Befreiung von der Rentenversicherungspflicht
Klärungsfähigkeit einer Rechtsfrage in einem angestrebten Revisionsverfahren
Bereits getroffene Tatsachenfeststellungen
Sachverhaltsdarstellung in einer Beschwerdebegründung
Gründe:
Mit Urteil vom 19.5.2017 hat das LSG Nordrhein-Westfalen einen Anspruch des Klägers auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht
nach §
6 Abs
1 S 1 Nr
1 SGB VI verneint.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil haben der Kläger und die Beigeladene zu 1 jeweils Beschwerde beim BSG eingelegt. Der Kläger rügt die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und eine Abweichung von der Rechtsprechung verschiedener
Landessozialgerichte, die Beigeladene zu 1 rügt neben der grundsätzlichen Bedeutung zusätzlich eine Rechtsprechungsabweichung
(Divergenz).
Die Nichtzulassungsbeschwerden sind unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet sind.
Die Revision ist nur zuzulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG),
- das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (aaO Nr 2) oder
- ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (aaO Nr 3).
Derartige Gründe werden in den Beschwerdebegründungen nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des §
160a Abs
2 S 3
SGG dargetan. Die Beschwerden sind daher gemäß §
160a Abs
4 S 1 iVm §
169 SGG zu verwerfen.
Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus
aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig
ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung
angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen
der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung
erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte)
Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende
Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Diesen Anforderungen werden die vorliegenden Beschwerdebegründungen nicht gerecht.
Der Kläger hat bereits grammatikalisch keinen Fragesatz formuliert und mit der Behauptung, es bedürfte einer Klarstellung
durch das BSG lediglich selbst eine Aussage zum Inhalt des geltenden Rechts gemacht.
Die Beigeladene zu 1 hält als Rechtsfrage für grundsätzlich bedeutsam:
"Reicht es für eine berufsspezifische Tätigkeit eines Architekten, der die Befreiung nach §
6 Abs.
1 S. 1 Nr.
1 SGB VI begehrt, aus, dass er eine der §
1 Abs. 1 und Abs. 5 BaukammerG NRW beschriebenen berufsspezifischen Tätigkeiten erfüllt oder müssen bestimmte Tätigkeiten immer
erfüllt sein um von einer berufsspezifischen Tätigkeit auszugehen?"
Sie zeigt damit schon keine Rechtsfrage des revisiblen Rechts auf (BSG vom 11.2.2014 - B 12 KR 47/13 B - Juris RdNr 8 und Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl 2017, §
160a RdNr 14a).
Beide Beschwerdebegründungen haben zudem jedenfalls die Klärungsfähigkeit, dh Entscheidungserheblichkeit der angesprochenen
Fragen nicht schlüssig dargetan.
Ob eine Rechtsfrage im angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig ist, kann generell nur auf der Grundlage bereits getroffener
Feststellungen beantwortet werden. Dagegen kann die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nicht zugelassen werden, wenn
das Berufungsgericht eine Tatsache, die für die Entscheidung der mit der Nichtzulassungsbeschwerde angesprochenen Rechtsfrage
erheblich sein würde, noch nicht festgestellt hat und damit nur die Möglichkeit besteht, dass sie nach Zurückverweisung der
Sache an das Berufungsgericht und nach weiterer Sachverhaltsaufklärung entscheidungserheblich werden kann (BSG Beschluss vom 10.11.2008 - B 12 R 14/08 B - Juris mwN). Insofern hätten die Beteiligten aufzeigen müssen, welchen Sachverhalt das LSG für das BSG bindend festgestellt hat (§
163 SGG) und dass auf dieser Grundlage im angestrebten Revisionsverfahren notwendig über die mit der Beschwerde angesprochene Problematik
entschieden werden muss. Die Beteiligten geben bereits nicht den der Berufungsentscheidung zugrunde liegenden, vom LSG festgestellten
Sachverhalt wieder. Zwar schildern sie einen Sachverhalt. Ob die dort angegebenen Tatsachen auf Feststellungen des Berufungsgerichts
beruhen, ist ihren Ausführungen nicht zu entnehmen. Fehlt jedoch die maßgebliche Sachverhaltsdarstellung, wird das Beschwerdegericht
nicht in die Lage versetzt, allein anhand der jeweiligen Beschwerdebegründung zu beurteilen, ob die als grundsätzlich erachteten
Rechtsfragen entscheidungserheblich sind. Keinesfalls gehört es zu den Aufgaben des Beschwerdegerichts, sich die maßgeblichen
Tatsachen aus der angegriffenen Entscheidung selbst herauszusuchen (Senatsbeschlüsse vom 16.5.2012 - B 5 R 442/11 B - BeckRS 2012, 70568 RdNr 13 und vom 21.2.2012 - B 5 R 222/11 B - BeckRS 2012, 69065 RdNr 9).
Auch die Divergenzrügen haben keinen Erfolg (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG). Divergenz iS von §
160 Abs
2 Nr
2 SGG liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen.
Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten
Rechtssatz des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat. Eine Abweichung liegt folglich nicht schon dann vor, wenn die Entscheidung des
LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also eigene rechtliche Maßstäbe entwickelt hat.
Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die
Zulassung der Revision wegen Abweichung. Darüber hinaus verlangt der Zulassungsgrund der Divergenz, dass das angefochtene
Urteil auf der Abweichung beruht. Bezogen auf die Darlegungspflicht bedeutet das vorstehend Gesagte, dass die Beschwerdebegründung
erkennen lassen muss, welcher abstrakte Rechtssatz in der höchstrichterlichen Entscheidung enthalten ist und welcher im Urteil
des LSG enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht; ferner muss aufgezeigt werden, dass auch das Revisionsgericht die
oberstgerichtliche Rechtsprechung in einem künftigen Revisionsverfahren seiner Entscheidung zugrunde zu legen haben wird (zum
Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 mwN). Diesen Darlegungserfordernissen werden die Begründungen nicht gerecht.
Die Beigeladene zu 1 hat schon keinen tragenden abstrakten Rechtssatz des LSG herausgestellt, mit dem dieses der Rechtsprechung
des BSG widersprochen habe. Sie macht vielmehr geltend, das BSG (Urteil vom 31.10.2012 - B 12 R 3/11 R - BSGE 112, 108 = SozR 4-2600 § 6 Nr 9, RdNr 34) habe insbesondere auf die berufsrechtlichen Regelungen und deren Auslegung abgestellt. Dabei
sei die Berufskammer die berufene Stelle, um die Rechtsfrage zu klären, ob eine bestimmte Berufstätigkeit noch unter die einschlägigen
berufsrechtlichen Normen falle. Von dieser Rechtsprechung sei das LSG abgewichen, indem es die eigene Einschätzung über die
der Berufskammer gestellt habe.
Mit diesem Vorbringen ist eine Divergenz iS des §
160 Abs
2 Nr
2 SGG nicht dargetan. Missversteht oder übersieht das Berufungsgericht einen höchstrichterlichen Rechtssatz und wendet deshalb
das Recht fehlerhaft an, kann daraus nicht geschlossen werden, es habe einen divergierenden Rechtssatz aufgestellt. Die Bezeichnung
einer Abweichung iS des §
160 Abs
2 Nr
2 SGG setzt vielmehr die Darlegung voraus, dass das LSG die höchstrichterliche Rechtsprechung im angefochtenen Urteil grundsätzlich
infrage stellt. Dies ist nicht der Fall, wenn es eine höchstrichterliche Entscheidung in ihrer Tragweite für den entschiedenen
Fall lediglich verkannt haben sollte (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 73 mwN).
Darüber hinaus zeigt die Beigeladene zu 1 auch nicht auf, dass die Entscheidung des LSG auf der behaupteten Divergenz beruht.
Denn die Beschwerdebegründung legt nicht dar, dass das BSG in der herangezogenen Entscheidung auf der Grundlage des darin angeblich aufgestellten Rechtssatzes eine Fallkonstellation,
die mit derjenigen des Klägers vergleichbar ist, tragend anders entschieden hat als das LSG im angefochtenen Urteil. Dafür
genügt es keinesfalls, der Entscheidung des BSG isoliert einzelne Sätze zu entnehmen. Stattdessen ist der tatsächliche und rechtliche Kontext darzustellen, in dem der herangezogene
höchstrichterliche Rechtssatz steht (vgl hierzu zB BSG Beschluss vom 7.2.2007 - B 6 KA 56/06 B - BeckRS 2007, 41946 RdNr 10 mwN). Zum Kontext der Entscheidung des BSG ist der Beschwerdebegründung aber schon deshalb nichts zu entnehmen, weil sie verschweigt, welchen Sachverhalt das BSG zu beurteilen hatte, sodass auch nicht deutlich wird, welche rechtlichen Aussagen es wirklich getroffen hat und welche Aussagen
ggf auf einer Interpretation der Beigeladenen zu 1 beruhen. Eine konkrete Sachverhaltsdarstellung auch der Entscheidung des
BSG gehört aber zu den Mindestvoraussetzungen, um die Entscheidungserheblichkeit der Divergenzrüge prüfen zu können. Denn eine
die Rechtseinheit gefährdende Abweichung kann nur bei gleichem oder vergleichbarem Sachverhalt vorliegen, auf den dieselben
Rechtsnormen anzuwenden sind.
Die Begründung des Klägers genügt den Anforderungen schon deshalb nicht, weil Entscheidungen der LSGe nach dem abschließenden
Wortlaut des §
160 Abs
2 Nr
2 SGG nicht divergenzfähig sind.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung
beizutragen (vgl §
160a Abs
4 S 2 Halbs 2
SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.