 Satz 1 VVG ist - wenn nach dem Vertrag einzelne Voraussetzungen des Anspruchs aus der Versicherung oder die Höhe des Schadens durch
Sachverständige festgestellt werden sollen - die getroffene Feststellung nicht verbindlich, wenn sie offenbar von der wirklichen
Sachlage erheblich abweicht. Die Vorschrift ordnet damit grundsätzlich die Verbindlichkeit der Feststellungen eines Sachverständigen
an, wenn vertraglich die Durchführung eines Sachverständigenverfahrens vereinbart wurde und die Feststellungen nicht offenbar
von der wirklichen Sachlage erheblich abweichen (vgl Langheid in Römer/Langheid, VVG, 4. Aufl 2014, § 84 RdNr 14; Kloth/Neuhaus in Schwintowski/Brömmelmeyer [Hrsg], Praxiskommentar zum Versicherungsvertragsrecht, 2. Aufl 2011,
§ 84 VVG RdNr 14; Beckmann in Honsell [Hrsg], Berliner Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz, 1999, § 64 RdNr 20; Voit/Knappmann in Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 27. Aufl 2004, § 64 RdNr 22 ff). Die Verbindlichkeitsanordnung dieser Regelung lässt sich nicht mit den für private Pflegepflichtversicherungsverträge
spezielleren Regelungen des §
23 SGB XI vereinbaren.
a) §
23 SGB XI enthält Sonderregelungen für private Pflegepflichtversicherungsverträge, die gegenüber den allgemeinen Regelungen des VVG vorrangig zu berücksichtigen sind, und - soweit die Vorschriften nicht in Einklang zu bringen sind - die allgemeinen Normen
des VVG verdrängen. Private Versicherungsverhältnisse zur Durchführung der Pflegepflichtversicherung unterliegen zwar grundsätzlich
dem zivilrechtlichen Versicherungsvertragsrecht; die private Vertragsfreiheit ist jedoch durch die Ausgestaltung als Pflichtversicherung
erheblichen gesetzlichen Einschränkungen unterworfen, die sich im Wesentlichen aus §
23 SGB XI ergeben. Der Gesetzgeber hat sich zur Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit für eine allgemeine Versicherungspflicht
entschieden. Er hat dabei die Systementscheidung getroffen, die Versicherung nur für die Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung
in der gesetzlichen sozialen Pflegeversicherung durchzuführen (§
20 Abs
1 Satz 1
SGB XI). Die private Pflegeversicherung ist zwar als Pflichtversicherung ausgestaltet, sie wird aber als privatrechtliches Versicherungsvertragsverhältnis
durchgeführt. Personen, die gegen das Risiko Krankheit bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen mit Anspruch auf
allgemeine Krankenhausleistungen oder im Rahmen von Versicherungsverträgen, die der Versicherungspflicht nach § 193 Abs 3 VVG genügen, versichert sind, sind verpflichtet, bei diesem Unternehmen zur Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit einen
Versicherungsvertrag abzuschließen oder aufrechtzuerhalten (§
23 Abs
1 Satz 1
SGB XI), es sei denn, der Versicherte schließt einen entsprechenden Vertrag mit einem anderen privaten Versicherungsunternehmen
(§
23 Abs
2 Satz 1
SGB XI). Mit der Ausgestaltung als Pflichtversicherung hat der Gesetzgeber aber nicht nur die Vertragsabschlussfreiheit eingeschränkt,
sondern auch weitgehende inhaltliche Vorgaben gemacht. Nach §
23 Abs
1 Satz 2
SGB XI muss der Vertrag Leistungen vorsehen, die nach Art und Umfang den Leistungen des 4. Kapitels des
SGB XI gleichwertig sind. Dabei tritt an die Stelle der Sachleistungen eine der Höhe nach gleiche Kostenerstattung (§
23 Abs
1 Satz 3
SGB XI). Nach §
23 Abs
6 Nr
1 SGB XI sind das private Krankenversicherungsunternehmen oder ein anderes die Pflegeversicherung betreibendes Versicherungsunternehmen
verpflichtet, für die Feststellung der Pflegebedürftigkeit sowie für die Zuordnung zu einer Pflegestufe dieselben Maßstäbe
wie in der sozialen Pflegeversicherung anzulegen. Diese Regelungen verdrängen die für private Versicherungsverhältnisse allgemein
geltenden Vorschriften des VVG, soweit sie nicht miteinander vereinbar sind (vgl zum Ganzen bereits BVerfG Urteil vom 3.4.2001 - 1 BvR 2014/95 - BVerfGE 103, 197, 217 f = SozR 3-1100 Art 74 Nr 4 S 22 f = Juris RdNr 69 f). Seit 1.1.2008 stellt § 192 Abs 6 Satz 3 VVG klar, dass die Regelungen des
Elften Buches Sozialgesetzbuch über die private Pflegeversicherung (von den Vorschriften des VVG) unberührt bleiben. Damit hat der Gesetzgeber den Vorrang der Regelungen des
SGB XI gegenüber denen des VVG ausdrücklich normiert. Das schließt im Ergebnis die Anwendbarkeit der Verbindlichkeitsanordnung des § 84 Abs 1 Satz 1 VVG auf Gutachten im Auftrag des privaten Versicherungsunternehmens aus.
b) Wegen der weitgehenden gesetzlichen Vorgaben zur Ausgestaltung des privaten Pflegepflichtversicherungsverhältnisses kann
bereits in der Sache kaum noch von einem vertraglich ausgehandelten Sachverständigenverfahren ausgegangen werden, für dessen
Feststellungen § 84 Abs 1 Satz 1 VVG Verbindlichkeit anordnet (so bereits LSG NRW Urteil vom 11.7.2002 - L 16 P 9/01 - Juris; ebenfalls kritisch: Bastian, NZS 2004, 76 [80 ff]; vgl auch Heinemann, Medizinische Begutachtung in der privaten und sozialen Pflegeversicherung, 2009, 53 f). § 84 Abs 1 Satz 1 VVG setzt voraus, dass "nach dem Vertrag" einzelne Voraussetzungen des Anspruchs aus der Versicherung oder die Höhe des Schadens
durch Sachverständige festgestellt werden. Die Vorschrift findet daher nur auf vertraglich vereinbarte Sachverständigenverfahren
Anwendung (vgl Langheid in Römer/Langheid, VVG, 4. Aufl 2014, § 84 RdNr 1; Kloth/Neuhaus in Schwintowski/Brömmelmeyer [Hrsg], Praxiskommentar zum Versicherungsvertragsrecht, 2. Aufl 2011,
§ 84 RdNr 4; Johannsen in Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl, Bd 3, 2009, § 84 RdNr 21; Beckmann in Honsell [Hrsg], Berliner Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz, 1999, § 64 RdNr 21; Voit/Knappmann in Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 27. Aufl 2004, § 64 RdNr 22).
Die MB/PPV der Beklagten sehen die Durchführung eines Sachverständigenverfahrens vor. Nach § 6 Abs 2 Satz 1 MB/PPV (Stand
1.6.2005 sowie die bis zu der Fassung mit Stand vom 1.1.2010 insoweit - bis auf die durch die Klammersetzung gekennzeichneten
Worte - identisch gebliebenen Fassungen, die den hier streitigen Zeitraum bis zum 30.11.2011 erfassen) sind Eintritt, Stufe
und Fortdauer der Pflegebedürftigkeit, die Eignung, Notwendigkeit und Zumutbarkeit von Maßnahmen zur Beseitigung, Minderung
oder Verhütung einer Verschlimmerung der Pflegebedürftigkeit, die Voraussetzungen des zusätzlichen Betreuungsbedarfs und die
Notwendigkeit der Versorgung mit beantragten Pflegehilfsmitteln (und technischen Hilfen) durch einen von dem Versicherer beauftragten
Arzt festzustellen. Mit der Durchführung der Untersuchungen kann der Medizinische Dienst der privaten Pflegepflichtversicherung
beauftragt werden (§ 6 Abs 2 Satz 3 MB/PPV in den og Fassungen). Die Kosten der Untersuchungen trägt der Versicherer, es sei
denn, es wird innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten erneut der Eintritt eines Versicherungsfalles behauptet, ohne dass
der Versicherer seine Leistungspflicht anerkennt (§ 6 Abs 2 Satz 8 MB/PPV in den og Fassungen). Auch in der Regelung des §
1 Abs 9 MB/PPV (in den og Fassungen) kommt zum Ausdruck, dass die Durchführung eines Sachverständigenverfahrens vorgesehen
ist.
Diese Vertragsbedingungen sind jedoch nicht Ausdruck der Vertragsfreiheit, sondern zeichnen im Wesentlichen das Verfahren
zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach §
18 SGB XI nach (vgl auch Heinemann, Medizinische Begutachtung in der privaten und sozialen Pflegeversicherung, 2009, 54; ähnlich Johannsen
in Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl, Bd 3, 2009, § 84 RdNr 10, die von einer zwingend vorgeschriebenen ärztlichen Begutachtung spricht). Das private Versicherungsunternehmen ist
bei der Ausführung der privaten Pflegeversicherung nach §
23 Abs
6 Nr
1 SGB XI verpflichtet, zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit dieselben Maßstäbe anzulegen, wie in der sozialen Pflegeversicherung.
Damit ist eine möglichst enge Anlehnung an das im
SGB XI für die soziale Pflegeversicherung vorgegebene Verfahren zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit bereits gesetzlich vorgegeben;
wesentliche Abweichungen dürfen nicht vereinbart werden. Die grundsätzlich unterschiedlichen Rechtsschutzmöglichkeiten für
vertraglich vereinbarte Versicherungsbedingungen und solche, die auf gesetzlichen Vorgaben beruhen, machen deutlich, dass
die Verbindlichkeitsanordnung des § 84 Abs 1 Satz 1 VVG nur für vertraglich vereinbarte, nicht für gesetzlich vorgegebene Sachverständigenverfahren gelten kann.
c) Das grundrechtlich geschützte Recht auf effektiven Rechtsschutz gebietet gerichtliche Kontrollmöglichkeiten, die nicht
auf den Zugang zu den Gerichten beschränkt sind, sondern auch eine inhaltliche gerichtliche Kontrolle gewährleisten. Dies
gilt nach Art
19 Abs
4 GG zunächst für die gerichtliche Kontrolle von Akten der öffentlichen Gewalt, die in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht
grundsätzlich in vollem Umfang von den Gerichten zu überprüfen sind. Die Maßstäbe für die gerichtliche Beurteilung privat-rechtlicher
Streitigkeiten ergeben sich demgegenüber aus dem allgemeinen Rechtsstaatsprinzip (vgl zum Ganzen zB Schulze-Fielitz in Dreier
[Hrsg],
Grundgesetz-Kommentar, Bd 1, 2013, Art
19 IV RdNr 36 f, 80 f, 116 f; Jarass in Jarass/Pieroth,
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Kommentar, 13. Aufl 2014, Art
20 RdNr 91 f).
Der gerichtlichen Inhaltskontrolle von frei zwischen gleichen Partnern ausgehandelten Verträgen liegt der Gedanke zugrunde,
dass bei vergleichbarer Verhandlungsstärke beider Vertragspartner die Vertragsfreiheit im allgemeinen zu ausgewogenen Vertragsinhalten
führt, sodass sich die gerichtliche Rechtmäßigkeitskontrolle regelmäßig auf grobe Unbilligkeit, Sittenwidrigkeit, Treuwidrigkeit
uÄ beschränken kann. Werden die Vertragsinhalte von einer Vertragspartei in allgemeinen Vertragsbedingungen vorgegeben, ist
nach den §§
305 ff
BGB eine weitergehende Inhaltskontrolle vorgesehen, zB auf überraschende Klauseln oder auf eine unangemessene Benachteiligung
des Vertragspartners. Der Gesetzgeber hat die Verbindlichkeit der Feststellungen in einem vertraglich vereinbarten Sachverständigenverfahren
nach § 84 Abs 1 Satz 1 VVG daher vor dem Hintergrund angeordnet, dass auch die vertraglichen Regelungen zur Durchführung eines Sachverständigenverfahrens
mit einer grundsätzlich hinreichenden materiellen Gerechtigkeitsgewähr vereinbart bzw durch die Gerichte entsprechend korrigiert
werden. Regelmäßig sehen die allgemeinen Versicherungsbedingungen vor, dass jede Partei einen Sachverständigen benennt und
diese gemeinsam einen Obmann bestimmen (vgl Langheid in Römer/Langheid, VVG, 4. Aufl 2014, § 84 RdNr 4 ff, 11; Johannsen in Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl, Bd 3, 2009, § 84 RdNr 28; Beckmann in Honsell [Hrsg], Berliner Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz, 1999, § 64 RdNr 22). Behält sich ein Versicherungsunternehmen jedoch - wie hier - in allgemeinen Geschäftsbedingungen das Recht vor,
allein den Gutachter zu bestimmen, der dann verbindliche Regelungen trifft, wird darin regelmäßig eine entgegen den Geboten
von Treu und Glauben unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers (§
307 BGB) gesehen, insbesondere wenn der Gutachter dem Verwender der Klausel aufgrund einer regelmäßigen Zusammenarbeit besonders
nahe steht (vgl BGH Urteil vom 9.7.1981 - VII ZR 139/80 - BGHZ 81, 229, 236 = Juris RdNr 25; ähnlich BGH NJW-RR 2007, 1466; LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 11.7.2002 - L 16 P 9/01 - Juris; vgl auch Johannsen in Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl, Bd 3, 2009, § 84 RdNr 31 mwN; Heinemann, Medizinische Begutachtung in der privaten und sozialen Pflegeversicherung, 2009, 54; Bastian, NZS
2004, 76 [81 f]; Voit/Knappmann in Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 27. Aufl 2004, §
64 RdNr 7; ähnlich Grüneberg in Palandt,
BGB, 72. Aufl 2013, §
307 RdNr 129 f). Eine entsprechende Klausel kann daher regelmäßig nicht wirksamer Vertragsbestandteil werden. Die für die MedicProof
tätigen Sachverständigen werden zudem einseitig von Seiten der Versicherer geschult, was neben der regelmäßigen Zusammenarbeit
ebenfalls für ein besonderes Näheverhältnis spricht.
Vorliegend muss diese zivilrechtliche Inhaltskontrolle jedoch versagen. Denn die Durchführung des nach den MB/PPV vorgesehenen
Sachverständigenverfahrens beruht auf den gesetzlichen Vorgaben des
SGB XI und zeichnet das dort vorgesehene Verfahren ganz weitgehend nach. Es ist jedenfalls sachgerecht, wenn das die private Pflegepflichtversicherung
betreibende Versicherungsunternehmen in seinen allgemeinen Versicherungsbedingungen möglichst weitgehende Parallelen zu dem
im
SGB XI für die soziale Pflegeversicherung vorgesehenen Verfahren zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit vorsieht. Es ist dazu
nach §
23 Abs
6 Nr
1 SGB XI sogar verpflichtet. Darin kann weder eine überraschende Klausel noch eine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers
oder ein Verstoß gegen Treu und Glauben gesehen werden. In dieser Konstellation kann somit ersichtlich nicht die Vertragsfreiheit
und die dazu vorgesehene Inhaltskontrolle als Argument für eine materielle Gerechtigkeitsgewähr herangezogen werden. Die Verbindlichkeitsanordnung
ist aber nur vor dem Hintergrund der bestehenden zivilrechtlichen Wirksamkeitskontrolle der vertraglichen Regelungen zum Sachverständigenverfahren
vom Gesetzgeber gewollt. Denn den privat Pflege(pflicht)versicherten können nicht sowohl die zivilrechtlichen als auch die
sozialrechtlichen Kontrollmöglichkeiten, die ua eine grundsätzlich uneingeschränkte Überprüfung der von den Versicherungsträgern
veranlassten Gutachten vorsehen (näher dazu unter e) aa)), versagt werden. Eine solche Auslegung könnte den Grundsätzen zur
Gewährung effektiven Rechtsschutzes nicht mehr gerecht werden.
d) Um Akte öffentlicher Gewalt geht es hingegen im beamtenrechtlichen Beihilferecht, sodass die Beeinträchtigung des effektiven
Rechtsschutzes durch eingeschränkte Überprüfungsmöglichkeiten der Gutachten in diesem Bereich besonders deutlich wird. Nach
§
23 Abs
3 SGB XI sind Personen, die nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen bei Pflegebedürftigkeit Anspruch auf Beihilfe haben,
ebenfalls zum Abschluss einer entsprechenden anteiligen beihilfekonformen Versicherung im Sinne des §
23 Abs
1 SGB XI verpflichtet, sofern sie nicht nach §
20 Abs
3 SGB XI versicherungspflichtig sind, und diese beihilfekonforme Versicherung ist so auszugestalten, dass ihre Vertragsleistungen
zusammen mit den Beihilfeleistungen den in §
23 Abs
1 Satz 2
SGB XI vorgeschriebenen Versicherungsschutz gewährleisten. In den Beihilfeverordnungen des Bundes und der Länder wird regelmäßig
das Gutachten zugrunde gelegt, das für die private oder soziale Pflegeversicherung zum Vorliegen von Pflegebedürftigkeit sowie
zu Art und Umfang der notwendigen Pflege erstellt worden ist. Nur wenn (ausnahmsweise) kein Gutachten für die private oder
soziale Pflegeversicherung erstellt worden ist, zB weil die beihilfeberechtigte oder berücksichtigungsfähige Person nicht
in der privaten oder sozialen Pflegeversicherung versichert ist, lässt die Festsetzungsstelle ein entsprechendes Gutachten
erstellen (vgl § 51 Abs 2 BBhV idF vom 18.7.2014; ähnlich auch § 40 Satz 2 BayBhV idF vom 2.1.2007; § 51 Abs 2 Satz 1 LBhVO für Berlin idF vom 8.5.2012; nach § 9 Abs 8 Satz 3 erster Halbsatz BVO für Baden-Württemberg idF vom 20.12.2013 ist die von der privaten oder sozialen Pflegeversicherung festgestellte Pflegestufe
bindend). Wird danach regelmäßig der Entscheidung der Beihilfestelle das Gutachten oder die Entscheidung der privaten Pflegeversicherung
zugrunde gelegt, würde sich die Bindungswirkung des von der privaten Pflegeversicherung eingeholten Gutachtens bei Anwendung
der Verbindlichkeitsanordnung nach § 84 VVG auch auf die beamtenrechtliche Beihilfe erstrecken. Den versicherten Beamten, die einen erheblichen Teil der Versicherten
der privaten Pflegeversicherung ausmachen, wäre dann die Möglichkeit verschlossen, die Einstufung in eine höhere Pflegestufe
mit der Folge auch höherer Leistungen der Beihilfe zu erreichen, so lange das Gutachten der privaten Pflegeversicherung nicht
"offenbar" unzutreffend ist. Hier wird deutlich, dass es um Akte öffentlicher Gewalt geht, deren gerichtliche Überprüfung
durch die Anwendung des § 84 VVG im Vergleich mit den Versicherten der sozialen Pflegeversicherung in einer nicht gerechtfertigten und dem Gebot effektiven
Rechtsschutzes nicht gerecht werdenden Weise eingeschränkt wird.
e) Es gibt vor diesem Hintergrund keinen sachlichen Grund dafür, den von einem privaten Krankenversicherungsunternehmen eingeholten
Gutachten einen höheren Beweiswert zukommen zu lassen als den von den Trägern der sozialen Pflegeversicherung eingeholten
Gutachten.
aa) Durch die Anordnung der Verbindlichkeit der Feststellungen der von dem privaten Versicherungsunternehmen eingeholten Gutachten
wird diesen bis zur Grenze offenbarer, erheblicher Abweichung von der wirklichen Sachlage der alleinige Beweiswert zugeschrieben.
Das widerspricht grundsätzlichen sozialgerichtlichen Verfahrensregelungen. Denn nach §
128 SGG entscheidet das Gericht grundsätzlich nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Deshalb
werden die von einer Pflegekasse im Rahmen der sozialen Pflegeversicherung eingeholten Gutachten im sozialgerichtlichen Prozess
genauso bewertet wie die gerichtlich eingeholten Gutachten, gleichwertig und allein nach ihrer jeweiligen Überzeugungskraft
(vgl hierzu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Aufl 2014 §
128 RdNr 4 ff). Regelungen zur Beweiskraft enthält das Gesetz nicht. Der Versicherte hat sogar darüber hinaus nach §
109 Abs
1 Satz 1
SGG noch die Möglichkeit, (zusätzlich) vom Gericht ein Gutachten von einem von ihm benannten Arzt einholen zu lassen. Dieses
Recht wird ihm genommen, wenn die Feststellungen des vom privaten Versicherungsunternehmen eingeholten Gutachters bereits
verbindlich sind. Der Gesetzgeber hat mit der Zuordnung der Rechtsstreitigkeiten aus dem Bereich der privaten Pflegeversicherung
in die Sozialgerichtsbarkeit aber deutlich gemacht, dass sich auch das gerichtliche Verfahren nach den Vorschriften des
SGG richten soll. Den von einem privaten Krankenversicherungsunternehmen eingeholten Gutachten einen höheren Beweiswert zukommen
zu lassen als den von der sozialen Pflegeversicherung eingeholten Gutachten, widerspricht dieser Intention des Gesetzgebers.
bb) Die Verbindlichkeitsanordnung wird insbesondere der Eigenart der Pflegegutachten nicht gerecht. Denn die Feststellung
des Pflegebedarfs gibt nur eine Momentaufnahme innerhalb einer gewissen Schwankungsbreite wieder und beruht im Wesentlichen
auf Schätzwerten im Rahmen eines bestimmten Zeitkorridors. Die gerichtliche Erfahrung zeigt, dass bei mehreren Sachverständigengutachten
zum Pflegebedarf einer bestimmten Person nur selten übereinstimmende Werte ermittelt werden (so auch Ladage in Festschrift
50 Jahre Bundessozialgericht, 2004, 673, 687). Auch gut ausgebildete, unabhängige Sachverständige können daher im Einzelfall
zu einem nicht dem tatsächlichen Hilfebedarf entsprechendem Zeitwert gelangen. Die Grenze offensichtlicher Abweichungen von
der tatsächlichen Sachlage dürfte dennoch nur vergleichsweise selten überschritten werden. Zwar kann nicht ohne Weiteres davon
ausgegangen werden, dass ein gerichtliches Gutachten den tatsächlichen Bedarf des Versicherten besser erfasst, und es macht
die gerichtliche Entscheidung auch nicht einfacher, wenn Gutachten mit unterschiedlichen Ergebnissen vorliegen. Werden aber
verschiedene Gutachten einschließlich aller anderen vorliegenden Unterlagen zum Gesundheitszustand, Angaben der Pflegepersonen
etc im Zusammenhang gewürdigt, wird das Gericht der tatsächlichen Sachlage besser gerecht werden können, als allein auf der
Basis eines einzigen Gutachtens (aA offenbar Heinemann, Medizinische Begutachtung in der privaten und sozialen Pflegeversicherung,
2009, 48; Ladage in Festschrift 50 Jahre Bundessozialgericht, 2004, 673, 687). Das gilt auch, weil die Pflegesituation schwer
zu prognostizierenden Veränderungen unterliegt. Regelmäßige Überprüfungen sind deshalb ohnehin erforderlich. Im Einzelfall
lässt sich aber schwer vorhersagen, wie lange der Gesundheitszustand die Einschätzung des Gutachters noch zu rechtfertigen
vermag. Auch diesem Gesichtspunkt wird die Würdigung aller vorliegenden und ggf aktuelleren Unterlagen besser gerecht, als
die auf einer Momentaufnahme basierende Feststellung nur eines Gutachters. Das wird in der Praxis der privaten Pflegeversicherung
wohl ebenso gesehen, denn den privat Versicherten wird regelmäßig die Möglichkeit eingeräumt, ein Zweitgutachten zu beantragen
(vgl Heinemann, aaO, 58 ff). Wären aber bereits die Feststellungen des Erstgutachtens verbindlich, wäre für ein Zweitgutachten
rechtlich kein Raum.
cc) Anders als im Zivilgerichtsverfahren gibt es für die Anordnung der Verbindlichkeit der Feststellungen eines Gutachters
im sozialgerichtlichen Verfahren keine nachvollziehbare Begründung. Im Zivilgerichtsverfahren bezweckt die gesetzliche Verbindlichkeitsanordnung
des § 84 Abs 1 Satz 1 VVG den Feststellungen des Privatgutachters einen den Aufwand und die Kosten des Gutachtens rechtfertigenden Beweiswert zukommen
zu lassen. Denn Privatgutachten werden im Zivilrecht regelmäßig wie substantiiertes, urkundlich belegtes Parteivorbringen
oder als Urkundenbeweis gewertet (vgl Ladage in Festschrift 50 Jahre Bundessozialgericht, 2004, 673, 685), wobei der Urkundenbeweis
nach §
416 ZPO lediglich den Beweis begründen kann, dass die enthaltenen Erklärungen vom Aussteller abgegeben sind. Als Sachverständigenbeweis
sind sie nur mit Zustimmung beider Parteien verwertbar (BGH NJW 1993, 2382; vgl auch Reichold in Thomas/Putzo,
ZPO, 35. Aufl 2014, Vorbem §
402 RdNr 5). Im sozialgerichtlichen Verfahren gibt es demgegenüber keine Regelungen zur Beweiskraft; alle Gutachten können grundsätzlich
gleichwertig zur Überzeugungsbildung des Gerichts herangezogen werden (BSG SozR 3-3300 § 15 Nr 11 = SozR 3-3300 §
18 Nr 1; zur beweisrechtlichen Würdigung von Verwaltungsgutachten und Privatgutachten vgl auch Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Aufl 2014, §
128 RdNr 7d ff). Die Tatsachengerichte der Sozialgerichtsbarkeit haben erst dann ein gerichtliches Gutachten einzuholen, wenn
sie sich anhand der bereits vorliegenden und ggf beigezogenen Unterlagen einschließlich aller etwaiger Gutachten keine hinreichende
Überzeugung bilden können. Sie können deshalb auch auf der Grundlage der von der Pflegekasse eingeholten Gutachten entscheiden,
wenn sie keine Zweifel an deren Feststellungen haben. Eine Verbindlichkeitsanordnung ist daher weder erforderlich noch sachgerecht.
dd) Darüber hinaus hat der Gesetzgeber durch das Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz vom 23.10.2012 (BGBl I 2246) das Verfahren
zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit (§
18 SGB XI) erheblich geändert, die Tätigkeit des Medizinischen Dienstes der Kranken- und Pflegeversicherung (MDK) um den Einsatz unabhängiger
Gutachter ergänzt und dabei die Rechte der Versicherten hinsichtlich der Auswahl eines Gutachters gestärkt (§
18 Abs
3a SGB XI). Gleichwohl hat der Gesetzgeber den Feststellungen dieser unabhängigen Gutachter keinen höheren Beweiswert zuerkannt und
nicht deren Verbindlichkeit im gerichtlichen Verfahren angeordnet, und zwar auch nicht in den Fällen, in denen der Gutachter
vom Versicherten ausgewählt worden ist. Wenn selbst eine Verbesserung der Qualität der Gutachten und die Einräumung von Auswahloptionen
an die Betroffenen in der sozialen Pflegeversicherung nicht zu einer anderen Beurteilung des Beweiswertes von gutachterlichen
Feststellungen führen, ist nicht zu rechtfertigen, dass in der privaten Pflegeversicherung selbst Gutachten, denen kein derartiges
Auswahlverfahren des Betroffenen vorangegangen ist, generell ein höherer Beweiswert zukommt und für die Gerichte verbindlich
sind. Insbesondere diese Neugestaltung des Begutachtungsrechts veranlasst den Senat, an seiner abweichenden Auffassung zur
Verbindlichkeit von Gutachten, die von einem privaten Krankenversicherungsunternehmen zur Ermittlung des Pflegebedarfs in
Auftrag gegeben wurden (vgl BSG SozR 4-7690 § 64 Nr 1 = SozR 4-3300 § 23 Nr 3 = SozR 4-1500 § 103 Nr 3; BSGE 88, 262 = SozR 3-3300 § 23 Nr 5; BSGE 88, 268 = SozR 3-3300 § 23 Nr 6), nicht länger festzuhalten.
ee) Der Auffassung des Senats, dass § 84 Abs 1 Satz 1 VVG wegen des Vorrangs der spezielleren Vorschriften des §
23 SGB XI nicht zur Anwendung kommt, steht § 194 Abs 1 Satz 1 VVG nicht entgegen. Diese Vorschrift gehört zum 2. Teil des VVG, in dem sich die Regelungen für die einzelnen Versicherungszweige befinden, und dort zu Kapitel 8. Krankenversicherung. Danach
sind die §§ 74 bis 80 und 82 bis 87 VVG anzuwenden, soweit der Versicherungsschutz nach den Grundsätzen der Schadensversicherung gewährt wird. Die Pflegekrankenversicherung
wird in dieser Vorschrift, anders als in der auch zum 8. Kapitel gehörenden Regelung des § 192 Abs 6 VVG, nicht ausdrücklich erwähnt. Der Gesetzgeber hat demnach eine Anwendung des § 84 VVG auf die Pflegekrankenversicherung nicht ausdrücklich angeordnet. Er hat vielmehr in § 192 Abs 6 Satz 3 VVG für die Pflegekrankenversicherung ausdrücklich den Vorrang der Regelungen des
SGB XI normiert. Die Vorschrift steht schon deshalb dem Auslegungsergebnis des Senats nicht entgegen. Es kann daher offenbleiben,
ob und ggf inwieweit der Versicherungsschutz in der Pflegeversicherung nach den Grundsätzen der Schadensversicherung gewährt
wird. Das Versicherungsvertragsrecht unterscheidet insoweit zwischen der auf die Deckung eines konkreten Schadens ausgerichteten
Schadens- und der einen abstrakt zu berechnenden Bedarf deckenden Summenversicherung. Das Pflegegeld wurde nach der bisherigen
Rechtsprechung des Senats der Schadensversicherung zugerechnet, weil es sich zwar um eine pauschale Leistung handele, die
Höhe aber von der Zuordnung zu einer Pflegestufe und damit vom Ausmaß der Pflegebedürftigkeit abhänge (BSGE 88, 262 = BSG SozR 3-3300 § 23 Nr 5 = SozR 3-1300 § 48 Nr 79). Der Fall bietet keinen Anlass, darüber zu entscheiden, ob und ggf inwieweit die private Pflegekrankenversicherung
zu den Schadensversicherungen im Sinne des VVG gehört.
f) Im Ergebnis gibt es deshalb im sozialgerichtlichen Verfahren keine hinreichende Rechtfertigung dafür, dass Ermittlungsmöglichkeiten
der Gerichte bei einem von einem privaten Pflegeversicherungsunternehmen eingeholten Gutachten auf den Fall einer offenbaren
erheblichen Abweichung von der wirklichen Sachlage begrenzt sein sollten, obwohl die tatbestandlichen Anspruchsvoraussetzungen
übereinstimmen und der Gesetzgeber die Entscheidung nach übereinstimmenden Maßstäben ausdrücklich vorschreibt. Eine Verbindlichkeit
der Feststellungen des Gutachters wirkt sich für die Betroffenen insbesondere nachteilig aus, wenn in Bezug auf bereits abgelaufene
Zeiträume eine höhere Einstufung begehrt wird. Für vergangene Zeiträume ist der Nachweis, dass die Feststellungen eines Gutachters
"offenbar" von der wirklichen Sachlage erheblich abweichen, schwer zu erbringen. Dies gilt selbst dann, wenn sich bei einer
erneuten Begutachtung aufgrund eines Höherstufungsantrages zeigt, dass die Voraussetzungen für eine höhere Einstufung so offensichtlich
vorliegen, dass vieles dafür spricht, dass dies nicht erst seit dem Tag der Begutachtung der Fall ist. Die Anwendung gleicher
Maßstäbe hat schließlich auch Bedeutung in Konstellationen, in denen sich die rechtlichen Vorgaben für Leistungen der Pflegversicherung
ändern, etwa durch die Einführung zusätzlicher Leistungen für demenziell erkrankte Versicherte (durch das Erste Gesetz zur
Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften [Erstes Pflegestärkungsgesetz - PSG I] vom 17.12.2014,
BGBl I 2222) oder durch die für 2016 vorgesehene Neuausrichtung der Pflegestufen oder Pflegegrade. Die dargelegten Argumente
sprechen auch dagegen, zwischen den gutachterlichen Feststellungen des MDK und der MedicProof zu differenzieren, wenn es für
Übergangs- oder Besitzstandsregelungen auf die Ermittlung des tatsächlichen Zustands des Betroffenen zu einem bestimmten Stichtag
ankommt. Dies gilt unabhängig davon, ob sich die stärkere Bindung an gutachterliche Feststellungen, auf die § 84 Abs 1 VVG abzielt, in solchen Übergangskonstellationen zu Gunsten oder zu Lasten der Versicherten auswirken würde. Die übergangsrechtliche
Begünstigung eines pflegebedürftigen Beamten, der von einem "nur" falschen, aber nicht "offenbar" unrichtigen Gutachten der
MedicProof aus der Vergangenheit profitieren und damit auch höhere Beihilfeleistungen behalten oder erhalten könnte, als Versicherte
der sozialen Pflegeversicherung mit gleichen Einschränkungen, ist nicht zu rechtfertigen. Damit werden die Unterschiede in
der öffentlich-rechtlich geprägten Rechtsbeziehung in der sozialen Pflegeversicherung und dem privat-rechtlich geprägten in
der privaten Pflegeversicherung nicht in Frage gestellt. Diese sollen sich nach dem Bundesgesetzgeber aber auf die verwaltungsmäßige
Umsetzung der Pflegeversicherung beziehen, nicht auf den Umfang der gerichtlichen Kontrolle von Entscheidungen der Versicherung.
4. Für die Beurteilung des Anspruchs der Klägerin auf Pflegegeld ist danach das von der Beklagten eingeholte Gutachten nicht
verbindlich, es ist aber - grundsätzlich gleichwertig neben dem vom Sozialgericht eingeholten Gutachten - entsprechend seiner
Überzeugungskraft uneingeschränkt verwertbar. Denn der Senat hat derzeit keine grundsätzlichen Zweifel an der Objektivität
und Unbefangenheit der Gutachter der MedicProof. Die MedicProof GmbH betreibt als Tochterunternehmen des Verbandes der Privaten
Krankenversicherung eV (PKV-Verband) den Medizinischen Dienst der privaten Pflegeversicherung und ist privatrechtlich organisiert.
Sie wird - ebenso wie der MDK - kassenübergreifend für alle privaten Krankenversicherungsunternehmen tätig und stellt so bundesweit
eine einheitliche Begutachtung sicher (umfassend zur Verbindung der MedicProof zum Verband der PKV vgl Heinemann, Medizinische
Begutachtung in der privaten und sozialen Pflegeversicherung, 2009, 103 ff; vgl auch 79 f). In Bezug auf die rechtliche und
wirtschaftliche Unabhängigkeit der MedicProof GmbH von einem einzelnen privaten Krankenversicherungsunternehmen ergeben sich
daher keine grundsätzlichen Unterschiede zur Unabhängigkeit des MDK von einer einzelnen Kranken- oder Pflegekasse (ebenso
Heinemann, aaO, 126 ff). Die MedicProof GmbH arbeitet überwiegend mit freiberuflich tätigen Gutachtern, die in den Belangen
der Pflegeversicherung regelmäßig geschult und weitergebildet werden (Heinemann, aaO, 81, 126 ff). Die Schulung dient der
Qualitätssicherung und der Umsetzung einheitlicher Begutachtungskriterien entsprechend denen der sozialen Pflegeversicherung.
Deshalb kooperiert die MedicProof eng mit dem medizinischen Dienst der Spitzenverbände der Pflegekassen (vgl Heinemann, aaO,
80, 98 ff). Der Senat sieht derzeit keinen Hinweis für ein zu Lasten der Versicherten etabliertes besonderes Näheverhältnis
zwischen den privaten Versicherungsunternehmen und den Gutachtern. Es gibt insbesondere keine Veranlassung, an der Qualität
und Objektivität der Gutachten der MedicProof GmbH zu zweifeln. Denn statistisches Vergleichsmaterial der letzten Jahre zeigt
eine in der privaten Pflegeversicherung deutlich großzügigere Bewilligungspraxis, als in der sozialen Pflegeversicherung.
Obwohl die gesetzlich Versicherten durchschnittlich ein höheres Risiko bezüglich der Pflegebedürftigkeit aufweisen, werden
sie häufiger als "nicht pflegebedürftig" eingestuft und weisen durchschnittlich niedrigere Pflegestufen auf, als die Versicherten
der privaten Pflegeversicherung (vgl Schmucker, Verzerrungen im Begutachtungsprozess? Zum Einfluss sozialer Parameter auf
die Leistungsgewährung in der Pflegeversicherung, G + S 2011, 54 ff; Heinemann, aaO, 120 ff; so auch Ladage in Festschrift
50 Jahre Bundessozialgericht, 2004, 673, 688). Aus den tatsächlichen Verhältnissen ergibt sich daher jedenfalls keine systematische
Verzerrung im Begutachtungsprozess zu Lasten der privat Versicherten im Vergleich zu den gesetzlich Pflegeversicherten. Das
spricht aber lediglich für eine faktische Berücksichtigung der Gutachten der MedicProof mit grundsätzlich gleicher Beweiskraft
wie andere Gutachten. Für eine darüber hinausgehende rechtliche Bindung an die Feststellungen des Gutachters nach § 84 Abs 1 Satz 1 VVG ist indes wegen des Vorrangs der spezielleren Vorschriften des §
23 SGB XI kein Raum.
5. Nach diesen Grundsätzen sowie auf der Basis der Feststellungen des Berufungsgerichts ist die Revision unbegründet, soweit
ein Anspruch der Klägerin auf Pflegegeld nach der Pflegestufe II für den Zeitraum vom 1.8.2005 bis zum 30.5.2011 in Streit
steht. Denn die Klägerin erfüllte für die Zeit von der Antragstellung im August 2005 bis einschließlich Februar 2009 nicht
die Voraussetzungen der Pflegebedürftigkeit und ab März 2009 bis zum 30.5.2011 lediglich die Voraussetzungen der Pflegestufe
I. Dies ergibt sich nach den Feststellungen des Berufungsgerichts sowohl aus den Gutachten der MedicProof als auch aus dem
gerichtlichen Gutachten von Dr. S.. Letzterer hat die Feststellungen der Gutachter der MedicProof bis zu dem Tag, an dem er
selbst die Klägerin begutachtet hat (am 30.5.2011), voll bestätigt. Für den Zeitraum von der Antragstellung der Klägerin im
August 2005 bis zum Tag der Begutachtung am 30.5.2011 ergeben sich daher keine über das Teilanerkenntnis der Beklagten hinausgehenden
Leistungen.
6. Für den Zeitraum vom 31.5.2011 bis einschließlich 30.11.2011 kann der Senat mangels ausreichender Feststellungen des LSG
nicht über das Vorliegen der Voraussetzungen der Pflegestufe II entscheiden. Das Berufungsgericht durfte den von dem gerichtlichen
Sachverständigen Dr. S. festgestellten Grundpflegebedarf von 123 Minuten täglich nicht in der von ihm vorgenommenen Art und
Weise reduzieren. Zwar sind zur Feststellung des zeitlichen Pflegebedarfs nur solche Verrichtungen zu berücksichtigen, die
mindestens einmal wöchentlich anfallen (hierzu a); das Berufungsgericht hat jedoch keine ausreichenden Ermittlungen zur Häufigkeit
der Arztbesuche geführt, obwohl es gerade hierauf seine Entscheidung gestützt hat. Es hat dadurch den Amtsermittlungsgrundsatz
sowie den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör verletzt (hierzu b).
a) Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass nur der Zeitaufwand zu berücksichtigen ist, der mindestens einmal
wöchentlich für die berücksichtigungsfähigen Verrichtungen anfällt. Der Senat hat bereits im Urteil vom 29.4.1999 (BSG Urteil vom 29.4.1999 - B 3 P 12/98 R - Juris) entschieden, dass nach §
15 Abs
3 SGB XI für die Bemessung des für die Pflege erforderlichen Zeitaufwands auf die Woche abzustellen und aus dem gesamten in einer
Woche anfallenden Pflegeaufwand der Tagesdurchschnitt zu ermitteln ist. Das schließt es aus, bei der Feststellung des zeitlichen
Pflegebedarfs auch Verrichtungen einzubeziehen, die seltener als zumindest einmal wöchentlich anfallen. Die Regelung des §
15 Abs
3 SGB XI ist insoweit in den von der privaten Pflegepflichtversicherung verwandten MB/PPV wortgleich übernommen worden (§ 1 Abs 8
MB/PPV mit Stand 1.6.2005 sowie die bis zu der Fassung mit Stand vom 1.1.2010 insoweit identisch gebliebenen Fassungen, die
den hier streitigen Zeitraum bis zum 30.11.2011 erfassen). Sie ist daher in dieser Auslegung Vertragsinhalt geworden. Geht
es um die Verrichtung des Verlassens und Wiederaufsuchens der Wohnung (§
14 Abs
4 Nr
3 SGB XI, der wortgetreu in §
1 Abs
5c MB/PPV in den genannten Fassungen wiedergegeben ist), sind nur solche Maßnahmen außerhalb der Wohnung zu berücksichtigen,
die - wie das Aufsuchen von Ärzten oder die Inanspruchnahme ärztlicher verordneter Therapien - für die Aufrechterhaltung der
Lebensführung zuhause notwendig sind und das persönliche Erscheinen des Antragsstellers erfordern (vgl Meßling in jurisPK-
SGB XI, 1. Aufl 2014, §
14 RdNr 107 ff, 120 ff mwN; vgl auch Richtlinien des GKV-Spitzenverbandes zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem
XI. Buch Sozialgesetzbuch vom 8.6.2009 unter D.4.3 Mobilität Nr 15). Für die Feststellung, ob die Verrichtung "Verlassen und
Wiederaufsuchen der Wohnung" regelmäßig mindestens einmal pro Woche und dauerhaft (voraussichtlich mindestens sechs Monate)
anfällt, ist nicht jede Maßnahme für sich isoliert zu betrachten. Vielmehr sind alle berücksichtigungsfähigen Maßnahmen zum
Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung zusammen zu betrachten. Dies gilt auch für die private Pflegeversicherung, um für
die Feststellung der Pflegebedürftigkeit dieselben Maßstäbe anzulegen, wie in der sozialen Pflegeversicherung.
b) Nach diesen Grundsätzen bedurfte die Klägerin in der Zeit von 31.5.2011 bis zum 30.11.2011 zumindest zweimal wöchentlich
der Hilfe beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung. Es steht nach den Feststellungen des Berufungsgerichts fest, dass
sie dauerhaft zweimal wöchentlich aufgrund einer ärztlichen Verordnung Physiotherapeuten aufsuchte. Ob die Verrichtung ein
drittes Mal pro Woche oder ggf sogar häufiger zu berücksichtigen ist, kann der Senat aufgrund der Feststellungen des Berufungsgerichts
nicht abschließend entscheiden.
Der gerichtlich bestellte Gutachter Dr. S. hat diesbezüglich ausgeführt, die Klägerin besuche zweimal pro Monat einen Arzt
und achtmal pro Monat einen Therapeuten. Danach fällt die berücksichtigungsfähige Verrichtung des Verlassens und Wiederaufsuchens
der Wohnung jede zweite Woche zweimal und jede zweite Woche dreimal an. Regelmäßig fällt die Verrichtung danach nur zweimal
wöchentlich an. Das Gutachten von Dr. S. datiert vom 27.6.2011. Wenige Monate später hat die Pflegeperson der Klägerin in
der mündlichen Verhandlung am 16.11.2011 als Zeugin demgegenüber jedoch ausgeführt, die Klägerin gehe zweimal pro Woche zur
Lymphdrainage und zweimal pro Woche zur ärztlich angeordneten Physiotherapie (Massage). Darüber hinaus besuche sie in abwechselndem
Turnus jede zweite Woche Dr. Ha. und jede zweite Woche Dr. I.. Danach fällt die Verrichtung des Verlassens und Wiederaufsuchens
der Wohnung bei der Klägerin berücksichtigungsfähig fünfmal pro Woche an, wenn auch die Lymphdrainage ärztlich verordnet wurde.
Bei dieser Sachlage hätte sich das Berufungsgericht zu weiteren Ermittlungen bzgl der Häufigkeit der anfallenden Verrichtungen
gedrängt fühlen müssen, wenn es diesem Aspekt entscheidungserhebliche Bedeutung beimisst. Denn das LSG hatte hierzu keine
abschließende Überzeugung gewonnen (was aufgrund der gegensätzlichen Angaben auch kaum möglich war). Es hat seine Entscheidung
maßgeblich darauf gestützt, es sei nicht nachgewiesen, dass Arztbesuche mindestens einmal wöchentlich anfielen, denn die Klägerin
habe die Aussage der als Zeugin vernommenen Pflegeperson, dass jede Woche ein Arztbesuch anfalle, nicht durch entsprechende
Unterlagen untermauert. Damit hat das LSG zum Ausdruck gebracht, dass es die Frage der Häufigkeit der Arztbesuche der Klägerin
aufgrund der Beweislastverteilung zu Lasten der Klägerin entscheide, und nicht weil es von den Angaben im Gutachten überzeugt
war.
Im sozialgerichtlichen Verfahren kann eine Beweislastentscheidung jedoch erst dann ergehen, wenn die Ermittlungsmöglichkeiten
erschöpft sind (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Aufl 2014, §
103 RdNr 8 und RdNr 19 jeweils mwN). Das Gericht muss sich grundsätzlich die volle Überzeugung von den beweiserheblichen Tatsachen
verschaffen (Leitherer, aaO, § 103 RdNr 6a). Der Untersuchungsgrundsatz hat zur Folge, dass die Beteiligten grundsätzlich
keine Beweisführungslast haben, sofern das Gesetz nichts Abweichendes regelt. Eine Entscheidung nach der objektiven Beweislast
kann nur getroffen werden, wenn das Gericht trotz aller Bemühungen bei der Amtsermittlung den Sachverhalt nicht aufklären
kann (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Aufl 2014, §
118 RdNr 6). Deshalb durfte das Berufungsgericht seine Entscheidung nicht darauf stützen, dass die Klägerin die Aussage der Zeugin
nicht durch entsprechende Unterlagen untermauert habe. Denn für die Aufklärung der Tatsache, wie häufig die Klägerin wöchentlich
ihre Wohnung verlassen und wiederaufsuchen muss, bieten sich zahlreiche verschiedene Ermittlungsmöglichkeiten. Ua liegt es
nah, hierzu die genannten Ärzte zu befragen. Untauglich scheint es dagegen zu sein, auf die Feststellungen zeitlich länger
zurückliegender Sachverständiger zurückzugreifen, da sich die Häufigkeit von Arzt- und Therapeutenbesuchen im Laufe längerer
Zeitabschnitte ändern kann.
Zudem hat das Berufungsgericht in diesem Punkt den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör (§
62 SGG) verletzt. Denn das Urteil darf nicht auf tatsächliche oder rechtliche Gesichtspunkte gestützt werden, die bisher nicht erörtert
worden sind, wenn dadurch der Rechtsstreit eine unerwartete Wendung nimmt, mit der auch ein gewissenhafter Prozessbeteiligter
nach dem bisherigen Verfahrensverlauf selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu
rechnen braucht (BVerfG NJW 2012, 2262; BSG SozR 4-2500 § 103 Nr 6 RdNr 17; BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 15 RdNr 13). Die Frage der Häufigkeit von Arzt- und Therapeutenbesuchen hat das Berufungsgericht nicht mit der Klägerin
erörtert. Für die Klägerin war nicht ersichtlich, dass sich das Berufungsgericht diesen Umstand herausgreifen würde, mit der
Folge, dass sich der vom Sachverständigen Dr. S. ermittelte Hilfebedarf soweit verringern würde, dass in der Folge die Voraussetzungen
für Leistungen nach der Pflegestufe II nicht festzustellen waren. Der Rechtsstreit hat dadurch für die Klägerin eine unerwartete
Wendung genommen. Denn es sind zwei Aspekte zusammen gekommen: Der Sachverständige Dr. S. ist (ohne erkennbaren Grund) von
Tatsachen ausgegangen, die von den Angaben der Klägerin und der kurz nach der Begutachtung als Zeugin vernommenen Pflegeperson
abweichen. Dies führte aber im Ergebnis nicht zu einem Nachteil für die Klägerin, weil der Gutachter dann den rechtlichen
Gesichtspunkt, dass nur Verrichtungen zu berücksichtigen sind, die mindestens einmal in der Woche anfallen, zu Gunsten der
Klägerin nicht beachtet hat. Es bestand deshalb für die Klägerin insgesamt kein Anlass, das Gutachten zu kritisieren. Es ist
grundsätzlich Aufgabe des Gerichts die Tatsachen aufzuklären, von denen der Sachverständige auszugehen hat (vgl Leitherer,
aaO, § 103 RdNr 11a). Jedenfalls ist es für die Klägerin bei dieser Sachlage überraschend, wenn das Berufungsgericht seiner
Entscheidung im tatsächlichen Bereich die Angaben des Gutachters zur Häufigkeit der Arztbesuche zugrunde legt, ohne ihr hierzu
die Möglichkeit der Stellungnahme einzuräumen. Dass das Berufungsgericht bei den zahlreichen für die Feststellung der Pflegestufe
maßgeblichen Verrichtungen gerade diesem Aspekt entscheidende Bedeutung beimessen würde, war nicht erkennbar und vor dem Hintergrund
der entgegenstehenden umfassenden Zeugenaussage auch nicht zu erwarten.
Das Berufungsgericht wird daher die Frage aufzuklären haben, wie häufig pro Woche die Klägerin in der Zeit vom 31.5.2011 bis
30.11.2011 regelmäßig und dauerhaft (voraussichtlich für mindestens sechs Monate) ihre Wohnung für Maßnahmen zur unmittelbaren
Aufrechterhaltung der Lebensführung zuhause verlassen und wiederaufsuchen musste. Es hat aufgrund des hierzu ermittelten Sachverhaltes
dann zu entscheiden, ob es auf der Grundlage der bisherigen Gutachten und unter Berücksichtigung der Angaben der Beteiligten
einen Zeitwert für die Verrichtung des Verlassens und Wiederaufsuchens der Wohnung selbst ermitteln kann, oder ob es hierfür
ggf erneut Sachverständigenhilfe (möglicherweise auch durch Rückfragen bei dem Sachverständigen Dr. S.) zu Rate zieht. Grundsätzlich
bestehen keine Bedenken gegen die Ermittlung angemessener Zeitwerte, die auf der Basis eines Sachverständigengutachtens vom
Gerichts selbst errechnet werden.
7. Die Kostenentscheidung bleibt der abschließenden Entscheidung des LSG vorbehalten.