Anerkennung von Schutzservietten als Pflegehilfsmittel
Gründe:
I. Streitig ist die Versorgung mit Einmalservietten.
Der 1986 geborene, bei der beklagten Pflegekasse familienversicherte und nach beamtenrechtlichen Vorschriften beihilfeberechtigte
Kläger leidet an einem schweren Residualsyndrom nach frühkindlicher Hirnschädigung mit beinbetonter Tetraspastik und hirnorganischem
Psychosyndrom mit geistiger Behinderung. Behinderungsbedingt besteht ein erhöhter Speichelfluss, der beim Essen zunimmt. Der
Kläger wird von seinen Pflegeeltern gepflegt und bezieht von der Beklagten anteilig Leistungen nach der Pflegestufe III des
SGB XI; tagsüber besucht er eine Ganztagesschule für Körperbehinderte.
Erstmals im Jahr 2003 wandte sich der Kläger mit dem Begehren an die Beklagte, ihn mit Schutzservietten zu versorgen. Dies
sind zum einmaligen Gebrauch bestimmte Servietten aus stark saugfähigem Papier in der Form eines Lätzchens, die mit einer
Wölbung zur Aufnahme von Flüssigkeit oder Speiseresten und auf der Rückseite mit einer Kunststoffkaschierung sowie mit einem
Klettverschluss versehen sind, damit sie um den Hals gelegt werden können. Der Kläger machte geltend, die Schutzservietten
dienten der Pflegeerleichterung durch seine Pflegeeltern. Sie verhinderten eine ständige Verschmutzung seiner Kleidung und
ermöglichten - anders als Handtücher zum Umbinden -, dass er auch außerhalb seiner gewohnten häuslichen Umgebung Mahlzeiten
einnehmen könne. In der Schule würden entsprechende Servietten zu den Mahlzeiten ebenfalls eingesetzt.
Auf diesen Antrag teilte die Beklagte unter dem 23.9.2003 mit, dass die Versorgung des Klägers mit Schutzservietten und die
Erstattung der hierfür anfallenden Kosten nicht möglich seien. Darauf wandte sich der Kläger mit Schreiben vom 22.9.2004 erneut
an die Beklagte, legte Rechnungen für Schutzservietten über je 45 Euro vor (Rechnungsdatum 31.10.2003, 16.2.2004, 27.4.2004,
3.7.2004 und 21.9.2004) und bat um einen rechtsmittelfähigen Bescheid. Die Beklagte lehnte die Kostenerstattung nochmals ab,
weil "kein Anspruch auf Versorgung mit Schutzservietten" bestehe (Bescheid vom 28.9.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 20.1.2005). Die zum Verbrauch bestimmten Pflegehilfsmittel seien abschließend im Pflegehilfsmittel-Verzeichnis nach §
78 SGB XI aufgelistet. Feuchte Tücher und Schutzservietten seien darin nicht aufgenommen. Sie fielen unter die Rubrik "Gebrauchsgegenstände
des täglichen Lebens" und seien auch dann keine Leistungen der Pflegekassen, wenn sie pflegeerleichternd wirkten.
In dem darauf angestrengten Klageverfahren hat der Kläger ohne Erfolg die Verurteilung der Beklagten zur Versorgung mit Schutzservietten
für die Zukunft und Kostenerstattung hinsichtlich weiterer Rechnungen für Schutzservietten über je 45 Euro (Rechnungsdatum
28.12.2004, 26.3.2005, 22.6.2005, 29.7.2005, 28.12.2005, 3.4.2006 und 19.6.2006) begehrt. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen, da die Benutzung von Einmalservietten unwirtschaftlich sei; an deren Stelle könnten dem Kläger
bei den Mahlzeiten auch Handtücher umgebunden werden (Gerichtsbescheid vom 28.2.2006). Das Landessozialgericht (LSG) hat die
Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 27.10.2006): Die Schutzservietten seien keine zum Verbrauch bestimmten Pflegehilfsmittel
iS des §
40 Abs
1 Satz 1
SGB XI. Zwar komme es nicht darauf an, dass die Servietten nicht im Pflegehilfsmittel-Verzeichnis nach §
78 Abs
2 SGB XI unter den "zum Verbrauch bestimmten Pflegehilfsmitteln" aufgeführt seien; dieses sei für den Leistungsanspruch des Versicherten
nicht bindend. Jedoch seien die Servietten allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens, auch wenn sie die Pflege
erleichtern würden. Ein Schutz davor, sich beim Essen die Kleidung zu verschmutzen, werde nicht nur von Kranken und/oder Behinderten
in Anspruch genommen. Die Verwendung einer Serviette sei allgemeiner Bestandteil der Tisch- und Esskultur.
Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Die Schutzservietten seien zum Verbrauch bestimmte
Pflegehilfsmittel iS von §
40 Abs
1 Satz 1
SGB XI. Es handele sich nicht um Gegenstände des täglichen Lebens, denn anders als ein Nichtbehinderter sei er nicht frei in der
Entscheidung, ob er eine solche Serviette benutze. Er sei zu deren Benutzung gezwungen, um sich überhaupt kultiviert in Gesellschaft
aufhalten zu können.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 27.10.2006 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg
vom 28.2.2006 zu ändern, den Bescheid der Beklagten vom 28.9.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.1.2005 aufzuheben
und die Beklagte zu verurteilen, ihn mit einmal verwendbaren Schutzservietten zu versorgen und ihm 270 Euro zu zahlen.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil als zutreffend und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II. Die Revision des Klägers ist begründet. Der Kläger hat - unter Berücksichtigung seiner Beihilfeberechtigung - einen Anspruch
auf künftige Versorgung mit Schutzservietten und auf Erstattung der geltend gemachten Kosten. Die von ihm benutzten Schutzservietten
sind zum Verbrauch bestimmte Pflegehilfsmittel iS von §
40 Abs
1 Satz 1
SGB XI und keine allgemeinen Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens.
1. Die auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtenden Sachurteilsvoraussetzungen liegen vor.
a) Das Begehren auf Leistung für die Zukunft und Erstattung von Kosten für die Vergangenheit verfolgt der Kläger zutreffend
im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§
54 Abs
4 SGG). Klagegegenstand ist der Bescheid vom 28.9.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.1.2005, durch den die Beklagte
den Antrag auf anteilige Erstattung der Kosten für Schutzservietten für den Zeitraum vom 31.10.2003 bis 21.9.2004 abgelehnt
sowie weiter darüber entschieden hat, dass kein Anspruch auf Versorgung mit Schutzservietten besteht. Dem liegt die sachgerechte
Auslegung des Begehrens des Klägers zu Grunde, dass neben der Erstattung der bereits angefallenen Kosten auch eine Entscheidung
über die Versorgung mit Schutzservietten für die Zukunft getroffen werden sollte. Unschädlich dafür ist, dass in dem Antragsschreiben
vom 22.9.2004 nur die bis dahin angefallenen Kosten aufgeführt waren. Denn mit dem weiter formulierten Wunsch um einen rechtsmittelfähigen
Bescheid hat der Kläger sein Interesse an einer verbindlichen Klärung seines Anspruchs so zum Ausdruck gebracht, dass davon
auch das Leistungsbegehren für die Zukunft umfasst war.
b) Mit diesem Streitgegenstand hat das LSG die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG zu Recht als statthaft angesehen, obschon der Wert des für die Vergangenheit gestellten Kostenerstattungsantrags den Beschwerdewert
des §
144 Abs
1 SGG nicht erreicht und das SG keinen Zulassungsausspruch nach §
144 Abs
2 Nr
1 SGG getroffen hat. Denn im Ergebnis hat das SG über einen Anspruch auf wiederkehrende Leistungen für mehr als ein Jahr entschieden (§
144 Abs
1 Satz 2
SGG).
2. Der Kläger hat Anspruch auf die begehrte Versorgung mit Schutzservietten. Rechtsgrundlage dieses Begehrens ist §
40 Abs
1 Satz 1
SGB XI. Danach haben Pflegebedürftige bis zu einem monatlichen Wert von 31 Euro (§
40 Abs
2 SGB XI) bzw bei Beihilfeberechtigung von 15,50 Euro (§
28 Abs
2 SGB XI) Anspruch auf Versorgung mit Pflegehilfsmitteln, die ua zur Erleichterung der Pflege beitragen, soweit sie nicht wegen Krankheit
oder Behinderung von der Krankenversicherung oder anderen zuständigen Leistungsträgern - solche kommen hier nicht in Betracht
- zu leisten sind (§
40 Abs
1 Satz 1
SGB XI). Diese Anspruchsvoraussetzungen sind erfüllt.
a) Zu Recht ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass die beanspruchten Schutzservietten zur Pflegeerleichterung iS von
§
40 Abs
1 Satz 1
SGB XI beitragen. Nach den mit der Revision nicht angegriffenen und damit für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§
163 SGG) leidet der Kläger an den Folgen einer schwersten frühkindlichen Hirnschädigung. Sie ziehen es ua nach sich, dass sein Mund
ständig geöffnet ist und er insbesondere bei der Aufnahme von Nahrung oder Getränken verstärkt Speichel von sich gibt. Infolgedessen
droht insbesondere beim Essen eine Verschmutzung der Kleidung, der die Schutzservietten entgegenwirken. Insoweit reduzieren
die Servietten den von den Pflegepersonen zu tragenden Pflegeaufwand, indem der Bedarf für den Wechsel und das Waschen von
Kleidung reduziert wird.
Es besteht keine vorrangige Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nach §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V mit der Folge, dass dadurch die Leistungsverantwortung der beklagten Pflegekasse verdrängt würde. Krankenversicherte haben
danach Anspruch ua auf solche Hilfsmittel, die nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder
nach §
34 Abs
4 SGB V ausgeschlossen und im Einzelfall ua erforderlich sind, "um eine Behinderung auszugleichen". Einem solchen Behinderungsausgleich
dienen die Schutzservietten trotz ihres behinderungsbedingten (§
2 Abs
1 Satz 1
SGB IX) Einsatzes nicht. Wie sich aus §
1 Satz 1
SGB V ergibt, hat die Krankenversicherung als Solidargemeinschaft die Aufgabe, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen
oder deren Gesundheitszustand zu bessern. Dementsprechend haben die Krankenkassen ausschließlich Aufgaben im Zusammenhang
mit der medizinischen Rehabilitation zu erfüllen und nur darauf bezogene Leistungen zu erbringen, nicht aber Leistungen zur
Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft oder zur Teilhabe am Arbeitsleben (§
6 Abs
1 Nr
1 SGB IX). Dies gilt auch im Hilfsmittelbereich; zum Ausgleich einer Behinderung iS von §
33 Abs
1 SGB V haben die Krankenkassen nur für solche Hilfsmittel aufzukommen, die die Auswirkungen einer Behinderung im gesamten täglichen
Leben beseitigen oder mildern und damit ein Grundbedürfnis des täglichen Lebens betreffen (vgl im Einzelnen Urteil des Senats
vom 26.3.2003, SozR 4-2500 § 33 Nr 2 mwN). Dies ist bei den Schutzservietten nicht der Fall, denn sie betreffen kein Grundbedürfnis
des Versicherten, sondern sie reduzieren den von der Pflegeperson zu tragenden Pflegeaufwand.
b) Zu Unrecht hat die Beklagte darauf hingewiesen, die Eigenschaft als Pflegehilfsmittel fehle den Schutzservietten schon
deshalb, weil sie nicht in das Pflegehilfsmittelverzeichnis nach §
78 Abs
2 SGB XI aufgenommen seien. Der Senat hat bereits zu den Vorschriften zum Hilfsmittelverzeichnis nach §
128 SGB V wiederholt entschieden, dass diese nicht dazu ermächtigen, den Anspruch des Versicherten einzuschränken, sondern nur eine
für die Gerichte unverbindliche Auslegungshilfe schaffen (vgl BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 16, 20 und 27 [3. Senat] sowie SozR
3-2500 §
33 Nr 25 [8. Senat]). §
128 SGB V verleiht keine gesetzliche Ermächtigung dazu, Hilfsmittel von der Versorgung auszuschließen, die ansonsten den gesetzlichen
Anforderungen genügen. Entsprechendes hat der Senat auch für das Pflegehilfsmittelverzeichnis nach §
78 Abs
2 SGB XI festgestellt (BSG SozR 3-3300 §
40 Nr
9). Von der Ermächtigung des §
40 Abs
5 SGB XI, wonach eine Festlegung der im Rahmen der Pflegeversicherung zu gewährenden Pflegehilfsmittel und technischen Hilfen möglich
wäre, ist bislang kein Gebrauch gemacht worden.
c) Die Schutzservietten sind entgegen der Entscheidung des LSG auch nicht als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen
Lebens von der Leistungspflicht nach §
40 Abs
1 SGB XI ausgeschlossen. Zwar ist der Ausgangspunkt des LSG zutreffend, dass allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens
auch ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung ebenso wie in der GKV nach §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V als Hilfsmittel der sozialen Pflegeversicherung nicht beansprucht werden können; das hat der erkennende Senat bereits entschieden
(BSG SozR 3-3300 § 40 Nr 7). Als solch ein alltäglicher Gebrauchsgegenstand sind die hier streitigen Schutzservietten indes
nicht anzusehen.
Für die Abgrenzung zwischen Gebrauchsgegenständen des täglichen Lebens und Hilfsmitteln ist nach der Rechtsprechung zu §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V maßgeblich auf die Zweckbestimmung des Gegenstands abzustellen, die einerseits aus der Sicht der Hersteller, andererseits
aus der Sicht der tatsächlichen Benutzer zu bestimmen ist: Geräte, die für die speziellen Bedürfnisse kranker oder behinderter
Menschen entwickelt und hergestellt worden sind und die ausschließlich oder ganz überwiegend auch von diesem Personenkreis
benutzt werden, sind nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen; das gilt selbst dann, wenn
sie millionenfach verbreitet sind (zB Brillen, Hörgeräte). Umgekehrt ist ein Gegenstand trotz geringer Verbreitung in der
Bevölkerung und trotz hohen Verkaufspreises als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens einzustufen, wenn er
schon von der Konzeption her nicht vorwiegend für Kranke und Behinderte gedacht ist (vgl BSGE 84, 266 = SozR 3-2500 § 33 Nr 33; BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 32). Maßgeblich für die Abgrenzung sind ausschließlich Funktion und Gestaltung
des Gegenstands, wie er konkret beansprucht wird und beschaffen ist. Handelt es sich hingegen um einen Gegenstand, der zwar
allgemein als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens angesehen wird, in seiner konkret zu beurteilenden Funktion und Gestaltung
aber so erheblich von diesem abweicht, weil er für die Zwecke behinderter Menschen weiter entwickelt oder umgewandelt und
deshalb nicht mehr ebenso nutzbar ist wie im Alltag nicht behinderter Menschen, dann ist es ein Hilfsmittel. So liegt es hier.
Die vom Kläger beanspruchten Schutzservietten sind wie Lätzchen für Kinder geformt und zusätzlich mit einer Wölbung zur Aufnahme
von Flüssigkeit oder Speiseresten und auf der Rückseite mit einer Kunststoffkaschierung versehen. In dieser Gestaltung werden
Servietten im Alltag von nicht behinderten Menschen in der Altersstufe des Klägers nicht benutzt. Umgekehrt haben für ihn
Servietten, wie sie vom LSG für den Alltagsgebrauch beschrieben und mit Recht der allgemeinen Esskultur zugeordnet werden,
keinen nachhaltigen Nutzen, weil er sich nicht selbst über den Mund wischen kann und übliche Servietten auch kaum umgebunden
werden können. Seinem behinderungsbedingt höheren Bedarf an Schutz vor Verschmutzung kann mithin mit allgemein gebräuchlichen
Servietten nicht, mit den von ihm beanspruchten und im allgemeinen Alltag nicht gebräuchlichen Schutzservietten hingegen wirksam
entsprochen werden.
d) Auf die Versorgung mit diesen Schutzservietten muss der Kläger nicht deshalb verzichten, weil er unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten
auf andere Mittel zum Schutz seiner Kleidung vor Verschmutzung zu verweisen wäre. Zwar vermittelt §
40 SGB XI keinen Anspruch auf eine aus Sicht der Versicherten optimale Hilfsmittelversorgung (vgl Urteil des erkennenden Senats SozR
3-2500 § 33 Nr 26; BSGE 94, 302 = SozR 4-2500 § 34 Nr 2 [1. Senat]). Die Leistungen der sozialen Pflegeversicherung sind jedoch grundsätzlich an dem Ziel
auszurichten, dem Pflegebedürftigen zu helfen, trotz seines Hilfebedarfs ein möglichst selbstständiges und selbstbestimmtes
Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht (§
2 Abs
1 Satz 1
SGB XI). Demnach kann der Kläger jedenfalls nicht darauf verwiesen werden, die Verschmutzung seiner Kleidung durch unkontrollierten
Speichelfluss hinzunehmen; das macht zu Recht auch die Beklagte nicht geltend. Seinem Interesse, der Verschmutzung der Kleidung
vorzubeugen, muss vielmehr unter Berücksichtigung von anerkannten Pflegestandards einerseits und dem Gebot der Wirtschaftlichkeit
andererseits Rechnung getragen werden.
Danach könnte der Kläger die seinem Pflegebedarf angepassten Schutzservietten nicht beanspruchen, wenn die Kosten völlig außer
Verhältnis zu ihrem Zweck stünden oder ein anderes Hilfsmittel ebenso wirksam und den Bedürfnissen der Pflegepersonen angepasst,
aber deutlich kostengünstiger wäre. Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Weder steht der Aufwand von knapp 0,50 Euro pro Mahlzeit
außer Verhältnis zu dem erstrebten Zweck der geringeren Verschmutzung noch ergibt sich nach den Feststellungen des LSG die
konkrete Möglichkeit einer für die Pflegeperson ebenso praktikablen und dennoch insgesamt erheblich günstigeren Versorgung
zum Schutz der Kleidung des Klägers. Im Gegenteil spricht der Einsatz der Schutzservietten in der vom Kläger besuchten Ganztagesschule
für Körperbehinderte dafür, dass sie jedenfalls in der professionellen Pflege als einfach zu handhaben und gleichwohl wirtschaftliche
Möglichkeit angesehen werden, um die Kleidung behinderter Menschen vor Verschmutzung zu schützen. Deshalb könnte den Pflegepersonen
des Klägers der Einsatz anderer Mittel - wie der Gebrauch eines um den Hals zu bindenden Handtuches - im privaten Rahmen nur
dann angesonnen werden, wenn diese ohne wesentliche Gebrauchseinschränkung deutlich kostengünstiger wären. Dies ist nicht
der Fall, denn die Schutzservietten bestehen aus stark saugfähigem Papier und haben zudem gegenüber einem Handtuch den Vorteil,
dass sie mit einer Wölbung zur Aufnahme von Flüssigkeiten oder Speiseresten und auf der Rückseite mit einer Kunststoffkaschierung
sowie mit einem Klettverschluss versehen sind, damit sie um den Hals gelegt werden können. Andere - kostengünstigere - Alternativen
sind nicht ersichtlich.
3. Begründet ist auch der Anspruch auf anteilige Erstattung der Kosten der Schutzservietten für die Vergangenheit.
a) Rechtsgrundlage des Anspruchs ist §
13 Abs
3 SGB V. In entsprechender Anwendung seiner Voraussetzungen kann auch in der sozialen Pflegeversicherung die Erstattung von Kosten
für Pflegehilfsmittel beansprucht werden, wenn die Pflegekasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte
oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat. Zwar ist im
SGB XI ein ausdrücklicher Anspruch auf Kostenerstattung bei selbst beschafften Pflegehilfsmitteln nicht enthalten (vgl Udsching,
SGB XI, 2. Aufl 2000, §
4 RdNr 3 und §
40 RdNr 14). Auch §
15 SGB IX greift nicht ein, weil die Pflegekassen keine Rehabilitationsträger sind (vgl §
6 Abs
1 SGB IX). Jedoch hat der erkennende Senat bereits entschieden, dass §
13 Abs
3 SGB V als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes auch im Bereich der sozialen Pflegeversicherung anzuwenden ist (BSG SozR
3-2500 § 37 Nr 3; Urteil vom 24.9.2002 - B 3 P 15/01 R - Die Leistungen Beilage 2004, 298).
b) Die Beklagte hat die Versorgung des Klägers mit Schutzservietten zu Unrecht abgelehnt, bevor die hier im Streit stehenden
Kosten angefallen sind. Der Kläger hatte sich bereits im September 2003 mit der Bitte um Versorgung mit entsprechenden Schutzservietten
erfolglos an die Beklagte gewandt. Die seither entstandenen Kosten (seit Oktober 2003) sind danach kausal durch die rechtswidrige
Entscheidung der Beklagten entstanden und von ihr unter Berücksichtigung der Beihilfeberechtigung des Klägers anteilig auszugleichen.
Demgemäß hat der Kläger Anspruch auf hälftige Erstattung der in der Zeit vom 31.10.2003 bis zum 19.6.2006 aufgewandten Kosten
von insgesamt 540 Euro (zwölf Rechnungen zu 45 Euro), mithin 270 Euro.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.