Sozialgerichtliches Verfahren - Rechtsweg - Bestimmung des zuständigen Gerichts durch das BSG bei sog negativen rechtswegübergreifenden Kompetenzkonflikt - Verweisungsbeschluss - Bindungswirkung - Durchbrechung
Gründe:
I. Die Beteiligten als vormalige Parteien einer Leistungs-, Prüfungs- und Vergütungsvereinbarung nach dem SGB XII für den Leistungsbereich des ambulanten Betreuten Wohnens für Menschen mit Behinderung vom September 2013 beendeten ihre
vertraglichen Beziehungen durch Vergleich vom 19.2.2015 vor dem SG Hildesheim. Hierdurch erledigte sich zugleich eine vom
Beklagten zuvor ausgesprochene Kündigung der Vereinbarung.
Für die im Juni 2016 von der Klägerin bei dem LG Göttingen erhobene Klage mit dem Antrag, den Beklagten zu verpflichten, 25
000 Euro zzgl weiterer Zahlungen zu erbringen, hat dieses Gericht sich für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das
SG Hildesheim verwiesen (Beschlüsse vom 29.6.2016/4.7.2016).
Mit Beschluss vom 17.10.2016 hat sich auch das SG Hildesheim für sachlich unzuständig erklärt, das Verfahren ausgesetzt und
dem BSG zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, es halte sich nicht
an den Verweisungsbeschluss des LG Göttingen gebunden. Dessen Auffassung, das SG Hildesheim sei für die Entscheidung über
den von der Klägerin geltend gemachten Schadensersatz zuständig, entbehre jeden sachlichen Grundes und sei offensichtlich
nicht haltbar. Weder der Hinweis auf früher geltende Vereinbarungen noch darauf, dass wegen der Wirksamkeit der Kündigung
ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes anhängig gewesen sei, vermöge §
71 Abs
2 Nr
2 GVG außer Kraft zu setzen.
II. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung nach §
58 Abs
1 Nr
4 SGG durch das BSG liegen vor.
Das BSG ist hier als der für einen der beteiligten Gerichtszweige zuständige oberste Gerichtshof für die Bestimmung zuständig, weil
es vom SG Hildesheim als erster oberster Gerichtshof um die Entscheidung angegangen worden ist. Das BSG hat bereits entschieden, dass in entsprechender Anwendung des §
58 Abs
1 Nr
4 SGG das zuständige Gericht auch dann zu bestimmen ist, wenn ein Gericht der Sozialgerichtsbarkeit und das Gericht eines anderen
Gerichtszweigs den Rechtsweg zu sich rechtskräftig verneint haben, sofern das BSG als erster oberster Gerichtshof mit dieser Bestimmung befasst wird (BSG Beschluss vom 1.7.1980 - 1 S 5/80 - SozR 1500 § 58 Nr 4; vgl zuletzt BSG Beschluss vom 16.11.2016 - B 4 SF 5/16 R). Dies entspricht auch der übereinstimmenden Rechtsprechung des BGH und des BAG zu den vergleichbaren Vorschriften ihrer
Verfahrensordnungen (BGH Beschluss vom 7.5.1965 - Ib ARZ 207/64 - BGHZ 44, 14; BAG Beschluss vom 6.1.1971 - 5 AR 282/70 - BAGE 23, 167 = AP Nr 8 zu §
36 ZPO; AP Nr 34 zu §
36 ZPO).
Zuständiges Gericht ist das SG Hildesheim. Seine Zuständigkeit ergibt sich aus der Bindungswirkung der Beschlüsse des LG Göttingen.
Ist das zulässige Rechtsmittel nicht eingelegt worden oder ist es erfolglos geblieben oder zurückgenommen worden, ist die
Verweisung für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, hinsichtlich des Rechtswegs gemäß §
17a Abs
2 S 3
GVG bindend. Dies gilt im Interesse des verfassungsrechtlich gewährleisteten effektiven Rechtsschutzes (Art
19 Abs
4 GG) und einer möglichst zügigen sachlichen Entscheidung unabhängig von der Verletzung prozessualer oder materieller Vorschriften.
Es ist nicht Aufgabe des "gemeinsam" übergeordneten Gerichts im Verfahren nach §
58 Abs
1 Nr
4 SGG, den Streit der beteiligten Gerichte über den Anwendungsbereich von Regelungen über die Zuständigkeit zu entscheiden oder
in jedem Einzelfall die Richtigkeit des dem Verweisungsbeschluss zugrunde liegenden Subsumtionsvorgangs zu überprüfen (vgl
zuletzt Beschluss des Senats vom 16.11.2016 - B 4 SF 5/16 R - mwN).
Nur in seltenen Ausnahmefällen kommt eine Durchbrechung der Bindungswirkung in Betracht, wenn die Verweisung auf einer Missachtung
elementarer Verfahrensgrundsätze oder auf willkürlichen Erwägungen beruht. Eine fehlerhafte Auslegung des Gesetzes allein
macht eine Gerichtsentscheidung nicht willkürlich. Willkür liegt vielmehr erst vor, wenn die Rechtslage in krasser Weise verkannt
wird und die vertretene Auffassung jeden sachlichen Grundes entbehrt, sodass sich die Verweisung bei Auslegung und Anwendung
der maßgeblichen Normen in einer nicht mehr hinnehmbaren Weise von dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters
entfernt (stRspr; vgl nur BSG Beschluss vom 21.2.2012 - B 12 SF 7/11 S - Juris RdNr 9; zuletzt BSG Beschluss vom 16.11.2016 - B 4 SF 5/16 R - RdNr 4; BGH Beschluss vom 9.6.2015 - X ARZ 115/15 - MDR 2015, 908).
Trotz des knappen Verweisungsbeschlusses des Einzelrichters am LG Göttingen liegt ein solcher Ausnahmefall hier nicht vor,
weil dieser offenbar einen sich aus verschiedenen Rechtsgrundlagen ergebenden Zahlungsanspruch mit einem rechtlichen Zusammenhang
zur Kündigung der Sozialhilfevereinbarungen zugrunde gelegt hat. Vor diesem Hintergrund kann der Senat nicht von einer willkürlichen
Verweisung ausgehen.
Die Entscheidung ist unanfechtbar (§
177 SGG).